Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zehntes Buch: Die Charwoche.

Drittes Kapitel

Von den Ceremonien der heiligen Woche in Rom ist genug geredet worden, und die Fremden treffen zu diesem Schauspiel besonders zahlreich ein. Die Musik der sixtinischen Kapelle und die Illumination der Peterskirche sind von seltener, in ihrer Art einziger Schönheit, und ziehen mit Recht die Neugierde der Fremden an. Dagegen wird die Erwartung durch die eigentlichen Ceremonien, wie man sie nennt, nicht befriedigt. Das Mahl der zwölf Apostel, die der Papst bedient, die Fußwaschung, welche er ebenfalls verrichtet, wie denn überhaupt die verschiedenen Gebräuche jener fernen biblischen Zeit, rufen wohl ein rührendes Andenken wach; nur daß tausend unvermeidliche Nebenumstände die Würde dieser heiligen Handlungen oft beeinträchtigen. Nicht alle dabei Mitwirkenden scheinen genügend gesammelt, hinreichend von frommer Andacht erfüllt; diese so oft wiederholten Ceremonien sind für die meisten der an ihnen Betheiligten eine Art mechanischer Fertigkeit geworden, und die jungen Geistlichen beschleunigen bei großen Festlichkeiten den Dienst mit wenig schicklicher Behendigkeit und Eile. Das Unbestimmte, das geheimnißvoll Unbekannte, welches so sehr dem Charakter dieses Cultus entspricht, wird durch die Aufmerksamkeit ganz zerstört, die man der Weise, wie Jeder sich seiner Dienstleistungen erledigt, zu zollen sich nicht erwehren kann. Die Gier der Einen nach den ihnen dargereichten Speisen, und die Gleichgültigkeit, mit welcher die Andern ihre vielfachen Kniebeugungen und Gebete ausführen, machen die Sache oft sehr wenig feierlich.

Die noch heute den alten Costümen nachgebildete Kleidung der Geistlichen stimmt sehr schlecht mit dem modernen Kopfputz; die Tracht des griechischen Bischofs mit seinem langen Bart ist noch am ehrwürdigsten. Auch die alten Gebräuche, wie z. B. die Verbeugung, welche nach Frauenart geschieht, machen keinen würdigen Eindruck. Das Ganze hat keine Einheit, und Altes und Neues mischen sich, ohne daß man die Fantasie, und was diese verletzen könnte, berücksichtigt hat. Ein in seinen äußeren Formen glänzender und majestätischer Gottesdienst ist sicherlich sehr geeignet, die Seele mit den erhebendsten Gefühlen zu erfüllen; doch muß man Acht haben, daß die Ceremonien nicht in ein Schaustück ausarten, wo man seine Rolle vor einander spielt, wo man lernt, was man thun muß, in welchem Augenblicke man es thun muß, wann man zu beten, und wann zu knieen hat. Die in einen Tempel verlegte Regelmäßigkeit höfischer Förmlichkeiten beeinträchtigt den freien Aufschwung des Herzens, welcher doch allein im Stande ist, uns der Gottheit zu nähern.

Die Fremden empfinden diese Mangel ziemlich allgemein; indeß die Mehrzahl der Römer wird all dieser Äußerlichkeiten durchaus nicht überdrüssig, und findet in deren jährlicher Wiederholung immer neuen Reiz. Es ist ein eigenthümlicher Zug der Italiener, daß ihre Beweglichkeit sie nicht zur Unbeständigkeit verleitet, ihre Lebhaftigkeit sie der Abwechselung nicht bedürftig macht. Sie sind in allen Dingen geduldig und beharrlich; ihre Einbildungskraft verschönt ihnen auch das bescheidenste Loos; sie füllt ihr Leben aus, statt es unruhig zu machen; Alles finden sie prachtvoller, großartiger, schöner, als es wirklich ist, und während anderswo die Eitelkeit erheischt, sich blasirt zu zeigen, bewegen die Italiener sich vorzugsweise gern in dem Gefühl der Bewunderung.

Lord Nelvil hatte, nach allem davon Gehörten, sich von den Feierlichkeiten der heiligen Woche eine viel größere Wirkung versprochen. Er dachte an den edlen und einfachen Ritus der anglikanischen Kirche, und kehrte mit einem peinlichen Gefühl nach Hause zurück. Denn nichts ist trübseliger, als von etwas, das uns rühren sollte, ungerührt zu bleiben: man hält sich für trocken und gefühllos, man glaubt die Fähigkeit zur Begeisterung verloren zu haben, ohne welche das Denkvermögen nur noch dazu dient, uns das Leben zu verleiden.

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