Der letzte Abend im Vaterlande

Im August 1780.

Allein wall' ich am dämmernden Gestade
Und sehe mit thränendem Blick
Das letzte Roth am westlichen Himmel weilen.

Weh' mir! Schon sinkt sie herab
Die fürchterlichste der Nächte.
Ach! sie kommt bräutlich geschmückt,
Wie sonst an Festen der Liebe.
Die Falsche! – sie reicht mir mit heiterm Blick
Den tödtlichen Kelch.

Jedes Elend schweigt in ihrer Gegenwart;
Ringsum herrscht Ruhe -
Nur meine Klage bebt lauter
Durch die stillen Gefilde.

Wo bist du, der da schwur
Mich nicht zu lassen? -
Wer konnte mich aus deinen Armen reißen? -
Schwurst du nicht: Deine Liebe sei stark! -

Wo bist du?
Warum wein' ich ungetheiltes Elend? -
Schläfst du, mein Jüngling? -
Hebt deinen Busen nicht
Schwere Ahnung vom Abschied? -
Glüht mein Name nicht stärker in deiner Seele,
Da ich diese heißen Thränen weine? -

Wach auf! wach auf vom Schlummer,
Und höre den bangen Abschied
Deines scheidenden Mädchens.

Hörst du das frohe Getümmel der Schiffer
Durch die Stille der Nacht? -
Horch! – die frohen Töne
Kündigen uns schreckliche Trennung.
Der Wind vom Ufer
Blähet die weißen Segel,
Und die flatternden Wimpel
Wehen zum Abschied.

Ach! das heuchlerische Meer
Verhüllt seine Tücken
Im Gewand des Himmels, -
Und ihre wüthenden Kinder
Hat die Betrügerin
Süß lispeln gelehrt,
Wie deine Liebe. -

Der Sturm schläft in seiner Höhle,
Nur der West küßt die Wellen,
Sanft, wie er sich sonst
Auf unsrer Laube wiegte.

Man ruft: Lebe wohl! -
Lebe wohl! -
Ich schwanke den letzten Schritt
Am väterlichen Ufer.

Lebe wohl! -
Welt und Himmel schwinden
Meinem Blick.
Nur dein Bild umschwebt mich noch,
Wie der Odem Gottes.

Er sank auf dem Purpurflügel
Dahin, der letzte frohe Tag, -
Und vom heimathlichen Hügel
Sah ich ihn mit Thränen nach. -
Meer, zerreiß die Himmelshülle!
Sturm, verscheuch die sanfte Stille!
Reißt mich in des Abgrunds Fluthen,
Wo des Lebens Hoffnung flieht:
Nimmer wird sein Bild verbluten,
Das in meiner Seele glüht! 


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03