Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Fünfzehntes Buch: Der Abschied von Rom und die Reise nach Venedig.
Siebentes Kapitel
Um nach Venedig zu gelangen, schifft man sich auf der Brenta ein; von beiden Seiten des Kanals stehen die großen und, wie alle italienische Herrlichkeit, etwas verfallenen Paläste der Venetianer. Ihre Verzierungen sind meist sehr wunderlich und lehnen sich in keiner Weise an die antiken Vorbilder an. In der venetianischen Architektur spürt man die Folgen des Verkehrs mit dem Orient; es ist eine Mischung des Maurischen und Gothischen, welche sich wunderlich ausnimmt, ohne einem reinen Geschmack zu genügen. Die Pappel, dieser architektonisch-regelmäßige Baum, faßt den Kanal meist überall ein; der tiefblaue Himmel hebt sich stark ab gegen das leuchtende Grün der Ebene, das von dem ungeheuren Ueberfluß an Wasser so frisch erhalten wird. Himmel und Erde haben demnach so grell von einander abstechende Farben, daß diese Natur ein etwas zurechtgemachtes Ansehen und durchaus nicht das geheimnißvoll Unbestimmte hat, das uns den Süden Italiens so theuer macht. Der Anblick Venedigs ist mehr überraschend als angenehm; man glaubt zuerst eine überschwemmte Stadt zu sehen, und es bedarf vorher des Nachdenkens, um das Genie der Sterblichen zu bewundern, mit dem sie hier den Wassern einen Wohnplatz abgewannen. Neapel ist amphitheatralisch am Ufer des Meeres erbaut, während Venedig auf durchaus plattem Boden liegt, und seine Thürme den Masten eines unbeweglich in den Wellen ruhenden Schiffes gleichen. Trauer verdunkelt unsern Blick, wenn wir nach Venedig kommen. Man nimmt von der Vegetation Abschied, alle Thiere sind von hier verbannt, man sieht auch nicht eine Fliege. Der Mensch allein weilt hier, um mit dem Meere zu ringen.
Tiefes Schweigen liegt über dieser Stadt, deren Straßen Kanäle sind, und das Geräusch der Ruder ist dieses Schweigens einzige Unterbrechung. Es ist hier nicht das Land, denn man sieht keinen Baum; es ist auch nicht die Stadt, denn man hört kein Geräusch; nicht einmal ein Schiff ist's, denn es kommt nicht vorwärts: es ist eine Wohnstätte, aus welcher der Sturm ein Gefängniß macht; denn zu Zeiten kann man weder aus der Stadt, noch aus dem Hause heraus. Es giebt Leute in Venedig, die niemals aus einem Stadt-Viertel ins andere gekommen sind, die den Marcusplatz nicht kennen, und für welche der Anblick eines Pferdes oder eines Baumes das unerhörteste Wunder wäre. Die, auf den Kanälen dahin gleitenden, schwarzen Gondeln gleichen dem Sarge oder der Wiege, dem letzten oder dem ersten Bette des Menschen. Abends sieht man nur den Schein der den Gondeln zugehörigen Laternen vorüberziehn, denn jene selbst sind wegen ihres dunklen Aeußern kaum sichtbar. Es ist, als ob Schatten, von einem kleinen Stern geleitet, über das Wasser schweben. Alles ist an diesem Aufenthalt geheimnißvoll: die Regierung, die Gebräuche und die Liebe. Ohne Zweifel giebt es hier viel des Genusses für Herz und Geist, wenn es einem gelingt, in jene Verborgenheiten einzudringen; aber der Fremde muß den ersten Eindruck wunderbar traurig finden.
Corinna, die an Ahnungen glaubte, und deren erschütterte Einbildungskraft in Allem eine Vorbedeutung sah, sagte zu Lord Nelvil: »Woher kommt nur die tiefe Schwermuth, die mich beim Eintritt in diese Stadt ergreift? Ist es nicht ein Zeichen, daß mich irgend ein großes Unglück hier treffen wird?« – Eben jetzt ließen sich von einer der Inseln der Lagune drei Kanonenschüsse vernehmen. Corinna war erschrocken, und bebend fragte sie nach der Ursache derselben. »Eine Nonne nimmt heute den Schleier«, antwortete man ihr, »dort drüben in einem der Klöster, mitten im Meer. Bei uns ist es Brauch, daß in dem Augenblick, wo die Frauen ihr geistliches Gelübde ablegen, sie einen Blumenstrauß hinter sich zurückwerfen, den sie während der Ceremonie trugen. Dies ist das Zeichen der Weltentsagung, und die eben gelösten Kanonenschüsse verkünden solch eine feierliche Stunde.« – Ein Schauer überlief Corinna. Oswald fühlte ihre kalten Hände in den seinen, und sah die tödtliche Blässe ihres Gesichts. »Geliebte!« sagte er, »wie kann Ihnen der einfachste Zufall einen so lebhaften Eindruck machen?« – »Nein«, erwiderte Corinna, »das ist kein Zufall; glauben Sie mir, auch die Blüthen meines Lebens liegen hinter mir.« – »Während ich Dich mehr, als je, liebe«, unterbrach sie Oswald; »während mein ganzes Sein Dir gehört ......« – »Diese Donner des Krieges, welche anderswo Sieg oder Tod verkünden, feiern hier die verborgene Hinopferung eines jungen Mädchens«, fuhr Corinna fort, »fürwahr, eine unschuldige Verwendung für diese schreckliche, sonst die Welt erschütternde Waffe. Es ist wie ein feierlicher Rath, welchen ein entsagendes Weib allen den Frauen zuruft, die noch mit ihrem Schicksale ringen.«