Briefe aus den Befreiungskriegen
Heinrich Dietrich von Grolman an seinen Sohn Karl Wilhelm von Grolman
VII.
vom 14.11.1807.
14. November 1807.
Lieber Sohn! Deinen Brief vom 31. Oktober kann ich mit Deinen eigenen Worten beantworten. »Du schreibst: Selbst die schändlichste Erniedrigung will ich mit ertragen, wenn nur die Wahrscheinlichkeit stattfindet, dass mein Vaterland durch eine kraftvolle Führung sich allmählich innerlich erstarkt, und so die große Katastrophe erwarten, die daraus dann einmal eintreten muss, und wo es dann zu seinem alten Ruhm und Größe sich wieder aufschwingen würde, selbst wenn diese Epoche erst nach meinem Tode eintreten würde.« Nun an dieser Wahrscheinlichkeit kann doch wohl niemand zweifeln; was heute nicht geschieht, kann immer morgen geschehen. Du stellst Dir die Dinge von einer viel zu schwarzen Seite vor, und verbitterst nur dadurch Dein Leben. Gesetzt aber es wäre alles so schwarz wie Du glaubst, wie bald kann ein Tag, ein Zufall die Lage der Dinge verändern? Die Reiche der Eroberer, Alexander, Attila, Dschingiskhan, Tamerlan, Karl etc. sind nie von langer Dauer gewesen, und in den Einrichtungen des Napoléon liegt schon der Keim der Zerstückelung und des Verfalls. Nach der heftigen Krisis, worin er Frankreich erhält, wird ein großer Zustand der Schwäche erfolgen. Freilich wird die Wahrscheinlichkeit besserer Zeiten immer geringer, wenn Menschen von Kraft sich der Verzweiflung ergeben, und ihr Vaterland verlassen wollen, aber je schwächer andere Leute sind, desto stärker müssen wir uns zeigen. Der Starke wird doch endlich die Oberhand über den Schwachen behalten. Nur versieht es der Starke häufig darin, dass er wilde Entwürfe macht, und solche mit Gewalt durchsetzen will. Er verfahre nur mit Mäßigung, Weisheit und Klugheit, alsdann wird er den Schwachen gewiss leiten. Du scheinst den Untergang des Staates mit auf die innere Regierung zu schieben. Diese hat zwar Mängel, allein sie sind unbedeutend und konnten das Verderben des Staates nicht nach sich ziehen. Unser Unglück haben wir allein der Armee und ihrer schlechten Leitung zu danken. Unsere Generäle waren zu alt, zum Teil offenbare Schurken. Jeder wollte befehlen, niemand gehorchen, aber die Generäle sind es nicht allein, über die man klagen muss. Die Schuld fällt auch auf die andern Offiziere, welche gegen den unbewaffneten Bürger den Helden spielten, sich aber bei keiner Gelegenheit als wahre Helden zeigten. Sonsten würde sich doch wohl Einer gefunden haben, der den kapitulierenden General vor den Kopf geschossen und sich an die Spitze der Truppen gestellt hätte. Dahin muss die Reorganisationskommission arbeiten, dass in der Armee Kenntnis der wahren Pflichten, wahre Vaterlandsliebe entsteht. Du hast auf der Laufbahn, die Du Dir selbst gewählt hast, mit Ruhm gedient. Du hast in Deinem Alter einen Schritt erreicht, worauf wenige vor Dir gekommen sind. Du hast die Aussicht in zehn, zwanzig Jahren auf einem Posten zu stehen, wo Du Deinem Vaterlande große Dienste leisten kannst. In dieser Zeit hat sich die Gestalt der Dinge gewiss verändert. Warte dies ab, und Du wirst sehen, dass alles gut geht. Ein übereilter Schritt wird Dir gewiss gereuen; mit welcher Zufriedenheit wirst Du dagegen künftig auf Dich sehen, wenn Du zu Dir wirst sagen können: Ich habe im Unglück mein Vaterland nicht verlassen, an dessen Wiederaufblühen ich verzweifelte. Ich selbst habe dazu erheblich beigetragen. Das gebe Gott. Alsdann werde ich mich noch in jener Welt über Dich freuen, und in dieser stets bleiben
Dein treuer Vater
Berlin, 14 November 1807.
(:N.S:) Braunschweig hat Dir von einiger Zeit geschrieben, und Dir etwas Leinwand durch einen Kurier gesandt. Karoline hat Dir durch einen Herrn von Keudell mehrere Leinenzeug überschickt. Ich selbst habe Dir durch einen Kurier eine Vorstellung des Vetters Grolman aus Gießen geschickt, worin er um seinen Abschied bittet. Aller dieser Briefe erwähnst Du nicht. Es ist uns aber sehr daran gelegen, zu wissen ob Du diese Briefe erhalten hast. Melde mir also dieses mit der nächsten Gelegenheit.
Von dem Herrn Stein erwarte ich nichts Großes, wenigstens verrät sein neuester Edikt über die Tresorscheine keine großen Finanzkenntnisse. Das auswärtige Departement scheint mir nicht sonderlich besetzt zu sein, von den beiden Gesandten in Paris verspricht man sich nichts. Russland, das den Frieden geschlossen, und von seiner Seite erfüllt hat, muss dafür sorgen, dass er auch von Frankreich erfüllt werde. Darauf muss unser Hof drängen. Hier setzt man viele Hoffnungen auf England. Der König besteht auf die Zurückgabe von Hannover. Ist dieses, so kann er nicht zugeben, dass sein Land von französischem Truppen umgeben sei; das jetzige Ministerium scheint mehr Energie zu haben, als die vorigen.