Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zwanzigstes Buch: Schluß.

Siebentes Kapitel

Da sie überzeugt war, daß ihre Krankheit todbringend sei, wünschte Corinna Italien und Lord Nelvil ein letztes Lebewohl zuzurufen, ein Lebewohl, das die Zeit noch einmal vergegenwärtigen sollte, als ihr Genius in seinem Glänze war. Diese Schwäche läßt sich begreifen, verzeihen. Liebe und Ruhm hatten sich in ihrem Wesen immer in Eins verschmolzen, und bis zu dem Augenblick, wo ihr Herz das Opfer aller irdischen Bande brachte, wünschte sie, der Undankbare, der sie verlassen, möge es noch einmal fühlen, daß er der Frau den Tod gegeben, die auf der Welt am Besten zu lieben, am Hochsinnigsten zu denken verstand. Zum Improvisiren reichte Corinnens Kraft längst nicht mehr aus, doch in der Einsamkeit schrieb sie dann und wann noch Verse nieder, und seit Oswalds Ankunft schien es, als habe sie an dieser Beschäftigung wieder lebhafteres Interesse gewonnen. Vielleicht wünschte sie, ihm zuletzt noch all das ins Gedächtniß zu rufen, was ihm durch Unglück und Untreue verloren gegangen war. So bestimmte sie denn einen Tag, an welchem sie im Saale der florentinischcn Akademie Alle um sich versammeln wollte, die sie noch einmal zu hören den Wunsch hegten. Sie vertraute dieses Vorhaben schließlich Lucilen an, und bat sie, mit dem Gatten zu erscheinen. »Meiner Auflösung nahe, darf ich das von Dir erbitten« sagte sie.

Oswald gerieth über Corinnens Entschluß in furchtbare Aufregung. Wollte sie diese Verse selbst lesen? Welcher Gegenstand wollte sie behandeln? Und nur die Möglichkeit, sie zu sehen, reichte ja schon aus, um sein ganzes Wesen außer Fassung zu bringen. Am Morgen des bezeichneten Tages trat der Winter, der sich in Italien so selten fühlbar macht, mit nordischer Härte auf. Ein schneidender Wind pfiff durch die Häuser, der Regen schlug heftig gegen die Fensterscheiben, und in seltsamem Widerspruch, von welchem man indessen in Italien häufiger, als sonst wo, das Beispiel erlebt, ließ sich in der Mitte des Januar zürnender Donner vernehmen, welcher der Niedergeschlagenheit über die schlechte Witterung noch ein Gefühl des Schreckens beimischte. Oswald sprach kein einziges Wort, obwohl alle äußeren Eindrücke die Fieberschauer seiner Seele noch zu vermehren schienen.

Er trat mit Lucile in den Saal und fand dort eine ungeheure Menge versammelt. In einer entfernten Ecke des weiten Raumes stand ein Lehnsessel bereit. Oswald hörte die Umstehenden sagen, Corinna werde ihn einnehmen, weil sie zu krank sei, um ihre Verse selbst vorzutragen. Aus Scheu, sich in ihrer Veränderung zu zeigen, hatte sie dieses Mittel gewählt, um Oswald zu sehen, ohne gesehen zu werden. Sobald sie wußte, daß er erschienen war, ging sie verschleiert zu dem ihrer wartenden Sitze; sie stützte sich dabei auf Andere, denn ihr Fuß schwankte schon, und von Zeit zu Zeit mußte sie inne halten, um Athem zu holen; die kurze Strecke war ihr eine beschwerliche Reise. Ach, so schleppend und mühevoll sind immer des Lebens letzte Schritte! Sie setzte sich, suchte Oswald mit den Augen, erkannte ihn, – und in ganz unwillkürlicher Bewegung erhob sie sich, streckte die Arme ihm entgegen, sank aber gleich darauf in ihren Stuhl zurück: mit abgewendetem Gesicht, wie Dido, als sie Aeneas in einer Welt begegnet, aus welcher menschliche Leidenschaften verbannt sind. Lord Nelvil, völlig außer sich, wollte zu ihr, – ihr zu Füßen stürzen; doch Fürst Castel-Forte hielt ihn zurück durch einen Hinweis auf die Ehrfurcht, welche er Corinna in Gegenwart einer so zahlreichen Versammlung schulde.

Ein junges, weißgekleidetes Mädchen, deren Haupt ein Rosenkranz schmückte, und die von Corinna ausersehen war, ihre Verse zu sprechen, erschien auf einer Art von Tribüne; ihr friedlich-sanftes Angesicht, auf welchem des Lebens Schmerzen noch keine ihrer Spuren zurückgelassen hatten, stand mit den Worten, die sie zu sagen hatte, in rührendem Gegensatz. Eben dieser Gegensatz hatte Corinna angezogen; er breitete über die düstern Gedanken ihrer gebrochenen Seele etwas wie Heiterkeit. Die Hörer wurden durch hohe, weiche Musik auf den zu empfangenden Eindruck vorbereitet. Oswald, der unglückliche Oswald konnte den Blick nicht von Corinna wenden, von diesem Schatten, der ihm wie ein schreckliches Traumbild in einer Nacht des Wahnsinns erschien; und unter Thränen vernahm er diesen Schwanengesang, den das Weib, an welchem er so gefrevelt, ihm noch ins tiefste Herz hineinrief.

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12