Schill´s Zug nach Stralsund und sein Ende: Tagebuch eines Vertrauten.

Anonymer Verfasser

Der Vorabend des verhängnisvollen Tages senkte sich hernieder. Die gewisse Nachricht, daß der Feind, Holländer und Dänen, 11.000 Mann stark sei, bestätigte sich, und daß sie sich nur in einer Entfernung von einigen Meilen der Stadt befänden. Das Wirbeln der Trommeln, das Schmettern der Trompeten, das Rufen der Hörner, tönte durch die Gassen. Infanterie, Jäger zu Pferde und zu Fuß, Husaren und Uhlanen erfüllten die angewiesenen freien Plätze und erwarteten muthvoll den Wink ihres Feldherrn, dem Feinde entgegen zu gehen und ihn anzugreifen.

Schon bedeckte dunkle Nacht die Erde! Kein Befehl erschien! Die Truppen blieben munter; frohe Gesänge, von Musik begleitet, erschallten in die Lüfte, hohe Wachtfeuer schlugen ihre Flammen in die Höhe und schienen, hellen Schein verbreitend, der Finsternis zu spotten.

Jetzt verließ Schill sein guter Genius, der ihn bisher geführt. Denn, wenn er sich auch, weil wenig Schiffe vorhanden und die meisten abgetakelt waren, vielleicht nicht gänzlich einschiffen konnte, oder wenn er auch, da das Glück den östreichischen Waffen wieder zu lächeln schien, das feste Land nicht verlassen wollte, um bei einer vortheilhaften Wendung der Dinge gleich wieder auftreten zu können: so hatte ich doch mit Gewißheit, vermuthet, er werde sich mit allen Truppen und erbeuteten Kriegsbedürfnissen nach Rügen überschiffen und sich hier bis zur gemeinschaftlichen Operation mit den Engländern wengistens behaupten. Darauf schon deutete ich den Befehl, von Wismar so viele Schiffe als möglich mitzubringen, welche vielleicht den Zweck hätten, zur Deckung der Küste eine kleine Flotille zu errichten, oder auch zur fernen Einschiffung zu dienen. Nun aber sah ich nur zu deutlich, er wollte Stralsund behaupten, und auf den Ausgang eines an Kräften höchst ungleichen Kampfes Alles ankommen lassen. Ohne Anstalten und Aussicht einer möglichen Retraite, wollte er vielleicht, wie Wilhelm der Eroberer, der in England gelandet, de Flotte verbrannte, uns keinen andern Ausweg als Tod oder Sieg offen lassen. Dieses Kühnheit mochte der Glaube erzeugen, daß die Nachricht von der Stärke des Feindes übertrieben und daß die Holländer, zum Theil ehemaliger preußische Soldaten, nicht mit den guten Willen, als es die Folge leider gezeigt, gegen ihre ehemaligen Waffenbrüder fechten, ja vielleicht gar übergehen würden.

Warum Schill vorzog, mit neuen Truppen defensiv zu agiren, - warum er sich des Vortheils der möglichen nächtlichen Ueberraschung und des Angriffs im Freien, muthwillig begab, wo er sich auf seine außerordentliche Cavallerie verlassen, und den Feind seine Artillerie, die aus  3 Batterien, einer französischen, holländischen und dänischen, bestand, mit weniger Effekt gebrauchen konnte? Diese Fragen mag und kann ich nicht beantworten!

Den Lieutenant Blum, der gegen das in Wismar geschlossene Abkommen unangenehme, von seiner Frau erhaltene Nachrichten mittheilte, jagte Schill weg; er überwarf sich ferner mit dem Rittmeister Alvensleben und dem Lieutenant Lützow, welcher Letztere sich von uns trennte; daher die Anspielungen, die der heutige in mancher Hinsicht interessante und letzte Parolebefehl enthält, den ich der Vergessenheit entreiße.

Nach der Parade exercirt v. Quistorp die Garnision, wie auch Nachmittags um 6 Uhr. Hierbei wird auf geschwinden Schritt, rasches Laden, richtiges Anschlagen, Deplojiren mit und ohne Sektionen, ganz vorzüglich gesehen. Die Hauptwache besetzen die Bürger.

Nachdem der sehr unglückliche Ton eingerissen, daß nach Willkühr meine Befehle abgeändertt, sogar öfters nicht befolgt worden sind, und das beständige Marschiren bis jetzt verhindert hat, daß eine solche Abweichung mir nicht noch mehr aufgefallen; so werde ich solche jetzt um so mehr ahnden. Eine noch tausendmal größere Ordnung muß im Corps unumgänglich zur Gewohnheit werden; sonst wird uns ein Unglücksfall nach dem andern, nach so schönen Stunden treffen. Auf Commandos muß ich von dem Commandeur, er sei Offizier oder Unteroffizier, von allen Begebenheiten den pünktlichsten Rapport haben; dergleichen Nachlässigkeit, woraus denn Unglücksfälle großer Art entspringen können, sind nicht hart genug zu bestrafen. Unnöthiges Schießen im Quartier und auf Märschen ist verboten. Die Offiziere der Artillerie reichen mir einen Plan ein, wie die schadhaften Gewehre successsive in einen brauchbaren Zustand gesetzt werden können. Alle dieses vorgebrachten ‚Verfügungen sind schon längst ein Gegenstand meines größten Wunsches gewesen, was manche kritisierende Zunge, die nur immer das Schlimme angreift und vielen brennenden Schwefel um sich herumstreut, wahrlich nicht gern glauben wird. Ich überlasse aber dem vernünftig und besser denkenden Theile, von der Lage der Sache zu abtrahiren und zu berücksichtigen, daß mit dem beständigen und öfters nöthigen raschen Marschiren, Ordnung schwer zu verknüpfen ist.

Es schmerzt mich sehr, hie und da Mangel an Zutrauen zu bemerken, welches mir sonst, da ich von lauter Freunden und keiner Opposition umgeben war, in der Campagne bei Colberg nicht fehlte; allein ich genoß auch damals das Glück, daß sich ein Jeder überzeugt hielt, wie unaussprechlich gut ich es mit einem Jeden meine, wie unermüdet rastlos ich mich bestrebte, ohne großen Menschenverlust den Ganzen nicht unbedeutende Vortheile zuzufügen, und für Alles wie ein sorgsamer Vater zu besorgen. Es ist kein Fall vorhanden, wo mich mit Recht ein Vorwurf von Einem oder dem Andern trifft, und kann ich daher mit Fug und Recht, wie bei Colberg, so auch jetzt vorzüglich um Zutrauen bitten, und werde ich frei auf die Ordnung halten, wie ich es ingleichen nie leide, daß man mir öffentlich und in Gegenwart anderer widerspricht, oder mich persiflirt.

Der nächste Vorfall dieser Art würde mich schon bestimmen, ein Beispiel einziger Art aufzustellen und mit einem Solchen eine Kurz zu versuchen, die er wohl nicht weiter zu erzählen möchte. Noch nie habe ich mich compromittirten lassen, viel weniger jetzt, da Jeder die ganze Last nicht mehr auf meinen Schultern ruht. Ich werde gewiß mit ganzer Sorgfalt darüber wachen, wer sich mit Eifer seiner Instruktion annimmt, welches ich jedoch bei dem von Brunow bei der Cavallerie und von Quistorp bei der Infanterie überzeugt. Das ich über Alles Sorgfalt trage, bitte ich sich überzeugt zu halten, und als einen Beweis das Versprechen zu nehmen, daß ein jedes Individuum, welches sich einzeln um mich gesammelt hat, am Abend seines Lebens die Früchte hiervon genießen soll. Nächstens werde ich mich über diesen Gegenstand näher und deutlicher erklären. Dringend bitte ich das Corps der Offiziere, den Geist der Einigkeit zu befördern, der die Seele im Kriege ist, und die Bahn zum größten Ruhme öffnet; ebenso dringend bitte ich die Herren, mir ihre Freundschaft und ihr Zutrauen zu schenken, da ich nichts mehr wünsche, als daß meine Befehle mit Pünktlichkeit befolgt werden, und übrigens mit dem Heer wie in einem Familienverhältnis zu stehen.

Stralsund, den 30. Mai 1809.

Schill

Um diesen in mancher Hinsicht merkwürdigen Parolebefehl mehr zu verdeutlichen, muß ich nachträglich noch einschalten, daß der Major den Tag vorher einen Theil der Offiziere versammelt und ihnen ungefähr folgendes sagte:

Meine Herren! Ich fühle mich verpflichtet, die Aufopferungen berücksichtigend, die Sie mir und der guten Sache willig darbringen, nach meinen Kräften zu belohnen und Ihnen, da wir uns von der Welt losreißen, einen unruhigen Leben gewidmet, im Fall einer Invalidität oder eines sonstigen Unglücks, überhaupt aber Ihnen auf´s Alter ein unabhängiges, angenehmes Schicksal zu machen. Bisher habe ich alle Länder, theils weil es unsere deutschen Brüder sind, theils wegen ihrer Regenten geschont; doch da mich die Erfahrung gelehrt, daß dergleichen Rücksichten umnütz, so werde ich von nun an anders verfahren. Dies Land, Schwedisch-Pommern, ist eine französische Provinz; ich werde es als erobert betrachten und für Jeden von euch durch Hülfe einer ausgeschriebenen Contribution 30,000 Rthlr. In englischen Banknoten deponiren.

Leider reichte aber die Zeit nicht hin, dies für uns so wohlthätige Arrangement zu treffen. Ueberhaupt hatte er hier große Veränderungen getroffen; denn schon hatte er beschlossen, die ganze Provinz im Namen des abgesetzten Königs von Schweden, den er sehr liebte, in Besitz zu nehmen und demselben huldigen zu lassen. Vorzüglich machten die Vornehmen unsern Untergang recht gern sehn; denn Schill, der vom Volke die meiste Hülfe erwartet hatte und vom adel früher einige Demüthigungen erfahren hatte, versprach dem Volke, das wirklich hier von seinen Herren unerhört gedrückt wird, bessere Zeiten.

Den 31sten. Die junge Sonne stieg, einen heitern Tag verkündend, empor, nicht ahnend, dasß sie so blutige Scenen beleuchten würde.

Meldungen von Patrouillen und Feldwachen zeigten an, der Feind nähere sich mit schnellen festen Schritten. Ueberzeugt, der heutige Abend fände uns entweder auf der höchsten Stufe des Glanzes, die wir zu erklimmen vermöchten, oder gänzlich vernichtet, beschloß ich, der ruhigen Lebensklugheit zuwider, nicht nach Rügen zurückzukehren, sondern hier zu bleibenund an diesem entscheidenden Tage thätigen Antheil zu nehmen. Ich bat daher Schill, da ich an keinen Posten gefesselt war, um die Erlaubnis bei ihm zu bleiben, die ich auch erhielt und zu welchem Behufe ich nun von den Magistrate ein Pferd requirirte.

Schon sah man dunkle Massen sich nähern. Die Infanterie wurde an die 3 Thore vertheilt. Die 4te Escadron saß freiwillig ab, nahm Gewehre und marschirte vor das Kniper-Thor; die Cavallerie hielt auf dem Markt.

Bisher hatte ich Stralsund noch nicht gekannt, wie es jetzt war; die Idee seiner Festigkeit imponirte noch immer. Doch bald wurde ich eines Bessern belehrt, und dunktle Ahnungen ergriffen mich, denn die sonst so respktablen Werke waren alle gesprengt, beinahe keine Spuren von Wällen vorhanden. Die Anstalten, die neuerdings getroffen, wollten nichts sagen; nur ein einziger Waffengraben erschwerte den Feinde das Einrücken. Besonders empfindlich für uns war der Mangel an Artilleristen; wir konnten nur 20 Kanonen höchst langsam bedienen. Berücksichtigte man nun die wenige Infanterie, höchstens 900 Mann (denn Bärsch, der von Rostock aus, noch auf der See schwebte, hatte 500 Mann bei sich, und eine Compagnie stand auf Rügen), die diesen ausgedehnten Ort vertheidigen sollten; so war das Resultat leicht vorauszusehen. Das Kanonenfeuer begann von beiden Seiten mit Heftigkeit, es folgte Knall auf Knall. Unsere vorliegenden Jäger engagirten zuerst das kleine Gewehrfeuer; sie hielten sich lange und tapfer, mußtensich aber vor der Üebernacht zurückziehen. In gedrängten Colonnen rückten die Feinde gegen das Tribserthor. Ladungen von Kartätschen und ein wohl unterhaltenes Kleingewehrfeuer brachten sie zum Rückzuge; sie formirten Quarrés und näherten sich dem Kniperthore. Während dieser Zwischenzeit kam ich mit Brunow, Commandeur der Cavallerie, an Schill herangesprengt, der von Muth beseelt, ruhig wie ein Gott einherritt, überall Anordnungen traf, und wo er sich nur sehen ließ, wurde er mit Vivat empfangen. Brunow rief ihm zu: „Lieber Major, laß mich mit der Cavallerie einhauen, jetzt oder nie ist der günstige Augenblick erschienen.“ Auf welche Bitte Schill antwortete: „Bruder, es ist noch nicht die rechte Zeit; ich werde befehlen, wann es geschehen soll. Erst sollen sie sich die Hörner ablaufen, dann will ich über sie herfallen und ihnen den Kehraus aufspielen. Stralsund sollen sie nicht bekommen, wenn ihrer noch einmal so viel wären; ich will es zu einem zweiten Saragossa umschaffen. Der günstige Augenblick wurde versäumt; denn hätte die 750 Pferde starke Cavallerie herausgehen dürfen; so hätte sie die zur Deckung der Flanke auf diesen Fall aufgestellte reitende Batterie, von einem Bataillon dänischer Jäger und drei Escadrons dänischer Husaren unterstützt, gewiß über den Haufen geworfen, und dann in das stürmende feindliche Corps von hinten eingehauen, während die Besatzung von vorn angriff; so wäre der Feind wahrscheinlich vernichtet worden.

Wir ritten nun vor das Knoperthor, dem Orte der größten Gefahr. Die Feinde standen in Massen gedrängt jenseits des Grabens. Ihre Offiziere, ihre Fahnen waren vorauf, und so oft der die Scene verdeckende Pulverdampf sich manchmal auf Augenblocke zertheilte, konnten wir deutliche sehen, wie nsere Kartätschen in den dichten Haufen wütheten, wie der Tod sich seine Opfer suchte.

Die Unsrigen hielten sich tapfer, nur die neue Landwehr fing an zu wanken. Ganz vorn, dicht am Graben, stand die 4te Escadron, die, nachdem sie auf ihre Säbel geschworen, ihren Posten zu behaupten, sich an diesem Tage als eine Heldenschaar bewährte und größtentheils ein Opfers ihres Muthes ward. Von Rauch ganz schwarz, war Keiner mehr zu erkennen; denn nur 8 Schritte vom Feinde entfernt, unterhielten sie ein beständiges Feuer, und indem sie die Gewehre mit einer Menge Restposten ladeten, schleuderten sie einen Tod verbreitenden Hagel in seine Reihen. Mit dem Bayonnet stießen sie Viele, die die Brustwehr schon erstiegen, wiederhinunter. Ja, nachdem die Kanoniere getödtet, bedienten Husaren einige Kanonen und feuerten sie statt der Lunte mit angezündeten Schwamm ab. Trotz dem mörderischen Feuer ritten wir mitten unter diese Braven und Schill rief ihnen zu: „Kameraden, ihr habt bewiesen, was Cavallerie vermag; jetzt erringt ihr auch als Infanteristen den ersten Preis; ihr Alle sollte zum Andenken dieses Tages ein Ehrenzeichen um den rechten Arm tragen!“ Ein lautets Hurrah, von Kanonendonner und Gewehrfeuer gemischt, verschlang das Ende dieser Anrede. Er blieb daselbst und ich mußte an das Frankenthor sprengen, um zu sehen, wie es dort zugehe. Hier herrschte jedoch Ruhe, indem die Feinde alle macht auf einen Punkte vereinten. Ein Bürger kam gelaufen und sagte mir, daß sich ein Schiff mit englischer Flagge von der Seeseite näherte. Ich ahnte, wie es der Erfolg bestätigte, daß es Dänen wären, ritt sogleich im vollen Galop zurück, um den Major zu benachrichtigen. Er kam mir hinter den Triebseerthor, dicht am Frankenthor entgegengesprengt; ich rief ihm zu: „Vielleicht bringe ich eine Glück- oder Unglücksnachricht: Es kommt ein Schiff mit englischer Flagge; es können aber auch Dänen sein!“ worauf ich im Fluge die Antwort erhielt: „Nehmen Sie sogleich Infanterie vom Markt, eilen Sie damit an den Hafen und hindern Sie im schlimmen Fall das Landen.“ Durch eine Querstraße eilte ich auf den Markt, fand aber keine Infanterie mehr; ich wollte also einen Zug Husaren Mitnehmen, als von mehrern Seiten verworrenes Geschrei ertönte und die vom Thore herführenden Straßen mit fliehender Infanterie sich füllten. Ein gewisser Mosch, Adjutant der Infanterie, (der später an seinen Wunden in Stralsund starb), kam mit verhängtem Zügel und rief: „Es ist Alles verloren! Die Feinde haben das Thor gestürmt und sind schon in allen Straßen; unsere Infanterie ist nicht mehr in Ordnung zu bringen. Die Landwehr ist an allen Schuld, sie hat die Gewehre weggeworfen, es ist schändlich.“

Unter Kartätschen-Salven und Feuer der hereindringenden Infanterie saßen wir auf und ritten in einer Seitenstraße nach dem Hafen, von wo wir aber auch Feuer erhielten, und nachdem wir aus mehreren kleinen Gassen mit Kartätschen begrüßt waren, erreichten wir nach einem sehr großen Verlust das Frankenthor, das die Feinde nicht besetzt hatten, und marschirten auf einer dahinter liegenden Höhe auf.

Der Rest von 6 Escadrons war bis auf 9 Offiziere und 150 Gemeine geschmolzen. Ich blickte jetzt in die Stadt zurück, wo das fürchterlichste Gemetzel begann, wo ohne alle Ordnung Einzelne verzweifelnd gegen geschlossene Massen kämpften. Die Husaren und die Jäger, die zu Fuß kämpften, wurden fast alle niedergemacht. Einen Beweis der tapfern Gegenwehr liefert der Verlust des Feindes, der nach eigenen Angaben an Todten einen Division-General, 3 Regimentscommandaeure, 37 Offiziere und 1700 Gemeine beträgt. Züge altrömischer Tapferkeit, spartanischer Lebensverachtung und Aufopferung waren an der Tagesordnung, wurden jedoch im allgemeinen Wirrwarr nicht bemerkt. Der Adjutant des gebliebenen Generals Catteret erzählte uns das Ende seines Chefs folgendermaßen: „Der General hielt, als das Morden beinahe beendigt, in einer der Hauptstraßen noch Befehle ertheilend, vor einer Colonne Infanterie, von einer Abtheilung Cavallerie aus seiner Suite umgeben, als auf einmal eine benachbarte Hausthüre sich schnell öffnete, zwei Husaren mit gezogenen Säbel über den General herstürzten und ihn, ohne daß nur noch Jemand beispringen konnte, herunterhieben; aber auch sie hauchten gar bald ihren Geist unter unzähligen Hieben und Stichen aus.“ Selbst die Namen dieser beiden Edlen weiß man nicht. Aus später eingezogenen Nachrichten erhellt, daß der Major Schill, als er mir begegnete, nach dem Frankenthor sprengte, um den Lietutenant Tritschler mit einer Compagnie Infanterie an das Kniperthor zu bringen, wo es sehr heiß herging. Der Graf Moltke brachte ihm unterwegs schon die Nachricht, da das Thor erstürmt sei. Schill antwortete: „So wollen wir sie herauswerfen!“ und ritt weiter. Da jedoch die zum Thore stürzenden Straßen schon vom Feinde erfüllt waren, so lief Trischler an den Major heran und fragte ihn: „Wo geht die Retraite hin?“ dem er aber ziemlich ruhig antwortete: „Wollt und könnt ihr euch retten, so rettet euch; wollt ihr aber sterben, so sterbt mit mir!“

Darauf gab er seinem Pferde die Sporen, eilte auf den großen Markt und stürzte sich in das dickste Getümmel, wo der Wachtmeister Topfer, der ihn mit einigen Uhlanen begleitete, indem er selbst blessirt vom Pferde fiel, noch sah, wie Schill den Tod um sich her verbreitend, verzweifelt fochjt, den holländischen Kürassier-Obersten herunterhieb, aber, nachdem er einen Hieb über das Gesicht, 2 Schüsse in die Schultern und in den Kopf erhalten, sank und sein thatenreiches Leben endete.

Unkundig mit den schrecklichen Ereignissen, die sich in der Stadt zugetragen, ertheilte Brunow der Compagnie, die an dem Frankenthore gestanden, und die uns gefolgt war, Befehl, mit dem Bayonnet wieder einzudringen, während der mit der übrigen Cavallerie in das vor dem Kniperthore aufmarschirte Gros einhauen wollte. Die dumpfe Stille in der Stadt, die mit dem vorigen Getöse  um so mehr kontrastrirte und die nur noch von einzelnen Schüssen unterbrochen wurde, gab uns leider die Gewißheit, daß das Gefecht beendet sei.

Die feindliche Cavallerie, ein Regiment holländischer Küraassiere, 3 Escadrons dänischer Husaren und eine Escadron französischer Gensdarmen, nebst einer reitenden Batterie, kamen theils aus den verschiedensten Thoren, theils aus der Gegend des Kniperthores und bildeten in der möglichen Schnelligkeit einen Habzirkel um uns, zugleich schmetterten die Trompeten und verkündeten laut den Wunsch mit uns zu unterhandeln. Brunow, den ich begleitete, ritt auf die Höhe wo uns ein französischer Oberst vom Generalstabe begrüßte, und sein Ehrenwort gab, der Major Schill todt; wir möchten also, von der Uebermacht umringt, kapituliren. Brunow erwiderte: wir wären von den Franzosen schon zu oft getäuscht worden, um ihnen auf ihr bloßes Wort Glauben beimessen zu können; ehe  er sich daher zu irgend etwas entschließen könne, müsse er die Gewißheit von unsers Chefs Tode haben, indem wir ihn lebend nicht verlassen würden. Der herr Oberst möchte daher erlauben, daß 2 Offiziere, einige Unteroffiziere und Husaren in die Stadt gesandt würden, um sich zu überzeugen. – Aus der Gewährung dieses Verlangens ahneten wir leider die traurige Gewißheit. Rudorf und Horst, die nach einer halben Stunde zurückkamen bestätigten die Unglücksnachricht; denn sie brachten die überzeugensten Beweise: sie hatten Schill noch auf der Straße liegend gefunden, ihn in ein Haus bringen, abwaschen und seine Wunden untersuchen lassen, Der General Gratien trug seine Mütze. Andere hatten sich mit seinen Orden und seinem Säbel geschmückt. Auf dies Anzeige nun erklärte Brunow:

„da der Major Schill wirklich gefallen, mit seinem Tode der Zweck, für den wir gestritten, aufgehört; so verlangten wir für Alles; was sich außerhalb der Stadt befände, freien Abzug in unser Vaterland.“

Der General Gratien, der mit vieler Achtung von unserm Führer sprach, äüßerte: „er könne, wiewohl er über alle Vorurtheile erhaben, uns sehr schätze, zufolge seiner Isntruktion uns nicht als Truppen betrachten, und dürfe also mit uns in keine Art von Unterhandlung treten, indem uns keine andere Wahl bleibe, als uns zu ergeben; wogegen er aber bei seinem Ehrenwort versicherte, daß wir anständig und schonend behandelt werden sollten.“

Wir alle waren nicht gesonnen, Versprechungen zu trauen, die, durch nichts garantirt, so leicht ungestoßen werden konnten, und Brunow erköärte in unser Aller Namen:

„wir Alle wären fest entschlossen, diesen Unglückstag entweder nicht zu überleben und vor Stralsunds Mauern unser Grab zu finden, oder mit militairischen Würden frei in unser Vaterland zurückkehren und uns dann den Gesetzen zu unterwerfen. Zugleich verlangten wir eine anständige Beerdigung unsers seligen Chefs und zeigten an, daß wenn in einer halben Stunde nicht die letzte Entscheidung käme, wir, des Wartens müde, einhauen würden.

Während dieser Unterhandlung unterhielten wir uns gegenseitig, unsern Tod vor Augen sehend; denn da eine erkünstelte Höflichkeit hier am unrechten Orte gewesen wäre, so ließen wir unsern Gefühlen freien Lauf.

In dieser verhängnißvollen Ungewißheit entfernten sich leider einige Offiziere und Gemeine, die andern aber waren entschlossen zu sterben. Die mit der Convention versehenen, zu unserer Begleitung bestimmten Offiziere erschienen endlich. Hier die Copie:

Au quartier général Stralsund,
le 31. Mai 1809.

Il est ordonné à Monsieur l’officier de l‘état-major de Tyasseus de reconduire aux avant-postes prussiens à Demmin par Grimme, trios-cent homes de cavalerie, qui ayant declare, vouloir abandoner le parti du Major Schill, et rentrer dans leur patrie, ainsi que deux – ou trois-cent homes d’infantérie. L’officier de l’etat-major prendra un revers de Monsieur le commandant de la ligne prussienne ètablie sur la Péene.”

Le Lieutenant-général Gratien.

Matt und erschöpft marschirten wir, von Unglück gebeugt, noch 3 Meilen bis Grimme, wo wir des Nachts ankamen, ruhten dort unsere Lage vergessend, einige Stunden aus und rückten den andern Mittag in Demmin, der ersten preußischen Stadt ein.

So endete das Unternehmen Schill´s, eins der kühnsten Parteigänger der neuen Zeit.


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