Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Fouqué

Kein neuer Dichter war ein so entschiedener Partisan der Romantik, keiner hielt, noch lange nach ihrem Untergange, bis zum letzten Atemzuge getreuer zu ihrer Fahne als der bekannte Major und Ritter Friedrich Baron de la Motte Fouqué.

Frühzeitig durch die Schlegels aus einem vagen Dilettantismus geweckt und für den neuen Kriegszug geworben, gehört er ein volles Menschenalter hindurch zu ihren ersten und letzten Verfechtern. In die Verherrlichung des Mittelalters zur Kräftigung der Gegenwart, in die Wiederbelebung altertümlicher und ausländischer Formen, in die religiöse Weltanschauung, mit einem Wort: in alle Intentionen der Romantik ging er gläubig ein, und die Poesie selbst war ihm immerdar eine geheimnisvolle Gabe von oben, »vermittelst welcher dem Begabten überschwenglich mehr zuteil wird, als er mit eigner Verstandeskraft hervorzubringen vermöchte«. Viele seiner Lieder werden durch die innige Frömmigkeit, die darin weht, unvergänglich bleiben. Welch ein mildes, gottergebenes Gemüt spiegelt sich z.B. in seinem Liede nach der Schlacht von Dresden:

»Herr Gott, Dein Wille soll ergehn!Ich sünd'ges Menschenkind,Ich kann ihn leider nicht verstehn,Ich bin zu blöd und blind.Doch heb ich zu Dir auf in MühDas schmerzbeladne Haupt,Und denke spät und denke früh:Dort schaut, wer diesseits glaubt.«

Dieses unbedingte Gottvertrauen, ohne alle Reservationen und philosophischen Hinterhalt, gibt ihm auch überall Zuversicht und Freudigkeit:

»Und zur Leier sing ich schöne Lieder;Die geleiten mich wie helle Kerzen.WiederTönen sie in manchem deutschen Herzen.Ach und beten kann ich, beten,Freudiglich!Will mich Christ bei Gott vertreten,Wer ist wider mich?«

Und so durfte der getreue Kämpe wohl getrost von sich selber sagen:

»Wohin Du mich willst haben,Mein Herr, steh ich bereit,Zu frommen Liedesgaben,Wie auch zu wackerm Streit.Dein Bot in Schlacht und Reise,Dein Bot im stillen Haus,Ruh ich auf alle WeiseDoch einst im Himmel aus.«

Und dennoch – obgleich er lange Zeit von einem zahlreichen Publikum und insbesondere von den Frauen mit Begeisterung begrüßt und gepflegt wurde, hat grade Fouqué, freilich ganz wider seinen Willen, am meisten dazu beigetragen, die Romantik in Mißachtung, ja Verachtung zu bringen. – Über diesen befremdlichen Ausgang eines bedeutenden Dichtertalents wollen wir uns in nachfolgenden Zeilen näher zu verständigen suchen.

»Diese Dichtungen gehörten einstmal zu meinem allereigentümlichsten Ich – ja sie waren mein Ich, wie ich gar wohl behaupten mag.« So versichert Fouqué im Nachwort zur letzten Ausgabe seiner ausgewählten Werke. Und wir werden dieser Versicherung um so volleren Glauben schenken, wenn er an einer anderen Stelle, wo er von seinem Hauptwerke, dem Zauberringe, redet, uns noch einen schärferen Blick in seine poetische Auffassungsweise tun läßt. »Folko von Montfaucon«, sagt er nämlich dort, »lag und liegt mir nun einmal gar eigentümlich am Herzen, als Ur- und Vorbild der jetzt nur in einzelnen Erscheinungen – namentlich schön in den sieglosen, aber ehrenreichen Vendéekriegen – auftauchenden altfranzösischen Ritterlichkeit.« In diesem Gefühl konnte es sich der Dichter auch nicht versagen, jenen in die Farben seines eigenen Wappenschildes zu kleiden: Himmelblau und Gold, und ihm dessen Embleme zuzuteilen, ja gewissermaßen ihn auch mit dem eignen Stammesnamen zu bezeichnen; »denn Foulqués hießen wir in älteren Zeiten, und zwar mutmaßlich (unserer normannischen Abkunft zufolge) von den Nordlandsnamen Folko oder Fulko hergeleitet, und eine Burg Montfaucon gehörte zu unseren damaligen Besitztumen.« – Ja, nachdem er auf diese Weise den gänzlich aus der Luft gegriffenen Romanhelden Folko gewissermaßen zu seinem eigenen Urahn gemacht, hält er später seine Schilderung des Schwedensieges in demselben Romane, wo Otto von Trautwangen in das feindliche Fußvolk einbricht, alles Ernstes für eine Ahnung, die sich ihm in der Schlacht bei Lützen, da er selber ebenso den Freiwilligen auf ein französisches Karree vorangesprengt, erfüllt habe. Auch seine Soldatenlieder, die »in dem großen Kriegsjahr Dreizehn« von den jungen Jägern häufig auf den Märschen gesungen wurden, waren recht sein eigenstes Erlebnis, im Gegensatz zu vielen anderen, welche dazumal ihren Patriotismus zu Haus in tapfern Worten verpufften. Er selbst vielmehr stürzte sich rücksichtslos in den Krieg und hat durch sein wackeres Beispiel viele Herzen entflammt.

»Der hat gesungen dies kecke, freudige Lied,Sich selbst zu rufen zu kecken Taten auf,Daß er vollbringe, was er als Dichter riet,Und freudig ende den edeln Lebenslauf.«

Dieses völlige Identifizieren des Dichters mit seinen Dichtungen erklärt nun allerdings die liebenswürdige Aufrichtigkeit seiner Schriften. Aber so ehrenwert die letztere ist und bleibt, so hatte doch das erstere, bei der eigentümlichen Persönlichkeit Fouqués, auch seine sehr bedenkliche Kehrseite. Denn Fouqué war vom Kopf bis zur Zeh ein Berliner Reiteroffizier mit dem sentimental-chevaleresken Anflug der neunziger Jahre; und so wurden, bei seiner assimilierenden Dichternatur, seine altfranzösischen, maurischen und Nordlandsrecken mehr oder minder preußische Gardeoffiziere aus jener Zeit, wohlgefällig und nicht ohne Koketterie sich in dem blanken Schilde der Ritterlichkeit bespiegelnd, der, weil er modern poliert war, die Vorzeit oft verzerrt reflektierte, wie z.B. die zimperlichen, langgestreckten Jungfraungestalten, die auf den Bildchen im Frauentaschenbuche recht täuschend wiedergegeben sind. So wurden überhaupt fast alle seine Romane zu ritterlichen Komplimentierbüchern, gleich den alten Pergamentdrucken, an den Rändern mit katholischen Miniaturarabesken wunderlich verziert. Liebe, Frömmigkeit, Patriotismus, alles ist bei Fouqué halb wahr, halb gemacht; die Tapferkeit muß einen eleganten Henri Quatre tragen, die Unschuld à l'enfant frisiert sein ; überall eine große Gutmütigkeit bei einem kleinen Verstande, der von seiner eigenen Affektation nicht einmal eine Ahnung hatte. Um endlich alles zusammenzufassen: bei Fouqué überwältigte die reiche, auf einen Punkt gespannte Phantasie, verbunden mit einer ehrlich ritterlichen Intention, alle anderen Geisteskräfte und machte ihn so zum Don Quichotte der Romantik. Denn wie Don Quichotte hielt auch er seine mittelalterlichen Illusionen für bare Wirklichkeit, macht vor jedem Gesange seiner »Corona« in eigner Person als Folko und Major und Sänger auf seinem klugen Rosse mit feierlicher Courtoisie die Honneurs und schreibt die Niederlagen, die er zuletzt im Beifall des Publikums erlitten, sehr gelassen den unbekannten ultraliberalen Zauberern zu.

Kein Wunder daher, wenn die Welt über sein absonderliches christliches Heldentum allmählich ein Lächeln überkam und endlich ein rohes Lachen über alle Romantik ausbrach, für deren Hauptrepräsentanten er bei der Menge gegolten. Für uns aber hat es etwas peinlich Rührendes, den greisen Dichter, wie einen abgedankten Tragöden nach längst vollendetem Schauspiel, noch immer zwischen den umgeworfenen Kulissen und verlöschenden Lampen in seiner alten Rüstung rumoren zu sehen, als wäre eben noch alles ringsumher wie in seiner fröhlichen Jugend. – Friede und Achtung seinem Andenken, wie allen, die es redlich gemeint!


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03