Faust.

Der Tragödie zweiter Teil.

Erster Akt.

Rittersaal

Dämmernde Beleuchtung.
Kaiser und Hof sind eingezogen.

HEROLD.

Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden
Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
Vergebens wagt man, aus verständigen Gründen
Sich zu erklären das verworrene Schalten.
Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
Der großen Zeit bequemlichstens betrachten.
Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,
Die Bänke drängen sich im Hintergrunde;
Auch Liebchen hat, in düstern Geisterstunden,
Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
Und so, da alle schicklich Platz genommen,
Sind wir bereit; die Geister mögen kommen!

Posaunen.

ASTROLOG.

Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
Der Herr befiehlt's, ihr Wände tut euch auf!
Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand:
Die Teppiche schwinden, wie gerollt vom Brand;
Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
Geheimnisvoll ein Schein uns zu erhellen
Und ich besteige das Proszenium.

MEPHISTOPHELES aus dem Souffleurloche auftauchend.

Von hier aus hoff' ich allgemeine Gunst,
inbläsereien sind des Teufels Redekunst.

Zum Astrologen.

Du kennst den Takt, in dem die Sterne gehn,
Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.

ASTROLOG.

Durch Wunderkraft erscheint allhier zur Schau
Massiv genug, ein alter Tempelbau.
Dem Atlas gleich, der einst den Himmel trug,
Stehn reihenweis der Säulen hier genug;
Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
Da zweie schon ein groß Gebäude trügen.

ARCHITEKT.

Das wär' antik! Ich wüßt' es nicht zu preisen
Es sollte plump und überlästig heißen.
Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
Schmalpfeiler lieb' ich, strebend, grenzenlos;
Spitzbögiger Zenit erhebt den Geist;
Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.

ASTROLOG.

Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden
Durch magisch Wort sei die Vernunft gebunden;
Dagegen weit heran bewege frei
Sich herrliche verwegne Phantasei.
Mit Augen schaut nun, was ihr kühn begehrt,
Unmöglich ist's, drum eben glaubenswert.

Faust steigt auf der andern Seite des Proszeniums herauf

ASTROLOG.

Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann
Der nun vollbringt, was er getrost begann.
Ein Dreifuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
Schon ahn' ich aus der Schale Weihrauchduft.
Er rüstet sich, das hohe Werk zu segnen;
Es kann fortan nur Glückliches begegnen.

FAUST großartig.

In eurem Namen, Mütter, die ihr thron
Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig sein.
Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
Die andern sucht der kühne Magier auf;
In reicher Spende läßt er, voll Vertrauen,
Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.

ASTROLOG.

Der glühnde Schlüssel rührt die Schale kaum
Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum;
Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,
Gedehnt, geballt, verschränkt, geteilt, gepaart.
Und nun erkennt ein Geister-Meisterstück!
So wie sie wandeln, machen sie Musik.
Aus luft'gen Tönen quillt ein Weißnichtwie,
Indem sie ziehn, wird alles Melodie.
Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt,
Ich glaube gar, der ganze Tempel singt.
Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor.
Hier schweigt mein Amt, ich brauch' ihn nicht zu nennen,
Wer sollte nicht den holden Paris kennen!

Paris hervortretend

DAME.

O! welch ein Glanz aufblühender Jugendkraft!

ZWEITE.

Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!

DRITTE.

Die fein gezognen, süß geschwollnen Lippen!

VIERTE.

Du möchtest wohl an solchem Becher nippen?

FÜNFTE.

Er ist gar hübsch, wenn auch nicht eben fein.

SECHSTE.

Ein bißchen könnt' er doch gewandter sein.

RITTER.

Den Schäferknecht glaub' ich allhier zu spüren
Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.

ANDRER.

Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön
Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!

DAME.

Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.

RITTER.

Auf seinem Schoße wär' Euch wohl bequem?

ANDRE.

Er lehnt den Arm so zierlich übers Haupt.

KÄMMERER.

Die Flegelei! Das find' ich unerlaubt!

DAME.

Ihr Herren wißt an allem was zu mäkeln.

DERSELBE.

In Kaisers Gegenwart sich hinzuräkeln!

DAME.

Er stellt's nur vor! Er glaubt sich ganz allein.

DERSELBE.

Das Schauspiel selbst, hier sollt' es höflich sein.

DAME.

Sanft hat der Schlaf den Holden übernommen.

DERSELBE.

Er schnarcht nun gleich; natürlich ist's, vollkommen!

JUNGE DAME entzückt.

Zum Weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
Das mir das Herz zum innigsten erfrischt?

ÄLTERE.

Fürwahr! Es dringt ein Hauch tief ins Gemüte
Er kommt von ihm!

ÄLTESTE.

Es ist des Wachstums Blüte
Im Jüngling als Ambrosia bereitet
Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.

Helena hervortretend

MEPHISTOPHELES.

Das wär' sie denn! Vor dieser hätt' ich Ruh'
Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.

ASTROLOG.

Für mich ist diesmal weiter nichts zu tun
Als Ehrenmann gesteh', bekenn' ich's nun.
Die Schöne kommt, und hätt' ich Feuerzungen! –
Von Schönheit ward von jeher viel gesungen –
Wem sie erscheint, wird aus sich selbst entrückt,
Wem sie gehörte, ward zu hoch beglückt.

FAUST.

Hab' ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sin
Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.
Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
Erst wünschenswert, gegründet, dauerhaft!
Verschwinde mir des Lebens Atemkraft,
Wenn ich mich je von dir zurückgewöhne! –
Die Wohlgestalt, die mich voreinst entzückte,
In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne! –
Du bist's, der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,
Dir Neigung, Lieb', Anbetung, Wahnsinn zolle.

MEPHISTOPHELES aus dem Kasten.

So faßt Euch doch und fallt nicht aus der Rolle!

ÄLTERE DAME.

Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.

JÜNGERE.

Seht nur den Fuß! Wie könnt' er plumper sein!

DIPLOMAT.

Fürstinnen hab' ich dieser Art gesehn
Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.

HOFMANN.

Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.

DAME.

Wie häßlich neben jugendreinem Bild!

POET.

Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.

DAME.

Endymion und Luna! wie gemalt!

DERSELBE.

Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken
Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken;
Beneidenswert! – Ein Kuß! – Das Maß ist voll.

DUENNA.

Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!

FAUST.

Furchtbare Gunst dem Knaben! –

MEPHISTOPHELES.

Ruhig! still!
Daß das Gespenst doch machen, was es will.

HOFMANN.

Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.

DAME.

Sie sieht sich um! Das hab' ich wohl gedacht.

HOFMANN.

Er staunt! Ein Wunder ist's, was ihm geschieht.

DAME.

Ihr ist kein Wunder, was sie vor sich sieht.

HOFMANN.

Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.

DAME.

Ich merke schon, sie nimmt ihn in die Lehre
In solchem Fall sind alle Männer dumm,
Er glaubt wohl auch, daß er der erste wäre.

RITTER.

Laßt mir sie gelten! Majestätisch fein! –

DAME.

Die Buhlerin! Das nenn' ich doch gemein!

PAGE.

Ich möchte wohl an seiner Stelle sein!

HOFMANN.

Wer würde nicht in solchem Netz gefangen?

DAME.

Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen
Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.

ANDRE.

Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.

RITTER.

Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste
Ich hielte mich an diese schönen Reste.

GELAHRTER.

Ich seh' sie deutlich, doch gesteh' ich frei
Zu zweiflen ist, ob sie die rechte sei.
Die Gegenwart verführt ins Übertriebne,
Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
Da les' ich denn, sie habe wirklich allen
Graubärten Trojas sonderlich gefallen;
Und wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier:
Ich bin nicht jung, und doch gefällt sie mir.

ASTROLOG.

Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann
Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor,
Entführt er sie wohl gar?

FAUST.

Verwegner Tor!
Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel!

MEPHISTOPHELES.

Machst du's doch selbst, das Fratzengeisterspiel!

ASTROLOG.

Nur noch ein Wort! Nach allem, was geschah
Nenn' ich das Stück den Raub der Helena.

FAUST.

Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
Er führte mich, durch Graus und Wog' und Welle
Der Einsamkeiten, her zum festen Strand.
Hier fass' ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
So fern sie war, wie kann sie näher sein!
Ich rette sie, und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter! müßt's gewähren
Wer sie erkannt, der darf sie nicht entbehren.

ASTROLOG.

Was tust du, Fauste! Fauste! – Mit Gewalt
Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! – Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
Explosion, Faust liegt am Boden
Die Geister gehen in Dunst auf.

 

MEPHISTOPHELES der Fausten auf die Schulter nimmt.

Da habt ihr's nun! mit Narren sich beladen,
as kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
Finsternis, Tumult.


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