Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Sechstes Buch: Die Sitten und der Charakter der Italiener.

Erstes Kapitel

Oswalds durch traurige Erlebnisse noch vermehrte Unentschiedenheit des Charakters ließ ihn alle festen Entschlüsse scheuen. In seiner Ungewißheit hatte er noch nicht einmal gewagt, Corinna um das Geheimniß ihrer Herkunft und ihres Schicksals zu fragen, und dennoch zog seine Leidenschaft aus jedem Tage des Zusammenseins neue Kraft. Er konnte sie nicht ohne Bewegung ansehen; kaum vermochte er inmitten der Gesellschaft sich auch nur einen Augenblick aus ihrer Nähe zu entfernen. Sie sprach kein Wort, das er nicht nachfühlte; sie hatte keinen Moment der Traurigkeit oder des Frohsinns, dessen Abglanz nicht auf seinem Gesichte wiederstrahlte. Aber wie er sie auch bewunderte und liebte, er erinnerte sich doch stets daran, wie wenig eine solche Frau in die englische Lebensweise hineinpassen möchte, wie sehr sie von der Vorstellung abweiche, welche sein Vater sich über die dem Sohne geziemende Gattin gebildet hatte; und in dem, was er darüber zu Corinna äußerte, klang die Verwirrung und Gezwungenheit nach, welche jene Betrachtungen in ihm hervorriefen.

Corinna gewahrte das nur zu gut; aber es würde ihr so qualvoll gewesen sein, mit Lord Nelvil zu brechen, daß sie eher noch eine entschiedene Erklärung zu umgehen suchte; und da viel Unvorsichtigkeit in ihrem Charakter lag, genoß sie die glückliche Gegenwart, obwohl sie unmöglich wissen konnte, was daraus entstehen werde.

Um ganz dem Gefühle für Oswald zu leben, hatte sie sich von der Welt völlig zurückgezogen. Doch endlich, von seinem Stillschweigen über ihre beiderseitige Zukunft verletzt, entschloß sie sich, die Einladung zu einem Balle anzunehmen, für welchen ihr Erscheinen lebhaft gewünscht worden war. Nichts ist weniger auffällig in Rom, als abwechselnd die Gesellschaft zu verlassen, und wieder in dieselbe zurückzukehren, wie es eben im Belieben des Einzelnen liegt; denn nirgend giebt man sich weniger mit dem sogenannten Gesellschaftsklatsch ab. Jeder thut, was er will, ohne daß Jemand darnach fragt, es handelte sich denn um eine Rivalität in der Liebe oder im Ehrgeize. Die Römer bekümmern sich um das Thun und Lassen ihrer Mitbürger nicht mehr, als um das der kommenden und gehenden Fremden.

Als Lord Nelvil erfuhr, daß Corinna auf den Ball gehe, war er verstimmt. Seit einiger Zeit hatte er eine, mit der seinen sympathisirende, schwermüthige Gemüthsrichtung in ihr zu bemerken geglaubt; nun schien sie eifrig an ihren Tanz zu denken, an das Talent, in welchem sie so außerordentlich reizend sein sollte; und es war, als belebe sie die Aussicht, es wieder einmal zu üben, auf das angenehmste. Corinna war keine leichtsinnige Frau, aber sie fühlte sich täglich mehr von ihrer Leidenschaft für Oswald beherrscht, und sie wollte es versuchen, dieser Gewalt Einhalt zu thun. Sie wußte aus Erfahrung, daß auf leidenschaftliche Charaktere Vorsätze und Opferfähigkeit weniger Macht üben, als Zerstreuung, und sie meinte, daß es nicht darauf ankomme, regelrecht über sich zu siegen, sondern zu siegen, wie man es eben vermag!

»Ich muß doch wissen«, antwortete sie auf Lord Nelvils Vorwürfe, »ich muß doch wissen, ob es in der Welt nichts mehr giebt, als Sie, mein Leben auszufüllen; ob, was mir früher gefiel, mich nicht jetzt noch erfreuen kann, oder ob meine Liebe für Sie jedes andere Interesse, jeden andern Gedanken verzehren soll.« – »So wollen Sie aufhören, mich zu lieben?« fragte Oswald. – »Nein«, antwortete Corinna, »doch nur im häuslichen Leben kann es süß sein, so ganz von einer einzigen Leidenschaft beherrscht zu werden. Ich aber, die ich meiner Talente, meines Geistes, meiner Phantasie bedarf, um den Glanz der von mir erwählten Lebensweise aufrecht zu erhalten, ich leide jetzt sehr; es macht mir Schmerz, viel Schmerz, dies Lieben, wie ich Sie liebe!« – »Sie würden mir also Ruhm und Huldigungen nicht opfern?« – »Was kann Ihnen daran liegen, zu wissen, ob ich sie Ihnen opfern würde? Da wir nicht für einander bestimmt sind, darf die Art von Glück, mit der ich mich zufrieden geben muß, mir nicht auf immer zerstört werden.« – Lord Nelvil antwortete nicht, weil er mit einer Erklärung seiner Gefühle auch die Absicht, wozu ihn diese bestimmten, hätte kund geben müssen, und er kannte diese selbst noch nicht. So schwieg er seufzend still, und begleitete Corinna auf den Ball, wiewohl es ihn große Ueberwindung kostete.

Zum ersten Mal seit seines Vaters Tode war er wieder in großer Gesellschaft, und das Lärmen solchen Festes machte ihn nur trauriger; mit aufgestütztem Kopf saß er in einem der an den Tanzsaal stoßenden Nebengemächer, und nicht einmal Corinna mochte er tanzen sehen. Er lauschte den rhythmischen Klängen, die, selbst wenn sie der Freude dienen, noch träumerisch machen, wie alle Musik. Graf d'Erfeuil sprach ihn jetzt an und äußerte sich mit berauschtem Entzücken über den Ball, und die zahlreiche Gesellschaft, welche ihn endlich ein wenig an sein Frankreich erinnere. »Ich habe mir alle mögliche Mühe gegeben«, sagte er zu Lord Nelvil, »um diesen Ruinen, von welchen man in Rom so viel spricht, einiges Interesse abzugewinnen; doch kann ich nichts Besonderes daran finden; die Bewunderung solcher mit Dornen bewachsenen Schutthaufen ist ein Vorurtheil. Wenn ich nach Paris komme, werde ich meine Meinung darüber aussprechen, denn es ist Zeit, daß dieser Italien-Schwindel aufhöre. Es giebt in ganz Europa nicht ein, versteht sich: wohlerhaltenes Denkmal, das mir nicht lieber wäre, als diese zerbrochenen Säulen, diese von der Zeit geschwärzten Basreliefs, welche man ja doch nur vermöge großer Gelehrsamkeit bewundern kann. Ein Vergnügen aber, das man erst mit so tiefen Studien erkaufen muß, scheint mir in sich selbst nicht viel Anregendes zu haben. Niemand z. B. hat nöthig, erst über seinen Büchern zu erblassen, um die Genüsse von Paris zu würdigen.« – Lord Nelvil antwortete nicht, und der Graf fragte nun von Neuem, welchen Eindruck Rom auf ihn gemacht habe. »Während eines Balles«, erwiderte Oswald, »ist es wohl nicht an der Zeit, darüber ernsthaft zu reden, und anders, das wissen Sie, kann ich nicht reden.« – »Gut, gut«, rief d'Erfeuil, »ich bin flüchtiger als Sie, das gebe ich zu, vielleicht bin ich aber auch weiser! In meinem anscheinenden Leichtsinn liegt viel Philosophie, denn leicht muß das Leben genommen werden, glauben Sie mir!« – »Sie haben vielleicht Recht«, entgegnete Oswald, »doch sind Sie von Natur, und nicht aus Ueberlegung, so wie Sie sind, und das ist der Grund, weshalb Ihre Weise eben nur für Sie paßt.«

Graf d'Erfeuil hörte im Tanzsaale Corinnens Namen nennen, und er trat hinein, um zu erfahren, um was es sich handle. Auch Lord Nelvil trat bis an die Thür und sah, wie ein schöner Neapolitaner, der Prinz von Amalfi, Corinna bat, die Tarantella, diesen feinen anmuthsvollen, höchst eigenthümlichen Nationaltanz, mit ihm zu tanzen. Corinnens Freunde redeten zu, und sie willigte ein, ohne sich lange bitten zu lassen. Den Grafen d'Erfeuil, der an die Weigerungen gewöhnt war, mit denen man anderswo gebräuchlicher Weise seine Zustimmung einleitet, setzte dies in Erstaunen. Aber in Italien kennt man derartige Zierereien nicht, und Jeder glaubt der Gesellschaft am meisten zu gefallen, wenn er einfach thut, warum sie bittet. Corinna würde dieses natürliche Betragen eingeführt haben, wenn es nicht schon üblich gewesen wäre. Sie trug ein leichtes, wolliges Kleid; ein Netz von italienischer Seide hielt ihr Haar zusammen, und der Ausdruck lebhaftesten Vergnügens in ihren Augen machte sie verführerischer denn je. Oswald war verwirrt davon, war im Streit mit sich selbst; es entrüstete ihn, sich so von einem Zauber fesseln zu lassen, der ihn eher hätte verstimmen sollen, da Corinna nicht um ihm zu gefallen, sondern vielmehr um seiner Herrschaft zu entrinnen, sich so hinreißend zeigte. Aber wer kann der Anmuth widerstehen? Selbst wo sie stolz verschmäht, ist sie noch allmächtig, und stolz verschmähend war sicherlich Corinnens Stimmung nicht. Sie bemerkte Lord Nelvil, erröthete, und ihre Blicke hingen mit bezaubernd-seelenvoller Zärtlichkeit an ihm.

Fürst Amalfi begleitete seinen Tanz mit Castagnetten, während Corinna, nachdem sie vor dem Beginnen die Versammlung hold gegrüßt, das von Amalfi ihr dargebotene Tambourin mit leichter Wendung entgegennahm. Dies Tambourin schwingend, begann sie nun zu tanzen, und alle ihre Bewegungen hatten eine Weichheit, eine Grazie, eine Mischung von Keuschheit und Wollust, die eine Vorstellung von der Macht geben mußten, welche die Bajaderen auf die Fantasie der Inder ausüben, wenn sie wirklich dichterisch tanzen, und durch anmuthvolle Bewegung, durch entzückende Bilder die reichsten Empfindungen ausdrücken.

Corinna kannte alle durch die Maler und alten Bildhauer überlieferten Stellungen sehr genau, und wenn sie ihr Tambourin über dem Kopfe schwang, oder es mit einer Hand vorwärts haltend, die andere mit unglaublicher Schnelligkeit die Schellen durchlaufen ließ, erinnerte sie an die Tänzerinnen von Herculanum, und schuf so für den Stift und die Malerei eine Reihenfolge neuer Vorbilder.[1]

Ihr Tanz zeigte durchaus nicht die, durch Schwierigkeit und Eleganz so ausgezeichnete französische Kunst; Corinnens Weise stand der Fantasie, dem Herzen näher. Der Charakter der Musik wurde abwechselnd durch scharfe Genauigkeit und durch Weichheit der Bewegungen ausgedrückt. Die tanzende Corinna ließ all ihr Gefühl in die Seele der Zuschauer übergehn, als ob sie improvisire, als ob sie Laute spiele, oder irgend welche Gestalten zeichne; für sie wurde eben Alles Sprache; ihr Anblick trieb die Musiker zu vollendeterem Spiel; leidenschaftliche Begeisterung, hochgestimmte Freude entzündete dieser zauberhafte Tanz in allen Anwesenden, und versetzte sie in dichterische Stimmung, in eine geträumte Welt des Glücks.

In der Tarantella ist ein Moment, wo die Tänzerin niederkniet, während der Cavalier sie tanzend umkreiset, wenn nicht als Gebieter, so doch als Sieger. Wie voller lieblicher Würde war sie in dieser Stellung, wie war sie knieend noch Herrscherin! Und als sie sich nun mit jubelndem Schellengetöne erhob, strahlte sie in einer solchen Ueberschwänglichkeit von Leben und Jugend und Schönheit, daß es war, als wolle sie überzeugend verkünden, sie brauche Niemand, um glücklich zu sein. Aber ach! so war es nicht! Oswald fürchtete es nur; er bewunderte Corinna seufzend; ihm schien, daß sie mit jedem ihrer Erfolge ihm weiter entrückt werde. Am Schlusse der Tarantella kniet nun auch der Tänzer nieder. Sie tanzt um ihn herum, und wenn es möglich war, übertraf Corinna sich in diesem Augenblicke selbst. Mit der Schnelligkeit des Blitzes durcheilte ihr flüchtiger Fuß einigemal denselben Kreis, und als sie mit der einen hochgehobenen Hand das Tambourin schwingend, mit der andern dem Fürsten das Zeichen gab, sich zu erheben, waren wohl alle Männer versucht, auf die Kniee zu sinken, wie er. Alle außer Lord Nelvil, der sich um einige Schritte zurückzog, und Graf d'Erfeuil, welcher natürlich einige Schritte vortrat, Corinna Schmeicheleien zu sagen. Die anwesenden Italiener dachten daran, sich durch ihren Enthusiasmus bemerkbar zu machen; sie gaben sich demselben hin, einfach weil sie ihn empfanden. Diese Männer sind nicht so an die Gesellschaft und die von ihr erweckte Eigenliebe gewöhnt, um sich mit dem Eindruck, welchen sie etwa hervorbringen, zu beschäftigen. Eitelkeit macht sie nicht ihrem Vergnügen, noch Beifallsbezeigungen ihrer Natürlichkeit abwendig.

Corinna war über ihren Erfolg sehr erfreut, und dankte nach allen Seiten mit einfacher Unbefangenheit; es fiel ihr nicht ein, verhehlen zu wollen, daß der allgemeine Beifall sie befriedige. Am Meisten wünschte sie jetzt aber, sich durch das Gedränge einen Weg nach jener Thür zu bahnen, an welcher Oswald lehnte. Es gelang ihr endlich; sie blieb einen Augenblick stehen und schien ein Wort von ihm zu erwarten. »Corinna«, sagte, er, und strengte sich an, seine Verwirrung, sein Entzücken und seinen Schmerz zu verbergen, »Corinna, das sind nun viele Huldigungen, das ist ein glänzender Erfolg. Aber findet sich unter all diesen begeisterten Anbetern auch nur ein muthiger und sicherer Freund? Ein Beschützer für das Leben? Und kann der Lärm eitler Beifallsbezeigungen einer Seele wie der Ihrigen genügen?«


[1] Anmerkung der Autorin: Der Tanz der Madame Recamier schwebte mir vor, als ich die Schilderung von Corinnens Weise zu tanzen unternahm.

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12