Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Achtes Buch: Statuen und Gemälde
Erstes Kapitel
Nach einem so verflossenen Tage vermochte Oswald Nachts kein Auge zu schließen. Er war nahe daran, Corinna Alles zu opfern. Selbst ihr Geheimniß wollte er nicht fordern, wenigstens nicht, bevor er in aller Form um sie geworben. Seine Unentschlossenheit schien auf ein paar Stunden ganz von ihm gewichen, und mit Wohlgefallen überlegte er in Gedanken den Brief an Corinna, welcher am folgenden Tage sein Schicksal entscheiden sollte. Allein dieses Vertrauen in das Glück, diese Ruhe des Entschlossenseins währten nicht lange. Bald trat wieder die Vergangenheit vor ihn hin: er hatte schon einmal geliebt, viel weniger leidenschaftlich freilich, als er Corinna liebte, und ihr durfte nimmermehr der Gegenstand seiner ersten Neigung verglichen werden; doch war es immerhin dies Gefühl, das ihn zu unüberlegten Handlungen fortgerissen, zu Handlungen, die seines Vaters Herz schwer gekränkt hatten. – »Wer weiß es«, seufzte er, »wer weiß es denn, ob er nicht heute noch ebenso fürchten würde, sein Sohn könne Pflicht und Vaterland über dieser Liebe vergessen! O du, du mein edelster Freund, den ich auf Erden besessen«, flüsterte er in sich hinein, »zwar kann ich deine Stimme nicht mehr vernehmen, aber lehre mich durch deinen stummen Blick, der noch heute mein Inneres mächtig durchschauert, lehre mich, was ich thun soll, damit du wenigstens vom Himmel herab noch mit einiger Befriedigung auf mich niederblicken kannst. Und verurtheile auch diese Glückessehnsucht nicht, die uns Sterbliche verzehrt; sei nachsichtig dort oben, wie du es auf Erden warst. Ich kann nur besser dadurch werden, daß ich auch einmal glücklich war. Wenn ich mit diesem engelgleichen Weibe lebe, wenn ich würdig befunden werde, sie zu schützen, sie zu retten. Sie zu erretten?« fragte er sich plötzlich; »und woraus? Aus einer ihr zusagenden Lebensweise? Aus einer Existenz voller Huldigungen, voller Erfolg und Unabhängigkeit?« Und diese in ihm selbst aufgestiegene Frage erschreckte ihn, als wäre sie des Vaters Antwort.
Wer hat im Streit der Gefühle nicht oft von einem geheimen Aberglauben gelitten, mit dem wir unsere Gedanken für Vorbedeutung, unser Leiden für eine Warnung des Himmels halten? O! welches Ringen, welche Noth geht in Menschenherzen vor, die ebenso großer Leidenschaft, als strengen Pflichtgefühls fähig sind!
Oswald ging in heftiger Bewegung im Zimmer auf und nieder; nur zuweilen hielt er an, um zu dem sanften, italienischen Mond hinaufzuschauen. Der Anblick der Natur lehrt vielleicht Entsagung, doch über die Qualen der Ungewißheit vermag er nichts.
Der anbrechende Tag fand Oswald noch in diesem Zustande, und Graf d'Erfeuil wie auch Herr Edgermond beunruhigten sich wegen seines höchst angegriffenen Aussehens, als sie ihn zu besuchen kamen. Graf d'Erfeuil brach zuerst das zwischen ihnen eingetretene Schweigen: »Es ist nicht zu läugnen«, sagte er, »die gestrige Aufführung war charmant. Corinna ist wirklich bezaubernd; zwar entging mir die Hälfte ihrer Worte, aber dies beredte Spiel sagt ja Alles! Wie schade, daß eine so vermögende Frau dieses Talent besitzt! Denn, frei wie sie ist, könnte sie, wenn sie mittellos wäre, zur Bühne gehn, und eine solche Schauspielerin wäre der Ruhm Italiens.«
Oswald machten diese Worte einen widerlichen Eindruck; doch wußte er nicht sogleich eine schickliche Weise, dies zu erkennen zu geben; denn Graf d'Erfeuils Bemerkungen hatten die Eigenthümlichkeit, daß man sich nicht rechtmäßig darüber entrüsten konnte, selbst wenn sie sehr unangenehm berührten. Nur feinfühlige Seelen wissen einander zu schonen; die, für sich selbst so empfindliche Eigenliebe erräth fast niemals die wunden Stellen Anderer.
Herr Edgermond pries Corinna's seltene Eigenschaften in geziemender, verehrender Form. Oswald antwortete ihm englisch, um auf diese Weise die Freundin vor den mißlichen Schmeicheleien des Grafen zu schützen. »Ich bin hier überflüssig, scheint mir«, sagte dieser darauf; »da gehe ich lieber zu Corinna; es wird ihr angenehm sein, mein Urtheil über ihr gestriges Spiel zu erfahren. Ich habe ihr ein paar Rathschläge zu geben, die sich zwar nur auf Einzelnes beziehen; indeß machen die Einzelheiten schließlich das Ganze, und sie ist wirklich eine so außerordentliche Frau, daß man nichts unterlassen darf, was zu ihrer höchsten Vollendung beitragen kann. Und dann«, fuhr er, sich zu Lord Nelvils Ohr neigend, leiser fort, »will ich ihr auch zureden, häufiger in der Tragödie aufzutreten: das wäre der sicherste Weg, um irgend einen hier durchreisenden, vornehmen Fremden als Gatten zu gewinnen. Sie und ich, mein lieber Nelvil, wir gehen nicht in solche Netze; wir sind der reizenden Frauen zu gewohnt, als daß sie uns noch zu Thorheiten bewegen könnten, aber so ein deutscher Fürst oder ein Grande von Spanien, die laufen wohl noch hinein.« – Oswald fuhr auf, wie außer sich, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn d'Erfeuil seinen Zorn bemerkt hätte. Doch dieser war schon leichtfüßig, und von seiner letzten Bemerkung sehr befriedigt, davongegangen. Gewiß fiel es ihm nicht ein, daß er Lord Nelvil beleidigt zurückließ, sonst wäre er, obwohl er Jenen liebte, wie er lieben konnte, geblieben.
Des Grafen glänzender Muth trug mehr noch, als selbst seine Eigenliebe, dazu bei, ihn über seine Fehler zu täuschen. Denn da er in Allem, was die Ehre anging, große Delikatesse besaß, fiel es ihm nicht ein, daß ihm dieselbe in den Gefühlsfragen mangeln könne, und weil er sich zweifellos für liebenswürdig und ritterlich halten durfte, genügte ihm das, und er ahnte nichts von des Lebens tieferem Sinn.
Keines von Oswalds peinlichen Gefühlen war Herrn Edgermond entgangen, und als Graf d'Erfeuil sich entfernt hatte, sagte er: »Mein lieber Oswald, ich reise nun ab; nach Neapel.« – »Weshalb so bald?« fragte Oswald. – »Weil ein längeres Bleiben nicht gut für mich wäre«, fuhr Herr Edgermond fort. »Ich bin fünfzig Jahre alt, und könnte nicht dafürstehen, daß Corinna mir nicht den Kopf verdrehte.« »Und wenn dies geschähe«, unterbrach Oswald, »was folgerte sich für Sie daraus?« – »Eine solche Frau ist für das Leben in unserem Wales nicht gemacht«, erwiderte Herr Edgermond; »glauben Sie mir, mein theurer Nelvil, für England taugen nur die Engländerinnen. Es ist nicht meine Sache, Ihnen Rathschläge zu geben, und ich brauche nicht zu sagen, daß ich nicht ein Wort über das hier Gesehene erzählen werde. Aber so liebenswerth Corinna ist, denke ich, wie Thomas Walpole: Was fängt man damit zu Hause an?« Und das »zu Hause« ist Alles bei uns, wie Sie wissen, – Alles wenigstens für die Fraue. Können Sie sich's vorstellen, wie Ihre schöne Italienerin, wenn Sie auf der Jagd, oder gar im Parlamente sind, allein zurückbleibt, wie sie beim Dessert sich entfernt, um den Thee bereit zu halten, bis Sie die Tafel aufheben? Bester Oswald, unsere Frauen besitzen häusliche Tugenden, die Sie nirgend sonst finden werden. In Italien haben die Männer nichts weiter zu thun, als den Frauen zu gefallen; je liebenswürdiger diese also sind, desto besser. Doch bei uns, wo der Mann eine thätige Laufbahn verfolgt, muß die Frau im Schatten bleiben, und Corinna in den Schatten zu stellen wäre schade. Ich sähe sie gern auf dem Thron von England, nicht aber unter meinem bescheidenen Dach. Mylord, ich habe Ihre Mutter gekannt, die von Ihrem verehrten Vater so tief betrauert worden ist; sie war ganz wie meine junge Cousine, und so würde ich mir eine Frau wünschen, wenn ich mich noch in dem Alter befände, wo man wählt und geliebt wird. Adieu, mein lieber Freund, zürnen Sie mir nicht über meine Offenheit. Niemand kann Corinna mehr bewundern, als ich, und vielleicht würde ich in Ihrem Alter dem Wunsche, sie zu besitzen, nicht zu entsagen vermögen.« – Mit diesen Worten reichte er Lord Nelvil treuherzig die Hand und entfernte sich, ohne daß Jener ihm geantwortet hätte. Aber Herr Edgermond verstand dieses Schweigen, und selber ungeduldig, ein Gespräch abzubrechen, das ihm so schwer geworden, begnügte er sich mit Oswalds erwiderndem Händedruck.
Unter Allem, was er gesagt, hatte nur Eines Oswalds Herz getroffen; dies war die Erwähnung seiner Mutter, und der tiefen Zuneigung seines Vaters für dieselbe. Erst vierzehn Jahre war er alt gewesen, da er sie verlor, doch erinnerte er sich mit Ehrfurcht ihrer seltenen Vortrefflichkeit und des schüchternen und zurückhaltenden Charakters ihrer Tugenden. »Ich Unsinniger!« rief er, als er allein war; »ich frage noch, welche Gattin mein Vater für mich wünschte? und weiß ich's denn nicht, da das Bild meiner, von ihm so heißgeliebten Mutter mir noch vorschwebt? Was will ich denn noch mehr? Was betrüge ich mich selbst?«
Dennoch schien es ihm, nach den Ereignissen des vorhergehenden Tages, furchtbar schwer, Corinna wiederzusehn, ohne ihr die gestern ausgedrückten Empfindungen zu wiederholen und zu bestätigen. Das Uebermaß seiner schmerzvollen Erregung brachte ihm einen Rückfall des Leidens, von dem er sich geheilt glaubte; ein kaum vernarbtes Blutgefäß sprang von Neuem in seiner Brust. Während die erschreckten Diener nach Hülfe liefen, wünschte er im Stillen, daß er mit dem Leben auch diese Schmerzen los werden möge. »Wenn ich sterben könnte, nachdem ich Corinna gesehen! nachdem sie mich ihren Romeo genannt!« – Und er weinte heftig; es waren seit seines Vaters Tode die ersten Thränen, die er um einen andern Schmerz vergoß.
Er theilte Corinna sein plötzliches Erkranken schriftlich mit, und endete die Zeilen mit einigen schwermüthigen Worten. Corinna ihrerseits hatte diesen Tag in seligen, täuschenden Vorgefühlen begonnen. Sie freute sich des Eindrucks, den sie auf Oswald gemacht, sie glaubte sich geliebt, war darüber glücklich, und war sich ihrer weiteren Wünsche wohl nicht klar bewußt. Tausend verschiedene Umstände drängten in ihr den Gedanken zurück, Lord Nelvil zu heirathen; und da sie viel leidenschaftlicher, als vorsichtig war, da sie ganz von der Gegenwart beherrscht wurde, und sich um die Zukunft nur wenig kümmerte, schien dieser Tag, der ihr so viel Schmerzen bringen sollte, wie der hellste und heiterste ihres Lebens anzubrechen.
Als sie Oswalds Billet erhielt, ward sie von der quälendsten Unruhe erfaßt: sie glaubte ihn in Lebensgefahr, eilte, um ihn nur gleich zu sehen, während der Stunde der großen Promenade zu Fuß über den Corso, und erreichte, im Angesichte fast der ganzen Gesellschaft Roms, Oswalds Hotel. Zur Ueberlegung hatte sie sich keine Zeit gelassen, und war so schnell gelaufen, daß ihr Athem und Sprache fehlten, als sie das Zimmer des Freundes betrat. Lord Nelvil verstand vollkommen, welchen Deutungen sie sich um seinetwillen ausgesetzt; und sich die Folgen einer Handlungsweise übertreibend, die in England allerdings den Ruf einer Frau, vollends einer unverheiratheten, gänzlich untergraben hätte, zog er sie voller Liebe und Dankbarkeit an sein Herz: »Geliebte Freundin«, rief er, »nein! ich kann Dich nicht verlassen, wenn Deine Liebe für mich Dich preis giebt, wenn ich herstellen muß...« Corinna errieth, was er sagen wollte, und sich sanft aus seinen Armen losmachend, unterbrach sie ihn: »Sie irren, Mylord; mit diesem Besuche thue ich nichts, was die meisten Frauen Roms nicht auch gethan hätten. Ich wußte Sie krank, Sie sind hier fremd, kennen Niemand als mich, also kommt es mir zu, für Sie zu sorgen. Die Regeln der Schicklichkeit soll man achten, so lange man ihnen nur sich selbst zu opfern hat; aber müssen sie nicht der tiefen Besorgniß weichen, die uns eines Freundes Schmerzen und Gefahr verursachen? Wie schwer wäre das Loos der Frauen, wenn dieselben gesellschaftlichen Rücksichten, welche doch das Lieben gestatten, den unwiderstehlichen Drang, der uns treibt, dem Geliebten zu helfen, verbieten dürften? Und ich wiederhole es Ihnen, Mylord, fürchten Sie nicht, daß ich mich durch diesen Schritt Preis gegeben habe. Mein Alter und meine Talente verstatten mir in Rom die Freiheiten einer verheiratheten Frau. Ich denke meinen Freunden durchaus nicht zu verbergen, daß ich bei Ihnen gewesen; ob sie meine Liebe tadeln, weiß ich nicht; aber sicherlich tadeln sie mich nicht dafür, Ihnen ergeben zu sein, wenn ich Sie liebe!« –
Von dieser natürlichen und aufrichtigen Erklärung empfing Oswald die gemischtesten Eindrücke; er war durch die stolze Zartheit ihrer Antwort gerührt, zugleich aber war es ihm leid, daß sie seine Befürchtungen unnöthig fand. Es wäre ihm lieb gewesen, wenn sie, nach weltlichem Urtheil, um seinetwillen einen Fehler begangen hatte, damit eben dieser ihm die Pflicht auferlegte, sie zu heirathen, und so seiner Unentschlossenheit ein Ende zu machen. Recht verdrossen gedachte er dieser freien, italienischen Sitten, welche nur seine Zweifel verlängerten, indem sie ihm viel Glück gewährten, ohne ihm des Glückes Fesseln anzulegen. Er hätte gewollt, das Gebot der Ehre möchte ihm heißen, den Schritt als eine Notwendigkeit zu thun, den zu thun er so heiß ersehnte. Dieses quälende Sinnen verschlimmerte von Neuem seinen Zustand. Corinna, obwohl selbst in furchtbarer Sorge um ihn, wußte sich zu beherrschen und umgab ihn mit holdseliger, wachsamer Aufmerksamkeit. Gegen Abend schien es, als werde er noch unruhiger. An seinem Bette knieend, stützte sie seinen Kopf mit ihren Armen und litt wohl mehr, als er; aber mitten in allen Schmerzen hing sein Blick mit dem vollen Ausdrucke des Glücks an ihr.
Die Aerzte kamen, und sprachen sich im Ganzen nicht ungünstig aus, doch untersagten sie dem Kranken vorläufig jede Anstrengung, besonders das Sprechen, bis das geöffnete Blutgefäß wieder verheilt sei. Sechs Tage verflossen, während welcher Corinna ihn nicht verließ. Sie wußte ihm die Stunden durch Lektüre und Musik abzukürzen, zuweilen auch durch ein Gespräch, dessen Kosten sie allein bestritt, und das sie bald ernst, bald heiter, und immer interessant zu gestalten verstand. Aber mit so viel Anmuth und Zauber suchte sie nur ihre große innere Besorgniß zu verhüllen, die Lord Nelvil unbekannt bleiben mußte, und welche sie daher auch nicht einen Augenblick merken ließ. Sie errieth schnell, wenn er Schmerzen duldete, wenn er etwas verlangte, und ließ sich von seiner Selbstbeherrschung nicht täuschen. Geräuschlos that sie was ihm nützlich sein, ihm Linderung schaffen konnte, um seine Aufmerksamkeit so wenig als möglich auf ihre Dienste zu lenken. Wenn Oswald noch bleicher als gewöhnlich schien, floh auch von ihren Lippen die Farbe, und ihre Hände leisteten nur zitternd Hülfe; doch zwang sie sich auch dann zur Fassung, und lächelte mit thränenden Augen. Zuweilen preßte sie seine Hand auf ihr Herz, als ob sie ihm das eigene Leben geben wolle; und endlich wurden diese Mühen belohnt: Oswald genas.
»Corinna«, sagte er, als ihm wieder zu sprechen erlaubt war, »ach, daß mein Freund Edgermond ein Zeuge der verflossenen Tage gewesen wäre! Er würde gesehen haben, daß Sie nicht weniger gut, als geistreich sind; würde erkannt haben, daß das häusliche Leben mit Ihnen nur dauerndes Entzücken ist, und daß Sie von den andern Frauen sich nur unterscheiden, um zu all deren Tugenden noch alle Reize zu fügen. Nein, es ist zu viel: der Kampf, der mich verzehrt, der mich eben bis an den Rand des Grabes brachte, er muß aufhören. Du sollst alle meine Geheimnisse wissen, Corinna, Du, die Du mir die Deinigen verbirgst, und dann wirst Du über unser Schicksal Dein Urtheil sprechen.« – »Unser Schicksal ist, uns nie von einander zu trennen, falls Sie fühlen, wie ich; doch werden Sie mir glauben, daß ich, bis jetzt wenigstens, noch nicht den Wunsch hegte, Ihre Gattin zu sein? Was ich empfinde, ist mir so neu! Meine Gedanken über das Leben, meine Pläne für die Zukunft, sie sind alle durch dieses Gefühl umgestürzt; es verwirrt mich, unterjocht mich täglich mehr. Ich weiß nicht, ob wir uns vermählen können, ob wir es sollten.« – »Corinna«, erwiderte Oswald; »verachten Sie mich, weil ich zögerte? Und könnten Sie dies Zögern unedlen Beweggründen zuschreiben? Haben Sie nicht errathen, daß meine Schwankungen allein aus dem tiefen und schmerzlichen Vorwurf hervorgingen, welcher mich seit zwei Jahren verfolgt?«
»Ich habe Sie wohl verstanden. Wenn ich Sie unedler Beweggründe hätte verdächtigen können, wären Sie nicht der, den ich liebe. Aber, ich weiß es ja, das Leben gehört nicht ganz der Liebe. Gewohnheiten, Erinnerungen, Verhältnisse legen fesselnde Bande um uns, welche oft selbst die Leidenschaft nicht zerreißen kann. Der, für einen Augenblick zertretene Epheu richtet sich bald wieder auf, und umschlingt nur fester die Eiche. Geben wir jeder Epoche unseres Daseins nicht mehr, als sie grade fordert. Vor Allem bedarf ich jetzt nur Ihrer Gegenwart, Ihres Bleibens. Sie sind hier fremd, keine Bande halten Sie hier zurück, und die Angst vor einer plötzlichen Abreise verfolgt mich unaufhörlich. Wenn Sie mich jetzt verließen, hätten Sie damit Alles gesagt; nichts bliebe mir dann von Ihnen, nichts als mein Schmerz. Diese Natur, diese Kunst, diese ganze Poesie, die ich mit Ihnen, und ach! jetzt einzig nur mit Ihnen fühle, – sie würden alle für mich verstummen! Ich erwache nur mit Zittern; wenn ich den sonnigen Morgen sehe, weiß ich nicht, ob er mich mit seinen goldenen Strahlen betrügt, ob Sie noch da sind, Sie, das Gestirn meines Lebens. Oswald, nehmen Sie mir diese Furcht, dann könnte mir nichts über diese schöne Gegenwart gehen.« – »Sie wissen, Corinna«, antwortete Oswald, »daß niemals ein Engländer seiner Heimat entsagt, daß der Krieg mich zurückrufen kann, daß...« – »O, mein Gott!« rief Corinna, »Sie wollen mich vorbereiten...« Und sie zitterte an allen Gliedern, wie bei dem Nahen der entsetzlichsten Gefahr. »Wohlan, wenn es so ist, führen Sie mich als Gattin, als Sklavin mit...« Dann sich plötzlich fassend, fügte sie: »Oswald, Sie werden nicht abreisen, ohne mich vorher davon benachrichtigt zu haben, nicht wahr? Sehen Sie: nirgend wird ein Verbrecher zur Todesstrafe geführt, ohne daß man ihm einige Stunden gönnte, sich zu sammeln. Nicht schriftlich, nein, nicht durch einen Brief dürfen Sie mir Ihre Abreise melden. Nicht wahr, Oswald, Sie selber werden es mir sagen, mich benachrichtigen, mich anhören, ehe Sie fortgehen?« – »Und würde ich es dann wohl können?« – »Wie? Sie zögern, mir die Bitte zu gewähren?« – »Nein«, erwiderte Oswald, »ich zögere nicht; Du willst es, so schwöre ich es Dir: wenn diese Abreise nothwendig ist, wirst Du es erfahren, und dieser Augenblick entscheidet dann über Dich und mich.« Sie ging hinaus.