Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Siebentes Buch: Die italienische Literatur.

Drittes Kapitel

Alles war in wenigen Tagen eingerichtet; die Rollen vertheilt, und der Abend der Aufführung bestimmt. Diese sollte in dem Palast einer Verwandten des Fürsten Castel-Forte stattfinden, welche zugleich Corinnens Freundin war. Oswald empfand bei dem Herannahen dieses neuen Erfolges eine Mischung von Freude, Vergnügen und Unbehagen. Er genoß ihn schon im Voraus; aber im Voraus war er auch eifersüchtig; nicht etwa auf einen einzelnen Menschen, sondern auf das Publikum, welches Zeuge von der Begabung der Geliebten sein sollte. Er hätte am liebsten nur ganz allein ihren Zauber, ihren Geist gekannt; er hätte gewünscht, daß Corinna, schüchtern und zurückhaltend, wie eine Engländerin, ihr Genie und ihre Redekunst allein für ihn entfaltete. Wie ausgezeichnet ein Mann auch sei, vielleicht erfreut er sich nie ohne ein gewisses Mißbehagen der Ueberlegenheit einer Frau: wenn er sie liebt, ist sein Herz beunruhigt – liebt er sie nicht, ist seine Eigenliebe verletzt. Oswald war neben Corinna mehr berauscht als glücklich, und die Bewunderung, welche sie ihm einflößte, vermehrte seine Liebe, ohne seinen Plänen mehr Festigkeit zu geben. Er schaute zu ihr wie zu einem herrlichen, ihm täglich neu aufgehenden Gestirn empor; aber eben das staunende Entzücken, das sie ihm bereitete, schien ihm die Hoffnung auf ein ruhiges und friedliches Leben auszuschließen. Corinna war die sanfteste, fügsamste der Frauen; das Leben gestaltete sich mit ihr bequem genug, und man konnte sie, abgesehen von ihren glänzenden Eigenschaften, um der alltäglichen willen lieben. Indessen, um es noch einmal zu sagen, sie vereinigte in sich zu viele Talente, sie war nach jeder Richtung hin zu ausgezeichnet. Wie großer Vorzüge Lord Nelvil sich auch rühmen durfte, er glaubte ihr nicht ebenbürtig zu sein, und dieser Gedanke gab ihm Besorgnisse wegen der Dauer ihrer gegenseitigen Zuneigung. Vergeblich machte die Gewalt der Liebe Corinna zu seiner Sklavin; der um diese gefesselte Königin besorgte Herrscher erfreute sich seiner Macht nicht in Frieden.

Einige Stunden vor dem Beginn der Vorstellung geleitete Lord Nelvil Corinna in den Palast der Prinzessin Castel-Forte, wo man die Bühne aufgeschlagen hatte. Aus den Fenstern des Treppenhauses, in welchem sie sich eben jetzt befanden, sahen sie Rom und die Campagna in wundervollem Sonnenschein vor sich ausgebreitet. Oswald hielt Corinna einen Augenblick zurück und sagte: »Sehen Sie dieses köstliche Wetter, es ist für Sie, es ist um Ihre Erfolge zu verklären.« – »Ach, wenn dem so ist«, erwiderte sie, »dann sind Sie es, der mir das Glück bringt, dann danke ich nur Ihnen des Himmels Gunst.« – »Würden diese reinen und sanften Gefühle, welche die Freude an der Natur uns giebt, zu Ihrem Glücke ausreichend sein?« fragte Oswald. »Von dieser weichen Luft, von diesem träumerischen Frieden bis zu jenem geräuschvollen Saale, wo bald Ihr Name in jubelndem Echo widerhallen wird, ist es weit, sehr weit.« – »Oswald«, erwiderte sie, »wird mich denn dieser Beifall, wenn ich ihn erhalte, nicht nur deshalb erfreuen, weil Sie ihn miterleben? Und wenn ich Talent besitze, ist es dann nicht mein Gefühl für Sie, dem ich's verdanke? Poesie, Liebe, Religion, Alles endlich, was mit der Begeisterung zusammenhängt, stimmt auch mit der Natur innig überein. Wenn ich aufschaue in diese klare Himmelsbläue, fühle ich ihren Wiederschein in meinem Herzen, verstehe ich Julia besser, bin ich Romeo's würdiger.« – »Ja, du bist seiner würdig, himmlisches Geschöpf!« rief Lord Nelvil; »ja, sie ist Schwachheit, diese Eifersucht auf deinen Glanz; es ist Schwachheit, dieses Bedürfniß, allein mit dir im Weltall sein zu wollen. Geh nur, empfange die Huldigungen der Welt, geh; aber daß dieser Blick voll Liebe, der göttlicher noch ist als dein Genie, daß er nur auf mich gerichtet sei!« – Sie trennten sich darauf, und Lord Nelvil ging, sich in Erwartung des bevorstehenden Glückes im Saale einen Platz zu suchen.

Romeo und Julia ist ein italienischer Stoff; die Handlung geschieht in Verona; man zeigt dort noch jetzt das Grab der beiden Liebenden. Shakespeare hat dieses Stück mit der zugleich so leidenschaftlichen und so lachenden Einbildungskraft des Südens geschrieben, dieser Einbildungskraft, die im Glücke triumphirt und dennoch so leicht vom Glück zur Verzweiflung, von der Verzweiflung zum Tode übergeht. Alle ihre Eindrücke sind hinreißend schnell, und man fühlt dessenungeachtet, daß diese plötzliche Ergriffenheit, diese rasche Ueberwältigung unabänderlich sein werden. Die Gewalt der Natur, nicht die Oberflächlichkeit des Herzens, zeitigt in einem treibenden Klima die Entwickelung der Leidenschaften. Ein Boden ist darum nicht leicht, weil seine Vegetation sich rasch entfaltet; Shakespeare hat besser als irgend ein Ausländer den italienischen Volkscharakter begriffen. Diese Fruchtbarkeit des Geistes, welche tausend Weisen erfindet, um den Ausdruck ein und desselben Gefühls zu vermannigfaltigen, diese orientalische Redeblüthe, welche sich aller Gleichnisse aus der Natur bedient, um zu schildern, was im Menschenherzen vorgeht, hat Keiner wie er besessen. Es ist nicht, wie im Ossian, durchgehend ein und dieselbe Stimmung, nicht das immer gleiche Tönen, das beständig des Herzens zart empfindendste Saiten anklingen läßt. Dennoch geben die reichen Farben, welche Shakespeare in Romeo und Julia aufträgt, seinem Styl nicht etwa eine störende Gesuchtheit; sie alle sind ja nur die tausendfach schimmernden Brechungen desselben ewigen Lichtstrahls. Ueberquellendes Leben pulsirt in dieser Dichtung, und ein Glanz der Ausdrucksweise schmückt sie, welcher charakteristisch das Land und seine Bewohner zeichnet. Das ins Italienische übersetzte Trauerspiel »Romeo und Julia« ist gewissermaßen nur in seine Muttersprache zurückgekehrt.

Julia erscheint zuerst auf einem Balle im elterlichen Hause, dem Hause der Capulet, zu welchem Romeo Montague sich nur eingeschlichen hat, da jene die Todfeinde seines Geschlechtes sind. Corinna war in ein reizendes, jedoch der Sitte der Zeit entsprechendes Festgewand gekleidet. Edelsteine und Blumen vermischten sich kunstvoll in ihrem Haar. Anfangs überraschte sie, wie eine fremde Erscheinung; dann aber erkannte man ihre Stimme, ihr Gesicht, aber ein von dichterischem Ausdruck verklärtes Angesicht. Einstimmiges Beifallsrufen hallte bei ihrem Auftreten durch den Saal. Gleich ihre ersten Blicke fanden Oswald und verweilten auf ihm. Der Freude Götterfunken, ein süßes, sicheres Lebensgefühl malte sich in ihren Zügen; und wer sie so sah, dem schlug das Herz in Wonne und Furcht, der fühlte, daß so viel Glückseligkeit auf Erden nicht dauern könne. Sollte sich diese Ahnung nur für Julia, sollte sie sich auch für Corinna erfüllen?

Als Romeo sich ihr näherte, um ihr jene schmeichelnden glänzenden Verse über ihre Schönheit und Anmuth zuzuflüstern, billigten die Zuschauer entzückt diesen Ausdruck ihres eigenen Gefühls; und Allen schien seine plötzliche Leidenschaft, seine vom ersten Blick entzündete Liebe wahrscheinlich genug. Oswald gerieth ganz in Verwirrung; ihm war, als müsse sich nun Alles offenbaren, als wolle man Corinna für einen Engel unter den Menschen ausrufen, ihn selber fragen, was er für sie empfinde, sie ihm streitig machen, sie ihm rauben, es schwebte wie eine blendende Wolke an ihm vorüber, sein Bewußtsein schien ihm zu schwinden, er fürchtete noch alle Fassung zu verlieren und zog sich deshalb für einige Augenblicke hinter eine Säule zurück. Corinna suchte ihn ängstlich, während sie diese Worte:

»Too early seen unknown, and known too late!«[1] mit so innerlichstem Gefühl sprach, daß Oswald erbebte, weil es ihm schien, als lege sie eine persönliche Beziehung hinein.

Die Anmuth ihrer Geberden, das Würdige ihrer Haltung, eine Miene, die Alles verrieth, was Worte nicht mehr sagen können, die Geheimnisse des Herzens aufdeckte, welche nie gesprochen werden, und doch das ganze Leben beherrschen, – er ward nicht müde, das Alles zu bewundern. Der Ton, der Blick, die geringsten Bewegungen eines wirklich großen, wirklich begeisterten Schauspielers sind eine fortdauernde Offenbarung des Menschenherzens; das Ideal der Kunst ist stets in diesen Offenbarungen der Natur zu finden. Die Harmonie der Verse, der Reiz der Stellungen verleihen der erdichteten Leidenschaft, was ihr so oft in der Wirklichkeit fehlt, Anmuth und Würde.

Im zweiten Akt erscheint Julia auf dem Altan, in ihrem Garten, um hier mit Romeo zu reden. Von allem Schmuck Corinnens waren nur die Blumen geblieben, und bald müssen auch diese verschwinden. Das halbe Licht auf der Bühne, mit welchem man die nächtliche Stunde anzudeuten sucht, breitete auch über Corinnens Züge weichere, rührendere Schatten. Ihre Stimme klang jetzt noch seelenvoller als während des glänzenden Festes. Ihre zu den Sternen emporweisende Hand schien diese anrufen zu wollen als allein würdige Zeugen so heiligen Zwiegesprächs! Und als sie wiederholt mit süßem Laut den Namen des Geliebten, den Namen Romeo's rief, vernahm Oswald mit Eifersucht den fremden Klang, obwohl er ja wußte, daß sie seiner dabei denke. Er saß dem Altan grade gegenüber, und so durften Corinnens Blicke alle auf ihn sich richten, als sie die folgenden, wundervollen Verse sprach:

»In truth, fair Montague, I am too fond
And therefore thou may'st think my haviour light!
But trust me, gentleman, I'll prove more true,
Than those that have more cunning to be strange. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – therefore pardon me.«

»Gewiß, mein Montague, ich bin zu herzlich.
Du könntest denken, ich sei leichten Sinns.
Doch glaube, Mann, ich werde treuer sein,
Als die, die fremd zu thun, geschickter sind. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Drum vergieb.«

Es lag hierbei in Corinnens Blicken ein so inniges Flehen, so viel Verehrung für den Geliebten, so viel Stolz über ihre Wahl, daß Oswald selbst sich so stolz als glücklich fühlte. Er hob das Haupt empor, das er in Erschütterung gesenkt hatte, und stand da, kühn wie ein Weltenbeherrscher, weil er in einem Herzen herrschte, das ihm alle Schätze des Lebens bot.

Als Corinna die Wirkung ihres Spieles auf Oswald gewahrte, steigerte sich die Erhebung ihrer Seele, mit welcher man allein Wunder vermag, immer mehr, und als beim Nahen des Morgens Julia den Gesang der Lerche, das Zeichen zu Romeo's Aufbruch, zu hören glaubt, hatte ihre Stimme einen fast übernatürlichen Zauber. Sie klang wie die Liebe selbst, und doch webte es darin wie ein heiliges Geheimniß, wie eine Erinnerung an den Himmel und eine Verheißung des Ausruhens in ihm, wie das göttliche Weh einer auf die Erde verbannten Seele, die bald in ihre himmlische Heimat zurückgerufen werden soll. Ach, welch ein wonnevoller Tag war es für Corinna, da sie so in der edelsten Rolle eines großen Trauerspiels vor dem Geliebten ihr eigenes Wesen ausströmen lassen durfte. Wie viele Jahre, wie so manches ganze Leben sind neben solchem Tage ohne Glanz!

Wenn Lord Nelvil selbst den Romeo gespielt hätte, würde Corinnens Beseligung nicht so vollständig gewesen sein. Dann würde sie die Verse auch des größesten Dichters haben zurückweisen mögen, um ganz aus ihrem allereigensten Herzen zu reden; vielleicht selbst hätte dann eine unbesiegliche Schüchternheit ihr Talent beschränkt; aus Furcht, sich sehr zu verrathen, hätte sie ihn nicht voll ansehn können; kurz, eine bis auf solchen Grad getriebene Wahrheit würde die künstlerische Täuschung zerstört haben. Aber süß war es, so wie es war! Den Geliebten da, sich gegenüber zu wissen, während sie jene Erhebung fühlte, die nur die Poesie einflößen kann, während alle Wonne einer heißen Leidenschaft, doch ohne deren Qualen, ohne deren Zerrissenheit, ihr reines Herz erfüllte, während die von ihr dargestellten Gefühle weder ganz persönlich, noch auch ganz von ihr gesondert zu denken waren, und sie nur einfach Lord Nelvil zu sagen schien: »Sieh, wie ich lieben kann!«

Es ist unmöglich, in den Gemüthserregungen des wirklichen Lebens mit sich, mit seiner Haltung zufrieden zu sein; denn abwechselnd reißt entweder die Leidenschaft hin, oder die Schüchternheit hält zurück; bald zu viel Bitterkeit, bald zu viel Hingebung; – während man auf der Bühne vollkommen, und doch ohne Gesuchtheit sein, die Ruhe dem Empfinden schön vereinen kann, kurz, für einen Moment in des Herzens süßestem Traum sich verlieren darf. Und dies war Corinnens reiner Genuß bei der Ausführung einer tragischen Rolle. Mit diesem Vergnügen durfte sie noch das ihres großen Erfolges, des laut gespendeten Beifalls vereinigen; und Alles legte sie mit einem Blick Ihm zu Füßen – Oswald, dessen Huldigung ihr mehr galt, als aller Ruhm der Welt! Ach! Einen Augenblick wenigstens war Corinna glücklich; einen Augenblick kannte sie, um den Preis ihrer Ruhe, jenes Entzücken der Seele, die sie bis dahin vergeblich ersehnt hatte, und die ihr ewig – ewig verloren sein sollte.

Im dritten Akt wird Julia im Stillen Romeo's Gattin. Im vierten Akt entschließt sie sich, als die Eltern sie zwingen wollen, sich einem Andern zu vermählen, aus der Hand eines Mönchs den einschläfernden Trank zu nehmen, welcher ihr den Schein des Todes geben soll. Mit erschütternder Wahrheit schilderte Corinna den Kampf zwischen Furcht und Liebe. Ihr ungleicher Gang, ihre matte Stimme, ihre bald leuchtenden, bald niedergeschlagenen Blicke verriethen die schrecklichen Bilder, welche sie bei dem Gedanken ängsteten, lebend in die Gruft ihrer Ahnen eingeschlossen zu werden; zeigten aber auch die Begeisterung der Leidenschaft, mit der eine so junge Seele über solch begreifliches Entsetzen den Sieg davon trägt. Oswald empfand etwas wie eine unwiderstehliche Neigung, ihr zu Hülfe zu eilen. Einmal richtete sie die Augen mit einer Gluth zum Himmel, die das Bedürfniß nach dem göttlichen Schutz, von dem ein menschliches Wesen sich nie lossagen kann, rührend ausdrückte; ein andermal glaubte Lord Nelvil zu sehen, daß sie die Arme, wie hülfeflehend, ihm entgegenstrecke; er erhob sich in diesem Wahn, und dann, von dem Erstaunen seiner Umgebung zu sich selbst gebracht, setzte er sich wieder, ohne indeß seine mächtige Bewegung verbergen zu können.

Im fünften Akt hebt Romeo seine Julia, die er todt glaubt, von der Bahre und drückt sie an sein Herz. Corinna war weiß gekleidet, ihr schwarzes Haar hing zerstreut um die Schultern, das Haupt neigte sich mit Anmuth und dennoch in rührender und düstrer Todeswahrheit an Romeo's Brust. In Oswald kämpften die entgegengesetztesten Empfindungen. Er konnte es kaum ertragen, Corinna in den Armen eines Andern zu sehn, er schauderte vor dem Bilde der Geliebten, aus dem alles Leben entflohen schien, und er empfand, wie Romeo, jene qualvolle Mischung von Verzweiflung und Liebe, von Tod und Wollust, welche diese Scene zur herzzerreißendsten aller Bühnenwirkungen macht. Als endlich Julia im Sarge erwacht, neben welchem sich der Geliebte soeben den Tod gegeben, und ihre ersten Worte nicht etwa von dem Graus der sie umstarrenden Leichengruft eingegeben sind, sondern sie sich mit dem Ausruf emporrichtet:

»Where is my lord? where is my Romeo?«

»Wo ist mein Gatte? wo ist Romeo?« da antwortete Lord Nelvil nur noch mit heftigen Thränen, und erst, als Herr Edgermond mit ihm den Saal verlassen, gewann er einige Fassung.

Nach beendigter Vorstellung war Corinna durch die Anstrengung ihres leidenschaftlichen Spiels sehr angegriffen. Oswald trat zuerst in ihr Zimmer, fand sie noch in Julia's Gewändern, und, wie diese, halb ohnmächtig in den Armen ihrer Dienerinnen. Im Uebermaß seiner Verwirrung wußte er nicht zu entscheiden, ob dies Wahrheit, oder noch Dichtung sei; und sich Corinna zu Füßen werfend, sagte er auf englisch mit Romeo's Worten: »Augen, blickt Euer Letztes: Arme, nehmt Eure letzte Umarmung!«

»Eyes look your last! arms, take your last embrace!«

Corinna, selbst noch verwirrt, rief entsetzt: »Großer Gott, was sagen Sie? Wollen Sie mich verlassen ? Könnten Sie es?« – »Nein, nein«, unterbrach Oswald, »nein, ich schwöre ...« – Eben jetzt drängte die Menge der Freunde und Bewunderer Corinnens in das Gemach, um sie zu sehen, und die Liebenden konnten sich während des ganzen Abends nicht mehr sprechen; man ließ sie nicht einen Augenblick allein.

Niemals hatte ein Trauerspiel in Italien solche Wirkung hervorgebracht. Die Römer priesen mit Entzücken das Stück, die Uebersetzung, die Schauspielerin. Sie versicherten, dies sei die wahre, den Italienern ziemende Tragödie, die ihre Sitten male, ihr Herz erhebe, ihre Fantasie bereichere, und welche durch einen abwechselnd lyrischen, hochpathetischen und wieder einfachen Styl ihre schöne Sprache zu rechter Geltung bringe. Corinna empfing das reich gespendete Lob mit sanfter, edler Bescheidenheit. Doch ihre Gedanken hingen an Oswalds unterbrochenem Schwur; unsicher suchte ihre besorgte Seele nach der Fortsetzung von diesem »Ich schwöre« – nach diesem einen Wort, das vielleicht das Geheimniß ihrer Zukunft enthielt.


[1] Anmerkung des Verlages: »Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt!«

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12