Lied an ***

Im Juni 1782

Denke meiner in der Blüthenlaube,
Holder Jüngling, denke weit von mir:
Tiefem, bleichen Gram zum sichern Raube
Sehnt dein armes Mädchen sich nach dir.

Denke meiner, wenn im sanften Schimmer
Dich der Mond in unserm Hain entzückt,
Denke, daß er deinem Mädchen immer
Jetzt, getrennt von dir, nur Schwermuth blickt.

Traurig schlich ich durch die schönsten Scenen;
Wo Natur in voller Blüthe stand,
Lohnt' ihr Lächeln nur mit heißen Thränen,
Da ich dich nicht, den Geliebten fand.

Ach, umsonst hieß ich den Abend weilen
Und den Mond in blauen Wellen glühn.
Bis des Phöbos Rosse aufwärts eilen
Und das Meer ein Rosenbette schien

Saß ich traurig; - jene weite Fläche,
Die uns trennte, war mir schauerlich:
Wünschte mich an meine stillen Bäche,
Wo wir küßten – ach! – und grämte mich.

Oede wird mir jeder Tag entweichen,
Jede Nacht sinkt mir in Thränen hin;
Nie wird Friede dieses Herz erreichen,
Jüngling! da ich ferne von dir bin.

Doch die Hoffnung, die wie Frühlings-Wehen
Um mich säuselt, und den Glauben stützt,
Sagt mir: Gott läßt dich mich wiedersehen,
Er, der gern ja fromme Liebe schützt.


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