Corinna oder Italien

von Anna Louise Germaine de Staël

Zweites Buch: Corinna auf dem Kapitol.

Zweites Kapitel

Fürst Castel-Forte nahm nun das Wort, und seine Art, Corinna zu preisen, fesselte die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung. Er war ein Mann von fünfzig Jahren, der in Rede und Haltung viel Würde zeigte. Sein Alter und die Versicherung, die man Lord Nelvil gegeben, daß er nur der Freund Corinnens sei, machten es diesem möglich, seiner Charakteristik mit ungemischter Theilnahme zu folgen. Oswald wäre ohne jene Sicherheitsgründe schon eines unklaren Gefühls von Eifersucht fähig gewesen.

Der Fürst las einige Seiten in Prosa, die ohne Uebertreibung, in eigenthümlich treffender Weise Corinnens Bedeutung auseinandersetzten. Er betonte das besondere Verdienst ihrer Werke, und zeigte, wie dieses zum Theil auf ihrem gründlichen Studium der ausländischen Literatur beruhe, und wie sie in höchster Vollendung das Bilderreiche, das Phantastische, das Glanzvolle des südlichen Lebens mit jener innerlichen Tiefe, jener Kenntniß des Menschenherzens zu verbinden wisse, die solchen Ländern zum Antheil wurden, deren nüchterne Außendinge den Sinn nicht erfüllen können.

Er rühmte Corinnens Anmuth und Heiterkeit; eine Heiterkeit, die nichts vom Spott entlehne, und allein aus der Lebhaftigkeit ihres Geistes, aus der blühenden Frische ihrer Phantasie entspringe. Auch von dem Reichthum ihrer Empfindung versuchte er zu sprechen, aber man konnte leicht errathen, daß hier ein persönliches Leid sich seinen Worten beimische. Er beklagte, wie schwer eine ausgezeichnete Frau dem Manne begegne, von welchem sie sich ein ideales Bild gemacht, ein Bild, das mit all jenen Gaben geschmückt sei, die sie durch Herz und Geist beanspruchen dürfe. Dann verweilte er lange dabei, das Gefühl und die Leidenschaft in ihren Poesien zu schildern, und die Kunst anzudeuten, mit der sie die tiefen Beziehungen zwischen den Schönheiten der Natur und dem innersten Seelenleben zu erfassen vermöge. Er hob die Eigenartigkeit ihres Ausdruckes hervor, dieser anziehenden Sprechweise, die ganz nur aus ihrem Denken und Fühlen emporsteige, ohne daß je ein Schalten von Gesuchtheit ihren natürlichen, unfreiwilligen Zauber entstelle.

Von ihrer Beredsamkeit sprach er, als von einer siegenden Macht, die Solche am meisten hinreißen müsse, welche selbst reich an Geist und wahrem Gefühl seien. »Corinna«, sagte er, »ist ohne Zweifel die berühmteste Frau unseres Vaterlandes, und doch können ihre Freunde allein sie richtig würdigen: denn die echten Eigenschaften der Seele wollen immer errathen sein, und wenn nicht eine verwandte Geistesrichtung sie verstehen hilft, kann äußerer Glanz das Erkennen derselben ebenso hindern, als stille Verborgenheit. Er verbreitete sich über ihr Talent zu improvisiren, welches durchaus nicht dem gleiche, was man in Italien hergebrachtermaßen mit dem Worte bezeichne. »Man darf dieses Talent«, fuhr er fort, »nicht ihrem fruchtbaren Geiste allein zuschreiben, sondern auch dem tiefen, erschütternden Wiederhall, den alles Große und Edle in ihrer Seele erweckt; sie äußert kein dahin anklingendes Wort, ohne daß der Gedanken und Gefühle unerschöpfliche Quelle, die Begeisterung, sie ergreife, fortreiße. Auch auf den Reiz ihres immer edlen, immer harmonischen Styles wies Fürst Castel-Forte hin. »Corinnens Dichtungen sind wie eine geistige Melodie, welche allein den Zauber der flüchtigsten zartesten Eindrücke festzuhalten weiß.«

Er sprach von ihrer Unterhaltung und man fühlte es, er hatte deren Wonne gekostet. »Wahrheit und Begeisterung,« sagte er, »Milde und Kraft, das kühle Urtheil und die Exaltation – sie vereinen sich in einem Wesen, um uns alle Freuden des Geistes in lebendigem Wechsel zu gewähren. Man kann Petrarca's reizenden Vers auf sie anwenden:

Il parlar che nell' anima si sente,<xml> Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE MicrosoftInternetExplorer4 </xml> [1]

und ich glaube sie besitzt etwas von jener gerühmten Anmuth, von jenem orientalischen Zauber, welchen die Alten der Cleopatra zuschrieben.

»Mit ihr durcheilte Gegenden, mit ihr gehörte Musik, Gemälde, die sie mich bewundern ließ, Bücher, die sie mich verstehen lehrte – sie sind die Welt, die Heimath meiner Gedanken. Ich finde in ihnen allen den Wiederschein ihres Geistes, einen Funken ihres Lebens, und wenn ich von ihr getrennt existiren müßte, würde ich mich mit diesen Erinnerungen umgeben, da ich gewiß bin, daß ich die Feuerspur ihres Wesens, die sie ihnen aufgedrückt, nirgend mehr wiederfinde. Ja«, fuhr er fort, »suchet Corinna, lernt sie kennen, wenn Ihr das Leben mit ihr leben dürft, wenn dies vervielfältigte Dasein, das sie bereitet, Euch lange gesichert ist; aber meidet sie, wenn Ihr verurtheilt seid, sie zu verlassen. Ihr würdet vergebens bis an Euer Ende nach dieser schöpferischen Seele suchen, die Eure Gefühle und Gedanken theilte und bereicherte; Ihr fändet sie nie!«

Oswald erbebte bei diesen Worten; seine Augen hefteten sich auf Corinna, die mit einer Bewegung zuhörte, welche aus edlerer Empfindung als befriedigter Eigenliebe entsprang. Fürst Castel-Forte nahm seine, durch eine augenblickliche Rührung unterbrochene Rede wieder auf. Er sprach von Corinnens Begabung für die Malerei, für Musik, Deklamation und den Tanz, zeigte, wie sie in allen diesen Zweigen der Kunst immer Corinna sei, die sich weder an diese Manier, noch an jenes Gesetz binde, sondern in mannigfaltigen Formen dieselbe Macht ihrer Phantasie, in den verschiedenen Gestalten der schönen Kunst ihren immer gleichen Zauber ausübe.

»Ich schmeichle mir nicht«, schloß Fürst Castel-Forte, »daß es mir gelungen, eine Persönlichkeit zu zeichnen, von der man unmöglich eine Vorstellung haben kann, wenn man sie nicht hörte; aber ihre Gegenwart ist für uns Römer, gleich einer der Wohlthaten unseres glänzenden Himmels, unserer freigebigen Natur. Corinna ist das Band ihrer Freunde untereinander, sie ist die Triebkraft, die Seele unseres Lebens; wir rechnen auf ihre Güte, wir sind stolz auf ihren Genius, und sagen zu den Fremden: Schauet auf sie! sie ist das Bild unseres schönen Italiens; sie ist das, was wir sein würden ohne die Unwissenheit, den Neid, die Uneinigkeit und Schlaffheit, zu welchen unser Schicksal uns verurtheilt hat. Wir betrachten sie gern, als ein wunderbares Kind unseres Klima's, unserer Künste, als einen Nachkommen der Vergangenheit, als eine Weissagung der Zukunft. Und wenn die Fremden dieses Land schmähen, von dem das Licht ausging, das ganz Europa erleuchtete; wenn sie ohne Erbarmen für unsere Irrthümer sind, die aus unserem Unglück entsprangen, rufen wir ihnen zu: Schauet auf Corinna!

»Ja, wir würden ihrem Banner folgen, wir würden Männer sein, wie sie ein Weib ist, wenn Männer, wie die Frauen es vermöchten, sich in ihrem eigenen Herzen eine Welt zu schaffen, und wenn unser Genius, der nothwendig von den großen Gesellschaftsfragen und äußeren Verhältnissen abhängig ist, sich einzig und allein an der Flamme der Dichtkunst entzünden könnte.«

Als Fürst Castel-Forte zu sprechen aufhörte, brach ein allgemeiner Beifallssturm los; und obwohl das Ende seiner Rede einen verdeckten Tadel der gegenwärtigen Zustände Italiens enthielt, stimmten ihm doch alle Großen des Landes bei; denn sicherlich findet man hier eine Art freier Gesinnung, die zwar zum Umstoßen öffentlicher Einrichtungen nicht ausreicht, die aber überlegenen Geistern ein ruhiges Auflehnen gegen herrschende Vorurtheile gern verzeiht.

Des Fürsten Ansehen in Rom war sehr groß. Er sprach mit seltener Weisheit, und das ist in einem Lande, wo man im Ganzen mehr Geist in sein Thun als in sein Reden legt, eine ungewöhnliche Eigenschaft. In Geschäften besaß er nicht jene, die Italiener so oft auszeichnende Geschicklichkeit; aber er dachte scharf und scheute nicht die Mühe geistigen Forschens. Die glücklichen Bewohner des Südens meiden diese Anstrengung gern und schmeicheln sich, Alles durch Eingebung enträthseln zu können, wie ihre großmüthige Erde ihnen ohne Kultur, allein durch die Gunst des Himmels den reichsten Fruchtsegen spendet.


[1] Anmerkung des Verlages: Die Sprache, die bis in die Seele dringt.

Letzte Änderung der Seite: 23. 12. 2024 - 22:12