Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Viertes Buch: Rom.

Erstes Kapitel

Vierzehn Tage verstrichen, in denen Lord Nelvil sich nur Corinna widmete. Nur um ihretwillen ging er aus; er suchte, er dachte nichts, als sie; und ohne ihr jemals von seiner Liebe zu sprechen, durfte Corinna sie ahnen und sich derselben freuen. An die feurigen und schmeichelhaften Huldigungen der Italiener war sie gewöhnt; aber Oswalds stolze, formvolle Würdigkeit, seine scheinbare Kälte, sein tiefes Empfinden, das er oft, ohne es zu wollen, verrieth, übten auf Corinnens Einbildung einen mächtigen, bestrickenden Reiz. Er flößte ihr ein Gefühl der Ehrfurcht ein, wie sie es lange nicht empfunden. Geist, auch der hervorragendste, konnte sie nicht in Erstaunen setzen; aber Hoheit und Vornehmheit des Charakters wirkten überwältigend auf sie. Lord Nelvil verband mit diesen Eigenschaften einen Adel des Betragens, eine Gewandtheit des Ausdrucks, die in starkem Gegensatz zu der nachlässigen Vertraulichkeit der meisten römischen Großen standen.

Wenngleich Oswalds Sinnesart in mancher Beziehung von der Corinna's abwich, so verstanden sie einander doch in wunderbarer Weise. Lord Nelvil errieth Corinnens Eindrücke mit Scharfsinn, und sie entdeckte bei der leichtesten Veränderung seiner Züge, was in ihm vorging. An die stürmischen Aeußerungen italienischer Leidenschaft gewohnt, bereitete diese stolze und schüchterne Anhänglichkeit, diese unaufhörlich bewiesene und niemals bekannte Liebe einen ganz neuen Reiz über ihr Leben. Sie kam sich vor wie umfangen von einer milderen, reineren Luft, und jeder Augenblick des Tages gab ihr ein Gefühl von der Allgegenwart des Glückes, dem sie sich sorglos überließ, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben.

Eines Morgens kam Fürst Castel-Forte zu ihr. Er war traurig, und sie fragte, weshalb er es sei. »Dieser Schotte«, sagte er, »raubt uns Ihre Zuneigung, und wer weiß, ob er Sie selbst uns nicht hinwegführen wird!« – Corinna schwieg einige Augenblicke, dann antwortete sie: »Ich versichere Sie, daß er mir nie von Liebe gesprochen hat.« – »Und doch sind Sie seiner Liebe gewiß«, erwiderte der Fürst; »er spricht durch sein Betragen zu Ihnen, und selbst sein Schweigen ist ein geschicktes Mittel, Sie zu gewinnen. Was könnte man Ihnen denn auch sagen, das Sie noch nicht gehört hätten? Welches Lob wurde Ihnen noch nicht gesungen? An welche Anbetung sind Sie noch nicht gewöhnt? Aber in Lord Nelvils Charakter ist etwas Zurückgehaltenes, etwas Verschleiertes, das Ihnen nie gestatten wird, ihn so vollkommen zu kennen, wie Ihnen das bei uns Anderen möglich ist. Sie sind die am leichtesten zu durchschauende Frau von der Welt; aber eben deshalb, weil sie sich gern ganz so zeigen, wie Sie sind, werden Sie von Geheimniß und Undurchsichtigkeit angezogen und beherrscht. Das Unbekannte hat mehr Gewalt über Sie, als alle, noch so treu bewiesene Anhänglichkeit.« – Corinna lächelte. »Sie glauben also, theurer Fürst, daß mein Herz undankbar, mein Geschmack launenhaft sei? Es scheint mir aber doch, als ob Lord Nelvil genug seltene Eigenschaften besitze, die zuerst und allein entdeckt zu haben ich mir nicht schmeicheln darf.« – »Er ist, ich gebe das Alles zu, ein stolzer, großmüthiger, geistreicher, selbst gefühlvoller Mann, und besonders ist er melancholisch! Aber wenn ich mich nicht sehr irre, besteht zwischen seinen und Ihren Neigungen keine Verwandtschaft. So lange er unter dem Zauber Ihrer Gegenwart ist, werden Sie das nicht gewahren; aber von Ihnen entfernt, würde Ihre Macht ihn nicht halten. Hindernisse dürften ihn ermüden; durch den erlittenen Kummer hat sich seiner eine gewisse Muthlosigkeit bemächtigt, welche die Kraft seiner Entschlüsse beeinträchtigen muß; und Sie wissen überdies, wie sehr im Allgemeinen die Engländer an den Sitten und Gewohnheiten ihres Landes hängen.«

Auf diese Mahnung schwieg Corinna und seufzte. Eine peinigende Rückerinnerung an ihre früheren Lebensverhältnisse quälte sie den Tag hindurch; doch Abends sah sie Oswald ihr mehr denn je ergeben, und Alles, was folglich von des Fürsten Gespräch in ihrem Gedächtnisse zurückblieb, war der Wunsch, Lord Nelvil an Italien zu fesseln, indem sie ihn die mannigfache Schönheit dieses Landes lieben lehrte. In solcher Absicht schrieb sie ihm den folgenden Brief. Die Freiheit der römischen Lebensformen entschuldigte den Schritt; und Corinna insbesondere hatte sich in ihrer Unabhängigkeit viel Würde, in ihrer Lebhaftigkeit viel Anstand zu erhalten gewußt.

Corinna an Lord Nelvil.

Den 15. December 1734.

»Ich weiß nicht, Mylord, ob Sie mich zu selbstvertrauend finden, oder ob Sie den Gründen, welche dieses Vertrauen entschuldigen, Gerechtigkeit widerfahren lassen werden: Gestern hörte ich Sie sagen, daß Sie noch nichts von Rom gesehen, daß Sie weder die Meisterwerke unserer Kunst, noch auch die großen Ueberreste kennen, an denen wir, vermöge der Fantasie und des Zurückempfindens, Geschichte lernen. So wage ich denn nun den gestern gefaßten Gedanken auszuführen, und biete mich Ihnen für diese Wanderschaft durch die Vergangenheit als Führer an.

»Ohne Zweifel mag Rom eine große Anzahl von Fachmännern aufweisen, deren tiefe Gelehrsamkeit Ihnen sehr viel nützlicher werden könnte. Aber wenn es mir gelingt, Ihnen diesen Aufenthalt, zu welchem ich mich immer so allmächtig hingezogen fühlte, werth zu machen, dann werden Ihre eigenen Studien vollenden, was meine unvollkommene Skizze begonnen hatte.

»Viele Fremde kommen nach Rom, wie sie nach London, wie sie nach Paris gehen: um die Zerstreuungen einer großen Stadt zu suchen; und wenn sie es nachher nur einzugestehen wagten, würden die meisten es zugeben, daß sie sich in Rom gelangweilt haben. Dennoch giebt es hier einen Zauber, dessen man niemals müde wird. Verzeihen Sie es mir, Mylord, wenn ich wünsche, daß dieser Zauber Ihnen geoffenbaret werde? »Allerdings hat man hier keine politischen Interessen zu verfolgen: doch wenn diese nicht mit den Pflichten der heiligen Vaterlandsliebe verbunden sind, erkälten sie das Herz. Auch den sogenannten Freuden der Gesellschaft muß man entsagen: aber solche Vergnügungen ermüden fast immer den Geist! Man erfreut sich in Rom eines zugleich einsamen und angeregten Daseins, das Alles, was der Himmel uns verliehen, zu freier Entfaltung bringt. Ich wiederhole es, Mylord, verzeihen Sie mir diese Vorliebe für mein Heimatland, die mich wünschen läßt, es von einem Manne, wie Sie, gewürdigt zu sehen; und beurtheilen Sie die Beweise von Wohlwollen, welche eine Italienerin geben zu dürfen glaubt, ohne sich in Ihren Augen, noch in den eigenen, etwas zu vergeben, nicht mit der strengen Gemessenheit eines Engländers.

Corinna.«

Umsonst hatte Oswald es läugnen wollen: er war durch den Empfang dieses Briefes lebhaft gerührt. Er verhieß ihm glückreiche Tage. Fantasie, Begeisterung, Liebe, Alles, was es Göttliches in der Menschenseele giebt, schien sich ihm in diesem köstlichen Plane einer gemeinschaftlichen Durchwanderung Roms vereinen zu wollen. Dieses Mal überlegte er nicht, sondern ging sogleich Corinna aufzusuchen; unterwegs schaute er heiteren Blickes zum Himmel empor, er empfand das schöne Wetter und das Leben dünkte ihm leicht! Kummer und Besorgnisse verschleierte jetzt das holde Gewölk der Hoffnung; das, von drückender Trauer lange geängstigte Herz klopfte und zitterte vor Freude; und eben die Erkenntniß, daß solche Stimmung nicht dauern könne, gab diesem Glücksfieber noch besondere Kraft und Anspannung.

»Sie kommen?« sagte Corinna, als sie Lord Nelvil eintreten sah; »o, dafür danke ich Ihnen!« – Sie reichte ihm die Hand; Oswald drückte sie mit lebhafter Zärtlichkeit an die Lippen, und fühlte in jenem Augenblick nicht jene quälende Schüchternheit, die sich so oft in seine besten Empfindungen mischte, und ihm den Verkehr, selbst mit den Geliebtesten, peinlich erschwerte. Das Vertrauen zwischen Oswald und Corinna hatte nun begonnen, ihr Brief es begründet; sie waren Beide zufrieden und empfanden für einander liebevolle Dankbarkeit.

»So zeige ich Ihnen heute das Pantheon und die St. Peterskirche«, sagte Corinna. »Ich hoffte es wohl«, fügte sie lächelnd hinzu, »daß Sie die gemeinschaftliche Reise nicht ablehnen würden; meine Pferde stehen deshalb auch bereit. Wir wollen aufbrechen.« – »O, wunderbare Frau!« rief Oswald, »wie soll ich Sie begreifen, was sind Sie nur? Woher kommen Ihnen so vielseitige Eigenschaften, die scheinbar einander ausschließen: Empfindung, Heiterkeit, Gedankentiefe, Anmuth, Hingebung, Bescheidenheit? Sind Sie ein Traumgebild? sind Sie dem Dasein dessen, der Ihnen begegnet, ein überirdisches Glück?« – »O! glauben Sie auch nicht, daß ich darauf verzichtete, etwas zu Ihrem Glücke beizutragen, wenn ich die Macht dazu hätte.« – »Seien Sie vorsichtig«, erwiderte Oswald, indem er voller Bewegung Corinnens Hand ergriff, »seien Sie mit dem Guten, das Sie mir angedeihen lassen wollen, vorsichtig. Seit zwei Jahren drückt mich des Geschickes eiserne Hand zu Boden; was soll aus mir werden, wenn ich in die gegebenen Verhältnisse wieder zurück muß, nachdem Ihre süße Gegenwart mir Erleichterung gab, nachdem ich neben Ihnen wieder athmen lernte; was soll dann aus mir werden?« – »Lassen wir die Zeit entscheiden«, sagte Corinna, »ob der augenblickliche Eindruck, den ich auf Sie gemacht, länger als einen Augenblick dauern wird. Wenn unsere Seelen sich umfassen, kann diese gegenseitige Neigung keine vorübergehende sein. Wie sich das auch füge, jetzt wollen wir miteinander Alles bewundern, was uns Geist und Herz erheben kann; wir werden so immerhin einige Stunden reinsten Glückes genießen.« – Mit diesen Worten stieg sie die Stufen hinunter, und Lord Nelvil folgte ihr, über ihre Antwort erstaunt. Es schien ihm, als ob sie die Möglichkeit eines halben Gefühls, einer vorübergehenden Anziehung zulasse; auch glaubte er in ihrer Ausdrucksweise etwas Leichtfertiges zu finden, und war davon verletzt.

Schweigend nahm er neben Corinna im Wagen Platz, und diese, den Grund seiner Verstimmung errathend, fuhr nun fort: »Ich halte unser Herz nicht für so beschaffen, daß es entweder ganz liebeleer, oder von der unbezwinglichsten Leidenschaft erfüllt sein müsse. Es giebt Anfänge des Liebens, die eine strenge Prüfung wieder vernichten kann; und die Begeisterung selber, deren man fähig ist, kann, wie sie zuerst der Berauschung förderlich war, auch das Erkalten schneller bringen.« – »Sie haben viel über die Liebe nachgedacht«, sagte Oswald mit Bitterkeit. Corinna erröthete und schwieg einige Augenblicke. Dann entgegnete sie mit Würde und schönem Freimuth: »Ich glaube nicht, daß je ein empfindendes Weib sechsundzwanzig Jahr alt geworden ist, ohne die Täuschungen der Liebe gekannt zu haben. Aber wenn niemals glücklich gewesen zu sein, wenn nie den Gegenstand, welcher des Herzens ganzen Liebesreichthum verdient hätte, gefunden zu haben, Anspruch auf Theilnahme giebt, dann habe ich ein Recht auf die Ihrige.« – Diese Worte, und Corinnens Ton verscheuchten zum Theil die Wolken von Oswalds Stirn; dennoch sagte er zu sich selber: »Sie ist die Hinreißendste der Frauen, aber sie ist eine Italienerin! und das ihre ist wohl nicht solch schüchternes, reines, unberührtes Herz, als das junge Mädchen daheim besitzen mag, dem mein Vater mich bestimmte.«

Diese junge Engländerin nannte sich Lucile Edgermond, und war die Tochter eines Freundes von Lord Nelvils Vater. Aber da Oswald England verließ, war sie noch zu sehr Kind, als daß er sich mit ihr hätte vermählen, noch selbst voraussehen können, was sie einst sein werde.

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