Das Goldmacherdorf

24. Und abermals die Schulden müssen getilgt werden.

Schon im folgenden Frühjahr war Jubel und Freude in der vormaligen Wüste des Gemeinlandes. Denn wo sonst einsame Kühe am kurzen schlechten oder sauern Grase rupften und zupften, blühete nun ein wahrer Garten. Da sah man nun Bohnen, Hopfen und Hanf, Erbsen und Flachs, Kohl und Erdäpfel, Klee und Getreide in bunter Mannigfaltigkeit. Jeder konnte leicht berechnen, daß er mit der Aernte nicht nur den kleinen Zins abtragen, sondern Ueberschuß haben würde. Selbst die reichen Bauern, sobald sie einmal zum rechten Verstand kamen, was oft sehr schwer bei ihnen hielt, erkannten ihren Vortheil dabei. Denn nicht nur hatten sie Gewinn am Futter für ihre Kühe im Stall, an Milch und Dünger, sondern auch an baarem Geld. Denn hätte Jeder, wenn es nach ihrem Kopf gegangen wäre, zum Schuldenzins der Gemeinde aus seinem eigenen Sack gesteuert, so hätten sie verhältnißmäßig das Meiste dazu haben zahlen müssen, während jetzt, ein Jeder von seinem Pachtland, gleich viel Zins entrichtete. Der Oswald aber war noch nicht zufrieden, und nicht vergebens so oft in den Wäldern Tage lang umhergestrichen. Er hatte sogar in einer benachbarten Stadt den Oberförster besucht, der in seinem Fach ein grundgeschickter Herr war, und hatte denselben links und rechts in den Goldenthaler Gemeindswaldungen herumgeführt und um Rath gefragt. Der Oswald brütete wieder über etwas, aber Keiner wußte recht worüber? Die reichen Bauern sagten: »Wir wissen's wohl, es soll wieder über unser Fell hergehen!« Diesmal aber hatten sie sich doch geirrt.

Jedermann war sehr neugierig, als die gesammte Bürgerschaft von Goldenthal wieder versammelt wurde, um von den Vorgesetzten wichtige Anträge zu hören.

Oswald trat wieder hervor und sprach mit lauter Stimme: »Ihr Männer, liebe Mitbürger! Ein Mann ohne Schuld hat Jedermanns Huld. Unser Dorf hat aber noch Schulden. Wir verzinsen dieselben vom Pachtlande. Besser wäre es, wir behielten den Zins vom Pachtlande Jeder in seinem eigenen Sack, wenigstens zehn Jahre lang oder länger. Damit wäre uns allen geholfen.«

Die Leute lachten und sprachen unter sich: »Der Vorschlag ist nicht unbillig.«

Oswald fuhr fort zu reden: »Ich und die ehrsamen Beisitzer wollen es übernehmen, dafür gut zu stehen, daß die Gemeindeschuld ganz oder doch größtenteils abgetragen werden soll, ohne eure Unkosten, sobald ihr einwilliget, drei Beschlüsse zu genehmigen und zu befolgen.«

»Aha!« schrien die reichen Bauern: »Jetzt kommt der hinkende Bote nach!«

Oswald sprach: »Höret mich an und denket wohl nach, ob ich wahr rede oder nicht. Wir haben in Goldenthal ungefähr hundert Haushaltungen.«

»Das ist wahr!« riefen die Bauern.

»Jede Haushaltung,« sagte Oswald, »bekommt jährlich drei Klafter Holz nebst Reiswellen aus dem Gemeindswald.«

Die Bauern sagten: »Das ist wieder wahr.«

»Und,« fuhr Oswald fort, »so viel braucht jede Haushaltung; manche mehr, manche aber auch weniger, die aus der Garküche speist. Aber alle könnten sich mit Wenigerem behelfen, wenn sie nicht Jahr aus Jahr ein zum Brodbacken, Obstdörren und zu den Wäschen gar viel Holz nöthig hätten. Bedenket, wenn in einer einzigen Woche zehn, zwanzig Familien Wäsche halten oder Brod backen, wie viel Holz in so vielen Häuseln auf einmal verbrannt wird!«

Die Bauern murrten und sprachen: »Das ist ganz richtig; aber wir können nicht ohne Brod leben und in unreiner Wäsche gehen.«

»Oswald sagte: »Es gibt viele Gemeinden im Lande, die weit reicher sind, denn wir, und doch weit mehr hausen und besser sparen, als wir. Aber eben darum sind sie reicher. Es gibt Gemeinden, sie haben nicht so viel Waldung, als wir, und haben doch Holz genug und können davon sogar verkaufen. Aber wie machen sie es? Da haben mehrere Häuser zusammen nur einen einzigen Back- und Dörrofen. Da trägt jeder in der Woche seinen Teig und sein Obst hin, wenn die Reihe an ihn kommt. Und weil der Ofen nie kalt wird, braucht Jeder nur wenig Holz zur Feuerung hineinzuthun, um ihm die gehörige Hitze zu geben. Das nennt man hausen und sparen! ? Warum können wir das nicht? Warum thaten wir das nicht schon längst? Antwort: Weil wir zum Guten entweder zu träg oder zu unverständig waren. Und bedenkt noch dazu, wie leicht wir durch das Backen und Dörren in den Wohnhäusern ein ganzes Dorf in Feuersgefahr setzen. Bedenket, wie viel Holz wir nur dadurch sparen könnten, wenn wir kleinere, bequemere Stubenöfen hätten, die weniger Holz fressen, statt der ungeheuern Steinmassen, die wir haben müssen, weil sie auch zum Backen und Dörren dienen sollen. Holz brennen heißt Geld verbrennen!«

Bei diesen Worten kratzte sich die ganze ehrsame Gemeinde von Goldenthal verdrießlich hinter den Ohren.

Doch der erste Vorsteher ließ sich nicht stören, und sprach weiter: »Schauet rechts und links. Andere Gemeinden haben längst schon Gemeindswaschhäuser, deren sich alle Haushaltungen nach der Reihe bedienen, und wozu sie sich einschreiben lassen. Da ist mit dem Holz das gleiche Ersparniß, wegen Feuersgefahr die gleiche Sicherheit für das Dorf. Wir wissen das und wir finden das löblich. Warum muß denn bei uns jede Haushaltung noch ihre Wäsche bei sich im Hause halten? ? Durch das Feuer beim Backen werden unsere Oefen, durch das Feuer beim Waschen werden unsere Herde weit schneller ausgebrannt und schadhaft. Wir müssen daher beide öfters ausbessern lassen. Das kostet Geld. Hätte die Gemeinde ein gemeinsames Waschhaus, hätte eine ganze Reihe Häuser ihren gemeinsamen Backofen zu unterhalten, das würde ungleich weniger kosten.«

»Nun denn, liebe Männer und Mitbürger! Wir machen euch den Vorschlag zur Errichtung von Gemeindsbacköfen mit Einrichtung zum Dörren, und zur Erbauung eines gemeinsamen Waschhauses, wie andere Gemeinden haben. Die ersten Unkosten dazu sollen aus dem Gemeindssäckel gegeben werden. Wir alle wollen dazu fuhrwerken und handlangen. Was meinet ihr?«

Die Bauern meinten vielerlei. Die Einen wollten beim Herkommen bleiben; mehrere aber sahen ein, daß ein Gemeindswaschhaus besser wäre. Doch die Backöfen wollten sie nicht, weil sie dergleichen noch nicht kannten. Andere aber stimmten auch zur Errichtung der gemeinsamen Dörr- und Backöfen. Als nun endlich einmal abgestimmt werden sollte nach langem Streit, geschah es, daß sowohl für Waschhaus als für Backöfen die größte Mehrheit war.

Da sprach Oswald mit freudigem Antlitz: »Bravo, ihr Männer und Mitbürger, euer Beschluß macht euch Ehre und wird euch mit Nutzen belohnen. Nun kommt das Letzte. Wenn ihr nun weniger Holz in Zukunft gebrauchet, so brauchet denn weniger. Machet aus dem Holz, was ihr auf diese Weise ersparet, ein Geldkapital, und bezahlet damit die Gemeindsschulden ab. Höret mich an und helfet mir rechnen.«

»Wenn sich jede Haushaltung, die jetzt nebst Reiswellen drei Klafter Holz empfängt, im Jahr mit zwei Klaftern durchbringt, so werden von den hundert Haushaltungen in einem Jahr einhundert Klafter erspart. Das Klafter ist fünf Gulden werth, bringt im Jahr fünfhundert Gulden. Binnen zehn Jahren haben wir so fünftausend Gulden gespart und unsere Schuld bezahlt.«

»Höret mich weiter. Wir haben etwas über sechshundert Jucharten Gemeindswaldung. Seit die hohe Regierung in den Wäldern den Weidgang verboten hat, wächst darin Alles, wie ihr wisset, freudig und hanfdick auf. Ich bin mit dem Herrn Oberförster durch den Wald gegangen. Er sagte: alle Jahr wächst auf einer Juchart Land ein halbes Klafter Holz zu. Ferner sagt er: Wir müssen das vom Stock ausgeschlagene Laubholz. wie Buchen, Erlen, Hagebuchen, Espen, Ahorn, dreißig Jahre alt werden lassen; große Eichen, Buchen, Tannen und was zu grobem Bauholz dient, muß siebenzig, hundert und mehr Jahre alt werden. Folglich, wenn wir gehörig holzen, so müssen wir alle niedere Laubholzwaldungen in dreißig Portionen einteilen, und alle Bauholzwaldungen in hundert und mehr Portionen. Wenn wir nun alle Jahre von jeder Art nur eine Portion nehmen, so hätten wir natürlich alle Jahre gleich viel Holz und schlügen nicht zu viel und nicht zu wenig, und wir und unsere Nachkommen hätten allezeit altes, reifes Holz zu schlagen. Ferner sagt er: Wir hätten im Tannenwald so altes Holz, daß, wenn wir nach der Ordnung holzten, vieles davon überalt und faul werden würde. Wenn wir dies in einigen Jahren wegschlügen, würde in hundert Jahren da wieder für unsere Nachkommen hundertjähriges Holz stehen. ? So ist denn mein Rath und der Rath der ehrsamen Beisitzer: Wenn wir uns im Gebrauch alle Jahre hundert Klafter absparen, so sind tausend Klafter ungefähr das Ersparniß von zehn Jahren. Statt nun zehn Jahre zu warten, holzen wir das Ersparniß in zwei Jahren ab, bezahlen unsere Schuld, behalten den Zins im Geldsack für uns, und behelfen uns zehn Jahre lang in jeder Haushaltung mit zwei Klaftern nebst Reiswellen.«

Als die Gemeinde diesen Vorschlag angehört hatte, erhob sich wieder Streit und tobendes Geschrei. Die Meisten hätten gern zwar den Zins behalten, aber auch das Holz. Man stritt bis es Nacht ward, und kam zu keinem Schluß und lief auseinander.


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