Corinna oder Italien
von Anna Louise Germaine de Staël
Zweites Buch: Corinna auf dem Kapitol.
Erstes Kapitel
Oswald erwachte in Rom! Eine leuchtende Sonne, die Sonne Italiens, traf seine ersten Blicke, und es durchdrang ihn ein Gefühl der Dankbarkeit und Liebe gegen den Himmel, der ihn mit seinen goldenen Strahlen begrüßen zu wollen schien. Er hörte das Läuten zahlreicher Kirchenglocken; von Zeit zu Zeit gelöste Kanonenschüsse kündeten irgend eine große Feierlichkeit an; er fragte nach der Ursache derselben, und man erwiderte ihm, daß an diesem Morgen die berühmteste Frau Italiens auf dem Kapitol gekrönt werden solle; Corinna nämlich, eine Dichterin, Schriftstellerin, Improvisatorin, die zugleich eine der schönsten Frauen Roms sei. Er ließ sich noch Einiges über die bevorstehende, durch die Namen Petrarca's und Tasso's geheiligte Feierlichkeit mittheilen, und alle erhaltenen Antworten reizten lebhaft seine Neugierde.
Es gab sicherlich den Gewohnheiten und Ansichten eines Engländers nichts Entgegengesetzteres, als diese große, dem Leben einer Frau gegebene Öffentlichkeit; allein der Enthusiasmus, welchen alle hohe Geistesbegabung den Italienern einflößt, gewinnt, augenblicklich wenigstens, auch die Fremden, und inmitten einer, im Ausdrucke ihrer Gefühle so lebhaften Nation vergißt man die Vorurtheile der Heimath. In Rom versteht der Mann aus dem Volke die Kunst; er spricht mit oft kennerischem Urtheil über Bildwerke, Gemälde, Monumente, Alterthümer, und bis zu einem gewissen Grade sind die schriftstellerischen Leistungen für ihn nationale Fragen.
Oswald ging aus, um sich nach dem Ort der Feierlichkeit zu begeben; überall hörte er von Corinna, von ihrer Begabung, ihrem Genie sprechen. Man hatte die Straßen geschmückt, durch welche sie kommen sollte. Das, sich gemeinhin nur um die Vertreter des Reichthums und der Macht schaarende Volk schien wie im Aufruhr, und dies, um eine Frau zu sehen, deren Geist ihre glänzendste Auszeichnung war. In ihrem gegenwärtigen Zustande ist den Italienern kein anderer Ruhm, als ein aus der Pflege der Kunst erblühender, gestattet; und nach dieser Richtung hin fühlen sie das Geniale mit einem Verständniß heraus, das viel große Männer erstehen lassen müßte, wenn Beifall zu ihrer Hervorbringung genügend wäre; wenn es nicht eines tüchtigen Lebens, großer Gesichtspunkte, und einer unabhängigen Stellung bedürfte, um den Geist zu nähren und zu reifen.
Corinnens Ankunft erwartend, durchstreifte Oswald die Straßen Roms. Ueberall hörte er sie nennen, überall erzählte man sich neue, das Zusammentreffen der seltensten Talente beweisende Züge von ihr. Der Eine sagte, ihre Stimme sei die süßeste in ganz Italien; der Andere, Niemand herrsche in der Tragödie so groß als sie; ein Dritter erklärte, daß sie wie eine Nymphe tanze, und mit ebenso viel Styl als Erfindung zeichne: Alle versicherten, daß man nie schönere Verse geschrieben, noch improvisirt habe, als sie und daß sie in der gewöhnlichen Unterhaltung abwechselnd eine Anmuth und Beredtsamkeit entwickele, die dem Hörenden Entzücken gewährten. Man stritt sich, welche Stadt Italiens ihr Geburtsort sei, und die Römer behaupteten, man müsse in Rom geboren sein, um das Italienische mit solcher Reinheit zu sprechen. Der Name ihrer Familie war unbekannt. Ihr erstes Werk war vor fünf Jahren allein unter ihrem Vornamen erschienen. Niemand wußte, wo sie vor diesem Zeitpunkte gelebt hatte, noch was sie gewesen sei; sie zählte jetzt etwa sechsundzwanzig Jahr. Dies Geheimnißvolle, im Verein mit solcher Oeffentlichkeit, diese Frau, von der alle Welt sprach, und deren wahren Namen Niemand kannte, erschienen Lord Nelvil als eine der Seltsamkeiten des wunderbaren Landes, das er zu sehen gekommen. In England hätte er eine solche Frau verurtheilt; aber für Italien legte er keinen so strengen, gesellschaftlichen Maßstab an, und die Krönung Corinna's erfüllte ihn mit der Art von Theilnahme, wie sie ihm etwa ein Abenteuer des Ariost abgenöthigt haben würde.
Schöne und jubelnde Musik kündete das Nahen des Triumphzuges an. Welcher Art das Ereigniß auch sei, das man durch Musik einleite, wir sind durch sie stets in gehobene Stimmung versetzt. Eine große Zahl vornehmer Römer und einige Fremde umringten Corinna's Wagen. »Das ist ihr Gefolge von Anbetern«, sagte ein Römer. »Ja«, erwiderte ein Anderer, »Jedermann streut ihr Weihrauch; doch giebt sie Niemand einen entschiedenen Vorzug; sie ist reich und unabhängig; man glaubt sogar, und sicherlich sieht sie darnach aus, daß sie von vornehmer Geburt sei, die nicht bekannt werden soll.« »Gleichviel«, bemerkte ein Dritter, »sie ist eine in Wolken gehüllte Gottheit.« Oswald sah erstaunt auf den Sprechenden, dessen Aeußeres den niedersten gesellschaftlichen Rang bezeichnete; aber im Süden bedient man sich des dichterischen Ausdrucks mit einer Natürlichkeit, als ob die Luft solche Sprache lehre, die Sonnenstrahlen sie eingaben.
Endlich bahnten sich die vier weißen Rosse, welche Corinna zogen, durch das Menschengedränge ihren Weg. Die Gefeierte saß auf einem antiken Triumphwagen, und junge, weißgekleidete Mädchen gingen ihr zur Seite. Wo sie vorüberzog, erfüllte man die Luft mit reichen Wohlgerüchen; dicht gedrängt stand es an den mit Blumen und scharlachnen Teppichen geschmückten Fenstern. Das Volk rief jauchzend: »Es lebe Corinna! Es lebe der Genius! Es lebe die Schönheit.« Ueberall freudige, allgemeine Erregung – nur Lord Nelvil theilte sie noch nicht; und obwohl er sich schon mahnend gesagt, daß man, um Alles dieses richtig zu beurtheilen, englische Verschlossenheit und französischen Spott bei Seite lassen müsse, konnte er sich doch zu keiner Festesstimmung erheben, bis er endlich Corinna selbst erblickte.
Sie war wie die Sibylle des Domenichino gekleidet: ein indisches Gewebe wand sich um das Haupt und verlor sich halb in dem reichen, schwarzen Haar. Das Kleid war weiß; ein blaues Obergewand floß in reichem Faltenwurf darüber hin, und das Ganze, wiewohl malerisch, wich doch nicht so von der gegebenen Sitte ab, daß es zu viel Gesuchtheit verrathen hätte. Ihre Haltung war edel und bescheiden; man sah es wohl: sie freute sich der allgemeinen Bewunderung, doch sichtbare Schüchternheit verschleierte diese Freude und schien für so viel Ueberlegenheit Verzeihung zu erflehn. Der Ausdruck ihrer Miene, ihrer Augen, ihres Lächelns nahm für sie ein, und ehe noch ein tieferes Gefühl ihn beherrschte, war Lord Nelvil ihr Freund. Ihre Arme waren von leuchtender Schönheit; der Wuchs, groß und etwas kräftig, wie das griechische Ideal, war, gleich diesem, ein hehres Bild der Jugend und des Glückes; ihr Auge blickte voll Begeisterung. In der Art, wie sie grüßte und für die erhaltenen Beifallsbezeigungen dankte, lag eine Ungezwungenheit, welche den Glanz des außerordentlichen Momentes, den sie eben durchlebte, nur noch erhöhte. Sie erinnerte an die Priesterin, die zum Sonnentempel des Apollo emporsteigt, und glich doch auch wieder einer, in gewöhnlichen Lebensverhältnissen gewiß höchst einfachen Frau; kurz, ihre ganze Weise hatte einen Zauber, der Theilnahme und Neugier, Erstaunen und Zuneigung erweckte.
Die Bewunderung des Volkes wuchs, je mehr sie sich dem Kapitol näherte, dieser an großen Erinnerungen so reichen Stätte. Der schöne Himmel, die begeisterten Römer und vor Allem Corinna selbst erwärmten jetzt Oswalds Einbildungskraft; oft wohl hatte er daheim das Volk seine Staatsmänner im Triumphe einhertragen sehen, aber zum ersten Male war er Zeuge, daß man einer Frau so hohe Ehre erwies. Hier huldigte man nur dem Genius, hier war ein Triumphwagen, den nicht Thränen bezahlten, nicht Menschenglück erkauft hatte; und keine Rücksicht, kein Bedenken schränkte hier die Anerkennung der schönsten Naturgaben ein: der Phantasie, der Empfindung und des Gedankens.
Oswald war in Betrachtung versunken, neue Gedanken erfüllten seinen Geist, und dem durch die Geschichte geheiligten, klassischen Boden mit seinen großen Monumenten vermochte er noch keine Aufmerksamkeit zu schenken. Am Fuße der zum Kapitol hinauf führenden Treppe hielt der Wagen, und jetzt eilten Corinnens Freunde herbei, ihr den Arm zu bieten. Sie wählte den des Fürsten Castel-Forte, eines durch seinen Geist und Charakter allgemein verehrten römischen Standesherrn. Jedermann billigte Corinna's Wahl; sie stieg die Stufen zum Kapitol hinauf, deren ernste Großartigkeit auch den leichten Schritt einer Frau wohlwollend aufzunehmen schien. Die jubelnde Musik fiel im Augenblick von Corinnens Ankunft mit neuem Schwunge ein, Kanonen donnerten, und die triumphirende Sibylle trat in den zu ihrem Empfange bereiteten Palast.
Ein mächtiger Saal nahm sie auf, in dessen Tiefe die Senatoren und unter ihnen der, welcher sie krönen sollte, schon Platz genommen hatten; auf der einen Seite saßen alle Cardinäle und des Landes vornehmste Frauen, auf der anderen die Gelehrten der römischen Akademie. Das entgegengesetzte Ende des Saales war von einem Theil der ungeheuren Volksmenge eingenommen. Der für Corinna bestimmte Sessel stand auf einer Erhöhung, die indeß weniger hoch als der Sitz des Senators war. In Gegenwart dieser erhabenen Versammlung hatte Corinna, dem Gebrauche gemäß, auf der ersten, zu ihrem Sessel führenden Stufe das Knie zu beugen. Sie that es mit edler Bescheidenheit, mit anstandsvoller Würde. Lord Nelvils Augen füllten sich mit Thränen. Gerührt sah er, wie Corinnens Blicke, inmitten all dieses Glanzes, all dieses Erfolges, den Schutz eines Freundes zu suchen schienen, den Schutz, dessen keine Frau entbehren kann, wie überlegen sie auch sei! Und er dachte bei sich selbst, wie süß es sein müsse, einer Frau als Stütze zu dienen, deren überreiches Empfindungsleben allein sie solchen Anhaltes bedürftig machte.
Als Corinna ihren Platz eingenommen, trugen römische Dichter verschiedene, zu ihrem Preise verfaßte Sonette und Oden vor. Alle erhoben sie zum Himmel, ohne eine genauere Charakteristik zu liefern. Es waren hübschklingende Anhäufungen von Bildern und mythologischen Anspielungen, welche man von Sappho bis auf unsere Tage, von Jahrhundert zu Jahrhundert, an jede Frau von dichterischer Begabung hätte richten können.
Schon begann Lord Nelvil von dieser Art des Lobes zu leiden; schon meinte er, allein im Anschauen Corinnens, und ohne Suchen, ein treffenderes Bild von ihr entwerfen zu können; ein wahreres, eigenthümlicheres, ein Bild endlich, das nur Corinna sein konnte.