Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Viertes Buch: Rom.
Sechstes Kapitel
Corinna hoffte im Stillen, Oswalds Herz gewonnen zu haben; da sie aber seine Zurückhaltung, seine strengen Grundsätze kannte, hatte sie nicht gewagt, ihm das Interesse, das er ihr einflößte, ganz zu zeigen, wiewohl sie nach ihrem Charakter sehr geneigt war, nichts von ihren Empfindungen verborgen zu halten. Vielleicht auch glaubte sie, daß selbst im Gespräche über Gegenstände, die keine Beziehung zu diesem persönlichen Gefühle hatten, doch ihrer Stimme Klang die gegenseitige Zuneigung einander verrathen, und daß sich in ihren Blicken, wie in jener schwermüthigen und verschleierten Sprache, die so tief die Seele durchdringt, ein stilles Liebesgeständniß aussprechen müsse.
Eines Morgens, als Corinna sich vorbereitete, die Wanderung mit Oswald fortzusetzen, empfing sie ein etwas förmliches Billet von ihm, welches ihr meldete, daß sein schlechter Gesundheitszustand ihn auf einige Tage zu Hause festhalten werde. Eine schmerzliche Unruhe kam über Corinnens Herz; anfangs fürchtete sie, er könne bedenklich krank sein; aber Graf d'Erfeuil, den sie Abends sprach, versicherte sie, daß er von einer jener Schwermuthsanwandlungen befallen sei, an denen er zuweilen leide, und während welcher er Niemand sprechen wolle. »Ich selbst«, fuhr Graf d'Erfeuil fort, »sehe ihn in diesem Zustande nicht.« – Dieses »Ich selbst« mißfiel Corinna sehr, doch hütete sie sich wohl, es den Grafen, als den einzigen Menschen, durch welchen sie Nachricht von Lord Nelvil erhalten konnte, merken zu lassen. Sie befragte ihn, denn sie hoffte, daß ein scheinbar so leichtfertiger Mensch ihr Alles, was er wisse, mittheilen werde. Aber ob er nun durch eine geheimnißvolle Miene verbergen wollte, daß Oswald ihm nichts anvertraut, ob er es für schicklicher hielt, die Antwort zu verweigern, kurz, er setzte Corinnens brennender Neugier plötzlich unerschütterliches Stillschweigen entgegen. Sie, deren Wort über Alle, mit denen sie in Berührung kam, so viel vermochte, konnte nicht verstehen, weshalb ihre Ueberzeugungsmittel auf Graf d'Erfeuil so wirkungslos blieben: wußte sie nicht, daß es auf der Welt nichts Unbeugsameres giebt, als die Eigenliebe?
Welch ein Ausweg blieb denn nun Corinna, um zu erfahren, was in Oswalds Herzen vorging? Ihm schreiben? Zum Schreiben ist so viel abwägende Gemessenheit des Ausdrucks nöthig, und Corinna war grade durch ihre Unbefangenheit so besonders liebenswürdig. Es verflossen drei Tage, während welcher sie, gefoltert von tödtlicher Unruhe, Lord Nelvil nicht sah. – »Was habe ich gethan, um ihn mir zu entfremden?« fragte sie sich. »Ich habe es ihm ja nicht gesagt, daß ich ihn liebe; dieses in England so entsetzliche, in Italien so gern verziehene Unrecht habe ich ja nicht begangen. Hat er es errathen? Aber weshalb sollte er mich darum weniger hochachten ?« – Oswald hatte Corinna nur zu meiden gesucht, weil er sich zu lebhaft von ihrem Zauber angezogen fühlte. Obgleich er nicht sein Wort gegeben, Lucile Edgermond zu heirathen, wußte er doch, daß es seines Vaters Absicht gewesen war, sie ihm zu vermählen, und dieser wünschte er sich zu fügen. Endlich führte Corinna, deren Familiennamen überdies ganz unbekannt geblieben war, seit mehreren Jahren ein sehr unabhängiges Leben; diese Wahl, glaubte Lord Nelvil, hätte schwerlich des Vaters Billigung erhalten, und er fühlte, daß er nicht auf solche Art sein begangenes Unrecht büßen könne. Dies waren die Beweggründe, welche ihm eine größere Zurückhaltung auferlegten. Er hatte sich vorgenommen, Corinna bei seiner Abreise schriftlich zu sagen, was ihn zu derselben nöthige; aber da es schließlich über seine Kraft ging, Rom zu verlassen, beschränkte er sich darauf, sie nicht zu sehen, und auch dieses Opfer schien ihm schon am zweiten Tage schwer genug.
Corinna war von der Besorgniß, daß sie Oswald nicht mehr sprechen werde, daß er ohne Abschied gehen könne, wie betäubt. Sie erwartete in jedem Augenblick die Nachricht seiner Abreise zu erhalten, und diese Furcht steigerte ihre Empfindungen für ihn bis zur höchsten Leidenschaft, – dieser Geiersklave, unter welcher Glück und Unabhängigkeit erliegen. Da es sie in ihrem Hause, das Lord Nelvil nun mied, nicht duldete, irrte sie, mit der Hoffnung, ihm zu begegnen, in Roms öffentlichen Gärten umher. Sie ertrug die Stunden leichter, während welcher der Zufall ihr die Möglichkeit verhieß, ihn anzutreffen. Corinnens glühende Einbildungskraft war die Quelle ihres Talents; aber zu ihrem Unglück mischte sich diese auch ihren persönlichen Empfindungen bei, um sie auf das Schmerzlichste zu steigern.
Am vierten Abend dieser grausamen Abwesenheit lag köstlicher Mondschein über der Stadt – und Rom ist schön im Schweigen solcher Nacht! es scheint dann, als ob nur seine erhabenen Schatten es bewohnten. Corinna, die eben von einer befreundeten Dame heimkehrte, verließ in gequälter Ruhelosigkeit ihren Wagen, um einige Augenblicke neben der Fontana di Trevi zu verweilen, der freigebig-strömenden Quelle, die mitten in Rom, wie das Leben dieses stillen Daseins, pulsirt. Wenn ihr reicher Wasserstrahl einmal inne hält, ist es, als ob Rom in fühlloser Erstarrung liege. In andern Städten ist das Geräusch der Wagen belebend; in Rom aber scheint das Rauschen dieser großartigen Fontaine die nothwendige Begleitung zu der träumerischen Existenz, welche man dort führt. In ihrer klaren Fluth, die so rein ist, daß sie seit Jahrhunderten das »jungfräuliche Wasser« genannt wird, erzitterte jetzt Corinnens Bild. Oswald, der kurz nach ihr an der gleichen Stelle angelangt war, bemerkte nun der Freundin reizvolle, sich in der Welle spiegelnde Gestalt, und wurde dadurch so lebhaft erschüttert, daß er anfangs nicht wußte, ob es nicht blos seine Einbildungskraft sei, die ihm Corinnens Schatten erscheinen lasse. Um besser zu sehen, neigte er sich zu dem Wasser hinab, und sein eigenes Spiegelbild schwankte jetzt neben dem Corinnens. Sie erkannte ihn, stieß einen Schrei aus, flog ihm entgegen, und faßte, als ob sie fürchte, daß er ihr von Neuem verschwinde, seinen Arm; doch kaum hatte sie dieser zu stürmischen Bewegung nachgegeben, als sie sich an Lord Nelvils Denkweise erinnerte, und beschämt über solch leidenschaftliches Verrathen ihres Gefühls die Hand wieder sinken ließ; sie verhüllte das Gesicht, um ihre Thränen zu verbergen.
– »Corinna«, sagte Oswald, »theure Corinna, meine Abwesenheit hat Sie unglücklich gemacht?« – »Ach, ja!« antwortete sie, »und Sie wußten das! Warum thun Sie mir weh? Habe ich's verdient, durch Sie zu leiden?« – »Nein!« rief Lord Nelvil, »o, wahrlich nein! Aber da ich mich nicht für frei halte, da mein Herz von Unruhe und Reue gequält ist, warum soll ich Sie in diesen Wirbel von Bekümmernissen aller Art hineinziehen? Warum ...« – »Es ist zu spät«, unterbrach ihn Corinna, »der Schmerz ist eingezogen, er wohnt schon in meiner Brust; schonen Sie mich.« – »Sie, voller Schmerz?« erwiderte Oswald, »Sie, mit hohem Geist begabt, inmitten einer von so vielem Erfolge glänzenden Laufbahn – Sie voller Schmerz?« – »O, schweigen Sie!« rief Corinna, »Sie kennen mich nicht. Von allen meinen Fähigkeiten ist die mächtigste die, zu leiden. Ich bin für das Glück geboren, mein Charakter ist vertrauend, mein Seelenleben reich; aber das Leid stürmt in mir ich weiß nicht was für furchtbare Gewalten auf, die meine Vernunft verwirren, oder mir den Tod geben können. Ich wiederhole Ihnen noch einmal, schonen Sie mich. Heiterkeit und Regsamkeit helfen mir nur scheinbar, und es giebt in meiner Seele Abgründe von Traurigkeit, vor denen ich mich nur hüten konnte, wenn ich mich vor der Liebe hütete.«
Corinna hatte in erschütterndem Ton geredet. – »Ich werde Sie morgen früh wiedersehen, Corinna«, sagte Oswald, »zweifeln Sie nicht daran.« – »Schwören Sie es mir?« fragte sie mit einer Unruhe, die sie umsonst zu verbergen strebte. – »Ja, ich schwöre es!« rief Lord Nelvil, und verschwand.