Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel

August Wilhelm Schlegel sagt von sich selbst:

»Der Völkersitten, mancher fremden Städte
Und ihrer Sprache frühe schon erfahren,
Was alte Zeit, was neue Zeit gebaren
Vereinigend in eines Wissens Kette,
Im Stehn, im Gehn, im Wachen und im Bette,
Auf Reisen selbst, wie unterm Schutz der Laren
Stets dichtend, aller, die es sind und waren,
Besieger, Muster, Meister im Sonette;
Der Erste, der's gewagt, auf deutscher Erde
Mit Shakespeares Geist zu ringen und mit Dante,
Zugleich der Schöpfer und das Bild der Regel:
Wie ihn der Mund der Zukunft nennen werde
Ist unbekannt; doch dies Geschlecht erkannte
Ihn bei dem Namen August Wilhelm Schlegel.«

Dieses, eben nicht blöde, Selbstlob ist dennoch wahr und enthält ungefähr alles, was wir in Prosa von ihm sagen könnten: nämlich daß er durch eminente Kritik, vielseitige Gelehrsamkeit, Meisterschaft in den poetischen Formen und durch seine vortrefflichen Übersetzungen ein Hauptförderer der Romantik gewesen. Eben diese Eigenschaften jedoch, bei geringerer poetischer Produktionskraft, eigneten ihn zum eigentlichen Ästhetiker der Romantik, als welcher er um so weniger in den Kreis unserer Betrachtung gehört, da er anderweit auch durch seine Gesinnung sich selbst vom romantischen Boden exiliert. Es sei uns erlaubt, einige darauf sich beziehende, vertrauliche Bekenntnisse desselben beizufügen, weil sie einen tiefen Blick in die geheime Werkstatt der Begründer der Romantik eröffnen; Äußerungen, mit denen er, wie es scheint im Gefühl, daß sie die Lebensfrage aller Romantik betreffen, vor dem Publikum weislich zurückgehalten und die wir hier stellenweis unübersetzt, wie wir sie gefunden, wiedergeben, da sie sich ohne Zweifel im Französischen am unnachahmlichsten ausnehmen. Er schreibt nämlich im Jahre 1838 an eine Dame: »Ich habe gegen die Prosa und Engherzigkeit der Flachköpfe eine Reaktion versucht und die sensualistische Philosophie mitsamt ihrer platten Moral gehaßt; mit meinen Freunden begann ich die Erinnerungen des Mittelalters zu beleben und christliche Stoffe in die Poesie zurückzuführen, und weil der Protestantismus mir da nichts bot, mußte ich wohl aus den Überlieferungen der Römischen Kirche schöpfen. Ich schrieb die geistlichen Sonette: c'était une prédilection d'arti ste; ich wurde von der Pracht des katholischen Kultus eine Zeitlang gefesselt und habe nachher auch die Theosophie studiert. Novalis (penseur audacieux, rêveur divinatoire, à la fin visionaire) hat es mit seiner Art von Christentum ehrlich gemeint: comme un oiseau de passage, fatigué par son vol au-dessus d'un immense océan, s'abat sur une petite île verdoyante, et y oublie son ancienne patrie et la vaste contrée, qu'il avait voulu atteindre. Les retours à la vieille église devenaient de plus en plus fréquents. – Pour moi, je n'ai jamais eu sérieusement le projet, de contracter un engagement solennel, quoique les sollicitation ne m'aient pas manqué. Au contraire, à mesure que mon frère Frédéric faisait des pas en avant, je rebroussais chemin. Je n'ai qu'à me reprocher ma trop longue indulgence: mais je l'ai expiée par un des plus amers chagrins de ma vie. Ce fut le divorce des âmes. Revolté du rôle, qu'il joua depuis 1819 comme écrivain et comme allié des Jesuites, j'ai fini par lui declarer mon inimitié à la manière des anciens Romains. Die Erscheinungen des Tages seit dem Frieden konnten mich nicht veranlassen, eine neue Union mit den beiden christlichen Gemeinschaften einzugehn, und so beschloß ich, nachdem ich an viele Pforten geklopft, da doch une foi factice et arbitraire ne sert à rien, zuletzt wahr zu sein gegen mich selber und dem Zweifel und Gedanken Raum zu lassen. Je m'en tiens«, so schließen diese Bekenntnisse, »à la religion primitive, innée et universelle. Voilà les termes de mes erreurs d'Ulysse, voilà mon Ithaque!«

Mit gerechtem Unwillen entdecken wir also hier, anstatt des ehrlichen Kampfes, den wir voraussetzen und fordern durften, nur ein diplomatisches Scheingefecht, ein verlorenes Leben, das zuletzt genau bei derselben Indifferenz wieder angelangt, gegen die es ein halbes Jahrhundert lang zu kämpfen schien, und dem hiernach notwendig der Schmerz zuteil werden mußte, sein Tagewerk, die Romantik, zu überleben.

Jede bedeutende geistige Richtung aber hat ihre hervorragenden, führenden Charaktere; ein solcher war Friedrich Schlegel für die Romantik. Wie einst Lessing, stellte er sich kühn auf jene Höhe der modernen Bildung, die über Vergangenes und Zukünftiges freie Umschau eröffnet, mit staunenswerter Vielseitigkeit Philosophie und Poesie, Geschichte und Kunst, das klassische Altertum wie das Mittelalter und den Orient durchforschend. Auch darin ist er Lessing vergleichbar, daß er, wie jener die skeptische Richtung seiner Zeit, so den geistigen Prozeß der Romantik in ungestümer Konsequenz zu dem Zielpunkte mit sich fortriß, wo die Sache spruchreif und eine Entscheidung unumgänglich wird; und zwar, wiederum wie Lessing, nicht als literarisches Kunststück zur eignen Verherrlichung, sondern aus tiefer Sehnsucht nach der höheren Wahrheit, d.i. nach Versöhnung von Glauben und Wissen in der Religion, oder wie er selbst es schärfer faßt: nach der Einheit der Wissenschaft und der Liebe. Es ist daher ebenso stumpfsinnig als ungerecht, ihn, wie von seinen Gegnern noch häufig geschieht, nach den einzelnen, momentanen Phasen seines Bildungsganges zu beurteilen und gleichsam die Blüte für die trübe Hülse verantwortlich machen zu wollen, die sie doch selbst durchbrochen und weggeworfen. Grade der männliche Fortschritt, der durch alle diese Verwandlungen sichtbar wird und jede oft liebevoll selbst erbaute Schranke, wenn er sie als solche erkannt, rücksichtslos vor sich niederwirft, ist das Großartige seiner Erscheinung.

So sehen wir ihn, zunächst von Fichtes starrem Idealismus ausgehend, da dieser sein Verlangen nach innerer religiöser Vollendung keineswegs befriedigen konnte, sich in die Naturphilosophie versenken und gleichzeitig die ihr verwandte Romantik als christliche Schönheit der Poesie fast leidenschaftlich ergreifen. Aber von seinem dunklen Feuer durchglüht, fingen nun erst die noch chaotisch verschlungenen Elemente der Romantik, die echten und die falschen, wunderbar zu gären an; denn er adoptierte sie nicht bloß, er gestaltete sie. Alles Zweideutige, Schwankende bei Novalis: den verhüllten Pantheismus, den Naturgott und das entfesselte, geniale Ich trieb er, namentlich in seiner »Lucinde«, folgerichtig eins aus dem andern zu seiner notwendigen Formation empor. »Alle Selbständigkeit«, sagt er in jener Periode, »ist Originalität, und alle Originalität ist moralisch. – Man hat nur so viel Moral, als man Sinn für Poesie und Philosophie hat. – Jeder vollständige Mensch hat einen Genius; die wahre Tugend ist Genialität. – Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist, so gibt's so viele Götter als Ideale. Auch ist das Verhältnis des wahren Künstlers und Menschen zu seinen Idealen durchaus Religion. – Nur das kann ich für Religion gelten lassen, wenn man voll von Gott ist, wenn man nichts mehr um der Pflicht willen,  sondern alles aus Liebe tut, bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott sagt, nämlich Gott in uns.« – Allein auch diese poetische Täuschung konnte ihm nicht lange genügen; wie einem Bergmanne vielmehr, der aus dem verfallenen Schacht der Natur sich wacker emporarbeitet, blitzte ihm schon damals das Tageslicht in einzelnen Ahnungen entgegen. Der Tod wird ihm eine »Selbstbesiegung, die wie alle Selbstüberwindung eine neue, leichtere Existenz verschafft«. Ja schon im Jahre 1800 sagt er: »Nichts ist mehr Bedürfnis der Zeit als ein geistiges Gegengewicht gegen die Revolution und den Despotismus, den sie durch die Zusammendrängung des höchsten menschlichen Interesse über die Geister ausübt. – Laßt die Religion frei, und es wird eine neue Menschheit beginnen.«

Das Wesen des Protestantismus hatte er schon sehr frühe scharf umzeichnet. Im J. 1804, noch selbst dieser Konfession zugetan, schreibt er bei Herausgabe von Lessings Gedanken und Meinungen: »Was ist das Wesen des Protestantismus? Und was war es, was ihn zuerst auszeichnete und eigentlich konstituierte? Nicht diese oder jene Meinung, denn darüber fand die größte Verschiedenheit, ja Verworrenheit unter den großen Reformatoren selbst statt, sondern das, was alle gleich sehr beseelte, worin sie ohne Verabredung eins waren, und was ihr gemeinsames Band blieb. Die Freiheit war es, mit der sie lehrten; der Mut, selbst zu denken und dem eignen Denken gemäß zu glauben; die Kühnheit, das Joch auch der verjährtesten, ja kurz vorher noch von ihnen selbst unverletzbar heilig gehaltenen Irrtümer abzuwerfen. – Polemik ist daher allen Protestanten, oder allen Bekämpfern des Irrtums, wesentlich, ja es ist ihr ganzer Charakter in diesem Begriffe beschlossen. Polemik ist das Prinzip alles ihres Strebens und die Form alles ihres Wirkens. Will man dies in einen bestimmten Begriff fassen, so sage man, Katholizismus ist positive, Protestantismus aber negative Religion. – Der wahre Protestant muß auch gegen den Protestantismus selbst protestieren, wenn er sich nicht in neues Papsttum und Buchstabenwesen verkehren will. Die Freiheit des Denkens weiß von keinem Stillstande und die Polemik von keinen Schranken; der Protestantismus aber ist eine Religion des Krieges, bis zur innern Feindschaft und zum Bürgerkriege.« – Er selbst huldigt noch unbedingt diesem Prinzip wissenschaftlich polemischer Freiheit, »da es doch keine Liebe gibt ohne Wahrheit und keine Wahrheit ohne den Mut dazu«, und sucht es daher – freilich nicht ohne einige sophistische Künstlichkeit – mit dem Christentume zu vermitteln, indem ja eine gewisse Freigeisterei und Irreligiosität dem Christentum wesentlich, ihm keineswegs entgegengesetzt, sondern ein notwendiges Phänomen seiner auch alle ursprüngliche Abwege universell umfassenden Entwickelung sei. Aber alle diese Vorliebe täuschte ihn schon damals durchaus nicht über die notwendigen Endresultate dieser Freiheit. Wenige Zeilen weiter vielmehr sagt er prophetisch, als hätte er im Buche der Zeiten vorausgeblättert: »Das unaufhaltsam um sich Greifende des Protestantismus zeigt sich auch äußerlich in der Geschichte desselben; aber freilich hier in der gemeinen Masse nicht so edel als in dem Geiste eines Lessing. Während die positive Religion sich immer mehr fixiert und gleichsam versteinert hat, ist im Protestantismus fast nichts unverändert geblieben als die Veränderlichkeit selbst; und während auf der einen Seite die protestantische Denkart aus der Sphäre der Religion in die bürgerliche Welt hinausgetreten ist und auch da eine Reformation der gesamten politischen Verfassung hat versuchen wollen, hat man auf der anderen Seite die Religion so lange geläutert und geklärt, bis sie endlich ganz verflüchtigt worden und vor lauter Klarheit verschwunden ist. Beide Ausartungen sind natürlich genug; denn es ist im Wesen der freien Tätigkeit selbst gegründet, daß sie, je nachdem sie mehr extensiv oder mehr intensiv zu sein strebt, bald ihre eigene Sphäre überspringt, und sich in eine fremde hinauswirft, bald aber, auf sich selbst zurückgewandt, sich selber bis zur Selbstvernichtung untergräbt.« – Man sieht, hier hat ihn die unerschütterliche Treue der Forschung unwillkürlich auf den Punkt geführt, wo er nicht umhin konnte sich zu entschließen, entweder es auf jene Selbstvernichtung hin zu wagen oder zum Primitiven, Positiven, zur Kirche sich zurückzuwenden; und es ist ein fast komischer Anblick, wie die neueste Literatur sich vergebens abquält, diese seine Rückkehr durch künstliche Hypothesen und Annahmen von, man weiß nicht recht welchen, inneren Katastrophen zu erklären. So soll er, nach einigen, erst in Paris durch das Studium des Sanskrit auf die indischen Büßer, von den indischen Büßern auf die christliche Asketik und von der Asketik auf den Papst gekommen sein; als läge die Kirche in ihren Hauptlineamenten nicht schon in Novalis' Ideengange, dessen Gedankenerbe und Fortsetzer Friedrich Schlegel war.

So hatte Schlegel sich, man könnte sagen, durch die Romantik hindurchgekämpft, und als er, bei ihren extremen Konsequenzen angelangt, ihres ungeheueren Irrtums sich bewußt wurde, war er es auch, der, noch einmal alles Große und Wahre in ihr streng zusammenfassend, sie zu ihrem Ursprung wieder zurückführte; und er hatte die Gewalt und das Recht dazu, denn er hatte sie innerlich erlebt wie kein anderer. Die Romantik wollte das ganze Leben religiös heiligen; das wollte Schlegel auch; in dem Grundgedanken also sind und waren beide einig. Aber die Romantik, nur noch ahnend und ungewiß umhertastend, wollte es bis dahin mehr oder minder durch eine unklare symbolische Umdeutung des Katholizismus. Schlegel dagegen erkannte, daß das Werk der Heiligung alles Lebens schon seit länger als einem Jahrtausend, gründlicher und auch schöner, in der alten Kirche still fortwirke und daß die Romantik nur dann wahr sei und ihre Mission erfüllen könne, wenn sie von der Kirche ihre Weihe und Berechtigung empfange. Durch Fr. Schlegel daher, den eigentlichen Begründer der Romantik, ist diese in der Tat eine religiöse Macht geworden, gleichsam das Gefühl und poetische Gewissen des Katholizismus. Jene göttliche Gewalt der Kir che aber in allen Wissenschaften und Lebensbeziehungen zu enthüllen und zum Bewußtsein einer nach allen Richtungen hin zerfahrenen Zeit zu bringen, wurde von jetzt ab die Aufgabe seines Lebens. »Töricht«, schreibt er, »ist die Meinung derer, die da sagen: die Lehre, die allein Heil bringt, sei zwar durch Christum in die Welt gekommen; aber jetzt könne man auch ohne die Gemeinschaft und die Gebrauche der Kirche und ohne Verehrung seiner Person das Wesentliche seiner Lehre halten, seiner Bestimmung genugtun. Die Kirche ist allein das Gefäß jener Lehre, und diese Gemeinschaft zu zerreißen ist die schlimmste aller Taten.« – Und jetzt ertönen jene glühenden Lieder zur Wiedererweckung deutschen Nationalgefühls durch innere Umkehr zu dem einzigen göttlichen Retter:

»Sohn der Liebe, wollst vereinenDoch die Deinen,Daß der Zwietracht dunkle BindeVor dem Blick verschwinde!«

Die Poesie versenkt er in die religiöse Tiefe des Gemüts:

»Fern von Eitelkeit und innerm Trug,
Nahe dich mit Andacht jedem Buch,
Wo des Herzens stille Wahrheitskraft
Neu die Welt der Liebe sich erschafft.
Betend, wie am Altar Gottes Licht,
So vernimm das heilige Gedicht,
Wo des Lebens schmerzlich schönes Spiel
Dich zurücksenkt in das ewige Gefühl.
Nur der Sehnsucht fließt der Schönheit Quell,
Nur der Demut scheint die Wahrheit hell.«

Gegen die tote Regel mechanischen Gleichgewichts im Vertretungsstaate erbaut er auf historischen und religiösen Grundlagen den, auf Glaube und Liebe beruhenden, christlichen Staat. In der Geschichte weist er die innere Zerrüttung des Menschengeschlechts und dessen Wiederherstellung im Christentume als Grundthema nach, findet daher nur in der Verbindung der waltenden welthistorischen Mächte mit der Kirche das wahre Heil und erstrebt endlich in der Wissenschaft selbst eine christliche Philosophie als die höhere, geistige Poesie der Wahrheit.

»Nun ist«, sagt er, »die Überzeugung unter den Gutgesinnten aller Parteien wohl schon ziemlich allgemein und den meisten klar und gewiß geworden, daß der feste Anhaltspunkt in dem Streit der Meinungen und Interessen nur in dem Positiven gefunden werden und nur dieses den chaotischen Zustand enden und ein organisch geordnetes Dasein von neuem wie der begründen kann. Vergebens aber würde man für das Leben und den Staat, wie in der Wissenschaft, hoffen, diesen sicheren Grund und Stützpunkt in einem bloß irdisch Positiven zu finden, es sei welcher Art es wolle, solange nicht das göttlich Positive hinzukommt, als Träger und zusammenhaltende Lebenskraft des Ganzen. Wo sollen wir aber dieses göttlich Positive anders suchen als da, wo es uns schon lange gegeben ist, sobald wir es nur finden wollen: in der Religion, in der göttlichen Offenbarung und in der christlichen Philosophie, als einem treuen Abdruck derselben in wissenschaftlicher Form zu allgemeiner praktischer Anwendung?« – Die Frage von jenem göttlich Positiven führt ihn demnächst auf den alten Zwiespalt des deutschen Glaubens zurück, als den Punkt, von dem das Übel seinen Ursprung genommen und daher auch die Heilung ausgehen müsse. »Jene so lange gewünschte und so oft Vergeblich gesuchte Wiedervereinigung des Glaubens kann aber freilich auf dem gemeinen Wege menschlicher Ausmittelung nicht gefunden werden; nicht durch ein bloßes gegenseitiges, wenn auch noch so gut gemeintes Nachgeben und nicht durch eine diplomatische Verhandlung; überhaupt ist es kein Menschenwerk, sondern es muß von Gott kommen, der seine Werkzeuge dazu schon finden und diejenigen, welche von ihm ausersehen sind, mit der Kraft des heiligen Geistes erfüllen wird. Menschlicherweise läßt sich nur das dazu beitragen und nur dadurch der hohen Absicht entgegenkommen, daß wir jene unentschlossene Halbheit der Gesinnung von uns abtun, welche uns so oft zurückhält, den letzten Schritt in der Anerkennung der Wahrheit getrost daranzusetzen.«

Unter den vorerwähnten welthistorischen Mächten aber versteht er vorzüglich vier Gewalten, welche die menschliche Gesellschaft zusammenhalten und bewegen und auch eine vierfach verschiedene Art und Form jeglichen menschlichen Vereins begründen; nämlich die Macht des Geldes und des Handelns, die er in einem weiteren Sinne die Gilde nennt; die auch im Kriege nur auf die Erhaltung des äußeren und des bürgerlichen Friedens gerichtete Gewalt des Schwertes (der Gerechtigkeit) oder der Staat. Sodann die »Gnadenkraft der göttlichen Weihe, auf welcher alle Art von Priestertum und jeder kirchliche Religionsverein beruht, der allein den innern Frieden herbeiführt und auch dem äußeren die höhere Sanktion gibt. Was würde uns auch das ganze materielle Leben frommen, dem der Staat seinen rechtlichen Bestand sichert und welches jene äußere Kultur, die aus dem Kunstfleiß und dem Gewerbe hervorgeht und die in ihrem letzten Grunde auf dem Handel beruht, so reichlich ausschmückt, wenn es nicht der Träger eines anderen und höheren intellektuellen Lebens wäre? Dieses höhere intellektuelle Leben aber wird zunächst in der Religion und, als ein gemeinsames der ganzen Menschheit zuständiges Eigentum, in der Kirche genährt und entfaltet, deren geheiligtes, weltumfassendes Band die im Staatsverhältnis getrennten Nationen wieder verbindet und in der Zeit die späteren Generationen an die früheren anknüpft. Zugleich aber wird es auch durch die Schule erregt und entwickelt und von einem Zeitalter auf das andere fortgepflanzt; welcher intellektuelle Verein als die vierte Art und Form von jenen vier bezeichneten Hauptvereinen der menschlichen Gesellschaft mit dem Staat und der Kirche im mannigfaltigsten und innigsten Verhältnis steht.« Und diese von der Schule zu lösende Aufgabe teilt er vor allen anderen Nationen den Deutschen zu; denn der deutsche Geist »strebt tiefer in die verborgenen Prinzipien des inneren Lebens, wo jene Elementarkräfte nicht mehr getrennt erscheinen, sondern aus der gemeinsamen Wurzel die vollständige Kraft des lebendigen Bewußtseins im Denken und Bilden hervorgeht. – Die intellektuelle Aufgabe des Zeitalters aber, als die Idee, welche in der jetzigen Epoche nach der Bestimmung des deutschen Geistes herausgearbeitet werden soll, läßt sich wohl nicht anders bezeichnen, als daß es sei die vollständige Anerkenntnis und durch alle Weltalter durchgeführte Auffassung und eben dadurch zustande gebrachte Erneuerung und lebendige Wiedergeburt des in der zeitlichen Wissenschaft und Kunst sich abspiegelnden und ausstrahlenden ewigen Wortes; welche Idee ganz nahe zusammenhängt mit der vorhin erwähnten Wiedervereinigung des Glaubens selbst sowie auch des Glaubens und des Wissens. Dieses wieder eins gewordene Wissen aber, welches wir noch nicht anders zu benennen vermögen als mit dem Namen der christlichen Philosophie, läßt sich nicht machen wie ein System oder stiften wie eine Sekte, sondern wie ein lebendiger Baum muß es hervorwachsen aus der als göttlich erkannten Offenbarung. Die Welthistorie und Mythologie, das Reich der Sprachen und die Naturwissenschaft, Poesie und Kunst bilden nur die einzelnen Strahlen für dieses eine Licht der höchsten Erkenntnis. Und so wie dieses voller heranbricht, so wird auch der in der welthistorischen Forschung, oder in der Naturphilosophie hie und da noch herumdämmernde Pantheismus vollends verschwinden und in Schatten zurückweichen vor der wiedererkannten Wahrheit und Kraft des göttlich Positiven, wie sich dasselbe in wachsender Vollkommenheit immer herrlicher entfaltet. Es werden dann auch die Denkenden aller Art den Fortgang der wahren Zeit, der von dem was die Welt den Zeitgeist nennt, so ganz verschieden ist, richtiger erkennen, und es werden nicht mehr so viele ausgezeichnete Geister wie aus dem Traume fortreden, wo sie vor zwanzig Jahren stehengeblieben waren, als ob sie eine oder zwei Generationen der Welt versäumt und übersehen hätten. Auch über das Gebiet der Kunst mag sich dann wieder ein neuer Lebensodem verbreiten und statt der falschen Phantasmagorie unserer verzerrten tragischen Gebilde mag dann eine höhere geistige Poesie der Wahrheit hervortreten, welche nicht bloß die Sage irgendeines Zeitalters oder einzelnen Völkerstammes in beschränktem Phantasiespiele nachbildet, sondern in der irdischen Hülle zugleich auch die Sage von Ewigkeit, das Wort der Seele, im sinnbildlichen Gewande der Geisterwelt abspiegelt. Überhaupt aber ist jenes eine Licht nicht auf die Grenzen eines einzelnen Geistes oder nur auf eine Form und besondere Region der gesamten Geistesbildung eng beschränkt; sondern die mannigfaltigsten Gaben und Talente müssen zur Förderung jener Wiedergeburt und zur vollständigen Entfaltung jenes Baumes der guten und heilsamen Erkenntnis des Lebens beitragen.«

So hat denn Friedrich Schlegel, was Novalis ursprünglich ahnte und ersehnte: eine christlich religiöse Durchdringung und Wiederbelebung von Kunst, Wissenschaft und Leben, soviel in eines Mannes Kräften steht, wirklich vollbracht, und es kann auf seinen eigenen Lebenslauf angewendet werden, wenn er sagt: »Die Wahrheit ist eine lebendige, sie kann nur aus dem Leben geschöpft, durchs Leben errungen werden. Die Sehnsucht oder die Liebe ist der Anfang und die Wurzel alles höheren Wissens und aller göttlichen Erkenntnis; die Ausdauer im Suchen, im Glauben und im Kampf des Lebens bildet die Mitte des Weges; das Ziel aber bleibt für den Menschen hier immer nur ein Ziel der Hoffnung.«


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03