Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Dreizehntes Buch: Der Vesuv und die Umgegend von Neapel.

Erstes Kapitel

Lord Nelvil war von seiner schmerzlichen Erzählung wie vernichtet, und lange verharrte er in tiefer Niedergeschlagenheit; selbst Corinnens holdestem Bemühen gelang es nur allmählig, ihn in die Gegenwart zurückzurufen. Die einbrechende Nacht, in deren Dunkel der Feuersturm des Vesuv immer sichtbarer hervortrat, regte endlich Oswalds Fantasie lebhaft an. Corinna benutzte den großartigen überraschenden Anblick, um ihn vollends seinen Erinnerungen zu entreißen; rasch zog sie ihn bis auf das aschige Ufer des glühenden Lavastroms.

Der Boden entwich ihnen unter den Füßen, fast ehe sie ihn berührten, als wolle er sie aus so lebensfeindlicher Sphäre zurückstoßen: die Natur hat in diesen Regionen zum Menschen kein Verhältniß mehr, er darf sich nicht mehr für ihren Beherrscher halten, sie entzieht sich seiner Tyrannei durch den Tod. Die Lava ist von düstrer Farbe, wie man sich einen Höllenfluß denken mag, und nur wenn sie Bäume oder Weinreben verzehrt, schlagen helle, glänzende Flammen auf. Langsam, schwer wälzt sie sich hinab, bei Tage schwarz, roth bei Nacht. Man hört bei ihrer Annäherung ein gewisses Geräusch von knisternden Funken, das um so unheimlicher wirkt, da es nur leise ist, und den Eindruck macht, als geselle sich hier noch Ueberlistung zu der furchtbaren Gewalt; so sachten, verstohlenen Schrittes schleicht der königliche Tiger seiner Beute nicht. Ohne je zu eilen, ohne je inne zu halten, rollt die heiße Fluth hinab, und häuft vor Mauern und Gebäuden ihre schwarzen, harzigen Massen auf, bis sie das Hinderniß in ihren Wogen begraben hat. Ihr Lauf ist keineswegs so rasch, daß die Menschen nicht vor ihr fliehen könnten; doch aber erfaßt sie, gleich der Zeit, die Unvorsichtigen und die Greise, die sich einbilden, es sei leicht, ihr zu entrinnen, weil sie so schweigend und schwerfällig anrückt. Mit ihrer rothen Gluth steckt sie den Himmel an, der als ein fortdauernder Blitz sich wiederum im Meere spiegelt, und die ganze Welt scheint in diesem dreifachen Brande aufzuflammen.

Aus dem Schlünde des Kraters hört man den Wind pfeifen, und sieht man ihn in Flammenwirbeln aufsteigen. Man entsetzt sich vor dem, was da unten vorgeht, und fühlt, daß ungekannte Mächte der Erde Schooß zerwühlen. Die den Rand des Kraters umgebenden Felsen sind mit Schwefel und Schlacken bedeckt, deren Farben etwas Teuflisches an sich haben. Ein Todtengrün, ein Schmutziggelb mit düstrem Roth bilden für das Auge die quälendste Dissonanz, etwa wie das Gekreisch der Hexen sein mochte, wenn sie Nachts den Mond auf die Erde herabriefen.

Die ganze Umgebung des Vulkans gleicht einer Hölle, und hier haben ohne Zweifel die Dichter ein Vorbild gefunden, um das Fegefeuer zu schildern. Hier begreift man auch, daß die Menschen einst an das Dasein eines zerstörenden, die Absichten der Vorsehung vernichtenden Geistes glaubten. Auf solcher Stätte fragt man sich, ob die göttliche Güte allein über den Wundern der Schöpfung wache, ob nicht irgend ein verborgenes böses Princip, wie im Menschen, so auch in der Natur zur Sünde dränge. »Corinna!« rief Lord Nelvil, »kommt der Schmerz von diesen teuflischen Ufern her, um uns arme Menschen zu verfolgen? Nimmt der Todesengel von diesem Gipfel aus seinen Flug? Wenn ich jetzt nicht in Dein himmlisches Auge blicken könnte, würde ich der Herrlichkeit dieser Welt und ihrer Gotteswerke vergessen; und doch verursacht der Anblick dieser Hölle, so furchtbar er ist, nicht solche Qual, wie das Nagen des Gewissens. Allen Gefahren kann man trotzen; aber wie soll Jemand, der nicht mehr ist, uns von den Vorwürfen befreien, die wir uns über ihm angethanes Unrecht machen? Dahin – dahin auf immer! O Corinna, das ist ein unerbittlich Wort von Feuer und Eisen! Die Qualen, welche der Wahnsinn in seinen Träumen erfindet, – das ewig sich drehende Rad, – das Wasser, das vor der verdorrenden Lippe zurückweicht, der Stein, der hinabrollt, nachdem man ihn emporgewälzt, – schwach nur schildern sie den furchtbaren Gedanken des Unmöglichen –des Unwiederbringlichen!«

Tiefes Schweigen lagerte rings um Oswald und Corinna; selbst die Führer hatten sich zurückgezogen, und lange Zeit hörten sie nichts, als das Zischen und Pfeifen der Flammen. Doch jetzt stieg von der Stadt her ein Läuten zu ihnen empor; es war der Glocken Ton, der durch die Lüfte hinaufzitterte, und ob er nun den Tod, ob er Geburt und Leben feierte – dieser Erdenruf zu dieser Stunde erschütterte sie tief. »Theurer Oswald«, sagte Corinna, »wir wollen fort von hier – hinunter zu den Lebendigen; diese Wüste beklemmt mir das Herz. Alle andern Berge nähern uns dem Himmel, entrücken uns dem kleinen Erdenleben, hier aber fühle ich nur Angst und Verworrenheit. Mir ist, als behandle man hier die Natur wie einen Verbrecher, als sei sie verurtheilt, den göttlichen Athem ihres Schöpfers nicht mehr zu empfinden. Das ist hier kein Aufenthalt für gute Menschen, gehen wir fort!«

Beim Hinabsteigen wurden sie von heftigem Regen überfallen, der in jedem Augenblick ihre Fackeln zu verlöschen drohte. Die Lazzaroni begleiteten sie mit ihrem ununterbrochenen Geschrei, das für Jemand, der es nicht als ihre gewohnte Weise kennt, etwas sehr Beängstigendes hat. Bei diesen Menschen findet sich, als Folge ihrer großen Faulheit und nicht geringern Leidenschaftlichkeit, ein Uebermaß von Lebenskraft, mit dem sie nichts anzufangen wissen. Ebenso indeß, wie ihre Gesichtsbildung viel ausgeprägter ist, als ihr Charakter, ganz ebenso haben weder Geist noch Herz an dieser Lebhaftigkeit vielen Antheil. In der Befürchtung, der Regen könne Corinna schaden, könne die Fackeln auslöschen, kurz, irgend welcher Unfall ihr begegnen, war Oswald auf das Sorglichste um sie beschäftigt, und dieses zärtliche Interesse hob ihr armes, bekümmertes Herz aus der Trauer empor, in welche die Mittheilung seines Gelübdes sie versetzt hatte. Am Fuße des Berges fanden sie ihren Wagen. Bei den Ruinen von Herculanum, die man gewissermaßen von Neuem verschüttete, um das über ihnen erbaute Portici nicht zu untergraben, hielten sie nicht an. Es war Mitternacht, als sie Neapel erreichten, und Corinna versprach Lord Nelvil beim Abschied, ihm folgenden Tags die Geschichte ihres Lebens einzuhändigen.

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