Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Sechzehntes Buch: Trennung und Abwesenheit.

Achtes Kapitel

Herr Dickson glich dem Vater Oswalds durchaus nicht; er besaß weder dessen Geist, noch Charakter; doch war er bei Lord Nelvils Tode zugegen gewesen, und da beide Freunde von gleichem Alter waren, schien es, als sei der Eine nur noch ein wenig hier zurückgeblieben, um dem Andern bald von dieser Welt Nachricht zu bringen. Oswald lieh dem alten Manne seinen Arm, als er ihn die Treppe hinaufführte, und leistete ihm auch sonst mit Herzlichkeit all jene Aufmerksamkeiten, die er so gern noch seinem Vater hätte erweisen mögen. Herr Dickson kannte Oswald von dessen frühester Kindheit an und ohne Zögern, wie ohne Zwang, begann er ihm sogleich von seinen Angelegenheiten zu reden. Er tadelte sein Verhältniß zu Corinna auf das Nachdrücklichste; doch würden des Greises schwache Einwände Oswald noch weniger als die der Lady Edgermond beeinflußt haben, wenn er ihm nicht zugleich jenen schon erwähnten Brief eingehändigt hätte, den Lord Nelvil einst in Betreff Corinnens an Lord Edgermond schrieb, als er den Plan der Vermählung dieser mit seinem Sohne nicht ausgeführt sehen wollte. Hier folgte dieser, im Jahre 1791 während Oswalds Aufenthalt in Frankreich geschriebene Brief. Der Sohn las ihn zitternd.

Brief Lord Nelvils an Lord Edgermond.

»Werden Sie es mir verzeihen, mein Freund, wenn ich Ihnen in dem, zwischen unsern Familien verabredeten Heirathsprojekte eine Veränderung vorschlage? Mein Sohn ist ein und ein halbes Jahr jünger, als Ihre älteste Tochter, und es wäre darum wohl besser, ihm Lucile zu bestimmen, die zwölf Jahre weniger als ihre Schwester zählt. Ich könnte mich auf diesen Grund beschränken; da mir jedoch das Alter von Miß Edgermond bekannt war, als ich um sie für Oswald bei Ihnen warb, wäre es ein Mangel an vertrauender Freundschaft, wenn ich Ihnen nicht die eigentlichen Gründe angäbe, die mich von dieser Verbindung abstehen lassen. Wir sind seit zwanzig Jahren Freunde und dürfen deshalb rückhaltslos über unsere Kinder mit einander sprechen; um so mehr, als sie noch so jung sind, daß sie sich nach unserm Rathe umbilden können. Ihre Tochter ist bezaubernd; bezaubernd wie eine jener schönen Griechinnen, welche die Welt hinrissen und unterjochten. Nehmen Sie an diesem Vergleich keinen Anstoß. Ihre Tochter hat von Ihnen ohne Zweifel nur die reinsten Grundsätze und Empfindungsweisen gelernt, hat sicherlich nur solche in ihrem eigenen Herzen genährt; allein sie scheint mir ein wenig zu sehr von dem Wunsche belebt, zu gefallen, einzunehmen, Effekt zu machen. Ihre Begabung ist freilich größer, als ihre Eigenliebe, und es ist eben nur eine Notwendigkeit, dieses Verlangen nach weiterer Entfaltung eines so seltenen Talents. Ich weiß gar nicht, welch ein Schauplatz solcher Geistesthätigkeit, solcher überschwänglichen Einbildungskraft, kurz einem so glühenden Charakter, wie er sich in dem ganzen Wesen Ihrer Tochter kundgiebt, genügen könnte. Sie würde meinen Sohn dem heimatlichen Boden entführen, denn eine derartige Frau kann hier nicht glücklich sein, und Italien allein ist der für sie geeignete Aufenthalt.

»Sie bedarf jener unabhängigen Art zu leben, die sich nur dem Augenblick unterwirft. Unser Landleben, unsere häuslichen Gewohnheiten müssen begreiflicher Weise ihren Neigungen entgegen stehen. Ein Mann, der das Glück hat, als Bürger unseres edlen Vaterlandes geboren zu sein, muß vor Allem seine Pflichten als solcher erfüllen, muß vor Allem Engländer sein; und in Ländern, wo die politischen Institutionen den Männern die ehrenvollste Gelegenheit zur Thätigkeit, zu öffentlichem Hervortreten geben, sollen die Frauen im Schatten bleiben. Wie aber könnte eine Frau von so seltener Auszeichnung, wie Ihre Tochter, sich an solchem Loose genügen lassen? Glauben Sie mir, sie gehört nach Italien. Ihr Herz, ihre Religion, ihre Gaben, Alles zieht sie dorthin. Verheirathen Sie sie dort. Mein Sohn, als der Gatte Miß Edgermonds, würde sie ohne Zweifel höchst leidenschaftlich lieben, denn unmöglich kann ein Weib hinreißender sein, als sie. Um ihres Beifalls willen würde er folglich in seinem Hause fremde Sitten einführen, und wie bald verlöre er dann den nationalen Sinn und jene Vorurtheile, wenn Sie wollen, die uns untereinander verbinden, die aus unserer Nation ein Ganzes, eine freie, unauflösbare Genossenschaft machen, eine Verbrüderung, die nur mit den Letzten von uns zu Grunde gehen kann. Mein Sohn würde sich bald in England unbehaglich fühlen, wenn er seine Frau dort nicht glücklich sähe; er hat, ich weiß es, die ganze Schwäche, welche mit sehr weichem Gefühl verbunden zu sein pflegt; und wenn ich dieses Verläugnen seines Vaterlandes noch erlebte, gäbe mir der Schmerz darum den Tod: nicht allein, weil es mir den Sohn raubte, sondern auch, weil es ihn um die Ehre brächte, seinem Staate zu dienen.

»Welch eine Bestimmung wäre es denn für ein Kind unserer Berge, im Schooße der Freuden Italiens ein müßiges Leben zu verträumen? Ein Schotte, der Cicisbeo seiner Frau! Wenn nicht noch gar der einer Andern! Seiner Familie kein Lenker, keine Stütze! Wie ich Oswald kenne, würde Ihre Tochter viel Einfluß über ihn gewinnen. Es ist mir deshalb sehr lieb, daß sein gegenwärtiger Aufenthalt in Frankreich ihm die Gelegenheit entzogen hat, Miß Edgermond zu begegnen. Ja, für den Fall ich vor der Verheirathung meines Sohnes stürbe, wage ich Sie anzuflehen, mein Freund, ihn nicht mit Ihrer ältesten Tochter bekannt zu machen, ehe die jüngere in dem Alter ist, um ihn fesseln zu können. Unser Verhältniß ist so alt und heilig, daß ich diesen Beweis der Freundschaft von Ihnen wohl erwarten darf. Machen Sie Oswald, falls es nöthig sein sollte, in Betreff dieses Punktes mit meinem Willen bekannt; ich bin überzeugt, er wird ihn ehren; vollends ehren, wenn ich dann nicht mehr unter den Lebenden bin.

»Und schenken Sie, bitte ich, dagegen der Verbindung Oswalds und Lucilens Ihre ganze Billigung. In den Zügen Ihrer jüngeren Tochter, in dem Gesichtsausdruck, dem Ton ihrer Stimme liegt die rührendste Bescheidenheit; und wenn sie auch noch sehr Kind ist, glaube ich doch schon in ihr die wahre Engländerin, also eine Frau zu sehen, die einst das Glück meines Sohnes begründen könnte. Sollte ich nicht lange genug leben, um Zeuge dieser Vereinigung zu sein, so werde ich mich ihrer noch im Himmel freuen, und wenn wir uns dort einst wiederfinden, mein theurer Freund, soll unser Segen und Gebet auch dann noch das Glück unserer Kinder behüten. Ganz der Ihre.

Nelvil.«

Oswald blieb eine Weile sprachlos, nachdem er gelesen, und Herr Dickson hatte Zeit genug, in seinen langen Reden ohne Unterbrechung fortzufahren. Er bewunderte die Scharfsicht seines Freundes, mit welcher er Miß Edgermond so richtig beurtheilt habe, obgleich er ja noch weit entfernt gewesen sei, die höchst tadelnswerthe Aufführung, deren sie sich seither schuldig gemacht, vorauszusehen. Er behauptete, eine solche Wahl würde dem Gedächtnisse des Vaters die tödtlichste Beleidigung sein. Oswald erfuhr auch von ihm, daß während seines zweiten Aufenthalts in Frankreich, im Jahre 1792, sein Vater einen ganzen Sommer bei Lady Edgermond zugebracht, nur in ihrem Umgange Trost gefunden und sich dort mit der Erziehung Lucilens, seines Lieblings, beschäftigt habe. Kurz, Herr Dickson griff Oswalds Herz ohne Berechnung zwar, aber auch ohne Schonung, bei seinen empfindlichsten Seiten an.

So vereinigte sich Alles, um das Glück der abwesenden Corinna zu untergraben. Sie hatte keine andere Vertheidigung als ihre Briefe, und was stand ihr nicht Alles entgegen: die Natur der Verhältnisse, der Einfluß der Heimat, das Angedenken eines Vaters, die Beschwörungen der Freunde zu Gunsten des Bequem-conventionellen, zu Gunsten eines dem Laufe des alltäglichen Lebens entsprechenden Beschlusses, und endlich der sich entfaltende Zauber eines jungen Mädchens, das mit den reinen und friedlichen Hoffnungen auf häusliches Glück in schöner Uebereinstimmung stand.

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