Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Viertes Buch: Rom.
Fünftes Kapitel
Nach der Besichtigung des Kapitols und des Forums brachten Oswald und Corinna zwei Tage damit zu, die sieben Hügel zu durchwandern. Die Römer der Vorzeit begingen zu Ehren derselben ein bestimmtes Fest: diese in seine Ringmauern eingeschlossenen Berge sind eine der eigenartigsten Schönheiten Roms, und man begreift leicht, wie die Heimatsliebe sich darin gefiel, solche Eigenthümlichkeit zu feiern.
Oswald und Corinna hatten am vorhergehenden Tage den capitolinischen Berg gesehen, und begannen nun ihre Reise mit dem Palatin. Der Palast der Cäsaren, der goldene genannt, nahm einst die ganze obere Fläche dieses Hügels ein; heute zeigt er nichts, als die Ueberreste jenes Königssitzes. Seine vier Seiten wurden von Augustus, Tiberius, Caligula und Nero erbaut, und nun ist einiges mit üppigem Unkraut bedeckte Gemäuer Alles, was davon geblieben. Die Natur hat über die Menschenarbeit wieder Macht gewonnen, und die Schönheit ihrer Blumen tröstet für den Verfall der Königsburgen. Zur Zeit der Könige und der Republik verwendete man nur auf die öffentlichen Gebäude vielen Luxus. Die Häuser der Bürger waren klein und sehr einfach. Cicero, Hortensius, die Gracchen wohnten auf dem Palatin, der zur Zeit des römischen Verfalls kaum für das Bedürfniß eines Einzigen ausreichte. In den letzten Jahrhunderten war die Nation nichts, als eine namenlose, nur durch die Aera des Herrschers bezeichnete Masse. Vergebens sucht man auf dieser Stätte die beiden Lorbeerbäume, welche Augustus vor seiner Thür pflanzte: den Lorbeer des Krieges und den, vom Frieden gepflegten der schönen Künste; beide sind verschwunden.
Auf dem palatinischcn Berg sind noch einige Badezimmer der Livia vorhanden; man zeigt in diesen die Stellen, wo die kostbaren Steine befestigt waren, welche damals als ein gewöhnlicher Schmuck an Deckengewölben verwendet wurden, ferner auch Wandmalereien, deren Farben noch ganz unversehrt sind. Die Unbeständigkeit der Farben vergrößert unser Erstaunen, sie hier so erhalten zu sehen; es ist, als sei uns die Vergangenheit näher gerückt. Wenn es wahr ist, daß Livia die Tage des Augustus abkürzte, dann wurde das Verbrechen in einem dieser Gemächer ersonnen, und die Blicke des in seinen innersten Neigungen verrathenen Herrschers hefteten sich vielleicht auf eines dieser Bilder, deren zierliche Blumen noch heute blühen. Was hielt er im Alter von dem Leben und dessen Herrlichkeiten? Gedachte er seiner Verbannung oder seines Ruhmes? Fürchtete er – hoffte er ein Jenseits? Und der letzte Gedanke, der dem Menschen Alles offenbart, der letzte Gedanke des Weltenbeherrschers – irrt er vielleicht noch an diesen Gewölben umher?[1]
Der aventinische Berg zeigt die zahlreichsten Spuren der ältesten römischen Geschichte. Dem, von Tiberius erbauten Palast gegenüber liegen die Ueberreste eines Tempels der Freiheit, welchen der Vater der Gracchen erbaute. Am Fuß des Aventin stand ein Tempel, den Servius Tullius der Fortuna Virilis weihte, um den Göttern zu danken, daß er, der als Sklave geboren, zur Königswürde emporgestiegen war. Außerhalb der Mauern Roms findet man auch die Ruinen eines Tempels, den man der Fortuna Muliebris errichtete, als Veturia's Flehen ihren Sohn Coriolan überwunden hatte. Nahe vom aventinischen Berg ist der Ianiculus, wo Porsenna mit seinem Heere Stellung nahm, und im Angesichte dieses Hügels ließ Horatius Cocles die einzige über den Tiber nach Rom führende Brücke hinter sich abbrechen. Die Fundamente dieser Brücke sind noch vorhanden; am Ufer des Flusses steht ein Triumphbogen, der, aus Backsteinen erbaut, so einfach ist, wie die Handlung groß ist, an die er erinnern soll; er wurde, sagt man, dem Horatius Cocles zu Ehren errichtet. Inmitten des Tiber bemerkt man eine Insel, die aus Getreidegarben von den Feldern des Tarquin entstand. Man hatte dieselben lange Zeit, für Jedermann zugänglich, am Flusse liegen lassen; aber das römische Volk wollte sie nicht nehmen, weil es glaubte, daß ein Fluch darauf ruhe. Man würde heutzutage Mühe haben, Reichthümer so wirksam zu verfluchen, daß Niemand etwas davon wissen möchte.
Auf dem aventinischen Berg standen auch die Tempel der Pudor Patricia und der Pudor Plebeja, und am Fuße desselben der Tempel der Vesta, der noch völlig erhalten ist, obgleich die Überschwemmungen des Tiber ihn oft bedrohten.[2] Nicht weit davon sind die Ruinen eines Schuldgefängnisses, wo sich, wie man sagt, jener allgemein bekannte, schöne Zug von Kindesliebe zugetragen. An eben dieser Stelle geschah es auch, daß Clelia und ihre Gefährtinnen, als Geißeln des Porsenna, durch den Tiber schwammen, um die Römer zu erreichen. Der aventinische Berg läßt die Seele von all den peinlichen Erinnerungen ausruhen, welche die andern Hügel hervorrufen, und sein Anblick ist schön, wie die Vergangenheit, von der er redet. Dem Saum des Flusses, welcher sich an seinem Fuße hinzieht, hatte man die Benennung des »schönen Ufers« ( pulchrum littus) gegeben. Hier lustwandelten Roms große Redner, wenn sie aus dem Forum kamen; hier begegneten sich Cäsar und Pompejus als einfache Bürger, und suchten Cicero zu gewinnen, dessen unabhängige Beredsamkeit ihnen damals mehr galt, als selbst die Macht eines Heeres.
Auch die Dichtkunst tritt hinzu, um diesen Ort zu verherrlichen. Virgil verlegt die Höhle des Cacus auf den aventinischen Berg; und die, durch ihre Geschichte schon so großen Römer sind auch durch die Heldensagen noch interessant, mit denen die Dichter ihren mährchenhaften Ursprung geschmückt haben. Endlich bemerkt man, beim Niedersteigen vom Aventin, das Haus des Nicola Rienzi, der sich vergeblich bemühte, das Alterthum in der neuern Zeit wieder aufleben zu machen; und wie gering diese Erinnerung neben den andern sei, auch sie giebt noch viel zu denken. Der Berg Cölius ist durch das Lager der Prätorianer und der fremden Söldlinge merkwürdig geworden. Unter den Trümmern des zur Aufnahme dieser Schaaren bestimmten Gebäudes fand man diese Inschrift: »Dem heiligen Genius der fremden Kriegsvölker«, für Solche in der That heilig, deren Macht er stützte! Was von diesen alten Kasernen bleibt, läßt schließen, daß sie in der Weise der Klöster gebaut waren, oder vielmehr, daß man die Klöster nach ihrem Vorbild einrichtete.
Der esquilinische Berg hieß der Berg der Dichter, weil der Palast des Mäcenas auf diesem Hügel lag, und auch Horaz, Properz und Tibull dort wohnten. In der Nahe sind die Ruinen der Thermen des Titus und Trajan. Man sagt, daß aus den ersteren Raphael die Muster zu seinen Arabesken nahm. Hier hat man auch die Gruppe des Laokoon gefunden. Die Kühle des Wassers ist in den heißen Ländern so überaus wohlthuend, daß man es liebte, in den Orten, wo man badete, alles Gepränge des Luxus, alle Freuden des Kunstgenusses zu vereinigen. Die Römer stellten hier die Meisterwerke der Malerei und Bildhauerkunst auf und bewunderten die letzteren bei künstlichem Licht; denn nach der Einrichtung dieser Gebäude scheint es, daß sie dem Tageslicht wenig oder gar nicht zugänglich waren und daß man sich auf diese Art vor den stechenden Strahlen der südlichen Sonne schützte, – welche Strahlen man in der Vorzeit die Pfeile des Apollo nannte. Wenn man die äußerst sorgfältigen Vorkehrungen sieht, welche die Alten gegen die Hitze anwendeten, möchte man glauben, das Klima sei damals viel glühender noch als in unsern Tagen gewesen. In den Thermen des Caracalla standen der farnesische Hercules, die Flora und die Gruppe der Dirke. Nahe von Ostia fand man in den Bädern des Nero den Apoll von Belvedere. Läßt sich's begreifen, daß Nero nicht einige menschliche Regungen beim Anblick dieser edlen Gestalt empfand?
Die Thermen und Amphitheater sind die einzigen Gebäude, die in Rom zu öffentlichen Unterhaltungen gedient haben, und von denen noch Spuren geblieben. Es giebt kein anderes Theater, außer dem des Marcellus, dessen Ruinen noch vorhanden wären. Plinius erzählt, man habe dreihundertundsechzig Marmorsäulen und dreitausend Standbilder in einem Theater gesehen, das nur wenige Tage stehen sollte. Bald errichteten die Römer so dauerhafte Bauten, daß sie den Erdbeben trotzten, bald gefielen sie sich darin, ungeheure Kosten und Arbeitskräfte an Gebäude zu setzen, die sie nach beendigter Festlichkeit selbst zerstörten: so spielten sie in jeder Gestalt mit der Zeit. Das Römervolk hatte überdies nicht die Leidenschaft der Griechen für dramatische Vorstellungen; in Rom blühten die schönen Künste nur durch die Werke und Künstler Griechenlands, und die römische Größe kam hauptsächlich und viel mehr durch die riesenhafte Pracht der Architektur, als in Meisterwerken von eigener Erfindung zum Ausdruck. Durch diesen ungemessenen Luxus, durch diese Wunder des Reichthums geht ein großer Zug imponirender Würde: es ist nicht mehr Freiheit, aber immer noch Macht. Die den öffentlichen Bädern gewidmeten Bauten benannte man nach Provinzen; es war dort ein Zusammenfluß der verschiedenen Produkte und Anstalten, wie sie sonst nur ein ganzes Land aufweisen kann. Der »Circus Maximus«, dessen Trümmer man noch sieht, lag so dicht unter dem Palast der Cäsaren, daß Nero von seinem Fenster aus das Zeichen zum Anfang der Spiele geben konnte. Er war groß genug, um dreimalhunderttausend Menschen zu fassen. Beinahe das ganze Volk versammelte sich also gleichzeitig zu einer und derselben Lustbarkeit; diese ungeheuren Feste waren als eine Art volksthümlicher Einrichtung zu betrachten, die alle Bürger nun zu Vergnügungen vereinigte, wie sie sich ehemals um des Ruhmes willen zusammen geschaart hatten.
Der quirinalische und viminalische Berg sind einander so nahe, daß es schwer ist, sie zu sondern: hier war das Haus Sallusts, und das des Pompejus, und hier hat auch der Papst jetzt seine Residenz. Man kann nicht einen Schritt in Rom thun, ohne die Vergangenheit der Jetztzeit, ohne die verschiedenen Vergangenheiten unter sich gegeneinander zu halten. Wenn man auf die ewige Bewegung in der Menschengeschichte sieht, lernt man, sich über die Ereignisse seiner Zeit beruhigen; und man empfindet eine Art von Scham, sich angesichts so vieler Jahrhunderte, die alle das Werk ihrer Vorgänger umstürzten, durch kleinliche Verlegenheiten des Tages noch aufregen zu lassen.
Neben den sieben Hügeln, wie auf ihren Abdachungen und ihren Gipfeln, erheben sich eine Menge Glockentürme, Obelisken, die Säule des Trajan, die antoninische Säule, der Thurm der Conti, von welchem, wie behauptet wird, Nero den Brand Roms bewunderte, und endlich die Kuppel von St. Peter, die alles Beherrschende beherrscht. Es ist, als ob die Luft von diesen zum Himmel aufstrebenden Denkmalen bevölkert sei, als ob über der Erdenstadt eine zweite, den Wolken gehörige, schwebe.
In das bewohnte Rom zurückgekehrt, ging Corinna mit Oswald nach der Säulenhalle der Octavia, dieser Frau, die so viel geliebt und so viel gelitten; dann fuhren sie durch die Via scelerata, jene berüchtigte Straße, durch welche die frevelnde Tullia raste, als sie ihres Vaters Körper den Hufen ihrer Rosse preis gab; in der Entfernung sieht man einen Tempel, den Agrippina zu Ehren des von ihr vergifteten Claudius errichten ließ; und endlich führt der Weg an dem Grabe des Augustus vorüber, dessen Inneres heutzutage den Stiergefechten dient. »Wir haben einige Fährten der alten Geschichte sehr schnell verfolgt«, sagte Corinna zu Lord Nelvil, »aber Sie begreifen das Vergnügen, welches man in diesen Nachforschungen findet, die ebenso gelehrt als poetisch sind, und sich an die Fantasie, wie an das Nachdenken wenden. Es giebt in Rom viel ausgezeichnete Gelehrte, deren einzige Beschäftigung es ist, neue Beziehungen zwischen der Geschichte und diesen Ruinen zu entdecken.« – »Ich wüßte kein Studium, das mehr meine Theilnahme fesseln könnte, als dieses«, erwiderte Lord Nelvil, »wenn ich sonst nur die Sammlung hätte, mich ihm hinzugeben; diese Art von Gelehrsamkeit ist viel belebter, als die aus Büchern geschöpfte; man glaubt das Entdeckte selber wieder ins Leben gerufen zu haben, man glaubt die Vergangenheit, unter dem Staub, der sie verschüttete, hervorzugraben.« – »Gewiß«, entgegnete Corinna, »und dies leidenschaftliche Sichversenken in die große Vorzeit ist kein eitles Vorurtheil. Wir leben in einem Jahrhundert, in welchem persönlicher Vortheil der einzige Grundzug aller Handlungen ist; und welche Sympathien, welchen Aufschwung, was für eine Begeisterung kann denn die Selbstsucht aufkommen lassen? Es ist süßer, sich in diese Tage der Hingebung, der Aufopferung, des Heldenthums zurückzuträumen, die doch einmal da waren, und deren ehrwürdige Spuren die Erde noch heute trägt.«
[1] Anmerkung der Autorin:
Carpite nunc, tauri, de septem collibus herbas,
Dum licet. Hic magnae jam locus orbis erit. Tibullus
Hoc quodcunque vides, hospes, quam maxima Roma est,
Ante Phrygem Aenean collis et herba fuit etc.
Propert. lib IV. et I.
[2] Anmerkung des Verlages: Vidimus flavum Tiberim etc.