Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Siebzehntes Buch: Corinna in Schottland.

Drittes Kapitel

Wie unglücklich ist sie, die feinfühlige und tiefempfindende Frau, die eine große Unvorsichtigkeit begeht, sie für einen Gegenstand begeht, von dem sie sich weniger geliebt glaubt und nur in sich selbst eine Stütze für ihr Handeln findet! Wenn sie Ruf und Ruhe auf's Spiel setzte, um dem Geliebten damit einen großen Dienst zu leisten, wäre sie durchaus nicht zu beklagen. Es ist so süß, sich aufzuopfern! Es ist so entzückend, großen Gefahren zu trotzen, um ein uns theures Leben zu retten, um den Schmerz zu lindern, der ein befreundetes Herz zerreißt! Aber unbekannte Länder schutzlos durcheilen müssen, ankommen ohne erwartet zu sein, vor dem Geliebten erröthen müssen über den Beweis von Liebe, den man ihm giebt, alles auf's Spiel setzen, weil man es selbst will, nicht weil ein Anderer es von uns verlangt – welch erbarmungswürdiges Elend! Welche des Mitleids werthe Demüthigung! Denn alles Leid, was von der Liebe kommt, verdient Mitleid. Anders wäre es, wenn man fremdes Glück mit in den Abgrund zöge, wenn man der Pflichten gegen geheiligte Bande vergäße! Doch Corinna war frei; sie opferte nur ihre Ehre, nur das eigene Glück. In ihrer Haltung war keine Vorsicht, keine Klugheit, aber auch nichts, das ein anderes Geschick, als das ihre, beeinträchtigen konnte; und ihre unglückselige Liebe richtete Niemand zu Grunde, als sie allein.

Als Corinna in England ankam, erfuhr sie durch die öffentlichen Blätter, daß der Aufbruch von Lord Nelvils Regiment auf's Neue verschoben sei. In London sah sie nur den Familienkreis des Banquiers, welchem sie unter einem angenommenen Namen empfohlen war. Man interessirte sich hier für sie und erwies ihr alle erdenkliche Aufmerksamkeit. Gleich nach ihrer Ankunft erkrankte sie gefährlich; und vierzehn Tage hindurch pflegten ihre neuen Freunde sie mit der liebevollsten Güte. Ueber Lord Nelvil erfuhr sie, daß er jetzt in Schottland sei, aber in einigen Tagen nach London zurückkehren müsse, wo sein Regiment eben in Garnison lag. Sie wußte nicht, wie es anfangen, um ihn von ihrer Anwesenheit in England in Kenntniß zu setzen. Ihre Abreise hatte sie ihm nicht gemeldet, und so groß war hierin ihre Verlegenheit, daß Oswald seit einem Monat keinen Brief mehr von ihr erhalten hatte. Auch war er in höchster Unruhe; er warf ihr Unbeständigkeit vor, als ob er das Recht gehabt hätte, über solche zu klagen. Bei seiner Rückkehr nach London eilte er zuerst zu seinem Banquier, wo er Briefe aus Italien zu finden hoffte; man sagte ihm, es seien keine eingetroffen. Er ging fort, und wie er noch sorgenvoll über dieses Stillschweigen hin und her dachte, traf er auf Herrn Edgermond, den er zuletzt in Rom gesehen hatte. Dieser fragte sogleich nach Corinna. »Ich weiß nichts von ihr«, erwiderte Lord Nelvil verstimmt. – »Ach, das glaube ich wohl«, entgegnete Herr Edgermond, »diese Italienerinnen vergessen die Ausländer immer, sobald sie ihnen aus den Augen sind. Es giebt tausend Beispiele davon, und man muß sich das nicht zu Herzen nehmen; sie wären zu liebenswerth, wenn sie mit so vielem Zauber auch noch Beständigkeit vereinten. Es ist gut, daß unsern Frauen auch ein Vorzug bleibe.« – Er drückte Oswald bei diesen Worten die Hand, verabschiedete sich von ihm, um in sein Wales zurückzukehren, und dachte wohl kaum, daß er mit den wenigen Worten Oswald sehr bekümmert hatte. »Es ist unrecht«, sagte er sich, »unrecht, zu wünschen, sie solle mir nachhängen, da ich mich ihrem Glücke nicht widmen kann. Aber so schnell vergessen, was man liebte, das heißt die Vergangenheit ebenso sehr vernichten als die Zukunft!«

In dem Augenblick, als Lord Nelvil den Willen seines Vaters erfahren, war er entschieden gewesen, sich nicht mit Corinna zu verbinden; aber zugleich hatte er auch den Entschluß gefaßt, Lucile nicht wiederzusehn. Ueber den bedeutsamen Eindruck, welchen diese auf ihn gemacht, war er mit sich selbst unzufrieden. Wenn er dazu verurtheilt sei, sagte er sich, der Freundin so viel Schmerz zu bereiten, habe er ihr wenigstens jene Treue des Herzens zu bewahren, welche zu opfern keine Pflicht ihm gebieten könne. Er beschränkte sich darauf, seine Bitte in Betreff Corinnens schriftlich bei Lady Edgermond zu erneuern; doch verweigerte ihm diese beharrlich jede Antwort, und Lord Nelvil errieth aus einigen Unterhaltungen mit Herrn Dickson, der auch Lord Edgermond nahe gestanden, daß es wohl kein anderes Mittel gebe, seinen Wunsch bei der Lady zu erreichen, als um die Tochter, um Lucile, zu werben. Denn die vorsichtige Dame fürchtete, daß Corinna, wenn sie jetzt wieder in ihre Familie zurücktrete, einer Verheirathung ihrer jüngeren Schwester hinderlich sein werde. – Corinna ahnte noch nichts von dem Interesse, das Lucile Lord Nelvil abgewonnen hatte; diesen Schmerz hatte ihr das Schicksal bis jetzt erspart. Nie indessen war sie ihm näher nie war sie seiner würdiger gewesen, als in dem Augenblick, wo das Loos sie von ihm schied. Während ihrer Krankheit, umgeben von der Sorgfalt der einfachen, herzlichen Familie jenes Kaufmannes, hatte sie an englischen Sitten und Lebensgewohnheiten aufrichtiges Wohlgefallen gefunden. Ohne in irgend welcher Richtung besonders hervorragend zu sein, besaßen diese Menschen, von denen sie so liebevoll aufgenommen war, doch viel seltene Geisteskraft und eine anerkennenswerthe Bildung des Urtheils. Man drückte ihr weniger überschwängliche Zuneigung aus, als sie es gewohnt war, doch bewies man ihr solche zu jeder Stunde durch neue Wärme, neue Dienstleistungen. Die Strenge der Lady Edgermond, die Langeweile der kleinen Stadt hatten sich hindernd vor Corinnens Urtheil gestellt; sie hatte die großen und edlen Vorzüge des Landes, dem sie entsagt, nicht überblicken können; und nun wendete sie diesem unter Verhältnissen ihre Neigung zu, die ein solches Gefühl, zu ihrem Glücke wenigstens, nicht mehr wünschenswerth machten.

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