Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Novalis Teil 2

In diesem Sinne wollte er Predigten über die wichtigsten Momente und Ansichten des Christentums sowie ein christliches Gesangbuch schreiben, zu dem seine geistlichen Lieder der Anfang waren. Ja, er hatte den Plan, mehrere Romane zu dichten, in denen er seine Ansichten der Physik, des bürgerlichen Lebens, der Handlung, der Geschichte, der Politik und der Liebe niederzulegen beabsichtigte. Er wollte, sagt Adam Müller in seinen Vorlesungen über die Literatur, mit dem Geiste der Poesie alle Zeitalter, Stände, Wissenschaften und Verhältnisse durchschreitend, die Welt erobern.

Leider hat er nur einen dieser Romane, seinen »Heinrich von Ofterdingen«, kaum zur Hälfte vollendet. Hier ist es die Poesie selbst, deren oben angedeutete Weltherrschaft er zunächst begründen will. Halb Märchen, halb Roman, sucht diese Dichtung mit jenem universalen poetischen Lichte, und alles Sinnliche an das Unsichtbare knüpfend, das gesamte Leben mit allen seinen weltlichen Beziehungen (Ehe, Staat, Gewerbe usw.) in seiner ursprünglichen höheren Bedeutung und verhüllten Schönheit zu erfassen und, zumal in der Natur, die gebundenen Stimmen, den Geisterblick des Irdischen, zu lösen, deren poetischer Ausdruck eben das Märchen ist.

»Wenn nicht mehr Zahlen und FigurenSind Schlüssel aller Kreaturen;Wenn die, so singen oder küssen,Mehr als die Tiefgelehrten wissen;Wenn sich die Welt ins freie Leben,Und in die Welt wird zurückbegeben;Wenn dann sich wieder Licht und SchattenZu echter Klarheit werden gatten,Und man in Märchen und GedichtenErkennt die ew'gen Weltgeschichten:Dann fliegt vor einem geheimen WortDas ganze verkehrte Wesen fort.«

In diesen wenigen Worten gibt Novalis selbst die eigentliche Signatur des merkwürdigen Buches, das – wie Tieck nach den hinterlassenen Andeutungen des Dichters berichtet – mit einer Aussöhnung der christlichen Religion mit der heidnischen schließen sollte.

Durch seine Dichtungen überhaupt aber, auch wo sie das Entlegenste berühren, weht der belebende Hauch einer christlichen Weltanschauung. Gleich wie das Christentum die Gegenwart nur als eine Himmelsleiter und Pilgerfahrt nach dem Reiche Gottes, das diesseitige Leben nur als eine Aufgabe betrachtet, deren Lösung in eine andere Welt hinüberreicht: so ist auch Novalis' Poesie durchaus eine weissagende, eine Poesie der Zukunft und der Sehnsucht, und seine geistlichen Lieder sind eben durch ihr herzliches Heimweh so unvergänglich schön. Daher bei ihm überall die Bedeutsamkeit des Traumes, wo, wie Jean Paul sagt, die Tore um den ganzen Horizont der Wirklichkeit die ganze Nacht offenstehen, ohne daß man weiß, welche fremde Gestalten dadurch einfliegen; daher seine scharfsinnige Vorliebe für das Übersinnliche, Mystische, Symbolische der Erscheinungen; und so endlich wird ihm auch die Liebe eine himmlische zu der heiligen Jungfrau, ja Maria als die göttliche Verklärung der irdischen Schönheit das eigentliche Herz seiner ganzen Poesie, deren innerstes Wesen in dem Liede erklingt:

»Ich sehe dich in tausend Bildern,Maria, lieblich ausgedrückt;Doch keins von allen kann dich schildern,Wie meine Seele dich erblickt.Ich weiß nur, daß der Welt GetümmelSeitdem mir wie ein Traum verweht,Und ein unnennbar süßer HimmelMir ewig im Gemüte steht.«

Wir haben schon oben angedeutet, wie bei Novalis Poesie und Religion sich gewissermaßen identifizierten. Nachdem er (im Ofterdingen) in der Tugendlehre die Religion als Wissenschaft, die sogenannte Theologie im eigentlichen Sinne erkannt hat, stellt er gleich darauf die Poesie, nur als einen andern Ausdruck der Tugend, recht in den Mittelpunkt desselben Kreises. »Also«, sagt er, »ist der Geist der Fabel eine freundliche Verkleidung des Geistes der Tugend und der eigentliche Geist der untergeordneten Dichtkunst die Regsamkeit des höchsten, eigentümlichsten Daseins. Eine überraschende Selbstheit ist zwischen einem wahrhaften Liede und einer edlen Handlung; – so wie diese (die Tugend) die unmittelbar wirkende Gottheit unter den Menschen und das wunderbare Widerlicht der höheren Welt ist, so ist es auch die Fabel. Wie sicher kann nun der Dichter den Eingebungen seiner Begeisterung oder, wenn auch er einen höheren überirdischen Sinn hat, höheren Wesen folgen und sich seinem Berufe mit kindlicher Demut überlassen. Auch in ihm redet die höhere Stimme des Weltalls, und ruft mit bezaubernden Sprüchen in erfreulichere, bekanntere Welten. Wie sich die Religion zur Tugend verhält, so die Begeisterung zur Fabellehre, und wenn in heiligen Schriften die Geschichten der Offenbarung aufbehalten sind, so bildet in der Fabellehre das Leben einer höheren Welt sich in wunderbar entstandene Dichtungen auf mannigfache Weise ab. Fabel und Geschichte begleiten sich in den innigsten Beziehungen auf den verschlungensten Pfaden und in den seltsamsten Verkleidungen, und die Bibel und die Fabellehre sind Sternbildereines Umlaufs.«

Allein eben in dieser innerlichsten Gleichstellung lag die Gefahr des Irrtums, der dann später von Novalis' Nachfolgern leichtsinnig ausgebeutet wurde, wie es denn immer das Unglück der Nachahmer ist, daß sie nur die schwachen Seiten des Meisters sich abmerken und sie monströs ausbilden. In dem allumfassenden Sinne, wie Novalis die Poesie aufnahm, mußte sie allerdings vor allem auch die Religion in ihren Kreis ziehen und war vollkommen in ihrem Recht, insoweit sie die Liebe und das begeisterte Verständnis der Religion nach Kräften zu wecken und wiederzubeleben strebte. Indem sie aber, darüber hinaus, die Religion selbst durchdringen und beseelend gestalten wollte, deckte sich plötzlich ihre gänzliche Unzulänglichkeit auf; denn, wie poetisch auch immerhin das Christentum sei, sie mußte hier zuletzt auf einen übermenschlichen, positiven Inhalt stoßen, der nicht in ihr aufgehen konnte, weil er weder dem Verstande noch der Phantasie, sondern nur dem Glauben zugänglich ist. Gleich wie daher im Ofterdingen Liebe, Geschichte, Natur usf. sich in tiefsinnige Märchen verwandeln, so verwandelt sich dem Dichter unvermerkt und wider seinen Willen häufig auch das Christentum selbst in bloße Poesie. – Wir wollen versuchen, dies, wieder möglichst überall aus seinen eigenen Worten, deutlicher zu machen.

Wir sahen, er erstrebte eine allgemeine Rückkehr zum positiven Christentum und hatte seine Sache unumwunden auf die katholische Wahrheit gestellt. Wo er dem Zuge seines reichen Gemütes sich unbefangen überläßt, führt ihn dieses auch immer unmittelbar dem Ziel entgegen. So feiert er fast in allen seinen geistlichen Liedern den wahrhaften, historischen Christus mit einer seitdem nicht wieder erreichten Innigkeit und Tiefe; ja, in seinen Marienliedern, in seiner Ansicht der Heiligen, der Märtyrer, geht er ganz in die Anschauungsweise der Kirche ein. – Aber ebensowenig dürfen wir es uns verhehlen, daß er demungeachtet auf diesem heiligen Boden noch nicht fest stand, daß jene innere Rückkehr in ihm selbst noch nicht vollbracht und also auch in seinen Dichtungen noch nicht zum vollen Durchbruch gekommen war. Es liegen vielmehr die Bausteine zum künftigen Münster noch unverbunden umher, Ahnung neben Zweifeln, kirchlicher Glaube neben einem kaum verhüllten Pantheismus; überall ein geheimes Hämmern, Schürfen und Ringen, wie eine himmlisch durchblitzte Nacht. So sucht er, weil in sich selbst noch nicht fertig, unermüdlich die Wahrheit am Zweifel, den Zweifel an der Wahrheit zu prüfen, dann wieder beide miteinander in Konkordanz zu bringen, zwischen unversöhnlichen Widersprüchen mit dem Scharfsinn der Verzweiflung zuweilen die Kirche selbst willkürlich zu deuten, ja eineneue Kirche in Aussicht zu stellen; und es ist gradezu ein peinlicher Anblick, wie er – oft dem Verständnis so nahe, daß es nur noch des passenden Ausdrucks dafür zu bedürfen scheint – sich plötzlich wieder abwendet, um das offen zutage Liegende auf den ausschweifendsten Umwegen durch alle tiefverschlungenen Schachte einer naturphilosophischen Mystik immer und immer wieder von neuem aufzusuchen. Oder wer möchte die Lehre der Kirche noch wiedererkennen, wenn er z.B. sagt: »Das Christentum ist dreifacher Gestalt. Eine ist das Zeugungselement der Religion, als Freude analler Religion. Eine das Mittlertum überhaupt, als Glaube an die Allfähigkeit alles Irdischen, Wein und Brot des ewigen Lebens zu sein. Eine der Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligen. Wählt, welche ihr wollt, wählt alle drei, es ist gleichviel; ihr werdet damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen Gemeinde.«

Zwar sucht er sich gegen den Vorwurf des Pantheismus dadurch zu verwahren, daß er diesen nicht im gewöhnlichen Sinne nehme, sondern darunter die Idee verstehe, daß alles Organ der Gottheit, Mittler sein könne, indem er es dazu erhebe. Allein, abgesehen von der Zweideutigkeit dieser Entschuldigung selbst, können doch Äußerungen, wie die nachstehenden,  nur pantheistisch gedeutet werden. »Indem das Herz, abgezogen von allen einzelnen wirklichen Gegenständen, sich selbst empfindet,sich selbst zu einem idealischen Gegenstande macht, entsteht Religion. Alle einzelnen Neigungen vereinigen sich in eine, deren wunderbares Objekt ein höheres Wesen, eine Gottheit ist. – Dieser Naturgott ißt uns, gebiert uns, spricht mit uns, erzieht uns, läßt sich von uns essen, von uns zeugen und gebären und ist der unendliche Stoff unserer Tätigkeit und unseres Leidens. Machen wir die Geliebte zu einem solchen Gott, so ist dies angewandte Religion.« – »Der Staat und Gott, so wie jedes geistige Wesen, erscheint nicht einzeln, sondern in tausend mannigfaltigen Gestalten; nur pantheistisch erscheint Gottganz, und nur im Pantheismus ist Gott ganz , überall in jedem einzelnen.« – »Wem regt sich nicht das Herz in hüpfender Lust, wenn ihm das innerste Leben der Natur in seiner ganzen Fülle in das Gemüt kommt; wenn dann jenes mächtige Gefühl sich in ihm ausdehnt wie ein alles auflösender Dunst und er bebend in süßer Angst in den dunkeln, lockenden Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit in den überschlagenen Wogen der Lust sich verzehrt und nichts – als ein verschluckender Wirbel im großen Ozean übrig bleibt?« – Hier sehen wir ihn also schon aus eigner poetischer Machtvollkommenheit das Christentum übergreifend umdeuten. Ja, in der unbefriedigten Unruhe solchen Unterfangens erwartet er, jenseits der Kirche, die er feiert, »eine neue Geschichte, eine neue Menschheit, die süßeste Umarmung einer jungen überraschten Kirche und eines liebenden Gottes und das innige Empfängnis eines neuen Messias in ihren tausend Gliedern zugleich. – Das Neugeborene wird das Abbild seines Vaters, eine große Versöhnungszeit sein, ein Heiland, der wie ein echter Genius unter den Menschen nur geglaubt, nicht gesehen werden, und unter zahllosen Gestalten den Gläubigen sichtbar, als Brot und Wein verzehrt, als Geliebte umarmt, als Luft geatmet, als Wort und Gesang vernommen und mit himmlischer Wollust als Tod, unter den höchsten Schmerzen der Liebe in das Innere des verbrausenden Leibes aufgenommen wird.« – In diesem Sinne sucht er aus und über dem Christentum eine höhere Kirche aufzubauen, die alle Religionen aller Zeiten umfassen soll. Er schreibt nämlich an einen Freund, nachdem er von dessen festem Bibelglauben gesprochen: »Wenn ich weniger auf urkundliche Gewißheit, weniger auf den Buchstaben, weniger auf die Wahrheit und Umständlichkeit der Geschichte fuße; wenn ich geneigt bin, in mir selbst höheren Einflüssen nachzuspüren und mir einen eigenen Weg in die Urwelt zu bahnen; wenn ich in der Geschichte und den Lehren der christlichen Religion die symbolische Vorzeichnung einer allgemeinen, jeder Gestalt fähigen Weltreligion – das reinste Muster der Religion als historischen Erscheinung überhaupt – und also wahrhaftig auch die vollkommenste Offenbarung zu sehen glaube; wenn mir aber eben auf diesem Standpunkt alle Theologien auf mehr oder minder glücklich begriffenen Offenbarungen zu ruhen, alle zusammen aber auf dem sonderbarsten Parallelismus mit der Bildungsgeschichte der Menschheit zu stehen und in einer aufsteigenden Reihe sich friedlich zu ordnen dünken: so werden Sie das vorzüglichste Element meiner Existenz, die Phantasie, in der Bildung dieser Religionsansicht nicht verkennen.«

Wunderbar; solange er den kühnen Münsterbau noch vorbereitet und die wohlbegründeten Fundamente auf dem heimischen Boden legt, fügt sich ihm alles klar, einig und scharf ineinandergreifend; als der Bau nun aber sich immer höher und höher bis nah zum Kreuze aufgerankt, wo die menschliche Luftschicht aufhört und das geheimnisvolle Schweigen beginnt, redet er plötzlich, wie vom Schwindel erfaßt, irre in zweierlei Sprachen, von denen die eine verneint, was die andere bejaht. Da meint er: »Wenn Gott Mensch werden konnte, kann er auch Stein, Pflanze, Tier und Element werden, und vielleicht gibt es auf diese Art eine fortwährende Erlösung in der Natur.« Und doch sagt er wieder: »Gott und Natur muß man trennen. Gott hat gar nichts mit der Natur zu schaffen; er ist das Ziel der Natur, dasjenige, mit dem sie einst harmonieren soll. Die Natur soll moralisch werden.« – In seinen geistlichen Liedern betet er inbrünstig zu dem persönlichen Christus, dem Gottmenschen, und findet doch, daß die Wahl eines Mittlers nur relativ sei, »daß das Wesen der Religion wohl nicht von der Beschaffenheit des Mittlers abhange, sondern lediglich in der Ansicht desselben, in den Verhältnissen zu ihm, bestehe. Es ist ein Götzendienst im weiteren Sinne«, sagt er, »wenn ich diesen Mittler in der Tat für Gott selbst ansehe.« – An der einen Stelle preist er ferner die Erlösung von der Sünde durch das Christentum:

»Ein alter, schwerer Wahn von Sünde
War fest an unser Herz gebannt;
Wir irtten in der Nacht wie Blinde,
Von Reu und Lust zugleich entbrannt. –
Da kam ein Heiland, ein Befreier,
Ein Menschensohn, voll Lieb und Macht –
Seitdem verschwand bei uns die Sünde
Und fröhlich wurde jeder Schritt;
Man gab zum schönsten Angebinde
Den Kindern diesen Glauben mit;
Durch ihn geheiligt zog das Leben
Vorober wie ein sel'ger Traum,
Und, ew'ger Lieb' und Lust ergeben,
Bemerkte man den Abschied kaum.«

Und dennoch behauptet er: »Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der größte Reiz für die Liebe der Gottheit; je sündiger sich der Mensch fühlt, desto christlicher ist er. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck der Sünde und Liebe.« Eine Behauptung, die frevelhaft wäre, wenn hier nicht offenbar der Akzent auf dem Sichschuldig fühlen, also auf der demütigen Zerknirschung und Hülfsbedürftigkeit des Menschen läge; und wenn er nicht, dies bestätigend, anderswo wieder Sittlichkeit und Religion als die verbundenen Grundfesten unseres Daseins erklärte, indem er sagt: »Die Moral ist, wohlverstanden, das eigentliche Lebenselement des Menschen. Sie ist innig eins mit der Gottesfurcht. Unser eigener sittlicher Wille ist Gottes Wille. Indem wir seinen Willen erfüllen, erheitern und erweitern wir unser eigenes Dasein, und es ist, als hätten wir um unsrer selbst willen aus innerer Natur so gehandelt. Die Sünde ist allerdings das eigentliche Übel in der Welt. Alles Ungemach kommt von ihr her. Wer die Sünde versteht, versteht die Tugend und das Christentum, sich selbst und die Welt.« – »Man sollte sich schämen, wenn man es nicht mit den Gedanken dahin bringen könnte, zu denken, was man wollte. Bitte Gott um seinen Beistand, daß er die ängstlichen Gedanken verjagen helfe. – Sobald du ängstlich wirst und traurige, bängliche Vorstellungen sich dir aufdringen, so fange an, recht herzlich zu beten. Gelingt es die ersten Male nicht, so gelingt es gewiß mit der Zeit.« – »Auf den Körper läßt sich nicht immer wirken; aber in der Seele sollte man sich die Herrschaft mit Gottes Hülfe zu erwerben suchen, um recht ruhig zu sein. – Gebet ist eine universelle Arzenei. Des Herren Wille geschehe, nicht der meinige. – Selbst meine philosophischen Studien sollen mich nicht mehr stören. In tiefer, heiterer Ruh will ich den Augenblick erwarten, der mich ruft.« – Und in diesem Sinne durfte grade er, der Reine, wohl zu sagen wagen, daß die Sünde der größte Reiz für die Liebe der Gottheit sei.

Wir sind daher weit davon entfernt, ihm dieses Schwanken, diese, oft auch nur scheinbaren, Widersprüche, die in der immer gleichen Liebe ihre höhere Versöhnung finden, zum Vorwurfe zu machen; wir betrachten sie vielmehr als die Zeichen eines rastlosen, treuen Ringens nach der Wahrheit, wie das Zittern der Magnetnadel, die ihren Pol sucht. Die Erfahrung der neusten Zeit lehrt uns ja, wie leicht es sei, wenn man Ernst und Gewissen beiseite werfen will, sich konsequent und bequem in einem vornehmen Systeme zu verstocken. Allerdings ist in seiner bedeutungsvollen Erscheinung nicht nur der Typus, sondern, wie wir weiterhin sehen werden, auch schon die ganze innere Geschichte und Zukunft der Romantik mit allem ihren Tiefsinn, ihren verworrenen Labyrinthen und Abgründen, wie in geistreichen Umrissen enthalten. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß er jung starb und daß es eben nur Umrisse sind, die er uns hinterlassen und die uns keineswegs berechtigen, über den weiteren Ausbau, wenn er ihm hienieden vergönnt gewesen wäre, abzusprechen. Und so schließen wir denn diese Betrachtung in dankbarer Erinnerung dessen, was erwollte, gern mit den Worten, die einst Schleiermacher in den Reden über Religion seinem Freunde nachgerufen: »Nur schweigend will ich euch hinweisen auf den zu früh entschlafenen göttlichen Jüngling, dem alles Kunst ward, was sein Geist berührte, seine ganze Weltbetrachtung unmittelbar zu einem großen Gedicht; den ihr den reichsten Dichtern beigesellen müßt, jenen seltenen, die ebenso tiefsinnig sind als klar und lebendig. An ihm schauet die Kraft der Begeisterung und der Besonnenheit eines frommen Gemüts und bekennt, wenn die Philosophen werden religiös sein und Gott suchen wie Spinoza und die Künstler fromm sein und Christum lieben wie Novalis: dann wird die große Auferstehung für beide Welten (Philosophie und Kunst) gefeiert werden.«


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