Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zwanzigstes Buch: Schluß.

Zweites Kapitel

In Florenz angekommen, schrieb Lord Nelvil an den Fürsten Castel-Forte, und wenige Minuten darauf wurde ihm der Besuch des Fürsten gemeldet. Dieses Wiedersehen bewegte Oswald so sehr, daß ihm lange jedes Wort fehlte; endlich wünschte er von Corinna zu hören. »Ich habe Ihnen nur Trauriges über sie mitzutheilen«, antwortete Fürst Castel-Forte, »ihre Gesundheit ist sehr schlecht und wird mit jedem Tage schlechter. Sie sieht Niemand, außer mir; es wird ihr oft sehr schwer, sich zu beschäftigen; indessen war sie ein wenig ruhiger, bis wir Ihre Ankunft in Italien erfuhren. Bei dieser Nachricht aber gerieth sie in eine entsetzliche Aufregung und, ich kann es Ihnen nicht verhehlen, Mylord, das Fieber, von welchem sie längere Zeit befreit gewesen, ist seitdem in verstärktem Grade wiedergekehrt. Sie hat mir in Betreff Ihrer durchaus nichts mitgetheilt, denn ich vermeide mit großer Sorgfalt, Ihren Namen zu nennen.« – »Haben Sie die Güte, mein Fürst«, bat Oswald, »ihr den Brief zu zeigen, welchen Sie, vor beinahe fünf Jahren, von mir erhielten; er erzählt alle die einzelnen Umstände, welche es verhinderten, daß ich ihre Reise nach England nicht erfuhr, ehe ich Lucilens Gatte wurde; und nachdem sie ihn gelesen hat, sagen Sie ihr, ich bäte sie, mich zu empfangen. Ich muß sie sprechen, um, wenn es angeht, mich zu rechtfertigen. Ihre Achtung ist mir nothwendig, obgleich ich auf ihre Theilnahme keinen Anspruch mehr habe.« – »Ich werde Ihren Auftrag ausrichten, Mylord, und wünsche sehr, Sie vermöchten ihr wohl zu thun.«

Lady Nelvil trat in diesem Augenblicke ein; Oswald stellte ihr den Fürsten vor, und sie empfing ihn ziemlich kalt. Er sah sie sehr aufmerksam an, und ihre Schönheit mußte ihn wohl in Erstaunen setzen, denn er seufzte, und dachte an Corinna, und ging hinaus. Lord Nelvil folgte ihm. »Lady Nelvil ist sehr schön«, sagte der Fürst, »welche Jugend! welche Frische! Meine arme Freundin hat nichts mehr von diesem Glanz; aber Sie – Sie dürfen nicht vergessen, Mylord, daß auch Corinna in Schönheit leuchtete, als Sie sie zum ersten Male sahen.« – »Nein, ich vergesse es nicht«, rief Lord Nelvil, »o nein; niemals werde ich mir verzeihen ...« und unfähig, weiter zu reden, hielt er inne. Den Rest des Tages war er schweigsam und düster. Lucile versuchte nicht, ihn zu zerstreuen, und es verwundete ihn, daß sie es nicht versuchte. »Hätte Corinna mich traurig gesehen, würde Corinna mich getröstet haben«, sagte er sich.

Am folgenden Morgen trieb ihn seine Unruhe schon früh zum Fürsten Castel-Forte. »Nun?« fragte er diesen, »was hat sie geantwortet?« – »Sie will Sie nicht sehen«, erwiderte der Fürst. – »Und aus welchem Grunde?« – »Ich war gestern bei ihr, und fand sie in einer Aufregung, die schmerzlich anzusehen war. Sie ging, ohngeachtet ihrer großen Schwäche, mit raschen Schritten auf und ab. Ihre Blässe wurde zuweilen von hoher Röthe verdrängt, die aber bald wieder verschwand. Ich sagte ihr, Sie wünschten sie zu sprechen; darauf schwieg sie einige Augenblicke und erwiderte mir dann Folgendes, das ich Ihnen, da Sie es so verlangen, treu wiedergebe: »Er hat mir zu wehe gethan! ein Feind, der mich in einen Kerker gestürzt, der mich verbannt und geächtet hätte, würde mir das Herz nicht so zerrissen haben. Ich habe gelitten, was nie ein Mensch gelitten hat: eine Mischung von Liebe und Bitterkeit, die mir meine Gedanken zur fortwährenden Todesqual machte! Ich empfand für Oswald ebenso viel Begeisterung als Liebe; ich habe es ihm einst gesagt, – er muß sich dessen erinnern –: daß es mir schwerer sein würde, ihn nicht mehr zu bewundern, als nicht mehr zu lieben. Er hat den Gegenstand meiner Anbetung entweiht; er hat mich betrogen, freiwillig oder unfreiwillig, darauf kommt nichts an, – er ist nicht der, für den ich ihn hielt. Was that er für mich? Während eines Jahres beinahe hat er an dem Reichthum meines Geistes, hat er der Liebe sich erfreut, die er mir einflößte; und als er mich vertheidigen sollte, als seine Liebe zur That werden sollte, hat er da für mich gethan, für mich gehandelt? Kann er sich eines Opfers, einer großmüthigen Regung rühmen? Er ist jetzt glücklich, er besitzt alle Vortheile, die in der Welt gelten, und ich – ich sterbe. Er lasse mich in Frieden.« –

»Das sind harte Worte«, sagte Oswald. – »Sie ist durch das viele Leid erbittert«, entgegnete der Fürst; »oft habe ich sie in weicherer Stimmung gesehen; oft – erlauben Sie, daß ich's gestehe, – war sie gegen mich Ihre Vertheidigerin.« – »Sie finden mich also sehr strafbar?« fragte Lord Nelvil. – »Darf ich es Ihnen denn sagen? Ja; ich denke, Sie sind's«, antwortete der Fürst; »das Unrecht, das wir gegen eine Frau begehen, schadet uns nicht in dem Urtheile der Welt. Heute beten wir sie an, diese zerbrechlichen Götzenbilder, und morgen dürfen wir sie zertreten, ohne daß Jemand zu ihrer Vertheidigung aufstände. Eben deshalb ehre ich sie um so höher; denn die Sittlichkeit in Betracht ihrer kann nur durch unser Herz vertheidigt werden. Für uns entsteht durchaus kein Ungemach daraus, wenn wir ihnen Leids thun; und doch ist dieses Leid so fürchterlich! Ein Dolchstoß wird vom Gesetze bestraft, und das Zerreißen eines liebenden Herzens dient nur zum Gegenstand des Scherzes; – so gestatte man sich doch lieber den Dolchstoß!« – »Glauben Sie mir«, erwiderte Lord Nelvil, »auch ich bin sehr unglücklich gewesen; das ist meine einzige Rechtfertigung; und früher hätte Corinna auf diese gehört. Es kann sein, sie gilt ihr jetzt nichts mehr; dennoch will ich ihr schreiben. Ich glaube immer noch, daß sie die Stimme des Freundes, über Alles hinweg, was uns scheidet, vernehmen wird.« – »Gern werde ich ihr den Brief einhändigen, aber ich beschwöre Sie, schonen Sie sie! Sie wissen nicht, was Sie ihr noch sind! Fünf Jahre graben einen Eindruck nur tiefer, wenn kein anderes Bild ihn vernarben half. Wollen Sie sehen, wie Corinna jetzt ist? Durch eine wunderliche Grille, von der ich sie nicht gut zurückbringen konnte, vermag ich, Ihnen eine Vorstellung von ihr zu geben.«

Mit diesen Worten öffnete der Fürst die Thür seines Arbeitszimmers; Lord Nelvil folgte ihm in dasselbe. Er sah hier zuerst Corinnens Portrait, wie sie im ersten Act von Romeo und Julia erschienen war: mit dem Lächeln des Glücks und des Vertrauens, das an jenem Tage, als er am meisten von ihr hingerissen worden war, ihre Züge so glorreich verklärt hatte. In Oswalds Gemüth stand die Erinnerung an diese goldenen Feiertage mächtig wieder auf, und wie er noch in das Anschauen dieser holden Erscheinung vertieft war, nahm ihn der Fürst bei der Hand, und indem er den Vorhang von schwarzem Flor von einem anderen Bilde hinwegzog, zeigte er ihm die Corinna, die sich kürzlich erst für ihn hatte malen lassen: im schwarzen Kleide, dem venetianischen Costüme, das sie seit ihrer Rückkehr von England nicht mehr abgelegt. Oswald erinnerte sich plötzlich, wie sehr ihm einst in Hyde-Park eine so gekleidete Frau aufgefallen war. Was ihn aber am meisten bestürzt machte, das war die entsetzliche Veränderung in Corinnens Aussehen. Da stand sie: blaß wie der Tod, die Augen halb geschlossen; ihre langen Wimpern verschleierten den Blick und warfen einen Schatten auf ihre farblosen Wangen. Unter dem Bilde stand jener Vers aus dem Pastor fido:

A pena si può dir: Questa fu rosa.

Kaum kann man sagen: dies war eine Rose.

»Wie!« rief Lord Nelvil, »dies – dies ist sie jetzt?« – »Ja«, erwiderte Fürst Castel-Forte, »und seit vierzehn Tagen ist sie noch viel hinfälliger.« – Lord Nelvil stürzte hinaus, – ein Verzweifelnder, – das Uebermaß des Schmerzes verwirrte seine Vernunft.

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