Fünf Märlein zum Einschlafen für mein Schwesterlein
von Friedrich Rückert (1788-1866)
Vom Büblein, das überall mitgenommen hat sein wollen
Denk' an! das Büblein ist einmal
Spazieren gangen im Wiesental;
Da wurd's müd' gar sehr
Und sagt': »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist das Bächlein geflossen kommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich aufs Bächlein gesetzt
Und hat gesagt: »So gefällt rnir's jetzt.«
Aber was meinst du? das Bächlein war kalt,
Das hat das Büblein gespürt gar bald;
Es hat's gefroren gar sehr,
Es sagt': »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist das Schifflein geschwommen kommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich aufs Schifflein gesetzt
Und hat gesagt: »Da gefällt mir's jetzt.«
Aber siehst du? das Schifflein war schmal,
Das Büblein denkt: »Da fall' ich einmal«;
Da furcht' es sich gar sehr
Und sagt': »Ich mag nicht mehr;
Wenn nur was käme Und mich mitnähme!«
Da ist die Schnecke gekrochen gekommen
Und hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich ins Schneckenhäuslein gesetzt
Und hat gesagt: »Da gefällt mir's jetzt.«
Aber denk! die Schnecke war kein Gaul,
Sie war im Kriechen gar zu faul;
Dem Büblein ging's langsam zu sehr;
Es sagt': »Ich mag nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist der Reiter geritten gekommen,
Der hat's Büblein mitgenommen;
Das Büblein hat sich hinten aufs Pferd gesetzt
Und hat gesagt: »So gefällt mir's jetzt.«
Aber gib acht! das ging wie der Wind,
Es ging dem Büblein gar zu geschwind;
Es hopft drauf hin und her
Und schreit: »Ich kann nicht mehr;
Wenn nur was käme
Und mich mitnähme!«
Da ist ein Baum ihm ins Haar gekommen
Und hat das Büblein mitgenommen;
Er hat's gehängt an einen Ast gar hoch,
Dort hängt das Büblein und zappelt noch.
Das Kind fragt:
Ist Denn das Büblein gestorben?
Antwort:
Nein! es zappelt ja noch!
Morgen gehn wir 'naus und tun's 'runter.