Das System der Rechtslehre

von Johann Gottfried Fichte.

Zweiter Teil

Drittes Kapitel

Erster Abschnitt

[Grundmaßstab des Werts der Dinge]

Wir haben früher gezeigt: in dem Tausche soll Jedem sein Eigentum verbleiben. Was ist das? Es ergibt sich uns daraus die Aufgabe, einen Grundmaßstab des Wertes aller Dinge aufzufinden.

1) Wir werden heute nur einleiten, um vorzubereiten; die Sätze mögen Ihnen gegenwärtig bleiben, um nachher das Folgende darauf zu bauen.

2) Dies ist nun die verworrenste aller Untersuchungen, weil es den Untersuchenden gewöhnlich an Einfachheit fehlt. Ich hoffe, bei Ihnen für das Verständnis derselben gesorgt zu haben, und empfehle Ihnen die Enthaltung von andren Gedanken und Einfällen; wir werden Schritt vor Schritt Alles berühren. Man redet von Teuerung und Wohlfeilheit, ohne zu merken, dass man da einen Grundpreis des nicht Teuren und Wohlfeilen voraussetzt, ohne zu merken, dass dies Wechselbegriffe sind, und endlich in ewiger Befangenheit vom Gelde, das alle gesunde Einsicht in diese Materie stört. Ist denn nun die Ware teurer, oder das Geld wohlfeil? Was ist denn der eigentliche Maßstab, der absolut bleibende Wert? Sie sagen gewöhnlich: das Geld, das ist aber ungeheuer schief. Alle diese Untersuchungen müssen ohne Rücksicht auf Geld abgemacht werden; das Geld ist an sich gar Nichts; bloß der leere Reflex, und das Zeichen des Wertes in allen jenen Verhältnissen.

Man setze einen solchen Zustand der Dinge als Basis, in welchem jeder der Arbeitenden durch seine Arbeit so lange leben könnte, als er arbeitete; so wäre in diesem Zustande der Preis und Wert der Arbeit oder des niedergelegten Produktes, das Leben, während der Zeit der Verfertigung. Kann er leben, so lange er arbeitet, so hat er den Preis, nur wenn er umkommen muss, ist er ihm vorenthalten.

Wert der Arbeit ist also das Leben auf so lange Zeit, als der Arbeitende zu ihrer Verfertigung bedurfte. So bestimmt Kant diesen Begriff. In einer solchen Ordnung der Dinge müssten 1) Alle ohne Ausnahme immerfort arbeiten, denn jeder Einzelne gewinnt nur ein einzelnes Menschenleben. 2) Müssen Alle immerfort arbeiten. Wer da ruht, der hat nicht weiter zu essen.

Ohne mich dabei aufzuhalten, dass ein solcher Zustand schon darum nicht möglich ist, weil in ihm keine Fortbildung möglich wäre, kein Überschuss der Arbeit für die Ernährung der Kinder, der Kranken und Schwachen; kein Staat, weil die Regierenden nicht übertragen werden könnten: sprechen wir gleich das Wesentliche aus. Ich sage: in einem solchen Zustande hätte das menschliche Leben selbst durchaus keinen Wert, Bestimmung, oder Geltung oder selbstständiges Dasein: denn es geht immerfort in sich selbst auf, es geht darauf, um sich zu erhalten: warum aber soll es sich denn erhalten? Da heißt es, um sich zu erhalten; also ein sichtlicher Zirkel.

So kann es darum nicht sein: das Leben, das durch die Arbeit sich bloß erhält, muss jenseits derselben Freiheit gewinnen, selbstständig sich zu äußern. Außerdem hat es keinen Grund, da zu sein, noch der Lebende, sich in den Staat zu begeben. Im Staate muss es so sein, und das Letztere ist die Bedingung des Staates.

Wie muss es also sein? Alle müssen leben können, auch bei unterbrochener Arbeit. Wenn Alle mit der Anstrengung, die als der gemeinsame Maßstab dieser Anstrengung vorausgesetzt wird, eine Zeit lang, z.B. ½ Jahr, arbeiten, so ist das Produkt dieser Arbeit ihr Lebensbedürfnis nicht nur auf dieses halbe Jahr, sondern etwa auf das ganze. Sie gewinnen durch das halbe Jahr Arbeit Lebensunterhalt für das ganze Jahr, folglich ½ Jahr von Muße.

Diese Summe der Muße muss zuvörderst abgegeben werden an den Staat, gegen das allererste notwendigste Lebensbedürfnis, welches dieser bestreitet: die Sicherheit Aller. Dies hat zwei Folgen. Zuvörderst, die Staatsbeamten arbeiten selbst nicht (nämlich für die unmittelbare Erhaltung des sinnlichen Lebens: für die Erhaltung des rechtlichen und geistigen Lebens arbeiten sie allerdings). Was darum in dem erst gezogenen Resultate von Arbeit für die Erhaltung Aller auf sie fiel, müssen die Übrigen unter sich verteilen. Man setze, dass um dieser Rücksicht willen auf Jeden noch ¼ Jahr Arbeit mehr falle, so wäre dieses Vierteljahr die Abgabe an den Staat, und diese wäre völlig gleich verteilt. Es bliebe Jedem ¼ Jahr Ruhe übrig.

Was ist nun der Preis der Arbeit Aller? Antwort: das Leben; und zwar in doppelter Rücksicht, teils, dass es erhalten werde, teils, dass es frei (von Arbeit, und in Muße) sich bewegen könne. Dieser Preis wird errungen durch die Arbeit Aller, und ist das ihnen garantierte Eigentum, und sie haben Alle darauf gleiche Rechtsansprüche: der gleiche Anteil an dem Leben ist darum das Eigentum jedes Einzelnen.

Da jedoch die Muße, die Jeder rechtlich gewinnt, in concreto sich anschauen lässt als ein Lebenkönnen ohne Arbeit; so können wir den Preis aller Arbeit allerdings in das Lebenkönnen setzen. Der Wert einer bestimmten Zeit Arbeit ist der einer bestimmten Zeit des Lebens; ganz richtig nach der Kantischen Formel: nur nicht etwa der gleichen; denn sodann wäre das Leben selbst zu gar keinem Werte anzuschlagen, sondern einer größeren. In der aufgestellten Lage sind drei Teile Zeit und Arbeit wert vier Teile vom Leben: und so ist denn der Wert des reinen Lebens ¼ der Zeit. Darum sind in diesem Staate drei Stunden Arbeit (versteht sich nach dem hergebrachten Maßstabe) wert vier Stunden des Lebens; und dass sie einem Jeden grade das gelten, ist sein ihm vom Staate absolut garantiertes Eigentum, und gelten sie ihm dieses nicht, so ist ihm sein Eigentum genommen. Dies ist der Grundpreis aller Dinge, der also jedesmal nach folgenden Faktoren bestimmt wird: 1) der Faktor: welche Zeit hat die Verfertigung dieses Dinges gekostet? welches nach dem angenommenen Maßstabe im Allgemeinen zu bestimmen ist; 2) der Faktor: welche Zeit des Lebenskönnens gibt diese Zeit in dieser Lage des Staats? Und nun wird als Resultat aus diesen beiden Faktoren der Wert seiner Arbeit bestimmt.

Wir rechnen ohne Zweifel auf Überschuss der Kraft; woher soll nun dieser Überschuss kommen? Dieser ist eben der Gewinn des reinen vernünftigen Lebens, des Verstandes und der vorteilhaften Anwendung der Arbeit. Unverständige Kraftanwendung möchte wohl den Menschen kaum ernähren. Der Verstand gewinnt noch mehr Muße. Wodurch? Indem er andre Kräfte sich dienstbar macht; zuvörderst in Hinsicht des Bodens, zu der Bearbeitung desselben macht er sich die ganze organisierte Naturkraft dienstbar. Dazu bedient er sich der Tiere. Diese arbeiten und dehnen Eine Menschenkraft zum Unterhalt Mehrerer aus, die nun abwechselnd arbeiten können. Den Überschuss hat der Boden gearbeitet, dienend dem vernünftigen und verständigen Leben, das ihm verständig zu befehlen weiß. Wem soll nun dieser Überschuss gehören? Dem, wem der Boden gehört; so dachten eben die vermeinten Grundeigentümer. Aber der Boden gehört gar keiner Person, sondern der Vernunft und Freiheit, welche hier, um ihr Recht zu behaupten, sich zu einem Staate vereinigt hat; also er gehört Allen, muss unter Alle als gleich verteilt gedacht werden, nicht dem Landbauer allein zugehörend: denn nur unter der Bedingung ist ihm der Landbau zugestanden, dass er seinen Überschuss werfe in die gemeinsame Masse. So gibt es noch viel andre Quellen dieses Überschusses, und sie bestimmen eben den National- oder Staatsreichtum. 


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03