Sehnsucht nach den Schauen des Unsichtbaren

Psalm

     Dich sucht mein Geist!
Dich Vatergeist, Dich Unerschaff’nen,
Jehowa, Allah, Budda, Brama, Dich!
Um dessen ew’gen Thron im ew’gen All
Der Sonnen Meriaden brennen,
Den die Jahrtausende des Erdsterns nennen,
Und bebend ahnen, und nicht kennen!
    Ich suche Dich.

     Ich suche Dich;
Warum verhüllst Du Dich;
Bist Du es nicht, der mich zu werden hieß?
Rief ich mich selbst hervor, als ich nicht war?
Ich bin nur Licht aus Deinem Licht,
Und wunderbar gehüllt in dieses Erdsteins Asche.
Du bist mein Vater, Du, des Weltalls Vater;
Dich ruft Dein Kind, es ruft, und kenn Dich nicht, –
Warum verbirgst Du Dich vor meinem Angesicht?

     Ich suche Dich.
Ich flog empor in des Gebets Entzücken;
Der Leichnam sank zum Staub,
Der Liebe Thränen deckten seine Augen;
Die Seele irrte über’m Sternenzelt.
Sie suchte ahnend Dich von Welt zu Welt,
Und rief, und alle Welten riefen wieder:
Weltvater, offenbare Dich! – –
Doch schweigend hört‘ es die Unendlichkeit.
Die Sonnen flogen ab und auf,
Die Erden liefen ihren Lauf;
Im ehernen Gesetz der Ewigkeiten
Bewegte sich das All des Seins.
Und ich erwachte schaudernd, liebend, weinend,
Von Glaubenstraum.
Wohl donnerte um mich der Odem der Natur;
Dochj Deine Vaterstimme schwieg.
Dich sah ich nie, nur Deines Waltens Spur.

     Ich suche Dich,
Den alle Geisterzungen preisen!
Ich horchte auf das Wort der Heiligen und Weisen.
Und Priester, Bonzen, Imans, Lama’s,
Sie lehrten laut von Deiner Herrlichkeit. –
Nein, heil’ger Urgeist aller Wesen,
Sie predigten nicht Dich, – nur sich!
Du bist es nicht, zu dessen Ruhm
Sie ihre Glaubensdolche schleifen;
Du nicht, zu dessen Ruhm sie Scheiterhaufen bau’n;
Du nicht, in dessen Namen
Des Hohenpriesters Stolz vom Hochaltare flucht.
Sie predigen nicht Dich, nur sich.
Im wüsten Wahnsinn, ohne Deine Spur,
Sind sie die wildesten der Ungeheuer mir.

     Ich suche Dich,
O Du Allgegenwärtiger Verborgener!
Ich wankte mit der Forschung Fackel
Zu den geheimen Kammern der Natur.
Ich sah das Lebens nie gemess’nen Strom
Durch Thier- und Pflanzenfluren brausen;
Im Essigtropfen das bewohnte Meer;
Im Grashalm eine Stadt lebend’ger Wesen;
Den Erdball, als ein Riesenthier des Himmels
Ich sah Kristallen aufgelöst in Duft,
Aus unsichtbarem Gas Weltmeere strömen.
Des Zitters Geist durchzuckte die Gebilde
Mit schöpferischer Wunderkraft;
Hier im Magnetenzug des Eisens,
Dort in des Fisches Krampfschlag;
Am Pol der Welt, als Flammensittig, glänzen,
Und aus der Sommerwolke donnernd segnen.

     Und einsam stand ich, schaudernd,
Zuletzt an den Gestaden der Nautr,
Wo sich am trägen, todten Stoff,
Im All der Dinge, bildend und vernichtend,
Das rege Wogenspiel des Lebens bricht.
Da rief ich laut: O Gott, mein Gott, wo bist Du?
Dies todte Nichts und dies lebend’ge Spiel,
Das sich im ew’gen Streit verschlingt und trennt, –
Ist dies des Lebens unerschaff’ner Urquell? – –
Fürwahr, ein einziger Gedankenblitz
Aus meinem Geist durch dieses Chaos
Ist göttlicher, als dieser blinde Sturm!
Ich schwebe ob der Elemente Tiefen,
Mir selbst bewußt ob dem sich Unbewußten,
Ein Licht, hell über Finsternissen,
Ein Wille über willenloser Gährung!
Wer sagt, der Dinge Urquell schaffe hier?
Wo ist die Liebe? Und die Weisheit wo?
Wo das Erbarmen und die Heiligkeit?
Er, der das Ohr gepflanzet, sollte der
Nicht hören? Sehen nicht,
Der mir des Auges Wunderstrahl verlieh’n?
Er, der die Geister lehret, was sie wissen![1]
Den Allbelebenden hab‘ ich gesucht,
Und fand das Leben nur.
Ich suchte den Allwissenden,
Und traf nur seiner Weisheit Spur.
Ich suchte den Barmherzigen,
Und fand die Liebe nur!

     Ich suchte Dich,
Ich fragte in den Himmeln
Wo Sirius  und Orion lodern,
Wo ihren ew’gen Reigen um den Pol
Kassiopeja und Bootes tanzen,
Wo durch des Mondes phosphorhelle Felder
Der Ringgebirge Schlachtentrümmerlaufen –
Es scholl kein Laut.
Ich sah des Jupiters schneeweise Achsen,
Der Venus wunderbaren Halbmond,
Und schweigend schritt, vom goldnen Reif umfangen,
Saturnus sonnenfern und Uranus.
Ich stieg zur Sonne, wandelte
Durch ihrer Lichtgewölke ungeheure Ebnen.
Es bebte das Gewölk, und schmolz.
Ein Krater schloß sich auf vor meinen Füßen,
Und zeigte mir des Weltballs finstern Grund.
Ich sah das Niegesehene – –
Nur Dich, mein Vater, nicht!
Von Stern zu Stern, bis alle Sterne schwinden,
Bis wo ein salbes Nebellicht,
Aus der Unendlichkeit entfernter Hallen,
von niegeseh’NEN Sonnen bricht,
Drang betend meine Sehnsucht auf
Ich sah das Unergründliche;
Im Unergründlichsten Dein Walten;
Der Welten schweigenden Gehorsam
Ich sah das ew’ge Vaterhaus – –
Den Vater sah ich nicht.

     Und schauernd sah ich aus den niegewess’nen Höhen
In meinen Staub zurück,
Und weinte laut
Er, der dies Wunder-All gebaut,
Er, der im Hause der Unendlichkeit
Den Myriaden Wonnen freut,
Bedarf er mein?
Doch hat er mir sein Haus geschenkt!
Wer bin ich, daß er mein gedenkt?
Und doch gedenkt er mein.

     Ich suchte Dich,
Es zogen die Geschlechter dieser Erde
Seit Anbeginn vor meinem Blick dahin.
Ich sah sie gehen und vergehen;
Der Fürsten flücht’ges Thronen
Hoch über Schweiß und Blut der Sklaven-Millionen;
Der Völker Raserei und Kampf
Um Gold und Wollust, Ruhm und Macht.
Um eines frommen Traumes Pracht.
Des Wahnsinns Glück und Schmerz ist unsre Weltgeschichte.
Es blutete das Heiligste am Kreuz;
Verbrechen führten oft zum lorbeervollen Siege.
Doch jeder Thorheit Sarg ward einer Weisheit Wiege.
Und wie aus Kohlenschutt und Asche,
Sie selbst in sich verwandelnd, himmelwärts,
Die gold’ne Flamme gipfelt:
So steigt aus des Vergänglichen Getrümmer,
Der Geist des göttlichen Geschlechts
Zum Unvergänglichen empor.
Der Fuß der Menschheit wurzelt noch
Im Schlamm der alten Nacht;
Ihr Scheitel strahlt im Morgenlichte Gottes.
In Gold und Macht, in Ueppigkeit und Ruhm
Ward mir umsonst das höchste Glück gesucht.
Enttäuschung ist zuletzt der Weisen höchstes Wissen.
Ich bin enttäuscht.

     Im Staube sucht‘ ich Gott,
Und fand den Staub – –
Und diese Thronen, Welten, Sonnen,
Sind Staub.
Dem Geiste ist der Urgeist nur verwandt.

     Ich werde sein,
Wenn einst mein Leib nicht ist;
Ich werde sein,
Wenn dieser Erdball bricht,
Sind alle Sonnen längst verglommen,
Strahlet noch der Gottheit welterfüllend Licht.
Und ich bin Licht, aus ihrem Licht gekommen!

     Im Staube nicht, im Geist ist offenbar
Die Herrlichkeit des Geistervaters.
Ich bin in ihm; er spricht in mir, durch mich.
Wer, wenn er selbst nicht, hat mich ihn gelehrt?
Wer, wenn er selbst nicht, nannte
Mir ihn, daß ich den Unsichtbaren kannte?
Wer hat mein Antlitz himmelwärts gekehrt?
Von wem erfuhr die Menschheit seinen Namen,
Wenn nicht durch ihn? Das Todte redet nicht.
Wer lehrt die Menschheit ihre Werke richten?
Mit andern Maß, als dem des Glücks,
Als dem des Lebensaugenblicks,
Den Streit der Pflicht und des Geistes schlichten?
Von wannen stammt mein heil’ger Heldenmuth,
Daß ich um unsichtbares Geistergut
Verschmähe, was die Lust des Lebens wählen heißt? – –
Zum Staube zieht der Staub, zum Geiste zieht der Geist.

     Zu Dir! Zu Dir!
Du Allerheiligster!
Du durch Dich selbst in mir Geoffenbarter
Du wehtst und flammst in mir.

     Ich such Dich nicht länger,
Im Staube nicht den Gott.
Dein Weltall ist mein Haus;
Und Deine Ewigkeiten
Sind meine Zeiten.
Und die da waren, leben;
Und die noch kommen sollen, sind!
Ein Gott ist nur,
Sein Name Liebe, Weisheit und Erbarmen
Und eine Ewigkeit ist alles Sein,
Und alles Sein
Die Himmelsleiter der Vollendung,
Zur Seligkeit.

     Ich jauchze weinend in das Hallelujah
Der heil’gen Geisterwelt mein Hallelujah!
Ich bin, weil Gott!
Anbetung ihm und Liebe!
Ich werde sein, weil Gott!
Anbetung ihm und Liebe!
Mein ist Seligkeit,
Weil ihm die Seligkeit!
Ihm Hallelujah!

 


[1] Psalm 94, 9. 10.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03