Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zweites Buch: Corinna auf dem Kapitol.

Drittes Kapitel

Als Fürst Castel-Forte zu reden aufgehört, erhob sich Corinna und dankte mit edlem Anstande, in ihrer Verneigung lag ebenso viel holde Bescheidenheit als Freude, die natürliche Freude, nach ihrem Sinne gelobt zu sein. Es war Brauch, daß der Dichter, den man auf dem Kapitol krönte, eigene und selbst improvisirte Poesien vortrug, ehe man seine Stirn mit dem Lorbeer kränzte. Corinna ließ sich ihre Laute reichen, ein Instrument ihrer eigenen Erfindung, das zwar viel Aehnlichkeit mit der Harfe hatte, aber in der Form mehr antik, im Tone einfacher, als diese, war. Während des Stimmens erfaßte sie beklemmende Schüchternheit, und zitternd bat sie um ein Thema. »Italiens Preis und Ruhm!« rief man ihr einstimmig zu. »Nun denn, ja!« erwiderte sie, schon bereit, schon getragen von dichterischem Schwung, »das Lob Italiens.« Und begeistert von Liebe zu ihrem schönen Vaterlande ließ sie sich in stolzen, reichen Versen, deren Inhalt uns die Prosa nur unvollkommen wiedergiebt, also vernehmen:

Corinnens Gesang auf dem Kapitol.

»Heil dir, Italien, Reich der Sonne! Italien, o Königin des Weltalls! Italien, die Wiege der Wissenschaften! Oft war das Menschengeschlecht dir unterworfen! Oft war es beherrscht von deinen Waffen, deiner Kunst, deinem Himmel!

»Ein Gott verließ den Olymp und fand eine Zufluchtsstätte in Ausonien; der Anblick dieses Landes war wie ein Traum aus goldenem Zeitalter; der tugendhafte Mensch war dort glücklich, er konnte nicht strafbar sein.

»Rom eroberte die Welt durch seinen Genius und wurde Herrscherin durch die Freiheit! Der römische Geist drückte der Mitwelt sein Siegel auf, und als das Hereinbrechen der Barbaren Italien zerstörte, verdunkelte es auch das All. Italien richtete sich an den göttlichen Schätzen der Bildung wieder auf, die flüchtige Griechen ihm zugetragen! der Himmel enthüllte hier seine Gesetze; die Kühnheit seiner Söhne entdeckte einen neuen Welttheil; nochmals wurde es Königin durch den Herrscherstab des Gedankens; aber dieses von Lorbeern umwundene Scepter machte nur Undankbare!‹

›Von der Kunst erhielt Italien seine verlorene Macht zurück: Dichter und Maler schufen ihm eine Erde, einen Olymp – Himmel und Hölle! und sein belebendes Feuer ward vom eigenen Genius besser, als von dem Gotte der Heiden beschützt; es fand in Europa keinen raubenden Prometheus!‹

›Warum bin ich auf dem Kapitol? Warum soll meine demüthige Stirn den Kranz empfangen, welchen Petrarca getragen, den Kranz, der an Tasso's Trauercypressen hängt? Warum? Wenn Ihr nicht den Ruhm so liebtet, o meine Mitbürger! daß Ihr nur seinen Kultus schon belohnen wollt, als wäre er Erfolg!‹

›Wohlan, wenn Ihr ihn liebt, diesen Ruhm, der nur zu oft seine Opfer unter den Siegern wählte, die er selber krönte, so denket mit Stolz jener Jahrhunderte, die von der Künste Wiedergeburt Zeuge waren.‹

›Dante, der Homer der neueren Zeit, der heilige Dichter unserer geheimnißvollen Religion, dieser Held des Gedankens, ließ seinen Genius in den Styx hinabtauchen, um die Hölle zu betreten, und seine Seele war tief, wie die Abgründe, die er schilderte.‹

›Italien, wie es zur Zeit seiner Größe war, lebt ganz im Dante wieder. Glühend von republikanischem Geist, Krieger sowohl als Dichter, haucht er den Todten das Feuer der Thaten ein, und seine Schatten haben ein stärkeres Leben, als die Lebendigen von heute!‹

›Die Erinnerungen der Erde verfolgen sie noch, ihre ruhelosen Leidenschaften zehren noch an ihren Herzen; sie quälen sich um die Vergangenheit, welche ihnen noch weniger unwiderruflich erscheint, als die ewige – ewige Zukunft!‹

›Man kann sagen, daß der aus dem Vaterlande verbannte Dante seine verzehrenden Schmerzen in die Regionen des Gedankens versetzte: Wie der Dichter selbst nach seiner Heimath fragt, so fragen seine Schatten unaufhörlich um Nachrichten vom irdischen Dasein, und die Hölle stellt sich ihm unter der Gestalt des Exils dar.

»Seinem Auge hüllt sich Alles in florentinisches Gewand. Die Todten des Alterthums, die er heraufbeschwört, sind, wenn sie auferstehen, Toscaner, wie er; aber nicht etwa die Begrenztheit seines Geistes, sondern die Stärke seiner Seele ist's, die so das Weltall in den Kreis seiner Gedanken zieht.

»Eine mystische Verkettung von Kreisen und Sphären führt ihn von der Hölle zum Fegefeuer, vom Fegefeuer zum Paradiese; ein treuer Berichterstatter seiner Gesichte, läßt er Klarheit ausströmen über die dunkelsten Regionen, und die Welt, die er in seinem dreifachen Gedichte schuf, ist eine in sich vollendete, belebte, glänzende, ist wie ein neu entdeckter Planet im Firmamente.

»Auf sein großes Geheiß verwandelt sich Alles auf Erden in Poesie. Das Wesentliche und das Gedankliche, die Gesetze und die Phänomene, sie scheinen die neuen Gottheiten eines neuen Olymps; aber diese, vom Dichter geschaffene Mythologie verflüchtigt, wie die des Alterthums, bei dem Schauen des Paradieses, dieses Oceans von Licht, von Strahlen und Gestirnen, von Tugend und Liebe.

»Die magischen Worte unseres größesten Dichters sind wie ein Prisma des Weltalls, dessen Wunder alle aus ihnen zurückstrahlen, sich brechen, sich wieder zusammenfinden. Töne ahmen Farben nach, Farben verschmelzen in Harmonie. Der bald volltönende oder bizarre, bald geflügelte oder langgedehnte Reim ist von dichterischer Seherkraft eingegeben, dieser höchsten Schönheit der Kunst, diesem Triumph des Genius, welcher uns die Beziehung der Naturgeheimnisse zum Menschenherzen enthüllt.

»Dante hoffte, sein Gedicht werde ihm das Ende seines Exils erwirken; er zählte auf den Ruhm als Fürsprecher; aber er starb zu früh, um die Palmen des Vaterlandes empfangen zu können. Das flüchtige Menschenleben verbraucht sich oft im Elende, und wenn der Ruhm siegt, wenn man endlich an glücklicheren Gestaden landet, öffnet sich das Grab neben dem Hafen, und in tausendfacher Gestalt kündet das Schicksal nicht selten des Lebens Ende durch die Wiederkehr des Glückes an!

»So der unglückliche Tasso, den Eure Huldigungen, o Römer, für so viel Unbill trösten sollten, der schön, gefühlvoll, ritterlich, wie seine Helden von Jerusalem, Thaten-träumend, die Liebe lobend, die er sang, sich diesen Mauern mit Ehrfurcht und Dankbarkeit näherte. Doch am Vorabend des zu seiner Krönung bestimmten Tages forderte ihn der Tod zur schrecklichen Feier: der Himmel ist auf die Erde eifersüchtig, und ruft seine Lieblinge gern früh aus dem Zeitlichen zurück.

»In einem stolzeren und freieren Jahrhundert, als dem des Tasso, war, wie Dante, auch Petrarca, der kampfesmuthige Dichter der italienischen Unabhängigkeit. Anderswo kennt man nur die Geschichte seiner Liebe, hier ehrt ein noch ernsteres Gedenken auf immer seinen Namen, und das Vaterland begeisterte ihn schöner noch, als Laura selbst es vermocht.

»Sein Eifer half ihm, das Alterthum wieder aufleben zu lassen, und weit entfernt, daß seine Einbildungskraft solchen tiefen Forschungen ein Hinderniß war, offenbarte ihm diese schöpferische Macht die Geheimnisse vergangener Jahrhunderte, während sie ihm die Zukunft unterwarf. Er sah ein, daß das Wissen sehr viel dem Erfinden dienen kann, und sein Genie war um so ursprünglicher, als es, ähnlich den ewig wirkenden Kräften, gleichsam allen Zeitaltern angehörte.

»Unser lachender Himmel, unser heiteres Klima haben den Ariost begeistert. Er ist der Regenbogen, der uns nach langen, kriegerischen Stürmen erschien; glänzend und farbenreich, wie dieser Bote des schönen Wetters, scheint er vertraut mit dem Leben zu scherzen und seine leichte und sanfte Heiterkeit gleicht dem Lächeln der Natur, nicht dem Spotte des Menschen.

»Michel Angelo, Raphael, Pergolese, Galilei, und Ihr, unerschrockene Reisende, die Ihr begierig nach neuen Ländern suchtet, obwohl die Natur Euch kein schöneres, als das Eure bieten konnte, vereiniget auch Ihr Euren Ruhm mit dem der Dichter! Künstler, Gelehrte, Philosophen, Ihr seid, wie Jene, Kinder derselben Sonne; dieser Sonne, welche abwechselnd die Einbildungskraft entwickelt, den Gedanken beflügelt, den Muth anfeuert oder auch im Glücke einschläfert, und welche uns Alles zu verheißen, Alles vergessen zu machen scheint.

»Kennt Ihr das Land, wo die Orangen blühn? das Land, welches des Himmels Strahlen mit dem Geist der Liebe befruchten? Habt Ihr jenes melodische Getöse vernommen, das durch seine milden Nächte zittert? Habt Ihr die Wohlgerüche geathmet, die seine reine und weiche Luft noch köstlicher machen. Antwortet mir, Ihr Fremden, ist die Natur bei Euch auch so schön und so wohlthätig?

»Anderswo, wenn eine öffentliche, allgemeine Noth ein Land heimsucht, müssen die Menschen sich von der Gottheit verlassen glauben; doch Wir hier, wir fühlen beständig den Schutz des Himmels, wir wissen, daß er an des Menschen Schicksal Antheil nimmt, und ihn gnädig wie ein edles Geschöpf behandelt.

»Nicht nur mit Aehren und Weinreben ist unsre Natur geschmückt, sondern sie verschwendet auch noch unter des Menschen Schritt einen festlichen Ueberfluß von Blumen und prangendem Gewächs, das, nur zur Zierde geschaffen, zur Nutzbarkeit sich nicht erniedrigt.

»Süßer, von der Natur gespendeter Lebensgenuß bietet sich hier einem Volke dar, das seiner würdig ist. Die einfachsten Speisen genügen ihm; es berauscht sich nicht an den Weinesquellen, die ihm ihren Ueberfluß zuströmen; es liebt seinen Himmel, seine schönen Künste, seine Denkmale, seine zugleich alterthümliche und lenzesblühende Erde. Aber die überfeinerten Vergnügungen einer glänzenden Gesellschaft, die groben Freuden eines gierigen Pöbels sind nicht für unser Volk.

»Hier ist die Sinnlichkeit mit dem Gedanken verschmolzen, und die Seele schwebt, rein wie der Aether, zwischen Himmel und Erde. Hier wird das Leben ganz und voll aus einer Quelle geschöpft. Der Geist ruht hier in wohligem Behagen, weil sich's süß hier träumen läßt; und wenn es in ihm gährt und arbeitet, wenn er ein verlorenes Ziel beklagt, wenn die Menschen ihn unterdrücken, dann nimmt ihn diese liebende Natur in ihre Arme, und schläfert ihn mit tausend süßen Chimären ein.

»So macht sie Alles gut, und ihre helfende Hand heilt jede Wunde. Hier beruhigen sich selbst die Qualen des Herzens, denn wir beten zu einem Gott der Güte und suchen das Geheimniß seiner strengen Liebe zu durchdringen; die vorübergehenden Schmerzen unseres flüchtigen Lebens verlieren sich im großen, ewigen All!«

Corinna wurde einen Augenblick von stürmischem Beifall unterbrochen. Oswald allein mischte sich nicht in die lärmenden Entzückungen, welche ihn umgaben. Bei jenen Worten Corinnens: »Hier beruhigen sich selbst des Herzens Qualen«, hatte er das Haupt in die Hand gesenkt, und es seitdem nicht mehr erhoben. Corinna bemerkte es, und erkannte ihn bald an seinen Zügen, an der Farbe seiner Haare, der Kleidung, dem hohen Wuchs, an seinem ganzen Wesen endlich, für einen Engländer. Das Schwarz, das er trug, und ein trauervoller Ausdruck in seinen Zügen fielen ihr auf. Sein jetzt auf sie gehefteter Blick schien ihr sanfte Vorwürfe zu machen; sie errieth die Gedanken, welche ihn beschäftigten, und es trieb sie, nun auch seiner Stimmung zu genügen, indem sie mit weniger Zuversicht vom Glücke sprach, und inmitten dieses heiteren Festes auch dem Tode einige Verse weihte. Sie nahm in dieser Absicht ihre Laute wieder zur Hand, führte die Versammlung durch weiche, getragene Töne zum Schweigen zurück, und fuhr fort:

»Es giebt Schmerzen, die selbst unser tröstender Himmel nicht zu lindern vermag; aber in welchem Aufenthalte könnte der Seele Leid sanftere und edlere Form annehmen, als hier?

»Anderswo finden kaum die Lebenden Platz genug für ihr Jagen und Treiben und glühendes Wünschen; hier lassen Ruinen, Einöden und unbewohnte Paläste den Schatten ein weites Reich. Ist denn Rom nicht jetzt die Heimath der Gräber?

»Das Coliseum, die Obelisken, und alle die Wunderwerke, welche seit den fernsten Jahrhunderten, seit Romulus bis auf Leo X., aus Griechenland und Egypten kommend, sich hier vereinigten, als ob Größe die Größe anzöge, und als ob ein gleicher Ort Alles bewahren müsse, was der Mensch gegen die zerstörende Zeit schützen möchte – alle diese Wunder sind den Denkmalen Dahingegangener geweiht. Unser träges Leben wird kaum bemerkt; das Schweigen der Lebenden ist eine Huldigung für die Todten; sie dauern, und wir gehen vorüber.

»Sie allein sind geehrt, sie allein noch gefeiert; auf unserer Dunkelheit hebt sich der Glanz unserer Vorfahren leuchtend ab; die Vergangenheit allein steht hoch und heilig da in unserer Gegenwart, und kein Geräusch stört die Weihe dieser Erinnerungen. Alle unsere Meisterwerke sind Schöpfungen derer, die dahingegangen, und das Genie selber zählt unter die erhabenen Todten.

»Es ist vielleicht noch ein besonderer, geheimnißvoller Zauber dieses alten Roms, daß es unsere Fantasie mit dem langen Todesschlaf auszusöhnen vermag. Man ergiebt sich darein für sich selbst, und leidet auch nicht mehr ganz so sehr um die verlorenen Lieben. Die südlichen Völker stellen sich das Ende des Lebens mit weniger dunklen Farben vor, als die Bewohner des Nordens. Die Sonne und der Ruhm, sie erwärmen selbst das Grab.

»Die Kälte und die Einsamkeit des Grabes erschrecken den zagenden Geist weniger in der Nähe der Urnen so vieler großer Todten. Man glaubt sich erwartet von all jenen Schatten, und der Uebergang aus dieser einsamen Stadt in jene unterirdische erscheint hier sanft.

»So wird dem Schmerz der Stachel genommen; nicht etwa weil das Herz vertrocknet, die Seele entnervt ist, sondern weil hier unser Dasein von reineren Harmonien umklungen ist, weil es gelassener dahinströmt. Mit weniger Furcht überläßt man sich der waltenden Natur, der Natur, von welcher der Schöpfer gesagt hat: Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und doch, welches Königs Gewand gliche der Pracht, mit der ich diese Blumen kleidete?«

Oswald war von diesen letzten Strophen hingerissen; er gab nun seiner Bewunderung den lebhaftesten Ausdruck, und dieses Mal glich selbst das Entzücken der Italiener nicht dem seinen. Und in der That war ja auch Corinnens zweiter Gesang an ihn, nicht an die Römer gerichtet.

Die meisten Italiener haben, wenn sie Verse sprechen, eine Manier einförmigen Singens, Cantilene genannt, die alle Wirkung zerstört.[1] Umsonst ist der Wechsel in den Worten: ihr Eindruck bleibt monoton; da sie den Accent fast gar nicht verändern. Aber Corinna legte reiche Abwechselung in ihren Vortrag, ohne indeß das schöne Maß des Wohlklangs zu überschreiten; es war wie verschiedene Melodien, alle einem einzigen himmlischen Instrumente entlockt.

Das edle, tonreiche Italienisch klang in Corinnens Mund wie eine neue Sprache; Oswald wenigstens schien es neu. Die englische Prosodie ist einförmig und dumpf; ihre Schönheiten sind alle schwermüthiger Art; Nebel und Wolken geben ihr die Färbung, das Geräusch der Meereswogen die Modulation. Aber wenn diese italienischen Worte, glänzend wie ein Feiertag, weithin klingend, wie triumphirende Musik – die man dem Scharlach unter den Farben vergleichen darf, – wenn diese Worte, noch in die Freude getaucht, die ein lachender Himmel in alle Herzen strömen läßt, mit empfindungsvoller Stimme gesprochen werden, dann bringt ihre weiche Pracht, ihre gemilderte Kraft eine ebenso lebhafte, als unerwartete Rührung hervor, und das, in solchen Glückeslauten gesprochene Leid erschüttert tiefer und plötzlicher, als der Schmerz, den uns die nordischen Sprachen singen, und von dem sie wie durchdrungen scheinen.


[1] Anmerkung der Autorin: Von diesem Tadel gegen die italienische Art zu declamiren war der berühmte Monti auszunehmen, der Verse ebenso schön sagte als machte. Ihn die Episode von Ugolino, von Francesca di Rimini, den Tod der Clorinde recitiren zu hören, soll einer der größesten dramatischen Genüsse gewesen sein.

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