Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Werner Teil 2

Text

»Zagen sollt ihr, nicht verzagen,
Sollt bereun und bessertun,
Aber tun, das heißt entsagen,
Bessres wird die Gnade tun;
Glauben, Kindlein, und nicht fragen
Sollt ihr, ruhen nicht, und tun!«

Mit Feuereifer bekämpft er daher den Glauben der Vielfältigen, die gar vieles, aber nicht alles in einem sehen. »Sie lesen«, sagt er, »im Katechismus von den Geboten Gottes und denen der Kirche. Eins gefällt ihnen, dieses mißfällt ihnen; diejenigen, die ihnen gefallen, befolgen sie manchmal; diejenigen, die ihnen mißfallen, unterlassen und verwerfen sie und glauben so, dem lieben Gott eine wächserne Nase zu machen, die sie drehen können, wie sie wollen. Ja! sie wissen manche Gebote recht gut auszulegen, wissen, daß Jesus die Ehebrecherin nicht verdammt, sondern begnadiget hat. Sie glauben, daß Gott gnädig ist, sie machen ihn nur noch gnädiger, als er ist, so daß sie ihm seine Gerechtigkeit gänzlich rauben. Sie glauben, daß er barmherzig ist, denn sie glauben, er vergibt alles, sie glauben an keine Strafe. Sie glauben, daß Gott höchst selig ist. Sie glauben an die ewige Seligkeit; darnach streben sie ja, sie wollen die ewige Seligkeit. Gott suchen sie nicht, Gott verlangen sie nicht, aber die ewige Seligkeit. Sie wollen hier schwelgen und darauflossündigen, dann wollen sie sich bequemen im Augenblick zu sterben und dann in die ewige Herrlichkeit eingehen, in ihre Herrlichkeit, wollen dann auch in der Wollust forttaumeln. Diese Vielfältigen wollen die Seligkeit, aber suchen nicht den, durch den sie sie allein erwerben können. Sie wollen ihren Stolz nicht unterdrücken, ihr Fleisch nicht bändigen, ihre Sinnlichkeit nicht ersticken.« – Von der erstarrten Selbstgenüge und Verstockung gegen den Glauben aber sagt er:

»Es gibt keinen Gott!
Es gibt keinen Teufel!
So rast der Verruchte
Mit frevelndem Mut.Mein Sein ist mein Blut,
Ich hab, was ich suchte;
Drum kommen mir Zweifel,
So glaub ich dem Spott!

Mein Gott ist die Pflicht!
Die bändigt die Triebe.
So frevelt der Unsinn,
Sich selber gerecht.
Was macht mich zum Knecht?
Nur das, was ich nicht bin;
Dahin führt mich Liebe,
Drum ist sie ja schlecht.

So glaub ich an mich! –
Doch Glauben ziemt Narren,
Mir ist ja das Wissen
Von manchem geglückt. –
Doch macht's mich verrückt,
Das Höchste zu missen! –
Nun mag ich erstarren,
Mein Gott das bin ich!« –

In seinen »Geistlichen Übungen für drei Tage« endlich faßt er gleichsam noch einmal seinen ganzen inneren Lebensgang: von der Sünde und Hoffart zum Glauben, vom Glauben zum Schauen, in mehreren Liedergebeten zusammen, und schließt seine Gedichtsammlung mit einem Meßhymnus »Eucharistie« in bezug auf Raffaels Disputa.

Dies alles sowie das oben aus seinen Predigten Angeführte ist allerdings nichts anderes, als was die Kir che lehrt; es schien uns aber nicht überflüssig, eben auf diese Übereinstimmung seiner letzten Überzeugungen mit der Kirche ausdrücklich hinzudeuten, da sich in neuerer Zeit oft die Meinung geltend machen wollte, als habe er auch noch als Priester einen Katholizismus auf seine Weise angestrebt.

Wie ernst und tief er vielmehr namentlich die Bedeutung des Priestertums ganz im Sinne der Kirche auffaßte, bezeugt u.a. sein Gedicht auf den Tod seines väterlichen Freundes Hofbauer. Dort heißt es:

»Freilich ist die Schlacht, die blut'ge,
Gegen unser Wagstück Spiel nur
Freilich, wär es Helden kundig,
Was wir wagen, sie erblichen;
Freilich ist des Herren Urteil,
Ach, ein Abgrund undurchdringlich,
Über welchen wir Berufne
Ziehn, auf schlaffem Haarseil, schwindlig.«

Denn was den andern zum Segen, wird dem Priester zur Verdammnis, wenn er das heilige Mysterium mit unlautrem Herzen verwaltet. Wie töricht daher, wenn der religiöse Pöbel, dem zuliebe der Priester täglich seine Seele wagt, diesem noch Spott für Dank bietet,

»Ganz vergessend, daß das Blut nur
Jesu, welches dir auch fließet,
Pöbel, unser Tun entschuldigt,
Daß wir dir, dem niedern, dienen!«

Doch dieser Spott kann das Wesen des Priestertums nicht versehren; und so mag er denn immerhin die Priester verfolgen, nur das gesunde, glaubenskräftige Volk soll er ungeirrt lassen.

»Und wir wollen ferner ruhig
Deine Wut und unsre Pflichten,
Diese tun und jene dulden,
Beides heiter, beides willig. –
Was die schlechten und die guten
Priester anbetrifft, wir bieten
Beide preis sie deinem Unfug!
Sind wir schlecht, nun so verdienen
Wir ja dein Besudeln, Schmutz'ger,
Trifft's doch nicht, so schlau du zielest,
Was, auch wenn wir schlecht, durch uns tut;
Sind wir gut, so ist es billig,
Daß dein Tadel, der uns ruhmwert,
Weil er kommt von dir, Geringer,
Leucht an unserm Priesterschmucke.
Mit uns also kann dein Wille,
Wenn du welchen hast, sich tummeln!
Nur das Volk, das große, biedre,
Laß dir, Pöbel, nicht gemuten,
Daß du etwa wollest wieder
Hin es gaukeln in den dunkeln
Morast, wo du flackerst, Irrwisch! –
Du, den Pöbel ich nur ungern
Nannte, du, auch mein geliebter,
Wenngleich noch verirrter Bruder!
Lieb uns doch, wie wir dich lieben;
Ach, wär dir die Liebe kund nur,
Alles ließest du und liebtest!
Komm ans Herz mir, nicht um unsert–,
Deinetwegen lerne lieben?«

Der hochgesinnten Jugend aber, die, wenngleich den Priesterstand noch verkennend, doch voll edlen Unmuts das Nichtige und Niedrige haßt:

»Euch, noch nicht Geweihten, bieten
Wir Geweihten drum den Gruß an,
Handschlag und was sonst ist Sitte
Sich zu bieten Lieb und Gutes
Unter ehrenhaften Rittern,
Die, wenn auch verschiedner Zunge
Zum gelobten Lande ziehen. –
Drum, du Trupp, der auf uns unwirsch,
Weil wir, sagst du, viel erfinden,
Du erfindest, wir nur fanden,
Dir: Gefundnes suche, riet ich! –«

Denn eine Angst und Unruh geht durch alle Kreatur, die auch im Gebiete der Wissenschaft stets nur nach Erlösung durstig, und diesen unauslöschlichen Durst löscht nur die Theologie, die Liebeskunde:

»Die des Wissens reiner Ursprung,
Weil aus Liebe quillt das Wissen,
Die der weisen Antwort Kunst ist,
Wenn Philosophie, das Kindlein
Der Vernunft oft ungeduldig
Zerrt an seinen Fragewindeln. –
Die Geschichte, die bewußt sich
Ihres Ursprungs, ihres Zieles;
Der bewußt ist, was bedurfte
Aller Völker trostlos Ringen,
Ringend, ob bewußt, bewußtlos,
Schuldig, schuldlos, wahrhaft, irrend,
Immer nur nach Jesu Blute!
Sie, der Wissenschaften tiefste,
Die, wenn alle stolpern, mutig
Klimmet, festen, sichern Schrittes,
Die, wenn alle wanken, wurzelt
In der Herzen tiefstem Innern,
Die, wenn all' erliegen, und nun
Auch die Herzen ausgewimmert
Bald schon haben, noch im Sturme
Sie ersteigt dann, das Panier noch
Auf sie pflanzend des Triumphes;
Die Geschichte, hieroglyphisch
Eingeätzt dem Wesenrunde,
Die Geschichte der Geschichten.«

Aber ist es gleich ein Weg, den alle ziehen müssen, so hat doch jeder seinen eigenen Fußsteig, der ihn und nur ihn hinführt und den allerdings jeder auf seine Weise suchen kann und soll. Ebenso entschieden weist daher der Dichter die träge oder feige Scheu der Dunkelmänner und Überkirchlichen vor der Wissenschaft zurück:

»Wähnst du, daß nur beten Priester?
Nein, das Gold muß aus den Gruben!
Also betend arbeit, bitt ich. – –
Item gibt vom Adler Kundschaft
Uns der heil'ge Augustinus,
Daß der alte Aar sein Junges
Packt im Neste mit der spitz'gen
Klaue, und alsdann es schnurgrad
In die Sonne hält am Mittag;
Wann das Adlerchen dann zucket
Auch nur etwas mit den Wimpern,
Wirft's der Alte fort – 's ist unecht!
Aber wer ins Ohr mir wispern
Wollte, daß ein frommer, junger,
Künft'ger Höllenüberwinder
Immer nur die Augen furchtsam,
(Als sei Furcht was Priesterliches)
Schließen müßte, wer das Dunkle
Preisen wollte mir als Lichtweg: –
Solch ein Wisper kommt mir unrecht!«

Nur im Mißbrauch also, in der Überhebung, die im Ungrund den Urgrund, durch Schein das Ursein finden will, liegt das Unrecht; und darum betet er:

»Gib uns Verstand, den göttlichen von oben.
Der, wenn von wilder Wogen Wut umwoben
Der Kahn, ihn, wie wenn sanft die Welle gleitet,
um Hafen leitet.

Gib Wissenschaft zu wissen, daß das Wissen
Von dem Gewissen nicht kann abgerissen,
Daß es im Liebesbrennpunkt schon auf Erden
Vereint muß werden.

Und daß den Anfang wir ans Ende bringen,So gib uns, heil'ger Geist, vor allen DingenDer Weisheit Anfang: Furcht des Herrn! Das EndeDann du vollende! –«

Es konnte nicht fehlen, dieser innerliche Umschwung mußte auch seine Auffassung von Kunst und Poesie modifizieren. Die ursprüngliche Grundansicht zwar bleibt, wie die Kraft des religiösen Gefühls, auf der sie ruhte, dieselbe. Auch jetzt nämlich gilt ihm die Kunst nur als Mittel zu einem höheren Zwecke; sie soll die Menschheit durch Reflexe des verschleierten ewigen Lichts, welches das profane Auge noch nicht unmittelbar ertragen würde, mit der Gnadensonne versöhnen; der Künstler soll, als ein Friedensstifter, Gott in der Natur umfassen, um den alten Zwist von Sein und Schein zu einen. – Aber das Endziel dieser Vermittlung ist hiernach nun ein anderes geworden; nicht mehr die Selbstverherrlichung des eignen Lichts, um selbst Gott zu werden, sondern eine positive, christliche Erlösung, nach welcher alle Kreaturenunruh dürstet:

»Altmeister, sprecht! Wieviel ist Euer eigen? –
Sie sehn empor, verneigen sich und schweigen. –«

Und anderswo:

»Poesis fliegt keck zum Urlicht,
Doch von Wachs sind ihre Schwingen;
Sie muß, wo das Alleluja
Tönet, stürzen oder hinknien!«

Denn in aller Kunst erkennt er jetzt nur eine prophetische Gottesgabe, die von allem Anfang her ahnend auf Christus hin und zurück gedeutet. In dieser höheren Beziehung erscheinen ihm daher auch Poesie, Religion und Philosophie innerlich versöhnt und selbst die alten Dichter und Denker in den heiligen Kreis mit aufgenommen. So, sagt er, ließ Raffael in seinen Stanzen

»Zu jenen, die der Reue heil'ge Klagen
Im Anschaun hauchen aus und stillen Beten,
Zu den Gereinten treten
Das reine Leben, das nicht darf bereuen,
Pindar, Anakreon, Petrark, die linde
Laura und Dante, Gott im Blick, der blinde
Homer und Moses, wes sie sich erfreuen;
Es sind die Grazien, die bekränzt den Reinen,
Verschleiert uns Gefallenen erscheinen.«

Und aus der Vorwelt Schachten ließ Raffael die Gestalten steigen

»Der Weisen, welche zieh'nd die Himmelsleiter
Des Denkens, Vorbereiter
Vom Glauben waren und vom sel'gen Schaun,
Pythagoras versenkt in Göttersprüche,
Der Liebesheld Sokrat, der königliche
Zoroaster, Archimed, die Welt zu bauen
Gebückt, und, zeigend auf der Weisheit Quelle,
Der hohe Platon an des Tempels Schwelle.« –

Wir hörten einst einen hocherleuchteten, gottesfürchtigen Mann den Wein als Heiltrank treuer, strebsamer Seelen preisen, weil er, alle niederen Sorgen brechend, solche Seelen aus der weltlichen Rumpelkammer von Rücksichten und lässiger Gleichgültigkeit freudig zu Gott emporhebt. So ungefähr erschien auch Wernern jetzt die Poesie, und er nahm sie daher kräftig in Schutz gegen das Achselzucken einer übelverstandenen Frömmigkeit. Der bevorzugte Sieger freilich, der, keiner Schwinge mehr bedürfend, die Niederungen schon überflogen, mag immerhin des Musenspieles lächeln;

»Und mit Recht! Wem Sphärenmusik
Tönt, dem niedre Tonkunst widert!
Doch nicht wag es niedre Dumpfheit
Zu verlästern Sang und Dichtung;
Nur der Adler, nicht der Kuckuck
Darf der Nachtigall gebieten,
Daß ihr Hochgesang verstumme,
Um zum Höchsten sich zu schwingen.«

Ebenso entschieden aber wandte er sich daher jetzt auch gegen jene halbmütigen, modern-christlichen Dichterlinge, denen es nur um eine katholisierende Romantik zu tun war:

»Als tücht'ge Christen sollt ihr euch betragen,
Doch nicht im süßen Liebestrieb euch strecken,
Denn Christi Sänger waren nimmer Gecken;
Am Glauben muß Vernunft empor auch ragen! –

O Gott, Du weißt, und ich weiß mein Gebrechen!
Ich habe selber viel und schwer gesündigt,
Ich kann den Stab nicht über andre brechen;
Doch sagen darf ich's frei und unverhohlen,
Daß, eh Dein Wort in Deutschland wird verkündigt,
Alfanzerei der Teufel erst muß holen!«

Und als solche, wenngleich stets gutgemeinte, Alfanzerei wirft er nun auch seine eigne frühere Poesie mit hinterdrein:

»Lüge war's, was ich zu singen
Wagte, daß es Liebe sei,
Macht von meiner Hölle Schlingen,
Euch von mir Verführte frei!«

Symbolisch legt er daher seine, von Dalberg ihm verehrte, goldene Schreibfeder, als ein Hauptwerkzeug seiner Verirrungen, seiner Sünden und seiner Reue in die Schatzkammer der heiligen Mutter Gottes zu Maria-Zell nieder und bittet Gott, ihn Seelen gewinnen und das »greuelvolle, durch seine Schreibereien veranlaßte Skandal« doch nur etwas wieder gut machen zu lassen:

»Laß dem Tode nicht zum Raube
Mich in die Verwesung gehn,
Bis das Bild, an das ich glaube,
Ich im Volk mach auferstehn! –
Laß mich Dich dem Volk verkünden,
Das der Sünden Nacht umflicht,
Mich, den Sünder, laß entzünden
Dein die Sünde sühnend Licht!«

Und er ging rüstig an das neue Tagewerk, für sich und andre. Immer ernster, tiefer, dringender werden seine Warnungen und seine Mahnung, daß Jugend, Mut und Verlangen dem Menschen zum ewigen Leben gegeben sind, aber auch zum Keime des Todes, wenn er sie nicht benutzt, um Zeit und Ewigkeit, die erst durch den Sündenfall zerklüftet worden, wieder zu vereinen. Darum ruft er:

»Du liebe Zeit! so laßt uns lieber sagen;
Denn wüßten wir, was an der Zeit gelegen,
Wir sprächen nie von ungelegner Zeit.
Die Brücke Zeit, noch ist sie aufgeschlagen;
Sie bricht! es braust dem Säumigen entgegen
Das Meer der ungelegnen Ewigkeit!«

Aber die eigne Menschenkraft, ohne die Gnade, vermag es nimmermehr:

»Sein Wille hat befohlen? –
Er lügt! – Es sind die Glieder, die befehlen!
Sein Kopf, sein Herz, Gott weiß was sonst noch, reißen
Ihn hierher, dorthin! Das soll Wille heißen!? –
Gerechter Gott, wie wir Dir Worte stehlen!
Wärst Du nicht unser Vormund, Stab und Leiter,
Wir kämen ja mit keinem Schritte weiter.
Prahlhansen, kleine, wenn ihr's wagt zu wollen,
Lernt erst, womit die großen Hansen prahlen,
Daß sie: Gott sei uns Sündern gnädig! beten.
Wie leicht ist es, mit Worten zu bezahlen!
Doch wenn herein der Prüfung Stunden rollen,
Wo, was wir mühsam uns zusammenkneten,
Das Wort ins Fleisch soll treten;
Der Wille aus sich nur als Tat soll sprechen;
Was wir mit Recht als Menschenerbteil preisen;
Die Allmacht sich als solche soll beweisen:
Dann kann dem Besten auch der Mut gebrechen!
Der Gott in uns, dann fühlt er seine Schranken,
Und hat er keinen Stab, so muß er wanken!«

Nur eins daher tut not:

»Ein fünffach tun: die Schuld bereuen,
Die Sünde fliehn und beten,
Büßen und leiden mit Geduld. –
Dazu hat Jesus uns vereint,
Das hält uns auch zusammen,
Ob's blitzet, ob die Sonne scheint,
Beides sind Gottes Flammen. –
Ob eng auch sein siderisch Haus
Wohl jeden ein mag klammern,
Und keiner aus sich kann heraus,
Mag noch so viel er hammern;
Sobald nur, der die Sterne dreht,
Mir, wann ich will, im Herzen steht,
Was soll ich da noch jammern!« –

Man würde indes sehr irren, wenn man durch diese beschauliche Richtung den Dichter isoliert und der Welt entfremdet wähnte. Es ist eben das Eigentümliche solcher den ganzen Menschen erneuenden Überzeugung, daß sie, wie das Sonnenlicht, alles, was in ihren Kreis kommt, mit dem neuen Glanze berührt und erwärmend zu durchdringen sucht. Und so sehen wir auch Wernern in seinen Liedern und Tagebüchern aus jener Zeit von den Begebenheiten des Befreiungskriegs mächtig erschüttert[1], in seiner Treue gegen die alten Freunde, in der Liebe zur Kunst, in seiner Verehrung für Goethe unverändert und insbesondere seinem fernen Vaterlande immerdar liebend zugewandt; ja, diese Liebe war es, die ihm in Italien keine Ruhe ließ und ihn endlich wieder seinem Deutschland und der Kanzel zuführte. So ruft er in Rom aus:

»Sieh mal den Rhein, was das ein rüst'ger Junge!
Zieht er von Köln, so rührsam, tüchtig; munter
Winkt ihm der greise Dom ein: Gott gesegne!
Drum, Tiber, jag mich nicht ins Grab hinunter,
Daß meinem Rhein ich noch einmal begegne,
Und meinem Volke sing mit Flammenzunge!«

Und in der Zueignung seines Schauspiels von der heiligen Kaiserin Cunegunde fleht er zu der Heiligen:

»Dein Beten half mir singen,
Hilf auch dem Volk mir bringen
Trotz Teufel deutsche Treu!
Des Sängers Freud und Wehmut
Leite das Volk zur Demut,
Daß alte Zeit sei neu!« –

Das alles spricht für sich. Schwerlich wird daher jemand, ohne selbst zu heucheln, den Dichter der Heuchelei beschuldigen wollen. Demungeachtet hat die frivole Lust am Gemeinen häufig die Verdächtigung versucht, als sei Werner aus weltlichen Rücksichten zur Kirche zurückgekehrt und Priester geworden; eine Verdächtigung, die zu der Heuchelei noch niederen Eigennutz hinzufügt. Es wiederholt sich hier im kleinen nur das alte Kunststück einer gewissen Partei, die Tatsachen zu ignorieren oder zu beugen, um aus aller Geschichte ein Pamphlet nach ihrem Sinne zu machen. Wir meinen wenigstens durch obige Darstellung jedem Unbefangenen so viel klargemacht zu haben, daß bei Werner der Glaube wirklich eine Tugend war, an der er redlich und unablässig fortbildete und die ihn daher endlich, ohne alle äußere Veranlassung, zu dem Ziele führen mußte, an dem wir ihn zuletzt erblicken. Überdies ist aber auch eine solche äußere Veranlassung zu jener gehässigen Annahme nirgend aufzufinden. Not oder Gewinnsucht konnte es nicht sein. Denn die von seiner Mutter ererbte Summe hatte Werner, wie aus seinem Testament ersichtlich, sich bis zu seinem Lebensende fast ungeschmälert bewahrt. Auch die Pension, die er von Dalberg bezog, wurde ihm, bevor er noch an die Rückkehr zur Kirche dachte, zugewendet und später von dem akatholischen Großherzog von Weimar fortgezahlt. Eine kirchliche Anstellung also bedurfte er nicht und hat sie auch nie gesucht, weder in Rom noch in Wien, was er vernünftigerweise nicht unterlassen hätte, wenn ihn etwa nach höheren hierarchischen Würden gelüstete. Hatte er aber den Ehrgeiz, ein Heiliger zu werden, so wollen wir dergleichen Ehrgeiz allen Weltkindern aus vollem Herzen wünschen und empfohlen haben!

Er selbst äußert sich über diesen Gegenstand auf eine Weise, die niemand verkennen wird, der mit der rücksichtslosen Aufrichtigkeit seiner sonstigen Selbstbekenntnisse nur einigermaßen vertraut ist. »Eben weil ich« – sagt er im Jahre 1819 – »die Qual langen, lebenslänglichen, ehrlichen, jedoch vergebenen Suchens aus eigener schmerzhafter Erfahrung kenne, so bin ich von allem Parteihasse gegen edle Sucher, welch Glaubens und Volks sie auch sein mögen, aufs weiteste entfernt. Ich nehme vielmehr, selbst mit Rücksicht auf meine priesterliche Würde, gar keinen Anstand, laut zu bekennen, daß mir edle, rastlose Sucher des Wahren, die noch nicht dorthin gelangt sind, wo das Gefundene (nicht Erfundene, noch zu Erfindende) alles fernere Suchen zur Torheit, alles Finden zum Lohne der Entsagung macht, zwar, insofern sie das ewig nur zu Findende noch erst erfinden wollen, je edler sie sind, um so bedauernswürdiger, aber auch insofern sie aus ganzer Seele und mit reinem Herzen suchen, nicht nur unendlich schätzbarer, sondern sogar dem Ziele näher erscheinen als die  vielen der gegenwärtigen Zeit, die das unverdiente und nie zu verdienende unschätzbare Glück, im Kreise des ewig und einzig Wahren, im katholischen Glauben nämlich, geboren zu sein, gedankenlos verkennend, dieses göttliche Kleinod bald gemütlos verbilden, bald gefühllos vergeuden! – Meine mir ewig teueren Freunde werden mir mithin wohl glauben, daß ich immer noch derselbe harmlose Mensch bin, als welchen mich jeder kennt, der mich kennt, und daß ich niemals aufhören werde, nach dem Willen und der Tatkraft (welche zum Guten vereint, man, mit Rücksicht auf ihren Ursprung, im christlichen Sinne Gnade nennt) Vernunft und Verstand als die höchsten Gaben des Menschen zu schätzen. – Ich darf mit Recht hoffen, kein Unparteiischer, Unterrichteter und Vernünftiger werde es mir bei so bewandten Umständen in Abrede stellen, daß ich durch mein dermaliges sehr ernstes, dem Zwecke nach erhabenes und im tieferen Sinne, aber auch nur in ihm, allerdings nicht lohnloses, freiwilliges Wirken, bloß die Ernte des Ewigen, nicht die von zeitlichen Rosen oder Lorbeern beabsichtigen könne. Ich hoffe daher und, weil ein ehrlicher Mann dem andern aufs Wort glaubt, auch bei meinesgleichen Glauben zu finden, wenn ich mein mir teuerwertes Wort hierdurch für folgende ungeschminkte Tatsachen verbürge. Es ist kein irdisches Interesse, noch eine mir vielfältig angelogene Nebenabsicht (deren jede ich tief verachte) im Spiel bei meinem dermaligen ernstesten, höchsten und reinsten Streben; ich opfere demselben freiwillig (das darf ich mit menschlichem Schmerze zwar, aber auch mit mir aus höherer Quelle zugeflossener Ergebung sagen) nicht nur Gesundheit, Heimat und zeitlichen Ruhm und – als wehrlose Zielscheibe jedes Lügners – selbst die mir stets teuere Achtung meiner Freunde vielleicht; ja ich bringe ihm sogar das schmerzhafteste Opfer, ›die lebenslängliche freundliche Gewohnheit meines Daseins und Wirkens‹, mein dichterisches Saitenspiel dar, zu welchem ich gegenwärtig in Jahren kaum einige Stunden mir abstehlen kann und das, in so seltsamen Fugen es auch erklungen sein mag, doch, wo es den Grund des Heiligen und Deutschlands Ehre galt, nie einen Mißlaut ertönt hat.«

Mit diesen ernsten Worten, welche recht eigentlich Werners ganzes Wesen und Streben umfassen und abschließen, könnten auch wir hier schließen und hätten, streng genommen, kein Recht, über seine Schriften hinaus seine Persönlichkeit, die nur Gott richtet, zum Gegenstande öffentlicher Besprechung zu machen. Allein er selbst in seinen Schriften hat sich auf diesen Boden gestellt. Wo immer wir seine Gedichte aufschlagen, fast überall finden wir harte Selbstanklagen, die von seinen Gegnern, oder vielmehr von den Gegnern seiner Rückkehr zur Kirche, emsig ausgebeutet worden, um die vermeintliche Ohnmacht dieser Kirche nachzuweisen, indem sie ihn selbst als einen verlorenen Mann der Nachwelt überliefern. – Es ist wahr, er selbst sagt:

»Ich weiß es, Herr (o werd ich's einst vergessen?),
Daß wert ich bin, im Abgrund zu versinken,
Den ich mir grub; die Wellen, die dort blinken,
Sind Mutterzähren, die ich aus tat pressen;
Dieweil den Taumelbecher ich vermessen
Geziert, zur letzten Neige auszutrinken,
Sind die Sirenen, die noch manchem winken,
Mir jetzt Harpyien, die am Mark mir fressen!«

Ja, er bekennt ferner:

»Selbst in der sieben Hügel Schoß
War das Gelüst mein Taggenoß,
Mein Nachtgesell das Grauen!
Gehetzt, der alten Sünde treu,
Von Reu zur Gier, von Gier zur Reu,
Selbst auf den heil'gen Bergen
Hab ich gesündigt freventlich;
Entwürdigt hab ich Rom und mich,
Das will ich nicht verbergen.«

Aber wir fragen: Wird denn seine Sündhaftigkeit darum schwärzer, weil er sie nirgend weißzubrennen sucht, sondern herzhaft eingesteht und verachtet? Oder gilt hier etwa, wie vor den weltlichen Behörden, das freche Leugnen als ein juristisches Kunststück, um den Richter zu täuschen? Wo, fragen wir, hat es ein Dichter jemals mit seinen Jugendsünden so schmerzlich ernst genommen als Werner? Die heutigen Poeten machen sich's freilich leichter und lachen über solchen Aberglauben – wir aber vermögen es nicht. Uns vielmehr will jenes Grauen vor der Sünde, jene Reue selbst schon als  eine moralische Kraft und die Umkehr des Dichters, je tiefer er versunken war, nur um so bedeutungsvoller und wunderbarer erscheinen. Daß aber diese Umkehr, und zwar in und durch Rom, eine totale und entschiedene war, wird keinem Unbefangenen zweifelhaft bleiben. Schlagt seine Tagebücher auf, die nie für den Druck bestimmt waren; da plaudert er anfangs, in der Schweiz und auf der Reise, noch von seinen heimlichen Sünden, wie von Essen, Trinken, Theater und anderen Dingen eben, gleichgültig, ja mit frivoler Lust. Bei seinem Eintritt in Rom aber ist es zunächst, als stutzte er innerlichst vor den Schauern der Vergänglichkeit und Ewigkeit, die dort über dem Grabe einer untergegangenen Welt sich mahnend begegnen; die Stimmung wird allmählich ernster, tiefer, siegesfreudiger, die Sündenbekenntnisse werden immer seltener und verstummen endlich ganz, die Sünde wird zum Ringen mit der Versuchung, das unruhige Suchen zum Finden, die Tage beginnen und enden mit Gebet. Das Ganze macht unverkennbar den Eindruck eines unverhofft Genesenden; und haben wir ihm früher das Schlechte aufs Wort geglaubt, warum sollten wir ihm nicht ebenso glauben, wenn er jetzt von Rom sagt:

»Und als ich schier erlag trostlosen Schmerzen,
(Den Schmerzen, die verdammen, statt zu segnen!)
Als mir verbargen sich die Himmelskerzen,
Die Tränen selbst mir nicht mehr wollten regnen,
Und als allein ich stand mit meinem Herzen,
Allein! – (es möge keinem das begegnen!) –
Da kam, als ich mich kaum noch konnte regen,
Die Hohe mir mit Huld und Trost entgegen!« –

»Und preisen werd ich mein Geschick
Und segnen jeden Augenblick,
Wo ich an Petrus' Grabe,
Der, wie die Bibel tut Bericht,
Gesunken, doch versunken nicht,
Zuerst gebetet habe!
Da ließ der Herr den Blitz erglühn:
›Nur der Entsagung wird verziehn!‹
Sprach Gott im Blitzesflimmer!
- - - - -
Und ich entsagt für immer!

Was dorten mir ward kundgetan,

Künd ich, will's Gott, wohl einmal an
Durch Wort und Blick den Brüdern;
Denn was der Herr uns kundig macht,
Das wandelt in des Busens Nacht,
Und singt sich nicht in Liedern.«

Sein im J. 1823 erfolgter Tod endlich war ein friedliches Einschlummern und die Trauer und Teilnahme, die er erregte, eine allgemeine und herzliche; beides nicht wohl denkbar, wenn er dem Wiener Volke das ärgerliche Schauspiel eines sittenlosen oder auch nur zweideutigen Priesters gegeben hätte. Eine unmittelbar nach seinem Hinscheiden in Wien erschienene kleine Schrift sagt hierüber: »Seine liebste Beschäftigung (während seiner letzten Krankheit) war das Gebet, und wenn er eben, was oft stundenlang geschah, sich vorbeten ließ, vermochte weder ein Besuch noch irgendein anderer Gegenstand ihn hierin zu stören. So heiter war und blieb dabei sein Geist, daß er, obgleich von Todesschwäche niedergedrückt und unfähig irgendeiner Labung oder Erquickung, dennoch Witz und Laune genug übrigbehielt, um mit manchem Scherze die Herrschaft seines Geistes über alles leibliche Elend und, was unendlich mehr ist, die Gnade zu beurkunden, womit der Herr und Vater der Erbarmungen seine Seele bekräftigte, daß sie mit Zuversicht der starken, christlichen Hoffnung, festiglich vertrauend auf die Huld und Macht des göttlichen Erlösers, für dessen Namen und Glorie er seinen letzten Lebenshauch angewendet, in demütiger und stiller Sanftmut dem Augenblick des Scheidens entgegensah. – Vornehme und Niedere, Feingebildete und Menschen aus gemeineren Klassen, drängten sich hinzu, um dankbar die erkalteten Hände zu küssen, ja nicht durch dieses Benehmen bloß, sondern mit lauten Worten auch vor allen Anwesenden freimütig zu bekennen, daß sie durch ihn wieder auf den Weg des Heils und zur Erkenntnis der Wahrheit geleitet worden seien.«

Das ist eine flammende Grabschrift, die alles eitle Gerede von Phantasterei, Jesuiterei usw. verzehrt und um die mancher Dichter in der letzten Stunde ihn beneiden möchte. – Werners Leben war sonach, wie wir klargemacht zu haben glauben, bis an sein Ende ein unausgesetzter Fortschritt in sittlicher und religiöser Beziehung. Er ist hierin mit Friedrich Schlegel zu vergleichen, indem beide die Romantik ernst und konsequent in sich durchgelebt; aber darin sind beide wieder ganz verschieden, daß Werner, bei allem seinem Streben nach praktischer Wirksamkeit, dennoch die Romantik fast ausschließlich nur auf sich selbst bezog, während Schlegel, mit bei weitem höherer Kraft begabt, sie auch objektiv in Kunst, Religion und Wissenschaft verklärend einführte, also ihre eigentliche Bestimmung unvergleichlich vollständiger erfüllte.


[1] Wir bemerken hier beiläufig, daß unter Werners 1840 gesammelten Gedichten ein Kriegslied abgedruckt ist, das schon 1815 in Schenkendorfs Gedichten vorkommt; wahrscheinlich also eine unter Werners Papieren vorgefundene Abschrift des Schenkendorfschen Liedes.


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