Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zweites Buch: Corinna auf dem Kapitol.

Viertes Kapitel

Der Senator hielt jetzt die Krone aus Myrten und Lorbeer bereit. Corinna löste den Shawl von der Stirn und das schwarze Haar fiel in Locken auf ihre Schultern. Unbedeckten Hauptes und mit dankbarem Vergnügen, das sie nicht zu verbergen suchte in den Blicken, – trat sie vor, und sank, um den Kranz zu empfangen, jetzt zum zweiten Mal auf die Kniee; doch schien sie weniger verwirrt, weniger befangen als vorhin: sie hatte geredet, hatte eben ihre Seele mit den edelsten Gedanken erfüllt: die Begeisterung siegte über die Schüchternheit. Jetzt war sie nicht mehr eine furchtsame Frau, sie war die glaubensvolle Priesterin, die sich freudig dem Kultus des Genius weiht.

Als nun der Lorbeer Corinnens Stirne schmückte, fiel die Musik mit mächtigen, das Gemüth stolz erhebenden Siegeshymnen ein; der Lärm der Pauken und Fanfaren erschütterte Corinna aufs Neue; in ihren Augen standen Thränen, sie setzte sich, und drückte das Gesicht in ihr Taschentuch. Oswald, lebhaft gerührt, trat aus der Menge hervor und auf Corinna zu, als ob er sie anreden wolle; dann aber hielt eine unüberwindliche Verlegenheit ihn zurück. Corinna beobachtete ihn, während sie Sorge trug, daß ihr Aufmerken ihm entgehe. Als ihr jedoch Fürst Castel-Forte die Hand bot, um sie nach dem Triumphwagen zu geleiten, ließ sie sich zerstreut hinwegführen, und blickte unter verschiedenen Vorwänden nach Oswald zurück.

Er folgte ihr; und als sie, umgeben von ihren Begleitern, die Treppe hinunterstieg, fiel durch eine zu schnelle Kopfbewegung ihr Lorbeerkranz zur Erde. Oswald hob ihn eilig auf, und sagte, ihr denselben überreichend, einige Worte auf Italienisch, welche etwa bedeuteten: »daß ein demüthiger Sterblicher zu den Füßen der Gottheit die Krone niederlege, die er nicht auf ihr Haupt zu setzen wage«.[1] Doch wie groß war Oswalds Erstaunen, als Corinna ihren Dank im reinsten Englisch und mit jenem heimatlichen Insulaner-Accent aussprach, den man auf dem Festlande nie nachbilden lernt. Er blieb anfangs völlig regungslos; dann lehnte er sich in äußerster Verwirrung an einen der Löwen von Basalt, die sich am Fuß der Treppe des Kapitols befinden. Corinna, die seine innere Bewegung bemerkte, war ebenfalls ergriffen; doch zog man sie nach ihrem Wagen, und die Menge war längst verschwunden, als Oswald seine Geistesgegenwart wiederfand.

Corinna hatte ihn bis dahin nur als eine der reizendsten Ausländerinnen, als ein Wunder dieses schönen Landes entzückt; aber dieser Ton seiner Muttersprache rief ihm alle Erinnerungen des Vaterlandes zurück, und gab ihrem fremden Zauber plötzlich etwas Heimatliches und Gewohntes. War sie eine Engländerin? Oder hatte sie nur Jahre ihres Lebens in England zugebracht? Es war nicht zu errathen; unmöglich aber hatte sie das Studium allein so sprechen gelehrt. Sie und Er – sie mußten schon unter gleichem Himmel gelebt haben. Wer weiß, ob ihre Familien nicht Beziehungen zu einander hatten? Vielleicht hatte er sie in ihrer Kindheit schon gesehen? Man trägt oft im Herzen, wie von Anbeginn eingeboren, das Bild von dem einst zu Liebenden, und wenn man dieses dann zum ersten Male mit leiblichen Augen schaut, dann ist's, als kannte man es längst, als kennt man es nur wieder.

Oswald hegte gegen die Italienerinnen manche Vorurtheile; er hielt sie für leidenschaftlich, aber auch für veränderlich, und einer dauernden, tiefen Neigung unfähig. Schon das, was Corinna auf dem Kapitol gesagt, hatte ihm eine andere Meinung gegeben. Und wie nun, wenn er in dieser Frau die Vorzüge und Erinnerungen der Heimat mit reichem Gedankenleben vereint fände? Wenn sie ihm eine neue Zukunft öffnete, ohne daß er nöthig hätte, mit der Vergangenheit zu brechen?

Unter solchen Träumereien hatte Oswald die Engelsbrücke erreicht, welche zur Engelsburg führt, dem einstigen Mausoleum des Hadrian. Des Mondes Strahlen beleuchteten die Statuen auf der Brücke und verwandelten sie in weiße Schatten, die regungslos in die Wogen starrten, wie in die Zeit, die beide sie nichts mehr angingen und an ihnen vorüberflossen; dazu das Schweigen dieser Stätte, des Wassers matte Dunkelheit, Alles führte ihn zu seinen gewohnten, trüben Betrachtungen zurück. Er griff nach seines Vaters Bild, das er auf der Brust trug, und nahm es hervor, es zu betrachten. Das eben empfundene Glück und dessen Ursache knüpften nur zu sehr an das Gefühl an, welches ihn einst so strafbar gegen den Vater gemacht; und dies erneuerte ihm seine inneren Vorwürfe.

»Ewiger Gedanke meines Lebens!« rief er; »so beleidigter und doch so großmüthiger Freund! Hätte ich geglaubt, daß die Aufwallung der Freude sich so bald in meiner Brust erheben könne? Nicht du, der Beste und Nachsichtsvollste der Menschen, nicht du wirfst mir das vor; du willst, daß ich glücklich sei, du willst es noch, ohngeachtet meines Vergehens. Aber möchte ich wenigstens, wenn du aus deinem Himmel zu mir redest, deine Stimme nicht verkennen, wie ich sie auf Erden verkannte.«


[1] Anmerkung der Autorin: Wie es scheint, machte Lord Nelvil eine Anspielung auf das folgende schöne Distichon des Properz: Ut caput in magnis ubi non est ponere signis, Ponitur hic imos ante corona pedes.

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12