Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Sechstes Buch: Die Sitten und der Charakter der Italiener.
Drittes Kapitel
Oswalds Brief an Corinna
Den 24. Januar 1795.
»Sie weigern sich, mich zu sprechen; Sie sind durch unser vorgestriges Gespräch beleidigt, und nehmen sich ohne Zweifel vor, in der Zukunft nur noch Ihre Landsleute zu empfangen. Sie wollen, scheint es, das Unrecht, einen Mann von fremder Nationalität aufgenommen zu haben, wieder gut machen. Ich indessen, weit entfernt, mein aufrichtiges Urtheil über die Italienerinnen zu bereuen, – ein Urtheil, das ich gegen Sie aussprach, weil ich Sie in thörichtem Wahn gern zur Engländerin machte, – ich wage noch mit verstärktem Nachdruck hinzuzufügen, daß Sie durch die Wahl eines Gatten aus der Sie umgebenden Gesellschaft weder Glück, noch würdigen Anhalt finden werden. Ich kenne unter den Italienern keinen Mann, der Sie verdient; nicht einen wüßt' ich unter ihnen, der Sie durch eine Verbindung ehren könnte, wie hoch der Rang auch sei, den er Ihnen zu bieten vermag. In Italien sind die Männer viel weniger werth, als die Frauen; denn sie haben die Fehler des schwächeren Geschlechts und die eigenen dazu. Wollen Sie mir einreden, daß sie der Liebe fähig seien, diese Bewohner des Südens, die so ängstlich den Schmerz fliehen und dafür zum Glücklichsein so selbstisch entschlossen sind? Sagten Sie mir neulich nicht selbst, Sie hätten im verflossenen Monat einen Mann vergnügt im Theater gesehen, der acht Tage vorher seine Frau verloren hatte, und eine Frau, die er geliebt zu haben versichert? Hier sucht man den Gedanken an den Tod und die Dahingegangenen so schnell als möglich los zu werden. Die letzten heiligen Dienste bei den Bestattungen werden von Priestern vollzogen, wie die Pflichten der Liebe von den »Cavalieri serventi«. Der kirchliche Brauch und die Gewohnheit haben Alles vorher angeordnet; Schmerz und Begeisterung würde man vergeblich dabei suchen. Und was vor Allem die Liebe vernichtet: die Männer nöthigen den Frauen keine wahre Hochachtung ab. Welchen Werth kann für diese letzteren eine Ergebenheit haben, die nicht mit Charakterfestigkeit und ernster Lebensbeschäftigung gepaart ist? Auf daß Natur und gesellschaftliche Ordnung sich in ihrer ganzen Schönheit zeigen, muß der Mann Beschützer, die Frau die Beschützte sein; vorausgesetzt, er bete die Schwachheit an, die er zu schützen hat, und hochachte diese Gottheit ohne Machtvollkommenheit, die gleich den Penaten, seinem Hause das Glück bringen soll. Hier in Italien ist es fast, als ständen die Frauen gleich dem Sultan und die Männer bildeten ihren Serail.
Diese haben hier das Weiche und Gewandte des Frauencharakters. Ein italienisches Sprichwort sagt: »Wer sich nicht verstellen kann, kann auch nicht leben.« Ist das nicht ein rechtes Weiberwort? Und wie, in der That, könnte denn auch in einem Lande, wo es weder eine militärische Laufbahn, noch freie Institutionen giebt, ein Mann sich zu Kraft und Würdigkeit der Gesinnung heranbilden? Daher suchen sie auch, sich vor Allem ein glattes, schlaues Betragen anzueignen; sie spielen das Leben wie eine Partie Schach herunter, in welcher aufs Gewinnen eben Alles ankommt. Was ihnen noch allein von den Erinnerungen des Alterthums geblieben, das ist etwas Hochtrabendes in ihrer Ausdrucksweise und ihrer äußern Pracht; aber neben dieser, auf hohler Grundlage fußenden Größe finden Sie oft Alles, was es im Geschmack an Niedrigkeit, was es im häuslichen Leben an verschleppter Elendigkeit nur geben kann! Ist dies die Nation, Corinna, welche Sie jeder andern vorziehen zu müssen glauben? Dies das Volk, dessen lärmende Beifallsbezeigungen Ihnen so nothwendig sind, daß ohne solche wiederhallenden »Bravo's« jede andere Bestimmung Ihnen wie ein Stillschweigen erschiene? Wer dürfte sich schmeicheln, Sie glücklich machen zu können, wenn er Sie diesem Tumult entrisse? Sie sind eine unbegreifliche Frau: in Ihren Gefühlen tief, sind Sie leicht in ihren Neigungen, – durch den Adel Ihrer Seele unabhängig, doch dem Bedürfniß nach Zerstreuung unterworfen, – der Liebe für einen Einzigen fähig, und dennoch Alle brauchend. Sie sind eine Zauberin, die wechselweise beunruhigt und beschwichtigt, die in erhabener Größe einsam dasteht, um gleich darauf hinabsteigend sich in einer alltäglichen Menge zu verlieren. Corinna, Corinna, man kann sich nicht erwehren, Sie zu fürchten, indem man Sie liebt!
Oswald.«
Corinna war, als sie diesen Brief gelesen, durch die darin enthaltenen, gehässigen Vorurtheile gegen ihre Nation beleidigt. Doch errieth sie mit einem Gefühl des Glücks, daß Oswald wohl hauptsächlich wegen des Balles, und ihrer, seit jenem Gespräch noch nicht aufgehobenen Weigerung, ihn zu empfangen, so entrüstet sei; und diese Ueberzeugung milderte ein wenig den sonst so schmerzlichen Eindruck seiner Worte. Sie war über das Betragen, was sie fortan gegen ihn einzuhalten habe, unentschieden, oder glaubte wenigstens es zu sein. Sie sehnte sich, ihn wiederzusehen. Doch peinigte es sie, daß er sich einbilden könne, sie wünsche ihn zu heirathen, wenn schon ihr beiderseitiges Vermögen mindestens ein gleiches war, und sie durch die Enthüllung ihres Namens zeigen konnte, wie dieser in keiner Weise dem des Freundes untergeordnet sei. Die Eigenthümlichkeit und Unabhängigkeit ihrer Lebensweise mußten Oswald freilich wohl einige Abneigung gegen ein eheliches Band einflößen, und sicherlich würde auch sie jeden Gedanken daran zurückgewiesen haben, wenn ihre Liebe sie nicht über all das Herzeleid verblendet hätte, welches ihr bei ihrer Vermählung mit einem Engländer und dem Verlassen der Heimat sicher bevorstand.
In allen Fragen, welche das Herz, welche die Liebe angehen, kann man seinem Stolz entsagen; doch sobald Verhältnisse und Weltinteressen sich in irgend welcher Gestalt als Hinderniß in den Weg stellen, sobald zu vermuthen, daß der Geliebte durch eine Vereinigung mit uns Opfer bringt, ist es nicht mehr möglich, ihm die ganze Hingebung unseres Gefühls zu offenbaren. Da nun Corinna sich nicht entschließen konnte, ganz mit Oswald zu brechen, suchte sie sich zu überreden, daß sie im Stande sein werde, ihn zu sehen, ihm aber ihre Liebe zu verbergen; und in dieser Absicht machte sie sich's für ihr Antwortschreiben zum Gesetz, nur auf seine ungerechten Anklagen der italienischen Nation zu erwidern, und diesen Gegenstand mit ihm abzuhandeln, als ob aus seinem Briefe nur dies ihr wichtig sei. Eine Frau von überlegenem Geist wird kühle und stolze Haltung am besten wiedergewinnen, wenn sie sich auf ein allgemein gedankliches, also auf ein neutrales Gebiet zurückzieht.
Corinna an Oswald.
Den 25. Februar 1795.
»Wenn Ihr Brief nur mich anklagte, Mylord, würde ich durchaus nicht versuchen, mich zu rechtfertigen; mein Charakter ist so leicht zu durchschauen, daß, wer mich nicht von selbst erkennt, auch durch alle Erklärungen, die ich ihm zu geben vermöchte, mich nicht besser verstehen würde. Die tugendhafte Zurückhaltung der englischen Frauen, das anmuthvoll Gekünstelte der französischen dienen, glauben Sie es mir, oft nur dazu, die Hälfte von dem, was in der Seele der einen und der andern vorgeht, zu verbergen: und was Sie meine Zauberei zu nennen belieben, ist nichts, als ungezwungene Natürlichkeit, die wohl zuweilen entgegengesetzten Gefühlen, scheinbar sich widersprechenden Gedanken Ausdruck giebt, ohne sich damit abzumühn, sie in Uebereinstimmung bringen zu wollen. Denn solche Uebereinstimmung ist, wo sie ist, fast immer eine gemachte, und die meisten wahrhaftigen Charaktere sind unkonsequent. Doch nicht von mir will ich Ihnen sprechen, sondern von der unglücklichen Nation, die Sie so rücksichtslos angreifen. Wäre es vielleicht meine Anhänglichkeit an treue Freunde, die Ihnen solch bittern Unwillen eingiebt? Ich bin nicht eitel genug zu glauben, daß ein derartiges Gefühl Sie bis zu dem Grade, wie Sie es sind, ungerecht machen könnte, und Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß Sie keine Ursache haben, auf diese Freundschaft eifersüchtig zu sein. Sie urtheilen über die Italiener, was alle Fremden urtheilen, was beim ersten Begegnen Jedem auffallen muß; doch um einem Volke, das in verschiedenen Epochen so groß war, gerecht zu werden, muß man tiefer eindringen. Woher kommt es denn, daß unsere Nation einst die kriegstüchtigste von allen war, unter den Republiken des Mittelalters die war, welche am eifrigsten ihre Freiheit bewachte, und im sechzehnten Jahrhundert sich als die ruhmreichste in Künsten und Wissenschaften erwies? Hat sie nicht nach dem Ruhm in all seinen Gestalten gestrebt und ihn errungen? Und wenn sie ihn jetzt nicht mehr besitzt, weshalb wollen Sie nicht ihrer politischen Lage die Schuld geben, da sie sich unter andern Verhältnissen doch so verschieden von dem gezeigt hat, was sie jetzt ist?
»Ich weiß nicht, ob ich mich täusche: allein die Fehler der Italiener nöthigen mir nur ein Gefühl des Mitleids mit ihrem Schicksal ab. Von jeher haben die Fremden dieses schöne Land, den Gegenstand ihres fortdauernden Ehrgeizes, erobert und zerstört; und nun wirft der Fremde diesem Volke mit Bitterkeit die Fehler besiegter und zerstörter Nationen vor. Europa hat Künste und Wissenschaften von den Italienern empfangen, und jetzt bestreitet es ihnen auch diesen letzten Ruhm, der einem Volke ohne Militärmacht und ohne politische Freiheit möglich ist, den Ruhm eben der Künste und Wissenschaften.
»Wie wahr es ist, daß die Regierungen den Charakter der Völker modeln, sehen wir an diesem Italien, dessen verschiedene Staaten durch merkwürdige Sittenunterschiede von einander abweichen. Die Piemontesen, die gewissermaßen ein kleines Corps für sich bilden, haben mehr militärischen Geist, als die übrigen Italiener; die Florentiner, welche entweder die Freiheit oder doch Fürsten mit liberalem Geist besaßen, sind aufgeklärt und milde; Venetianer und Genueser zeigen politische Denkfähigkeit, weil sie eine republikanische Aristokratie besitzen; die Mailänder sind aufrichtiger, da ihnen die nordischen Völker seit lange diese Eigenschaft zugetragen haben; die Neapolitaner könnten sehr bald kriegerisch werden, denn sie standen seit Jahrhunderten unter einer Regierung, die zwar sehr unvollkommen, aber schließlich doch keine Fremdherrschaft war. Der römische Adel freilich muß, da er militärisch und politisch nichts zu thun hat, unwissend und faul werden; daher sind im geistlichen Stande, welcher wenigstens Beschäftigung und eine Laufbahn gewährt, die Fähigkeiten entwickelter, als im Adel; und da die päpstliche Regierung keinen Unterschied der Geburt gelten läßt, hier im Gegentheil ganz nach freier Wahl verfährt, so folgt daraus eine Art von Unabhängigkeit, wenn nicht der Gedanken, doch der Gewohnheiten, welche Rom zum angenehmsten Aufenthalt für alle diejenigen macht, die nicht mehr den Ehrgeiz noch die Möglichkeit haben, eine Rolle in der Welt zu spielen.
»Die Bewohner des Südens sind leichter durch eine Gesetzgebung umzuformen, als die Nordländer; denn ihre Sorglosigkeit kann bald in ein Verzichten auf ihre Rechte übergehen, und die Natur bietet ihnen so vielen Genuß, daß sie sich leicht für die Vortheile entschädigen, welche die Gesellschaft ihnen weigert. Es giebt sicherlich sehr viel Sittenverderbniß in Italien, doch ist die Civilisation hier viel weniger verkünstelt, als in anderen Ländern. Man kann sogar etwas Wildes an diesem Volke tadeln, trotz aller Feinheit seines Verstandes, einer Feinheit, die der List des Jägers gleicht, der seine Beute überraschen will. Träge Völker sind leicht verschmitzt; sie haben einen hergebrachten äußeren Gleichmuth, der ihnen, wenn es sein muß, auch dazu dient, ihren Zorn zu verstecken. Immer ist es dieses gewohnte Maß der Formen, des äußeren Verhaltens, womit man es erlangt, einen ungewöhnlichen Zustand zu verbergen.
»In ihren persönlichen Verhältnissen sind die Italiener aufrichtig und treu. Habsucht und Ehrgeiz üben große Herrschaft über sie aus, aber nicht Dünkel und Eitelkeit. Der Unterschied des Ranges macht ihnen wenig Eindruck; sie haben keine Gesellschaft, keinen Salon, keine Mode; auch keine erbärmlichen Künste und Mittelchen, um diese und jene Effekte zu erzielen. Die alltäglichen Quellen der Verstecktheit und des Neides sind ihnen unbekannt. Wenn sie Feinde und Mitbewerber täuschen, so geschieht es, weil sie sich mit diesen im Kriegszustande glauben; im Frieden aber sind sie offen und ehrlich. Diese Offenheit ist ja die Ursache des Aergernisses, das Sie so verurtheilen. Die Frauen, die unausgesetzt von Liebe sprechen hören, die inmitten der Versuchungen der Liebe leben, verheimlichen ihre Gefühle nicht und gehen, so zu sagen, mit einer gewissen Unschuld des Herzens in ihre Liebeshändel hinein. Auch von der Bedeutung des Lächerlichen haben sie keine Ahnung, besonders nicht von jener Lächerlichkeit, mit welcher die Gesellschaft zu stempeln vermag. Manche sind von solcher Unwissenheit, daß sie nicht schreiben können, und läugnen das gar nicht; ein Morgenbillet lassen sie durch ihren Sachwalter ( il paglietto) in Folio und im Style einer Bittschrift beantworten. Doch dafür giebt es auch Unterrichtete, und zwar Solche, die als akademische Professoren, in schwarzer Amtskleidung, öffentlichen Vortrag halten; und wenn Sie sich's einfallen ließen, darüber zu lachen, würde man Ihnen antworten: Ist es denn etwas Böses, griechisch zu verstehen? Ist es denn verächtlich, sich durch Arbeit den Lebensunterhalt zu erwerben? Weshalb also lachen Sie über eine so einfache Sache? »Darf ich endlich ein noch zarteres Thema berühren, Mylord? Darf ich zu erklären suchen, warum die Männer oft so wenig kriegerischen Geist zeigen? Sie geben bereitwillig um der Liebe und des Hasses willen ihr Leben preis, und die, in solchen Händeln ertheilten und empfangenen Dolchstiche überraschen Keinen und schüchtern Niemand ein. Sie fürchten den Tod durchaus nicht, wenn natürliche Leidenschaft ihm zu trotzen gebietet; doch oft, dies muß ich zugeben, ziehen sie ihre persönliche Sicherheit der politischen Theilnahme vor, welche in einem zerstückelten Vaterlande auch keine erfreuliche sein kann. Die auf dem Boden der Gesellschaft und der öffentlichen Meinung gedeihende ritterliche Ehre kann in einem Lande schwerlich zu finden sein, wo es jenen Boden nicht giebt. Es ist folglich einfach genug, daß bei solcher Zerrüttung aller öffentlichen Gewalten die Frauen große Herrschaft über die Männer gewinnen, eine zu große vielleicht, um diese noch bewundern und fürchten zu können. Indeß ist der Männer Betragen gegen das weibliche Geschlecht voller Zartgefühl und Ergebenheit. In England sind die häuslichen Tugenden der Ruhm und das Glück der Frauen. Allein da die Liebe doch nun einmal auch außerhalb der Ehe besteht, ist Italien dasjenige Land, in welchem der Frauen Glück am meisten berücksichtigt wird. Die Männer haben sich für eigentlich unsittliche Verhältnisse eine Art von sittlichem Gesetz gebildet, und sind gerecht und großmüthig in der Vertheilung der gegenseitigen Pflichten gewesen. Wenn sie das Band der Liebe zerreißen, halten sie sich selbst für strafbarer, als die Frauen, weil diese mehr Opfer brachten und mehr verlieren; vor dem Richterstuhle des Herzens, sagen sie, sind diejenigen die Schuldigsten, welche die meisten Schmerzen bereiteten. Wenn die Männer fehlen, geschieht es aus Härte, irren die Frauen, so ist es Schwachheit. Die Gesellschaft, welche strenge und verderbt, und folglich mitleidslos gegen alle Vergehen ist, die Unglück nach sich ziehen, wird die Frauen stets härter verdammen; aber in einem Lande, wo es keine Gesellschaft giebt, gewinnt die natürliche Gutmüthigkeit beim Urtheilen das Uebergewicht. »Die Begriffe von Ansehen und persönlicher Würdigkeit sind, ich gebe dies zu, in Italien viel machtloser, ja selbst viel unbekannter, als irgendwo sonst. Auch davon ist der Grund in dem Mangel einer sogenannten »Welt« und einer öffentlichen Meinung zu suchen. Aber trotz Allem, was man von der Verrätherei der Italiener fabelt, behaupte ich doch, daß man selten wo anders mehr Gutherzigkeit, als unter ihnen, finden wird. Diese Gutherzigkeit reicht in allen Eitelkeitsfragen sehr weit; so finden z.B. die Ausländer, obgleich sie kein Land mehr als dieses geschmäht haben, nirgend eine so wohlwollende Aufnahme wie hier. Man wirft den Italienern zu viel Schmeichelsucht vor; aber man sollte auch einräumen, daß sie meistentheils gar nicht aus Berechnung, sondern einfach in dem Wunsch zu gefallen ihre süßen, durch wahre Höflichkeit eingegebenen Ausdrucksweisen verschwenden, und diese Ausdrücke werden von ihrem Betragen selten Lügen gestraft. Würden sie aber in ungewöhnlichen Verhältnissen, in Gefahr und Widerwärtigkeit treue Freunde bleiben? Der kleinere, ja selbst nur der allerkleinste Theil wäre das im Stande; aber diese Erkenntniß ist nicht allein für Italien von Gültigkeit!
»Die Italiener haben im gewohnten Leben eine orientalische Faulheit; aber es kann keine thätigeren und beharrlicheren Menschen geben, wenn ihre Leidenschaften einmal erregt sind. Ebenso sind auch dieselben Frauen, die Sie jetzt schlaff, wie die Odalisken des Serails, sehen, plötzlich der edelsten, aufopferndsten Handlungen fähig. In dem Charakter und der Einbildungskraft der Italiener giebt es viel und geheimnißvoll ineinander Verwebtes, und man stößt in demselben wechselweise auf unerwartete Züge von Großmuth und Freundschaft, freilich dann auch wieder auf furchtbare Beweise von Haß und Rache. Zum Aufstreben, zur Nacheiferung ist hier keine Gelegenheit. Das Leben ist hier nur noch ein traumreicher Schlaf unter schönem Himmel. Aber geben Sie diesen Menschen ein Ziel, und Sie werden sehen, daß sie in kürzester Zeit Alles lernen, Alles begreifen. Mit den Frauen ist es das Gleiche; warum sollten sie sich unterrichten, da ja dann die meisten Männer sie nicht verstehen könnten? Sie würden also, indem sie ihren Geist bereichern, das Herz vereinsamen; und diese selben Frauen werden sich eines überlegenen Mannes sehr bald würdig zu machen wissen, wenn ein solcher der Gegenstand ihrer Liebe ist. Hier schlummert Alles; aber in einem Lande, wo alle großen Interessen niedergehalten werden, sind Ruhe und Sorglosigkeit edler als eitle Beweglichkeit für kleinliche Zwecke.
»Die Wissenschaften selbst müssen darniederliegen, wenn dem Geiste nicht aus einer raschen, kräftigen Lebensthätigkeit neue Gedanken zugeführt werden. Und dennoch, in welchem Lande hat man dem literarischen und künstlerischen Verdienst höhere Bewunderung gezollt? Die Geschichte lehrt uns, daß Päpste, Fürsten und Volk zu allen Zeiten unsere Künstler und Schriftsteller durch die glänzendsten Ehrenbezeigungen belohnt haben. Diese Begeisterung für das Schöne, ich gestehe es, Mylord, ist einer der ersten Beweggründe, welche mich an dieses Land fesseln. Man findet bei uns durchaus nicht die blasirten Anschauungen, den entmuthigenden Spott, noch die despotische Mittelmäßigkeit, welche anderswo so trefflich das natürliche Genie zu quälen und zu ersticken wissen. Ein Gedanke, ein Gefühl, ein hoher Ausdruck fassen schnell unter den Hörern Feuer. Das Talent erregt hier, allerdings eben weil es den ersten Rang einnimmt, vielen Neid. Pergolese wurde für sein Stabat mater ermordet; Georgione trug einen Panzer, wenn er an öffentlichen Orten zu malen genöthigt war. Aber solche, bei uns durch das Talent hervorgerufene Eifersucht wird anderswo von der Macht erregt. Und die Eifersucht des Italieners setzt ihren Gegenstand nicht herab; sie kann hassen, verfolgen, tödten, und dennoch, da sie mit dem Fanatismus der Bewunderung verknüpft ist, huldigt sie dem Genius noch, den sie verfolgt. Wenn man endlich noch so viel Trieb zum Leben in so beengtem Kreise, inmitten so vieler Hindernisse und aller Art von Bedrückung findet, kann man sich nicht erwehren, scheint mir, an diesem Volke, das mit Begier die wenige Luft athmet, welche sein dichterischer Geist in seine Einschränkung dringen läßt, lebhaften Antheil zu nehmen.
»Diese Schranken, ich will es durchaus nicht läugnen, hindern die Italiener allerdings, den Stolz und die Würde in sich zu entwickeln, durch welche freie und kriegerische Nationen sich auszeichnen; und ferner gestehe ich, daß vielleicht der Charakter dieser Nationen unseren Frauen mehr Begeisterung und Liebe abzugewinnen vermöchte. Aber wäre es nicht auch möglich, daß ein kühner, edler und streng denkender Mann alle Liebe erweckende Eigenschaften in sich vereinigte, ohne diejenigen zu besitzen, welche unser Glück verbürgen?
Corinna.«