Die letzte Nacht

    Sie sinkt, die Nacht! sie sinkt auf Mohn und Flieder,
im Grabgewand’, von Leichenduft umwebt,
ein kalter Schauder bebt mir durch die Glieder,
Indeß der freye Geist sich zu entfesseln strebt!

    Verhallt, auf ewig! sind der Hoffnung Lieder,
Verrauscht  der Freude goldnes Saitenspiel!
Kein Gott facht die verlosch’ne Flamme wieder
Im öden Busen an – ich bin am Ziel!

    Ich hör’ im Sturme, der die hohe Eiche
Mit Allmachtsvollem Arm zur Erde beugt,
Im dumpfen Schilfgeflüster, das am trüben Teiche
Sich traurig hin und her im Winde neigt,

    Wie aus gebleichten Schädeln, hohl und düster,
Der Abgeschiednen Stimme: folge mir!
Und Schattenbilder wehn mit Grabgeflüster
Zu mir heran, und hauchen: folge mir!

    Ich folg’ euch gern! ach, an Unmöglichkeiten
verlosch des Lebens einst so schönes Licht! –
Wer zürnt dem Kranken, dem’s im Kampf mit seinen Leiden,
Zuletzt an Muth und inn’rer Kraft gebricht?

    Vernimm du, Wesen! das ich ewig liebe,
Dies Herz erträgt den bittern Kampf nicht mehr!
Vergebens rang es mit Vernunft und Liebe,
ihr Widerspruch wird seiner Kraft zu schwer!

    Was soll, Geliebte! ohne dich das Leben,
dies bange Traumgebild, was soll es mir?
Wo einer lacht, wenn tausend andre beben;
Was kann ich lieben, wünschen – außer dir?

    Ich eil’ hinaus, ins schaudervolle Oede!
Verändrung ist für mich Verbesserung!
Und glüht mir jenseits keine Morgenröthe,
Der Grabesnacht entblüht Beruhigung!

    Ich lechze auf nach hellern Lebensblicken!
Gewißheit blüht aus der Verwesung Staub!
Dort will ich mir die Aetherblume pflücken –
Zu lange war ich hier des Wahnes Raub!

    Schon seh ich Thau aus jener Wolke sinken
Schon fühl ich mich vom Morgenhauch umbebt
Wenn dieses Sternes letzte Stralen blinken,
Dann hat dein treuer Jüngling ausgelebt.

        S. S.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03