Die süße Wilhelmine

Der süßeste Wilhelm saß auf grüner Au
Und seine Braut Leonor' auf seinem Schoß
Da wand sie sich aus seinen Armen los:
»Sie hier, sieh dort den kalten Abendtau
Nimm hin den Abschiedskuss, mein Trauter! Ich muß gehen.
Leb wohl, du süßer Wilhelm, leb wohl, auf Wiedersehn.«

Und als ich früh an ihrem Fenster stand,
Da hörte sie die helle Dorfschalmei
Da zog der Bräutigam an ihrem Haus vorbei,
Die stolze Braut zu seiner rechten Hand Leonore sank zurück! Leonore weinte laut:
»O Gott! der süße Wilhelmu und seine neue Braut!«

Und als es war um tiefe Mitternacht,
Da stahl der Bräutigam sich still hinaus;
Und als er kam in seines Liebchens Haus,
Da lag es schon in weißer Leichentracht.
Die Schwestern weinten sich die blauen Augen rot:
»Sieh her, du süßer Wilhelm, sieh, deine Braut ist tot!«

»Noch gestern saßen wir auf grüner Au;
Ihr schwor ich treu zu sein mein Leben lang;
Und als vom Turm die Mittagsglockeklang
Da hatt'ich schon, ich Armer, eine Frau.
O, meine Mutter trägt die Schuld an der Geschicht'
Sie schwur: den süßen Wilhelm bekommt Lenore nicht!

Und konnt' ich nicht auf ihrer Hochzeit sein,
So bin ich doh auf ihrem Totenmahl.
Ihr Trauerhaus ist nun mein Hochzeitssaal;
An ihrer Bahre trink' ich kühlen Wein.
O, meine Schwestern, bald,bald folg'ich ihr hinab!
Begrabt den süßen Wilhelm mit ihr in einem Grab!e

In Tränenflut ergoß er seinen Schmerz.
Er barg sein Angesicht ins Leichentuch.
Und als die Nachtigall am Morgen schlug,
O weh, da brach der Klagesang sein Herz.
Im schönen Maien war's: sie starb den ersten Tag;
Der arme süße Wilhelm folgt' ihr am andern nach.

 

 


Letzte Änderung der Seite: 09. 04. 2022 - 13:04