Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Fünftes Buch: Gräber, Kirchen und Paläste.

Zweites Kapitel

In der Nähe der appischen Straße ließen sich Oswald und Corinna das Columbarium zeigen, wo die Sklaven mit ihren Gebietern vereinigt sind, wo in ein und demselben Grabe Alles, was unter dem Schutze eines einzigen Herrn oder einer Herrin lebte, sich um diese versammelt hat. Livia's Frauen zum Beispiel, die sich der Pflege ihrer Schönheit widmeten, für sie gegen die Zeit kämpften, und den Jahren noch einige ihrer Reize abzustreiten suchten, umgeben in kleinen Aschengefäßen das größere ihrer Herrin. Eine Versammlung von Urnen geringer Todten um die eines Vornehmen gruppirt, der nicht minder schweigt, als sein Gefolge. Nicht weit davon liegt ein Acker, wo die ihren Gelübden untreuen Vestalinnen lebendig begraben wurden: ein auffallendes Beispiel von Fanatismus in einer sonst duldsamen Religion.

»Ich werde Sie nicht in die Katakomben führen«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, »obgleich ein sonderbarer Zufall diese unter die appische Straße legte, so daß also Grüfte auf Grüften ruhen. Jene Zufluchtsstätte der verfolgten Christen hat etwas so Finsteres und Entsetzliches, daß ich mich nicht entschließen kann, noch einmal dahin zurückzukehren: denn ich empfand dort keine süße Schwermuth, wie an freier Grabesstätte, dort liegt der Kerker neben der Gruft, des Lebens Noth neben den Schrecken des Todes. Sicherlich fühlt man ehrfurchtsvolle Bewunderung für jene Menschen, die allein durch die Kraft ihrer glaubensvollen Begeisterung das unterirdische Leben ertrugen, und sich freiwillig von der Natur und dem Sonnenlicht schieden; indeß, es ist beklommen dort unten, und das Kennenlernen dieser Gewölbe kann dem Gemüthe keine Wohlthat sein. Der Mensch ist ein Glied der Schöpfung; er muß mit dem Ganzen des Weltalls in sittlichem Zusammenhange stehn, muß sich einreihen können in des Schicksals herkömmliche Ordnung; und gewisse furchtbare und gewaltsame Ausnahmen mögen wohl den Verstand überraschen, aber sie erschrecken die Einbildungskraft dergestalt, daß die Grundstimmung der Seele dabei verloren geht. Sehen wir uns lieber die Pyramide des Cestius an; die Protestanten, welche in Rom sterben, werden Alle im Kreis um diese Pyramide begraben, es ist eine holde, duldsame und gönnerische Freistätte.« – »Ja«, sagte Oswald, »dort haben auch mehrere meiner Landsleute ihr letztes Bette gefunden. Gehen wir dorthin; vielleicht fügt es sich wenigstens auf diese Weise, daß ich Sie nie zu verlassen brauche.« – Corinna erbleichte, und ihre Hand, die in Lord Nelvils Arm lag, zitterte. »Ich bin wohler, viel wohler, seit ich Sie kenne«, sagte er. Und ihr Gesicht leuchtete wieder in der liebevollen Freundlichkeit, die der gewöhnliche Ausdruck desselben war.

Cestius stand den Spielen der Römer vor; in der Geschichte findet sich sein Name nicht, dies Grabmal aber hat ihn verherrlicht. Die steinerne Pyramide, welche seine Asche birgt, bewahrt seinen Tod vor Vergessenheit, während diese sein Leben völlig zudeckt. Aurelian fürchtete, man könne sich dieser Pyramide als einer Festung zur Belagerung Roms bedienen, und ließ sie deshalb mit in die Mauern hineinziehen, die heute noch vorhanden sind; und, wie Sie sehen, nicht als Ruinen, sondern als Ringmauer des modernen Rom. Man sagt, die auf einem Scheiterhaufen sich erhebende Flamme sei Vorbild für die Pyramidenform gewesen; gewiß ist, daß diese symbolische Form das Auge fesselt, und jeder Landschaft, der sie angehört, einen malerischen Charakter verleiht. Der Pyramide des Cestius gegenüber liegt der Monte Pestaccio, in dessen äußerst kühlen Grotten man während des Sommers Festlichkeiten veranstaltet. In Rom trübt der Anblick der Gräber nicht die frohe Festesstimmung. Auch die Pinien und Cypressen, welche man hie und da in Italiens lachenden Fluren sieht, erwecken feierliche Erinnerungen, und dieser Gegensatz macht dieselbe Wirkung, wie etwa die folgenden Verse des Horaz, die man inmitten von heitern, alle irdischen Freuden preisenden Gedichten antrifft: »Dellius, wir müssen sterben ...... diese Gefilde verlassen, die Behausung und die liebliche Gefährtin.«[1]

Die Alten, sie fühlten es immer, daß die Vorstellung des Todes ihre Süßigkeit habe; die Liebe und die Feste rufen das in die Erinnerung, und der Gedanke an die Kürze des Lebens steigert die fröhliche Lebenslust.

Corinna und Lord Nelvil nahmen ihren Rückweg längs den Ufern des Tiber. Früher war dieser Fluß von Schiffen bedeckt, von Palästen umrändert; früher galten selbst seine Ueberschwemmungen für Weissagungen: er war das prophetische Wasser, die schützende Gottheit Roms.[2] Jetzt sollte man glauben, er fließe in einem Schattenreiche; so einsam ist er, so bleiern die Farbe seiner Wogen! Man hat einst die reichsten Kunstschätze, die wundervollsten Statuen in den Tiber geworfen, – sie liegen alle noch in seinen Fluthen. Wer weiß, ob man nicht, um sie zu suchen, dem Laufe des Flusses künftig einmal ein anderes Bette giebt? Wenn man bedenkt, daß die Meisterwerke des menschlichen Genius hier vielleicht nahe vor uns liegen, daß ein schärferes Auge sie unter den Wassern vielleicht entdecken könnte, empfindet man eine Regung, die sich in Rom unter verschiedener Gestalt unaufhörlich erneuert, und welche dem Gedanken beredte Unterhaltung an Gegenständen gewährt, die in ihrer natürlichen Einfachheit anderswo stumm sind.


[1] Anmerkung des Verlages: – – moriture Delli – – – – – –

– – – – – – – – – – – – Linquenda tellus et domus et placens Uxor.
[2]
Anmerkung der Autorin: Plin. hist. natur. I.III. Tiberis ... quamlibet magnarum navium ex Italo mari capax, rerum in toto orbe nascentium mercator placidissimus, pluribus prope solus quam ceteri in omnibus terris amnes, accolitur, aspiciturque villis. Nullique fluviorum minus licet, inclusis utrinque lateribus: nec tamen ipse pugnat, quanquam creber ac subitis incrementis, et nusquam magis aquis quam in ipsa urbe stagnantibus. Quin imo vates intelligitur potius ac monitor, auctu semper religiosus verius quam saevus.

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