Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Viertes Buch: Rom.
Zweites Kapitel
Oswald und Corinna gingen zuerst nach dem Pantheon, das man heute Santa Maria della Rotonda nennt. Der Katholicismus hat in Italien überall vom Heidenthum geerbt; und in Rom ist das Pantheon der einzige, vollkommen erhaltene Tempel, der einen Gesammteindruck von der Schönheit antiker Baukunst und von dem besonderen Charakter des Kultus der Alten giebt. Oswald und Corinna ließen auf dem Platze vor dem Pantheon halten, um die Vorderseite des Tempels und ihren Säulenschmuck bewundern zu können.
Corinna machte Lord Nelvil darauf aufmerksam, daß der Bau nach Regeln aufgeführt sei, die seine Verhältnisse größer erscheinen lassen, als sie sind. »Von der Peterskirche«, sagte sie, »werden Sie hierin den entgegengesetzten Eindruck empfangen; sie scheint anfangs nicht so umfangreich, als sie wirklich ist. Die, dem Pantheon so günstige Täuschung rührt, wie versichert wird, davon her, daß die Säulen in besonders weitem Zwischenraum, also freier, stehen, und von der Abwesenheit aller kleinen Ornamentik, mit welcher der Dom von St. Peter überladen ist. Mit dem Pantheon ist es dasselbe wie mit der antiken Poesie, die auch nur die großen Umrisse zieht, und dem Gedanken des Hörers das Dazwischenliegende auszufüllen überläßt. Wir von Heute, wir sagen nach allen Richtungen hin zu viel! Dieser Tempel«, fuhr Corinna fort, »wurde von Agrippa, dem Günstlinge des Augustus, diesem seinem Freunde und Herrn gewidmet. Augustus indessen war doch bescheiden genug, um die Zueignung abzulehnen, und Agrippa weihte darauf den Tempel allen Göttern des Olymps. Oben auf dem Pantheon stand damals ein eherner Triumphwagen, mit den Statuen des Augustus und des Agrippa; noch einmal, nur in anderer Gestalt und Auffassung, befanden sich dieselben Standbilder zu beiden Seiten des Portikus, und noch jetzt liest man an dem Frontispiz des Tempels: »Dem Augustus von Agrippa geweiht.« Augustus führte eine neue Epoche für den menschlichen Geist herauf, und verlieh so seinem Zeitalter seinen Namen. Die verschiedenen Meisterwerke der Zeitgenossen bildeten gewissermaßen die einzelnen Strahlen seiner Ruhmesglorie. Er verstand es klug, die genialen Männer der Wissenschaft zu ehren; denn er wußte es: sein Ruhm war dadurch in der Nachwelt um so mehr gesichert.
»Treten wir in den Tempel«, sagte Corinna, »Sie sehen, er ist noch offen und ohne Decke, wie er im Alterthum war. Man sagt, daß dieses von oben hereinströmende Licht sinnbildlich die allen Göttern überlegene höchste Gottheit darstellen sollte. Die Heiden haben immer den symbolischen Ausdruck geliebt, und es scheint wirklich, als ob solche Sprache der Religion geziemender sei, als das Wort. Der Regen fällt oft in diesen marmornen Vorhof, aber auch die Sonnenstrahlen beleuchten verklärend die Betenden. Welche Heiterkeit, welche Festesmiene hat dieser Tempel! Die Heiden vergöttlichten das Leben, die Christen verherrlichen den Tod, das ist der Geist der beiden Gottesverehrungen. Indessen unser südlicher Katholicismus ist weniger düster, als der des Nordens. Sie werden das in der Peterskirche recht bemerken. In dem innersten Heiligthum des Pantheon befinden sich die Büsten unserer berühmtesten Künstler; sie schmücken diese Nischen, in denen einst die Götterbilder der Alten standen. Da wir seit der Zerstörung des cäsarischen Reiches fast niemals eine politische Unabhängigkeit in Italien hatten, findet man hier weder Staatsmänner, noch große Feldherren. Nur der Genius der schaffenden Künste verleiht uns Ruhm; aber meinen Sie nicht, Mylord, daß ein Volk, welches so seine Talente ehrt, eines besseren Schicksals würdig sei?« – »Ich denke streng über Nationen«, antwortete Oswald, »und glaube, daß sie immer ihr Loos verdienen, welches dies auch sei!« – »Das ist hart«, entgegnete Corinna, »vielleicht würden Sie, wenn Sie hier lebten, sich eines Gefühls der Rührung für dieses schöne Land nicht erwehren können, das die Natur wie ein Opfer geschmückt zu haben scheint. Wenigstens erinnern Sie sich, daß wir Künstler, wir Liebende des Ruhms, keine theurere Hoffnung hegen, als hier einen Platz zu erhalten. Ich habe mir den meinen schon ausgewählt«, sagte sie, indem sie auf eine noch leere Nische zeigte. »Wer weiß, Oswald, ob Sie nicht noch einst diesen Raum betreten, wenn meine Büste hier steht? Dann – –.« Oswald unterbrach sie lebhaft: »Sie, die Sie in Jugend und Schönheit glänzen, wie können Sie so zu einem Manne sprechen, den Unglück und Gram dem Grabe zuneigen?« –»Ach«, rief Corinna, »der Sturm kann in einem Augenblick die Blumen entblättern, welche das Haupt jetzt noch hoch tragen. Oswald, theurer Oswald«, fuhr sie fort, »warum sollten Sie nicht glücklich sein? warum –« »Fragen Sie nicht«, antwortete Lord Nelvil, »Sie haben Ihre Geheimnisse, ich die meinigen; ehren wir gegenseitig unser Stillschweigen. Nein, nein, Sie wissen nicht, welche Erschütterung mir das Erzählen meines Unglückes bereiten würde!« Corinna schwieg, und als sie aus dem Tempel trat, war ihr Schritt langsamer, ihr Auge träumerischer.
Unter dem Portikus wendete sie sich zurück. »Hier«, sagte sie, »stand eine porphyrne Urne von großer Schönheit; man hat sie nach der Laterankirche gebracht. Sie enthielt die Asche Agrippa's, die zu Füßen des Standbildes ruhte, das er sich selbst errichtet hatte. Die Alten bemühten sich sorgfältig, mit dem Gedanken des Todes zu versöhnen, und suchten Alles zu entfernen, was er Trauriges und Abschreckendes hat. Auf ihre Grabstätten verwendeten sie eine Pracht, die den Abstand von des Lebens Glanz zur Todesnacht weniger fühlbar machen sollte. Sie hofften freilich nicht so sicher, als wir, auf ein anderes Leben; darum strebten sie so eifrig, dem Tode die Fortdauer des Andenkens an ihre Dahingegangenen abzukämpfen, während wir uns gern und furchtlos in dem Schooß des Ewigen verlieren.« Oswald seufzte und schwieg. Schwermüthige Gedanken haben viel Anziehendes, so lange man selbst noch nicht tiefunglücklich war; aber wenn erst der Schmerz, mit all seiner Herbigkeit sich unserer Seele bemächtigte, dann kann man gewisse Worte, die früher nur etwas mehr oder weniger sanfte Trauer in uns hervorriefen, nicht mehr ohne tiefe Erschütterung vernehmen.