Kinder- und Hausmärchen 1812-1815

von Jacob und Wilhelm Grimm.

2. Band [1815]

19. Mährchen von der Unke

1.

Ein Kind saß vor der Hausthüre auf der Erde und hatte sein Schüsselchen mit Milch und Weckbrocken neben sich und aß. Da kam eine Unke gekrochen und senkte ihr Köpfchen in die Schüssel und aß mit. Am andern Tag kam sie wieder und so eine Zeitlang jeden Tag. Das Kind ließ sich das gefallen, wie es aber sah, daß die Unke immerfort blos die Milch trank und die Brocken liegen ließ, nahm es sein Löffelchen, schlug ihr ein Bischen auf den Kopf und sagte: »Ding, iß auch Brocken!« Das Kind war seit der Zeit schön und groß geworden, seine Mutter aber stand gerade hinter ihm, und sah die Unke, da lief sie herbei und schlug sie todt, von dem Augenblick ward das Kind mager und ist endlich gestorben.

2.

Ein Waisen-Mädchen saß an der Stadtmauer und spann, sah eine Unke herkommen. Da breitete es ein blauseiden Tuch, das die Unken gewaltig lieben und auf das sie allein gehen, neben sich aus. Alsobald die Unke das erblickte, kehrte sie um, kam wieder und brachte ein kleines goldenes Krönchen getragen, legte es darauf und ging dann wieder fort. Da nahm das Mädchen die Krone auf, sie glitzerte und war von zartem Goldgespinst: nicht lange, so kam die Unke zum zweitenmal wieder, wie sie aber die Krone nicht mehr sah, kroch sie an die Wand und schlug vor Leid ihr Häuptlein so lange dawider, als sie nur noch Kräfte hatte, bis sie endlich todt da lag. Hätte das Mädchen die Krone liegen lassen, die Unke hätte wohl noch mehr von ihren Schätzen aus der Höhle herbeigetragen.

3.

(Die Unke ruft:) huhu! huhu! (Kind spricht:) komm herut! (Die Unke kommt hervor, da fragt das Kind nach seinem Schwesterchen:) »hast du Rothstrümpfchen nicht gesehen?« (Unke:) »Ne, ik og nit: wie du denn? huhu! huhu! huhu!«

19. Märchen von der Unke

 I. (Aus Hessen und an mehreren Orten gehört.) Offenbaren Zusammenhang damit hat eine Erzählung der Gesta Romanorum Cap. 68. Ein Ritter wird arm und ist darüber traurig. Da fängt eine Natter, die lang im Winkel seiner Kammer gelebt, zu sprechen an und sagt: »gib mir alle Tage Milch und setze sie mir selber her, so will ich dich reich machen.« Der Ritter bringt ihr nun alle Tage die Milch und in kurzer Zeit wird er wieder reich. Des Ritters dumme Frau räth aber zum Tod der Natter, um der Schätze willen, die wohl in ihrem Lager sich fanden. Der Ritter nimmt also eine Schüssel Milch in die eine Hand, einen Hammer in die andere und bringts der Natter, die schlüpft aus ihrer Höhle sich daran zu erlaben. Wie sie nun trinkt, hebt er den Hammer, trifft sie aber nicht, sondern schlägt gewaltig in die Schüssel; worauf sie alsbald forteilt. Von dem Tag an, nimmt er an Leib und an Gut ab, wie er vorher daran zugenommen hat. Er bittet sie wieder um Gnade, aber sie spricht: »meinst du, daß ich des Schlags vergessen, den die Schüssel an meines Hauptes statt empfangen, zwischen uns ist kein Frieden.« Da bleibt der Ritter in Armuth sein Lebelang.

II. (aus Hessen.) Die Sage von den Kronen (Feuerteppichen welche die Schlangen (Salamander) weben, ist bekannt.

III. (aus Berlin.)


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