Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Achtes Buch: Statuen und Gemälde

Viertes Kapitel

So fuhren sie denn am folgenden Tage nach Tivoli. Oswald hatte die Zügel von vier feurigen Rossen in Händen, deren flüchtiger Lauf ihn erfreute; solche Schnelligkeit der Bewegung giebt immer ein gesteigertes Lebensgefühl, und dies an der Seite des Geliebtesten zu empfinden, ist reines, ist holdes Glück. Aus Besorgniß für Corinna lenkte Oswald den Wagen mit äußerster Vorsicht, wie er ihr denn in Allem jene schützende Aufmerksamkeit bewies, welche stets das zarteste Band ist zwischen dem Manne und der Frau. Corinna war vor einer möglichen Gefahr nicht ängstlich, wie die meisten Frauen es sind. Doch Oswalds Fürsorge gewährte ihr so seliges Behagen, daß sie fast gewünscht hätte, furchtsam zu sein, nur um sich von ihm beruhigen zu lassen.

Was Lord Nelvil so großen Einfluß über das Herz der Freundin gab, waren, wie man es in der Folge sehen wird, die unerwarteten Widersprüche, welche seinem ganzen Wesen einen eigenen Reiz verliehen. Alle Welt bewunderte seinen Geist und die Anmuth seiner Gestalt; indessen mußte er eine Frau noch besonders anziehen, die, wie Corinna, in schöner Eigenart Beständigkeit und feurige Erregtheit in sich vereinte, deren Herz so reich an Liebe war, und doch so treu! Stets war er nur mit ihr beschäftigt, aber dieses Beschäftigsein nahm unaufhörlich neue Formen an. Bald überwog Zurückhaltung, bald Hingebung; jetzt war er sanft und innig, um darauf in düstre Bitterkeit zu verfallen, welche zwar die Tiefe seines Gefühls bewies, aber dem Vertrauen doch auch die Unruhe beimischte, und zu immer neuen Erschütterungen Anlaß gab. Man könnte sagen, daß grade Oswalds Fehler seine Vorzüge noch mehr zur Geltung brachten. Kein noch so ausgezeichneter Mann würde ohne diese Widersprüche, ohne diesen kampfbereiten Geist so viel Gewalt über sie gewonnen haben. Eine Art Furcht vor Oswald machte sie ihm unterwürfig; er herrschte durch eine gute, und eine böse Macht, durch seine Eigenschaften, und durch die wunderliche Zusammensetzung dieser Eigenschaften über ihr Gemüth: kurz, es war keine Sicherheit in dem Glücke, das Lord Nelvil gewährte, und vielleicht erklärte sich eben dadurch das Hochgespannte der Leidenschaft, mit welcher Corinna ihn liebte. Vielleicht konnte sie bis zu solchem Grade nur den lieben, den sie zu verlieren fürchtete. Ihr überlegener Geist, ihr so glühendes, als zartes Gefühl konnte des Besten müde werden, nur dieses ungewöhnlichen Mannes nicht, dessen stets aufgeregter Sinn dem bald heitern, bald umwölkten Himmel glich. Oswald, immer wahr, immer tief und immer leidenschaftlich, war dennoch oft bereit, dem Gegenstande seiner Zärtlichkeit zu entsagen, weil eine lange Gewohnheit des Leidens ihn glauben machte, daß eine so heiße Liebe nur Vorwurf und Herzeleid bringe.

Der Weg nach Tivoli führte sie an den Ruinen vom Palaste des Hadrian und an dem unermeßlichen Garten vorüber, der ihn umgab. In diesem Garten vereinigte einst Hadrian die seltensten Erzeugnisse, die wundervollsten Meisterwerke, welche die Römer in fremden Landen erbeutet hatten. Noch heute sieht man dort zerstreute Steine, die »Egypten«, »Asien«, »Indien« genannt werden. Etwas weiter hin war der Ruhesitz, wo Zenobia, Königin von Palmyra, ihre Tage in Zurückgezogenheit beschloß. Sie hatte sich im Unglück nicht auf der Höhe ihres Schicksals erhalten, und verstand weder für den Ruhm zu sterben, wie ein Mann, noch wie ein Weib, lieber zu sterben, als den Freund zu verrathen.

Endlich zeigte sich ihnen Tivoli, das der Aufenthalt so vieler berühmter Männer, des Brutus, Augustus, Mäcenas, Catullus war; vor Allem aber auch der des Horaz, und seine Dichtungen eben haben diesen Ort so verherrlicht. Corinnens Haus lag über dem brausenden Wasserfall des Teverone; auf dem Gipfel des Berges, dem Garten gegenüber stand der Tempel der Sibylle. Es war ein schöner Gedanke der Alten, ihre Tempel auf hochgelegener Stätte zu errichten. So herrschten diese über das Land, wie die religiöse Betrachtung über die andern Gedanken. Von allen Standpunkten aus gestaltet sich die Landschaft zu einem Bilde, dessen Mittelpunkt und edelster Schmuck immer dieser Tempel bleibt. Derartige Ruinen verleihen den italienischen Gegenden einen besonderen Reiz. Sie erinnern nicht, wie moderne Gebäude, an die Arbeit und die Nähe des Menschen, sondern sind eins mit der Natur, mit dem Waldesgrün; in treuem Einverständniß scheinen sie mit dem Bergstrom zu stehen, dem Bilde der Zeit, durch die sie wurden, was sie sind. Die schönsten Gegenden der Welt ermangeln, wenn sie nicht die Vergangenheit zurückrufen, wenn sie nicht das Gepräge merkwürdiger Ereignisse tragen, im Vergleich mit einem historischen Boden allen Interesses. Welch passenderen Aufenthalt konnte es in Italien für Corinna geben, als diese, dem Gedächtnisse einer gottbegeisterten Jungfrau geweihte Stätte? Corinnens Behausung hier war in der That entzückend; das Innere zeigte eine reiche Einrichtung in modernem Geschmack, aus welcher aber doch allenthalben die sinnige Neigung für die Schönheiten der Antike hervorlauschte; es fühlte sich aus Allem ein seltenes, geistvolles Glücksverständniß heraus, ein hoher Sinn für Lebensgenuß, um dieses Wort in seiner edelsten Bedeutung zu gebrauchen. Als Oswald mit Corinna draußen lustwandelte, glaubte er den Windeshauch süß, harmonisch ertönen zu hören; es umgab ihn leiser accordischer Wohlklang, der von den wiegenden Blumen, den sich neigenden Zweigen herabzuschweben schien, gleich einem Gesang der Natur. Es waren Aeolsharfen, welche Corinna in einer Felsengrotte des Gartens hatte anbringen lassen, auf daß die von Wohlgerüchen erfüllte Luft auch noch holder Wohllaut durchklinge. In dieser köstlichen Umgebung ward Oswald von den reinsten Gefühlen bewegt. »Hören Sie mich jetzt an, Corinna«, sagte er; »bis heute quälten mich Vorwürfe über das an Ihrer Seite gefundene Glück. Nun aber glaube ich, mein Vater sandte Sie mir, um meine Qual zu enden. Ihn hatte ich gekränkt, von ihm kommt die Verzeihung. Ja, Corinna«, rief er, indem er vor ihr niedersank, »mir ist verziehen; ich fühle es an der süßen, schuldlosen Ruhe meines Herzens. Du darfst furchtlos Dein Schicksal an das meine knüpfen; es wird Dir nicht unglückbringend sein.« – »So laß uns noch in diesem Seelenfrieden dahinleben. Rühren wir nicht an unser Schicksal; es ist oft fürchterlich, wenn man ihm vorgreifen will; wenn man mehr von ihm zu erhalten strebt, als es uns bestimmte. O, mein Freund, ändern wir nichts, da wir ja glücklich sind.« –

Lord Nelvil war von dieser Antwort verletzt. Er meinte, sie hätte verstehen müssen, daß er Alles zu bekennen, Alles zu versprechen bereit gewesen wäre, wenn auch sie ihm nun ihre Geschichte mittheilen wolle; und daß sie dies noch jetzt vermied, kränkte und bekümmerte ihn tief. Er erkannte ihr Feingefühl nicht, mit dem sie es verschmähte, seine Aufwallung zu benützen, um ihn durch einen Eid zu binden. Vielleicht auch liegt es in der Natur tiefer und wahrer Liebe, einen, wenn auch noch so ersehnten, feierlichen Augenblick zu fürchten, und nur zitternd das Glück gegen die Hoffnung einzutauschen. Oswald aber, entfernt von solcher Auffassung, glaubte, daß Corinna, bei aller Liebe für ihn, sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten wünsche, und sorgfältig Alles meide, was sie mit unauflöslichem Band aneinander knüpfen könnte. Dieser Gedanke entrüstete ihn schmerzlich; er wurde kühl und zurückhaltend, und folgte Corinna ohne ein weiteres Wort in die Gemäldegallerie. Sie errieth sehr bald den Eindruck, den sie mit ihrer Antwort auf Oswald gemacht, allein sie kannte seinen Stolz und wagte daher nicht, etwas darüber zu erwähnen. Mit den Erklärungen der Bilder, mit Gesprächen über Allgemeines, hoffte sie ihn zu besänftigen; der rührende Klang ihrer Stimme bat um Verzeihung, wenn ihre Worte auch nur gleichgültige Gegenstände behandelten. In ihrer Gallerie war die Geschichts- und Landschaftsmalerei ebenso gut vertreten als die Gemälde, welche poetische und religiöse Stoffe behandeln. Keines der Bilder zeigte eine große Zahl von Gestalten. Das figurenreiche Genre bietet der Ausführung viele Schwierigkeiten, ohne die Wirkung zu erhöhen. Die darin enthaltenen Schönheiten sind meist zu verworren oder zu vereinzelt; und die innerliche Einheit, welche für die Kunst, wie für alles Andere, Lebensbedingung ist, wird hierbei nothwendig zerstückt. Das erste der Gemälde geschichtlichen Inhalts stellte Brutus dar, wie er, in tiefes Nachdenken versunken, am Fuße der Statue Roms sitzt. Im Hintergrunde tragen Sklaven die Leichen seiner beiden, von ihm selbst verurtheilten Söhne hinweg; zur Seite deren Mutter und Schwester in jammernder Verzweiflung. Von der Größe, welche des Herzens Empfindungen dergestalt aufzuopfern befiehlt, sind die Frauen wenigstens losgesprochen. Das auf Brutus herniederschauende Standbild Roms ist ein glücklicher Gedanke, der Alles ausspricht. Und dennoch, wie könnte man es ohne eine Erklärung wissen, daß dies der ältere Brutus ist, welcher eben an seinen Söhnen die Todesstrafe vollziehen ließ? Wiewohl es ja gar nicht möglich ist, Thatsachen genauer wiederzugeben, als hier geschehen. Man sieht in der Entfernung das noch einfache, noch schmucklose Rom; es zeigt noch keine Prachtgebäude, aber doch ist's schon ein großes Vaterland, da es zu solchen Opfern begeistern kann. »Sobald ich Ihnen Brutus nenne«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, »sind Sie natürlich mit aller Theilnahme bei dem Bilde; aber Sie hätten es auch sehen können, ohne den Gegenstand zu errathen, und diese, den historischen Gemälden fast immer eigene Unbestimmtheit mischt dem reinen Kunstgenuß das Quälende eines Räthsels bei.

»Ich wählte diesen Gegenstand, weil er an die furchtbarste That erinnert, zu welcher je die Vaterlandsliebe getrieben hat. Das Gegenstück zu diesem Bilde ist der große Marius, den zu tödten jener Cimber sich nicht entschließen kann. Des Marius Gestalt ist imponirend, das Gewand des Andern malerisch, sein Gesichtsausdruck sehr beredt. Dies ist aus Roms zweiter Epoche, als die Gesetze zwar nichts mehr galten, das Genie aber noch mit großem Ansehn die öffentlichen Verhältnisse beeinflußte. Dann folgt der Zeitabschnitt, in welchem Talent und Verdienst nur noch mit Unglück, mit Schmach belohnt wurden. Das dritte Bild hier zeigt Belisar, wie er seinen jungen Führer, der um Almosen stehend mit ihm umherzog, todt in den Armen trägt. Von seinem Gebieter mit Undank gelohnt, blind und bettelnd, scheint es, er habe auf dieser Welt, die er sich einst unterworfen, nichts mehr zu thun, als den Leib dieses Kindes, des einzigen Wesens, das ihn nicht verließ, ins Grab zu legen. Die Figur des Helden ist hier wundervoll ausgeführt; seit unsern alten großen Malern ist kaum Schöneres gemacht worden. Des Künstlers reiche, dichterische Einbildungskraft hat hier das Unglück in all seinen Gestaltungen zusammengefaßt, es ist vielleicht zu viel für das Mitgefühl. Doch wer sagt uns, daß dies Belisar ist? Muß man der Geschichte nicht treu bleiben, wenn man sie ins Gedächtniß zurückrufen will? Und wenn man ihr treu bleibt, hat sie dann des Malerischen genug? Diesen Bildern, wo uns im Brutus die dem Verbrechen gleichende Tugend, im Marius der Ruhm als Ursache des Unglücks, im Belisar die mit schwärzestem Undank bezahlten treuen Dienste für's Vaterland, kurz all das Elend des Menschenschicksals ausgedrückt wird, wie es die Ereignisse der Geschichte, jedes in seiner Weise, erzählen, habe ich hier zwei Gemälde der alten Schule folgen lassen, die unser Gefühl heitrer anmuthen; denn sie reden von der Religion, als Trösterin der geknechteten und zerrissenen Welt, als lebenspendende Helferin für das Herz, wenn draußen nur Druck und Schweigen ist. Das erstere ist von Albano: ein auf dem Kreuze eingeschlafenes Jesuskind. Sehen Sie, welche Milde, welche Ruhe in diesem Antlitz! Welche reinen Gedanken es ausspricht! Wie läßt es ahnen, daß die Liebe zu Gott gegen Schmerzen und Tod schützt. Tizian malte das zweite Bild: Christus erliegt unter der Last des Kreuzes. Seine Mutter kommt ihm entgegen, und als sie ihn so erblickt, sinkt sie in die Kniee. Hier ist die Ehrfurcht einer Mutter vor dem Unglück und den himmlischen Tugenden ihres Sohnes sehr schön wiedergegeben. In dem Auge des Heilandes – welch ein Blick, welche Aufopferung, welche göttliche Entsagung und doch, welches Leiden! Und durch dieses Leid – welche Verwandtschaft mit unserm armen Menschenherzen! Dies ist ohne Zweifel das schönste meiner Bilder; das, zu welchem ich immer wieder aufschaue, ohne je der Rührung müde zu werden, die mich dann befällt.

»Nun kommen dramatische Gemälde«, fuhr Corinna fort, »zu welchen man den Inhalt aus vier der größesten Dichter entnommen. Helfen Sie mir über deren Wirkung urtheilen, Mylord. Hier zuerst Aeneas in den elysäischen Gefilden, der sich Dido nahen will; ihr erzürnter Schatten weicht vor ihm zurück, und scheint zufrieden, das Herz nicht mehr in der Brust zu tragen, das beim Erblicken des Strafbaren ihm noch in Liebe entgegenschlagen würde. Das Nebelhafte der Schatten, und der sie umgebenden, verblaßten Natur bildet zu den lebenskräftigen Gestalten des Aeneas und der ihn begleitenden Sibylle einen starken Gegensatz. Doch ist diese Art von Effekt nur eine Spielerei des Künstlers, und nothwendigerweise überragt die dichterische Darstellung die gemalte um Vieles. Dasselbe möchte ich auch von diesem Bilde sagen; es zeigt uns die sterbende Chlorinde und Tancred. Wie könnte es Tasso's Verse übertreffen, in denen Chlorinde dem Feinde verzeiht, der sie anbetet, und der ihr eben das Herz durchbohrte. Es heißt natürlich die Malerei der Poesie unterordnen, wenn sie ihre Vorlagen Stoffen entlehnt, die große Dichter schon behandelt haben; denn von den Worten dieser bleibt doch ein Eindruck, welcher alles Andere auslöscht, und die höchste Stärke der von ihnen gewählten Situationen liegt immer in der Aufwendung erhabener Beredsamkeit, in der Entwickelung großer Leidenschaften. Während die Malerei für ihre Effekte die friedlichste Schönheit, einfach edle Stellungen, und vor Allem solche Momente der Ruhe wählen muß, welche des Festhaltens würdig sind und niemals das Auge des Beschauers ermüden.

»Ihr furchtbar-großer Shakespeare, Mylord, hat zu dem dritten dramatischen Bilde den Stoff gegeben. Dies ist Macbeth, der unbezwungene Macbeth, der, als er im Begriffe ist, mit Macduff zu kämpfen, dessen Gattin und Kinder er getödtet hat, erfährt, daß die Prophezeiung der Hexen sich erfülle, daß der Wald von Birnam im Vorrücken, und sein Gegner kein von einem Weibe Geborener sei. Macbeth wird von seinem Schicksal, nicht vom Feinde besiegt. Hier hält er nun das Schwert in der verzweifelnden Hand; er weiß, daß er sterben muß, doch will er versuchen, ob die menschliche Kraft nicht das Schicksal zu bezwingen vermag. Gewiß liegt in diesem Kopfe ein schöner Ausdruck von Verwirrung und Muth, von Wahnsinn und Energie; aber auf wie viele Schönheiten der Dichtung muß man nicht dennoch verzichten! Ist der, durch das Blendwerk des Ehrgeizes ins Verbrechen gelockte Macbeth zu malen? Wie sein Entsetzen ausdrücken, neben welchem er doch den unerschrockensten Muth zeigt? Wie den Aberglauben, der ihn quält? Diesen Glauben ohne Würde, diese auf ihm lastende Fatalität der Hölle, seine Verachtung des Lebens, seine Furcht vor dem Tode? »Wohl ist das menschliche Angesicht das größeste der Geheimnisse; doch kann es, auf einem Bilde festgehalten, kaum mehr als ein einziges Gefühl in seiner ganzen Tiefe ausdrücken; die Gegensätze, die Kämpfe, eine Folge von Ereignissen endlich, gehören der dramatischen Kunst. Nur schwer kann die Malerei Nacheinanderfolgendes geben: Zeit und Bewegung sind für sie nicht da.

»Racine's Phädra gab den Inhalt zum vierten Bilde her«, sagte Corinna, indem sie es Lord Nelvil zeigte, »Hippolyt, der in aller Blüthe der Jugend und Unschuld strahlende, weist die arglistigen Beschuldigungen seiner Stiefmutter von sich. Held Theseus steht noch der Gattin bei, er umschlingt sie mit seinem tapferen Arm. Phädra's Gesicht ist von abschreckender Verwirrung entstellt; ihre gewissenlose Amme redet ihr leise zu, um sie in der Vollbringung des Verbrechens zu bestärken. Der Hippolyt dieses Bildes ist vielleicht schöner, als selbst der des Racine; er gleicht hier mehr dem antiken Meleager, weil keine Liebe für Aricia den Eindruck seiner scheuen, edlen Tugend beeinträchtigt. Aber wie läßt sich's begreifen, daß Phädra in Hippolyts Gegenwart ihre lügenhafte Anklage aufrecht zu erhalten vermochte, daß sie ihn unschuldig und verfolgt sah, und nicht zu seinen Füßen lag? Eine beleidigte Frau kann den Geliebten wohl in seiner Abwesenheit schmähen, doch sobald sie ihn sieht, ist in ihrem Herzen nur Liebe. Der Dichter hat, seit Phädra Hippolyt verläumdete, die Beiden auf der Scene nicht mehr einander gegenüber gestellt. Der Maler mußte dies, um, wie er hier gethan, die Schönheit solchen Gegensatzes zur Geltung zu bringen. Und giebt dieser Fall nicht Zeugniß davon, wie groß der Unterschied zwischen einem dichterischen und malerischen Sujet ist, und wie viel besser es wäre, wenn die Dichter zu Gemälden Verse machten, als daß die Maler zu den Dichtungen Bilder malen. Die Einbildungskraft soll immer dem Gedanken vorauseilen; dies wird uns durch die Geschichte des menschlichen Geistes bewiesen.«

Corinna hatte mehrere Mal in ihren Erklärungen inne gehalten, hoffend, daß Lord Nelvil etwas hinzufügen werde, aber dessen verletztes Gefühl verrieth sich nur durch Schweigen. Hievon äußerst gedrückt, setzte sie sich endlich, und barg das Gesicht in den Händen. Lord Nelvil, sichtlich erregt, ging eine Weile im Zimmer auf und ab, dann näherte er sich ihr, und war schon im Begriff sie anzuklagen, sich dem Ausdrucke seines gekränkten Gefühls zu überlassen; allein eine unüberwindliche Regung des Stolzes hielt ihn davon ab, und er trat von Neuem vor die Bilder, als erwarte er, daß Corinna in ihren Betrachtungen fortfahre. Sie hoffte viel von der Wirkung des letzten Gemäldes, und ihrerseits sich nun zu scheinbarer Ruhe zwingend, erhob sie sich wieder und sagte: »Mylord, es bleiben mir noch drei Landschaften zu zeigen. Zwar liebe ich die ländlichen Scenen eben nicht sehr, da sie, wenn sie sich nicht auf die Sage oder Geschichte beziehen, meist fade, wie Idyllen, sind. Das Beste in dieser Gattung scheint mir die Manier von Salvator Rosa. Wie Sie es in dieser Landschaft sehen, stellt er Felsen, Bäume, Wasser und Berge dar, ohne daß ein lebendes Wesen, und wäre es auch nur ein Vogel in seinem Flug, diese leblose Ruhe störte. Die Abwesenheit des Menschen in der Natur regt tiefes Nachdenken an. Was wäre eine unbevölkerte Erde? Ein Werk ohne Zweck, und doch, welch ein schönes Werk, das geheimnißvoll dann nur noch allein vor Gott ausgebreitet läge.

»Endlich hier zwei Stücke, in denen, nach meiner Meinung, sich Geschichte und Poesie auf's Glücklichste mit der Landschaft verbinden.[1] Das eine zeigt den Augenblick, wo Cincinnatus durch die Konsuln aufgefordert wird, seinen Pflug mit dem römischen Feldherrnstab zu vertauschen. In diesem Bilde haben wir die ganze Pracht des Südens, seine Fülle der Vegetation, seinen glühenden Himmel, und jenes Lachen der Natur, das sich selbst der Physiognomie der Pflanzen mitzutheilen scheint. Und dieses andere Bild, das Gegenstück zu dem vorigen, ist der auf dem Grabe seines Vaters eingeschlafene Sohn Cairbars. Seit drei Tagen und drei Nächten erwartet er den Barden, welcher dem Gedächtniß des Vaters die letzte Ehre erweisen soll. Dieser Barde zeigt sich nun in der Entfernung, wie er von einem Berge herniedersteigt; der Geist des Vaters schwebt über den Wolken; das Feld ist mit Reif bedeckt; die entlaubten Bäume werden vom Sturme gerüttelt, mit dem ihre todten Aeste, ihre welken Blätter dahintreiben.«

Bis jetzt hatte Oswald dem, was im Garten geschehen war, noch einigen Groll nachgetragen, doch dieses Bild rief ihm das Grab des Vaters und die geliebten, schottischen Berge zurück; seine Augen füllten sich mit Thränen. Corinna nahm ihre Laute und sang eine jener schottischen Romanzen, deren schlichter Gesang in das Rauschen des Windes einzustimmen scheint. Es war eine sehr rührende Weise: der Abschied eines Kriegers, der das Vaterland und die Geliebte verläßt; das im Englischen so wohllautende, so tiefempfundene »Nimmermehr« ( ) glitt mit schwermüthigem Nachdruck von ihren Lippen. Oswald war überwältigt, und Beide vermochten sie nicht länger ihre Thränen zurückzuhalten. »O!« rief Lord Nelvil, »dies Vaterland, das meine, spricht es denn nicht auch zu Deinem Herzen? Würdest Du mit in jene einsame Zurückgezogenheit folgen, die nur durch meine Erinnerungen bevölkert ist? Könntest Du meines Lebens würdige Gefährtin sein, wie Du dessen Blüthe, dessen Zauber bist?«– »Ich glaube es«, entgegnete Corinna, »ich glaube, daß ich es könnte, weil ich Sie liebe.« – »Im Namen der Liebe und der Barmherzigkeit«, flehte Oswald, »verbergen Sie mir nichts mehr!« – »Sie wollen es durchaus? – Ich unterwerfe mich und verspreche, Alles zu enthüllen; nur die Bedingung habe ich, daß Sie es nicht noch vor dem bevorstehenden Kirchenfeste verlangen. Brauche ich doch für den Augenblick, wo mein Schicksal sich entscheidet, mehr denn je des Himmels Beistand.« – »O, Corinna!« rief Oswald, »falls ich dieses Schicksal zu entscheiden habe, dann ist es nicht mehr zweifelhaft.« – »Sie glauben das?« entgegnete sie, »mir fehlt dieses Vertrauen, und willfahren Sie, ich beschwöre Sie, meiner Bitte.« – Oswald seufzte, ohne den erbetenen Aufschub weder zu gewähren, noch zu verweigern. »Wir wollen jetzt aufbrechen und in die Stadt zurückkehren«, sagte Corinna, »wie kann ich in dieser Einsamkeit vor Ihnen schweigen; und wenn das, was ich Ihnen zu sagen habe, Sie von mir losreißt, warum sollte es so bald – Gehen wir. Was auch geschehe, Oswald, Sie werden einst hieher zurückkehren; denn meine Asche soll hier ruhen.« Oswald folgte ihr verwirrt, erschüttert. Auf dem Rückwege sprachen sie nur wenig; dann und wann sagten sie sich mit einem verständnißvollen Blicke Alles, – Alles, was zu sagen war, und als sie nach Rom kamen, waren Beide ernst und schwermüthig.


[1] Anmerkung der Autorin: Die historischen Gemälde in Corinna's Sammlung sind theils Kopien, theils Originale des Brutus von David, des Marius von Drouet und des Belisar von Gerard. Unter den andern hier angeführten ist Dido von Rehberg, einem Deutschen; das der Clorinde ist in der Gallerie zu Florenz; Macbeth ist aus der englischen Sammlung der Gemälde zum Shakespeare und das der Phädra ist von Guerin; die beiden Landschaften von Cincinnatus und von Ossian sind zu Rom; Wallis, ein Engländer, hat sie gemalt.

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