Das Goldmacherdorf
21. Vom neuen Gemeindevorsteher und dem Löwenwirth.
»Der Oswald ist doch ein Hexenmeister und Tausendsasa!« sagten die Goldenthaler lachend, wenn er wieder etwas angegeben hatte, das gelungen war. Und es gelang ihm ziemlich Alles, was er anfing, denn er fing nichts ohne Vorbedacht an; er übereilte und überhaspelte nichts, sondern that einen Schritt um den andern, und nahm nie mehr auf seine Schultern, als er tragen konnte.
Nun hätte man wohl glauben sollen, der Schulmeister habe sich und seine herzige Elsbeth mit Arbeiten überladen gehabt. Keineswegs; er wußte Alles so einzurichten, daß zuletzt immer Andere ihm einen guten Theil der Arbeit abnehmen konnten. Sogar in der Schule hatte er wenig zu thun, denn er hatte sich da einen geschickten jungen Bauerssohn, Namens Johanns Heiter, nachgezogen. Der war von armen Aeltern, und Oswald gab ihm bei sich Wohnung und Kost aus der Garküche, und unterrichtete ihn in gelehrten Dingen. Oswald hatte seinen Johannes sehr lieb, und dieser war in der Schule so meisterlich zum Unterricht, daß er Oswalden gleich kam. Und die Kinder liebten den Johannes, denn er war sanft und freundlich, und machte ihnen das Lernen beinahe noch leichter, als Oswald. Dieser ging oft ganze Tage seiner Feld- und Gartenarbeit nach, und freute sich, wenn er sah, wie im Dorfe Alles nach und nach anders ward.
Und wirklich war es seltsam zu sehen, wie Leute, die vorder arme Schlucker gewesen, nach und nach sich von Schulden frei machten, und wie ihre Häuser ein stattliches Ansehen bekamen; hingegen, wie vormals wohlhabende Bauern, die in ihrer alten Gewohnheit verblieben, nach und nach arm wurden, weil sie das Ihrige verwahrlosten, verlumpten, versoffen, verprozessirten, verspielten.
Die zweiunddreißig Bundesgenossen Oswalds hielten sich wacker und waren allenthalben voran, wo eine neue Einrichtung von ihm gemacht ward. Ihr Beispiel munterte dann viele Nachbarn auf, es auch so zu machen. Die jungen Bursche, welche Oswald am Sonntage unterrichtete, und die Mädchen aus Elsbeths Nähschule trugen bei ihren Aeltern nicht wenig zum Guten bei. Andere aber waren und blieben im Dorfe unverbesserliche Lumpen. Und an der Spitze des schlechten Volks stand der Löwenwirth Brenzel. Dieser war ein geschworner Feind aller neuen Einrichtungen. Er fluchte beständig auf die Neuerer, und sagte, die Religion gehe dabei zu Grunde; es müsse anders kommen; so könne es nicht länger gehen. Doch hielt ihn der Herr Pfarrer, welcher ihn viel besuchte,, immer im Zaum, daß er nicht viel Böses thun konnte. Dazu kam, daß Brenzel seine Hauptstütze, nämlich den dritten Gemeindsvorsteher, von seiner Seite verlor. Dieser hatte schon längst bemerkt, daß es mit seiner Wirtschaft den Krebsgang gehe, und sich darüber aus Verdruß dem Trunk ergeben, daß er keinen Tag nüchtern war. Und um schnell wieder reich zu werden, hatte er in mehrere Lotterien gesetzt und sein Geld verlottert, bis er nichts mehr hatte. Da kamen die Gläubiger, denen er schuldig war, und nahmen ihm das Letzte.
Nun mußten neue Gemeindevorsteher gewählt und der hohen Landesobrigkeit vorgeschlagen werden. Da gab es im Dorfe zwei Parteien. Die Lumpen wollten Einen oder Zwei ihres Gleichen, denen sie schuldig waren, die rechtschaffenen Leute aber wollten das nicht. Es war viel Zanks. Viele fragten den Herrn Pfarrer darüber, wenn er sie nach seiner Gewohnheit besuchte. Er aber antwortete ihnen und sprach:
»Ich wundere mich sehr, daß Keiner von euch noch an den braven Mann gedacht hat, der euch schon so viel Nutzen gestiftet, der so klug, so menschenfreundlich und so thätig ist. Ich meine den Schulmeister. Wenn ihr den wählet, so habet ihr den rechten Mann an der Spitze. Freilich, er gehört nicht zu denen, die sich zu einer Ehrenstelle drängen. Aber eben deswegen muß man zuerst auf ihn achten. Denn die, welche um Ehrenstellen werben, und Andern den Rang ablaufen wollen, haben gemeiniglich Nebenabsichten. Sie sind stolz und ehrgeizig, wollen nicht das Beste der Gemeinde, sondern ihren Hochmuth befriedigt sehen.«
Ferner sprach er: »Es ist wohl gut, daß man einen wohlhabenden Mann zum Gemeindevorsteher wählt; aber Reichthum nicht, sondern Uneigennützigkeit ist die höchste Tugend. Wehe der Gemeinde, die den zum Vorsteher macht, dem die meisten Bürger schuldig sind. Denn sie machen ihn zum Gewalthaber und Richter in seinen eigenen Angelegenheiten, und sie werden Sklaven eines Dorftyrannen durch eigene Thorheit. Sie sollen lieber den wählen, der auch den hartherzigen Gläubiger und den reichen Tyrannen in Schranken halten kann.«
Ferner sprach er: »Ein guter Kopf thut viel, aber ein redliches Herz thut noch weit mehr. Darum fraget erst: ist der Mann ein grundredlicher, hülfreicher Mann? nachher fraget: hat er Klugheit genug, und ist er keines Reichen Schuldner? ? Der Vorsteher einer Gemeinde soll unabhängig sein, sonst ist nicht er, sondern sein Gläubiger, den er fürchtet, Vorsteher des Ortes.«
»Ihr könnet nicht leicht irren, den würdigsten Mann zu finden. Denket nur nach, welchen Mann würdet ihr auf euerm Sterbebette am liebsten zum Vogt eurer Wittwen und hinterlassenen Waisen machen, in der Ueberzeugung, er werde das Glück der Eurigen wohl besorgen? Nun, diesen machet zum Vorsteher. ? Oder, wenn ihr zu einem eurer Mitbürger in Dienst treten müßtet, welchen wünschtet ihr am liebsten zu euerm Herrn? Nun, diesen machet zum Vorsteher!«
»Wenn an einem Orte die Mehrheit der Vorsteher guten Willen und redliches Gemüth hat, welche das Unrecht verabscheut; so findet sich leicht zu Allem guter Rath. Ein einziger guter Kopf ist genug. Drei gute Köpfe, ohne gutes Herz, werden sich beisammen nicht vertragen. Denn Jeder will es besser verstehen, als der Andere, und so kommt Zwietracht unter sie, und von ihnen in die Gemeinde.«
»Saget mir, wer ist der beste Vater bei seinen Kindern; liebreich und doch nicht schwach, streng und doch nicht hartherzig? Oder saget mir, wer ist der beste Hausherr, dem sein Gesinde gern dienet und zugethan ist, aber den es doch fürchten muß; der Alles in seinem Hauswesen geschickt ordnet und leitet ohne Lärmen und Geräusch, ohne Zank, ohne Zorn, und daß doch Alles dabei gut geht, wie von selber? ? Diesen macht zum Hausvater der ganzen Gemeinde.«
So sprach der weise Herr Pfarrer, und Jeder dachte nun anders als vorher. Und als die Gemeinde sich versammelte, um zween Vorsteher zu wählen, ward von den Meisten verlangt, man solle nicht offen wählen, sondern Jeder solle seine Stimme auf einem verschlossenen Zettel eingeben, damit Niemand wisse, wer sie gegeben, auf daß Jeder frei und ohne Furcht und Rücksicht den wählen könne, der ihm der Würdigste scheine. Der Löwenwirth Brenzel wollte zwar dagegen lärmen; denn er hatte schon bestimmt, wen er zum Amtsgenossen verlange, und nun wollte er gern diejenigen sehen, die es mit ihm hielten oder von ihm abtrünnig wären. Aber der grimmige Löwenwirth setzte es nicht durch. Und es ward geheimes Stimmenmehr gesammelt, und in der ersten Wahl der Schulmeister Oswald, in der zweiten der Müller Siegfried zu Vorstehern des Dorfes erwählt. Letzterer nahm aber die Stelle nicht an, dieweil er Oswalds Schwiegervater wäre; das tauge nicht, daß aus einer Verwandtschaft zwei Glieder beisammen im Rath säßen. Also ward, statt des Müllers, gewählt Ulrich Stark, ein stiller, fleißiger, verständiger Mann.
Dem Löwenwirth, da er diese Wahl sah, ward es ganz grün und gelb vor den Augen. Er hoffte noch, Oswald werde sich ebenfalls weigern, die Stelle anzunehmen. Aber er betrog sich; Oswald dankte der Gemeinde für das Zutrauen, und empfahl nun seinen lieben Johannes Heiter zum Schulmeister. Und Heiter ward Schulmeister.
Der Löwenwirth ging betäubt, als wäre ihm ein Kirchthurm auf den Kopf gefallen, nach Hause. Daselbst ließ er seine Wuth erst an der Katze aus, die ihm schmeichelnd zwischen die Beine kam; dann an dem Hunde, der freundlich an ihm hinaufspringen wollte; dann an der Magd, die ihn nicht gleich verstand, als er ein Glas Branntewein begehrte; dann an der Frau, als die sagte, der Ulrich Stark sei eine ehrliche Haut.