Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands

Die neue Romantik

Armin

Dies waren indes, in bezug auf die Poesie als Kunst, eigentlich nur die Theoretiker der Romantik. Novalis und Wackenroder waren überdem sehr früh gestorben und die beiden Schlegel bei weitem mehr Kritiker als produktive Dichter. Sie hatten den Kampfplatz abgesteckt, Sonne, Wind und Waffen bemessen und die Losung ausgegeben, aber die turnierfähigen Ritter fehlten noch.

Man könnte zwar in gewissem Sinne Jean Paul schon zu den Romantikern zählen; und doch stellt eben das, wodurch er sich von der Romantik wieder unterscheidet, das Wesen der letzteren erst recht klar heraus. Auch Jean Pauls Poesie nämlich ist eine Poesie der Zukunft, der Erwartung, und die Veredlung des Menschengeschlechts durch den wiedererweckten Glauben an eine höhere, unsichtbare Welt das Grundthema aller seiner Romane, wie es der in seiner unsichtbaren Loge entworfene Erziehungs- und Bildungsplan am deutlichsten ausspricht. Es ist eine Art poetischer Asketik, das Irdische nichtig: »Was anderes als versteinerte Blüten eines Klima, das auf dieser Erde nicht ist, graben wir aus unserer Phantasie aus, so wie man in unserem Norden versteinerte Palmbäume aus der Erde holt.« – Der Mensch kann und soll daher die Scholle brechen und, aus sich selber emporpfeilernd, in das überirdische Jenseits hineinragen. – Fragen wir aber nach Grund und Trieb dieses übernatürlichen Wuchses, so werden wir mit dem Emporschwingen an das gewiesen, was eben emporgeschwungen werden soll, Münchhausen vergleichbar, der sich selbst einst am eigenen Zopfe aus dem Sumpfe zog. »Wer in die Zukunft hinaussieht, der findet, ach! in tausend Zeichen einer Zeit, worin Religion, Staat und Sitten abblühen, keine Hoffnung ihrer Emporhebung mehr, außer bloß durch zwei Arme, welche nicht der weltliche und geistliche sind, aber zwei ähnliche: die Wissenschaft und die Dichtkunst. Ist einst keine Religion mehr und jeder Tempel der Gottheit verfallen oder ausgeleert, dann wird noch im Musentempel der Gottesdienst gehalten werden.« – »Es gibt keine Offenbarung als die noch fortdauernde. Unsere ganze Orthodoxie ist, wie der Katholizismus, erst in die Evangelien hineingetragen worden.«

Das Prinzip also ist es, was Jean Paul durchaus von den Romantikern scheidet; diese meinten das lebendige Christentum, Jean Paul eine abstrakte Religion der Humanität; jene wollten Kunst, Wissenschaft und Leben durch den positiven Inhalt der Religion restaurieren, Jean Paul dagegen alles in ein unbestimmtes Übermenschliche, das aber doch der Mensch wieder sich selbst machen sollte, verflüchtigen und verhimmeln. Daher bei ihm – weil der feste Goldgrund fehlt, der die irdischen Bilder kräftig abhebt – das Abgerissene, Unzureichende, Verschwommene seiner Wirklichkeit, wie seiner Ideale: weltumarmende, himmelstürmende Jünglinge, verblaßte, ätherisch-durchsichtige, mondscheinwüchsige Jungfraugestalten und jene weinerliche Sentimentalität, aus der sich der Poet, eben weil er ein echter Dichter ist, von Zeit zu Zeit durch humoristische Luftsprünge oder auf den mächtigen Schwingen seiner Träume zu retten sucht.

Die eigentlichen romantischen Dichter dagegen sind unstreitig Achim v. Arnim und Ludwig Tieck; und wir nennen Arnim, obgleich er der jüngere ist, hier zuerst, weil er die Romantik am reinsten und gesündesten repräsentiert; nicht als ob er der schulgerechteste unter ihnen gewesen – er stand vielmehr der eigentlichen Schule vielleicht am allerfernsten –, sondern durch den Grundton, den er in allen seinen Dichtungen angeschlagen; wir meinen die Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung, die ihn weit über die andern erhebt. Männlich-schön, von edlem, hohem Wuchse, freimütig, feurig und mild, wacker, zuverlässig und ehrenhaft in allem Wesen, treu zu den Freunden haltend, wo diese von allen verlassen – war Arnim in der Tat, was andere durch mittelalterlichen Aufputz gern scheinen wollten: eine ritterliche Erscheinung im besten Sinne, die aber deshalb auch der Gegenwart immer etwas seltsam und fremd geblieben. So trat er in eine Zeit, die den Katzenjammer der Kotzebueaden noch immer nicht verwinden konnte, und eröffnete sofort, im Verein mit Görres und Brentano, in der »Einsiedlerzeitung« (1808) einen höchst ergötzlichen Krieg gegen den deutschen Michel. Er wollte die Poesie von dem Schulbanne einiger veralteten Männer, die ihre Jugend vergessen hatten, befreien; mit Ausschluß aller Tagesneuigkeit, wollte er das Künftige der Geschichte in den Strebungen der verschiedensten Art kennenlernen und vorlegen und die Zeit endlich wieder hinführen »zu einer gemeinschaftlichen Jugend und Wahrheit, die wir Andacht und Religion nennen«. Die Art und Weise, wie dieser Kampf dort geführt wird ist für die Romantik, wie für Arnim bezeichnend: überall der Ernst heiter und der Scherz tief und bedeutend. Die Zeitung erschien auf Befehl der großen Langeweile vieler sonst unnütz beschäftigter Leute, dieser neuen Einsiedler in den Lesekabinetten, welche die strenge Buße des Müßiggangs treiben; jedem, der sie nicht in frankierten Briefen abbestellt, sollte sie ins Haus geschickt werden. Das Titelblatt ist mit dem Bildnis des deutschen Michels selbst verziert. »Treffend«, sagt Arnim im Vorwort, »ist die Ähnlichkeit deines Bildes, geehrtes Publikum: dieses listige Lauern; dieser schiefe Mund, der auf eine Autorität oder Kritik wartet, um sein Urteil darnach zu bestimmen; die steifen Locken, die sich aus der Nachtmütze drängen, wie alte, verrostete Gedanken, die du immer wieder hören möchtest; nach einer Seite ist sie aufgeschoben, denn auch du hast einmal gedacht und dir die Stirn gerieben und weißt es noch recht gut und meinst, daß die Verfasser von dir erst denken und fühlen lernen sollten.« – Viele Richtungen, die dort angeregt, manche Namen, die hier zum erstenmal auftauchen, wie Uhland und Kerner, sind seitdem ausgeführt, sind seitdem berühmt geworden, und der deutsche Michel lebt noch immer fort, aber die Zeitung ist längst aus seinem Angedenken verschwunden.

Es war aber nicht bloß eine lächerliche, literarisch zerfahrene, sondern auch eine in ihren ethischen Elementen entwürdigte Zeit, welche hündisch die Hand leckte, die sie schlug, und mit dieser Niedertracht noch prahlte. Das deutsche Reich war zusammengestürzt, und die Pflugschar des Krieges ging darüber, und die Deutschen spannten sich selber vor, um alles der Erde gleichzumachen. »O mein Gott«, ruft daher Arnim aus, »wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern richteten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht? fast vergessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal ganz abgeholzt, es wächst da kein Holz wieder; daß Deutschland nicht so verwirtschaftet werde, sei unser Bemühen!« – »Was erscheint, was wird, was geschieht? – Nichts. Immer nur die Sucht des Bösen, die Welt sich und alles der Nichtswürdigkeit in der Welt gleichzumachen, alles aufzulösen, was enger als ein umzäuntes Feld an den Boden des Vaterlandes bindet: der Gedanke, es ist derselbe Boden, auf dem wir in Lust gesprungen. Wer so denkt, wird herrlich sich und seinen Nachkommen bauen, wem aber die Baukunst fehlt, dem fehlt ein Vaterland.«

Und aus dieser männlichen Trauer erwuchs alles Edle seines reichen Gemüts, aus der herzlichen Liebe zum Vaterland der fröhliche Glaube an dessen Rettung und eine unverwüstliche Hoffnung, die, wie er selbst sagt, sein größtes Talent gewesen. Aber nicht das Schwert allein konnte hier entscheiden, sondern die echte Herzhaftigkeit, die es führte. Wer das Schlechte besiegen will, das wußte er wohl, mußte erst die eigne Schlechtigkeit überwinden. Die gesinnungskranke Zeit, mit den widersprechendsten Medikamenten künstlich überfüttert, konnte nur im stärkenden Luftbad auf den heimatlichen Höhen genesen; von innen heraus allmählich und allmächtig wachsend, mußte erst die Sitte sich wiederherstellen, auf der allein die Rettung stand. Und in diesem Sinne, um dieses Heimweh und jenen Gedanken rechter Baukunst im Volke wieder zu wecken, unternahm er »des Knaben Wunderhorn«, den fast verschollenen Klang der Herderschen Volksstimmen vertiefend, indem er ihn auf Deutschland konzentrierte. In gleichem Sinne auch verflocht er große Erinnerungen der Vorzeit, alte Sagen und Geschichten keck mit der Gegenwart, damit diese sich daran besinne, denn »nur Völker«, sagt er, »die sich selbst nicht achten, können verächtlich mit den Gebeinen ihrer Voreltern verfahren«. So namentlich im »Wintergarten« und in den »Appelmännern«, wo das Grauen, die Ehre, Lust und Not, die den Befreiungskrieg geheimnisvoll vorbereiteten, und die verschiedenartigen Zustände und Stimmungen der Jugend, die ihn ausfocht, in einem alten Puppenspiele sich wunderbar abschildern: der wildschöne Vivigenius, »der gleich einem Riesen von einem Dach zum andern über die Gassen schreitet, und wo er tritt, da steigt ein heftig Feuer auf«; und der dichterische Theobald, der, von jenem mit in den Krieg hineingestürzt, von seinem Liebchen Abschied nimmt:

»Aller Liebe, allem Schaffen,
Allen innern Friedenswelten
Muß ich heute mich entraffen,
Denn das alles soll nicht gelten
Süße Reime, Liederklänge,
Fromme Bilder, laßt mich ziehen,
Wie ein Leichenzugsgepränge
Muß ich eure Freuden fliehen.

Sag mir keine Abschiedsworte,Trost ist nur in blut'ger Lehre,Schließe deine FriedenspforteUnd bewahre deine Ehre;Komm ich einst mit blut'gen Händen,Mußt du dich nicht von mir wenden,Wenn ich niemals wiederkehre,Küss mich heut zur letzten Ehre.«

»Doch sind mir das die tüchtigsten Soldaten, die wissen und auch fühlen, was sie mit dem Frieden aufgegeben haben, die haben rechten innern Grund zum Kriege.«

Alle Ritterlichkeit dieses Wesens und Strebens Arnims aber tönt in den Worten:

»Lerne in den SchmerzenstagenDieses höchste Erdenrecht,Wie sich unsre Herzen schlagenHin zu göttlichem Geschlecht,Das von droben regt in SchreckenTiefen Ernst der Erdenwelt,Bis, erhöht durch das Erwecken,Wir in Gleichheit ihm gesellt.«

Die Kraft seiner Dichtung überhaupt ist ihr ethisches Element. Sie gibt sich zunächst kund als keusche Scheu vor aller Affektation, die selbst jeden konventionellen Schmuck der Poesie spröde verschmäht. »Diese Kunst ist schrecklich«, sagt er, »die betrügt; die rechte Kunst ist wahr, sie heuchelt nie den Frieden, wo sie ihn doch nicht geben kann.« Sie zeigt sich aber, gradezu im Gegensatz mit dem Geschmack von heute, besonders übermächtig als eine unwandelbare Gerechtigkeit der Weltanschauung, die ohne die geringste Ehrfurcht vor eignen oder fremden Götzen mitten durch das Getrappel, Geschrei und Gewirre der sogenannten Zeitgeister fest und unverzagt auf den Grund und die natürliche Figuration der Dinge sieht. Es ist darum, wie wir soeben mit einiger Verlegenheit empfinden, bei ihm schwieriger als bei andern Dichtern, ja überhaupt kaum geraten, zum Zeugnis seines inneren Wesens einzelne Stellen auszuheben, weil dieses Wesen hier nirgend in wohlgerundeten Sentenzen, wie Fettaugen, umherschwimmt, sondern vielmehr durch das Ganze seiner dichterischen Gestaltungen vertreten wird; man möchte seine Poesie eine historische nennen, wo, fast ohne Räsonnement, nur die poetischen Tatsachen reden. So geht ein tiefer, sittlicher Ernst tragisch durch seinen Roman von der »Gräfin Dolores«, bloß durch die unwiderstehliche Gewalt der innern Wahrheit die ganze moralische Seele unserer sozialen Verhältnisse in den stillen, einfachen Kreis der Armut, des Reichtums, der Schuld und Buße der schönen Dolores bannend. Aller Friede und Segen der natürlichsten Herzenseinfalt blickt uns mit holländischer Reinlichkeit aus seinen »drei liebreichen Schwestern« an, welche durch die schöne Sage von der Mutter Gottes eingeleitet werden, wie sie dem armen, nachts im Walde verirrten Kinde Harzgulden aus den Sternen regnen läßt. In derselben Novelle aber hat er auch den häuslich-kräftigen König Friedrich Wilhelm mit seinem Normalzopf und Tabakskollegium sowie in »Halle und Jerusalem« das ehemalige Studentenleben, die Judenwirtschaft und die lüderliche Geistreichigkeit jener Zeit, die das Hohe und Gemeine durch Genialität vermitteln wollte, in festen, sichern Zügen umschrieben; ja, die Darstellung der verhängnisvollen Wetterscheide zwischen dem Mittelalter und der neuen Zeit in seinen »Kronenwächtern«, obgleich meist mit erdichteten Personen und Begebenheiten, ist historischer als viele geistreich verzwickte Geschichtswerke. Und das alles eben nur, weil er unbefangen und unverfälscht gewähren läßt,

»Was uranfänglich, doch der Welt verbunden,Was keinem eigen, was sich selbst erfunden,Was unerkannt, doch nimmer geht verloren,Was oft erstirbt und schöner wird geboren.«

Eben dieses Historische aber, diese großartige Gerechtigkeit seiner Poesie, verbunden mit der ihm angeborenen Milde, http://www.zeno.org/Literatur/K/Eichendorff-W+Bd.+3-0792.pngbedingt zugleich sein Verhältnis zur Kirche und erklärt die merkwürdige Erscheinung, daß seine Dichtungen, obgleich er Protestant war und blieb, dennoch wesentlich katholischer sind als die der meisten seiner katholizisierenden Zeit- und Kunstgenossen. Denn weil er so ohne Falsch und alle Lüge ihm ein Greuel war, so hat auch das Leben und dessen religiöse Grundlage in der Kirche sich ihm vertraulich und ohne Falsch gezeigt in seiner ursprünglichen Schönheit und Wahrheit; und es ist im Grunde die Kirche selbst, wenn er von ihren Bauwerken sagt: »Welche Einheit und Ausgleichung aller Verhältnisse, wie fest begründet alles an der Erde und doch alles dem Himmel eigen, zum Himmel führend, an seiner Grenze am herrlichsten und prachtvollsten geschlossen. Zum Himmel richtet die Kirche wie betende Hände unzählige Blütenknospen und Reihen erhabener Bilder empor, alle zu dem Kreuze hinauf, das die Spitze des Baues als Schluß des göttlichen Lebens auf Erden bezeichnet, das als die höchste Pracht der Erde, die sich dadurch zu unendlichen Taten begeistert fühlt, einzig mit dem Golde glänzt, womit kein anderes Bild oder Zeichen neben ihm in der ganzen heiligen Geschichte, die der Bau darstellt, sich zu schmücken wagt.« – Katholischer aber als die der andern nannten wir seine Poesie, weil sie mit der Kirche durchaus auf demselben christlichen Boden steht, weil sie von unedlem Leichtsinn sowie von dem modernphilosophischen Vornehmtun gegen Gott nichts weiß, und daher den Katholizismus weder willkürlich umdeutet, noch phantastisch überschmückt.

Zahlreiche in seinen Schriften zerstreute Äußerungen bezeichnen unwillkürlich diese Auffassung, den Ernst und die Unbefangenheit seiner religiösen Gesinnung. So kommt in »Halle und Jerusalem«, unter vielen andern erbaulichen Dingen, ein Reisender vor, »der zieht in alle Welt und spricht vom Christentum in tausend Worten, aber seine Worte haben keine Kraft des ewigen Lebens, weil seine Liebe ohne Tat ist; von ihm kommen alle neuen poetischen Christen, ich rede von denen, die es nur in ihren Liedern sind.« – Doch nicht bloß diese Phrasen-Koketterie, auch das altkluge Kokettieren mit Gedanken ist ihm zuwider. »Wir werden es häufig bemerken in unserer Zeit, daß Menschen der gebildeten Stände, die sich lange sehr religiös glauben, doch eigentlich die Religion nur als ein Gedachtes, als ein Nachdenken über die Welt bewahren, nicht als ein Notwendiges, Eingeborenes, Anerzogenes, nicht als einen Glauben; es gab für die meisten eine Zeit, wo sie viel dachten und der Religion vergaßen; ihr Spekulieren über die Religion hält selten gegen die Not und gegen das Glück aus; beide geben ihnen meist erst ihre feste Richtung, ihren eigentlichen Glauben.« – »Wer seines Volkes Glauben im Glück leichtsinnig vergißt, in der Not verläßt, den wird Gott in seiner letzten Not vergessen und im Glück verlorengehen lassen.« – »Die Tage vergehen schneller als die Nächte, endlich kommt eine Nacht, die keinen andern Tag kennt als die Erinnerungen; vergeßt auch nicht über das abenteuerliche Spielzeug dieses Lebens das ernste Werk des Zukünftigen.« – »O sagt, was ist bei uns des Glaubens wegen noch geschehen? Ein jeder braucht ihn nur für sich in müßigen Augenblicken, die Welt hat keine Freude mehr an ihm. – Wir schämen uns des Wunderbaren in dem Leben und achten's nur in der Vergangenheit.« –

»Leget ab des Hochmuts Sinn,Wendet euch zum Armen hin:Was ihr lerntet, half euch nichtZu dem ewig wahren Licht;Doch wo viele sind beisammen,Zeigen sich der Andacht Flammen,Wie der Blitz, wo Wolk an Wolke,Zündet Andacht sich im Volke.«

Seinen tiefsten Unwillen aber gegen die hochmütige Emanzipation des Subjekts, wo es die Vergangenheit ausstreichen und in rationalistischer Anmaßung die Weltordnung richten will, legt er seiner furchtbaren »Hausprophetin Melnik« in den Mund: »Reich der Vernunft? Wie soll die Vernunft in einem Augenblicke in die Welt kommen, nachdem sie in den tugendreichsten, tätigsten Jahrhunderten sich nur immer als eine seltene Fremde gezeigt hat, die sich kaum der drückendsten Not verständlich machen konnte und sich eben in der Begründung dieser Abstufungen weltlicher und geistlicher Gewalt zuerst äußerte? Denkt daran, daß diese Unterschiede unter Menschen notwendig waren, gegen die wir als Zwerge anzusehen im Schaffen und Entsagen. Was soll die Vernunft zu einer Tätigkeit erheben, wenn die vernünftigsten Menschen, die ihr auf Erden achtet, nichts tun und vollbringen als spekulieren und in diesen Spekulationen einander widersprechen? Ich sage euch, die Vernünftigen werden das Wort leihen müssen, um alle Unvernunft nicht bloß zur Sprache, sondern auch zur Tat zu bringen, und in dem Namen jener wird geschehen, was diese verdirbt; eure hohe Bildung gibt grade dem höchsten Verderben, wo sie durchbrechen wird, den größten Spielraum.« – Wer erschrickt nicht vor der schneidenden Wahrheit dieser Prophezeiung, die noch heute gilt! Wo ist hier eine Spur des schlaffen Quietismus, den eben jene nichtstuenden und nichts vollbringenden, spekulierenden Vernünftigen jetzt der Romantik aufbürden möchten? – »Reines Bild des jugendlichen Lebens«, redet Arnim sodann seine Isabella von Ägypten an, »wir blicken zu dir und flehen, reinige uns von eingebildeten Leiden der Liebe und von angebildeten Sünden der Zeit; das Totengericht der Menschen soll uns nicht schrecken, aber wer scheut nicht die Totenrichter in sich selbst, die unerbittliche Strenge der Gedanken, die sich nicht täuschen lassen, wo wir anderen genügen, aber nicht der eignen Kraft; heilige Isabella, wehe Himmelsluft auf meine heiße Stirn, wenn ich Gericht halte über mich selbst!«

Mögen diese wenigen Züge genügen, an einen unserer edelsten Dichter zu erinnern und die Unabhängigkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung zu bezeugen, die wir oben als seine hervorragende Tugend angedeutet haben. Dieselbe Unabhängigkeit aber bewahrte er sich auch als Künstler, er konnte mit Recht sagen:

»Ihr Freunde wißt, daß ich von keiner Schule,Daß ich um keines Menschen Beifall buhle;Ihr wißt, daß wir uns oft um Wahrheit stritten,Und keinen Irrtum an einander litten.So nehmt dies Buch, es ist das schönste nicht,Doch ist's empfangen und gereift am Licht,Es ist sich selber keiner Schuld bewußt,Und was ihm fehlt, das fehlt der Menschenbrust.«

Daher hat er sich jederzeit ferngehalten von dem exotischen Formenspiel, welches damals das einfache Lied und »die blaue Blume« der Romantik üppig zu überwuchern drohte; er wollte seinen Pegasus reiten, aber nicht zureiten, und bezeichnet diesen selbst sehr treffend in dessen Zuruf an die Leser:

»Im flachen Land, durchfurcht zu gleichen Hügeln,
Bezwingt des Reiters Kunst des Rosses Tücke;
Am Alpenrande, in der Wolke Flügeln,
Vergehn dem Reiter alle sichern Blicke:
Er leitet nicht, er hält sich an den Zügeln,
Und reißt das sichre Roß in Mißgeschicke.
Es trägt nur freie Kraft durchs hohe Leben.
Vertrauend soll sich jeder ihr ergeben.

Ihr Freunde, traut mir heute ohne Klügeln,Ich bin den Wunderweg nun oft gegangen,Laßt mir die Zügel, haltet euch in Bügeln;Denn wißt, wo euch der Atem schon vergangen,Da fühlte ich das Herz sich froh beflügeln,Da hat es recht zu leben angefangen.Ein Wunder ist der Anfang der Geschichte,Ein Wunder bleibt sie bis zum Weltgerichte.«

Seine Poesie ist wie ein schlanker Baum auf der Höh über einem blühenden Abgrund, fliegende Morgennebel flattern wie Schleier vom Wipfel, Waldvögel mit fremden Ton singen darin und die Bienen summen sommerschwül durch die duftigen Zweige, während manche verirrte Taube oben silbern vorübersäuselt und Schmetterlinge wie abgewehte Blüten über der schimmernden Tiefe schweben; unten aber sind die rauschenden Länder aufgerollt, blaue Gebirge, Ströme, Städte, Wälder und die vorüberziehenden Geschlechter der Menschen, bis weithin, wo das Meer aufblitzt und die weißen Segel verschwinden. Wer nicht schwindlig, mag sich getrost in den wiegenden Wipfel zum Dichter setzen, er weist ihm ohne viel Worte all die Herrlichkeit der Welt und nennt ein jedes bei seinem rechten Namen; und wo sie unten, um ihre goldnen Kälber tanzend, zu viel Staub gemacht, hebt er leise die falschen Nebel, daß durch den Riß der Wolken der Finger Gottes wieder sichtbar wird. Bei solcher kursorischen Weltschau erblicken wir freilich zumeist nur die leuchtenden Gipfel der Erde und atmen nur den Duft der Frühlingsgärten, wie ihn eben der Wind heraufweht; aber was wäre denn die Poesie, wenn nicht eben erfrischende Anregung und Erweckung? Kein Dichter gibt einen fertigen Himmel; er stellt nur die Himmelsleiter auf von der schönen Erde. Wer, zu träge und unlustig, nicht den Mut verspürt, die losen, goldenen Sprossen [⇐796][797⇒] zu besteigen, dem bleibt der geheimnisvolle Buchstabe doch ewig tot, und ein Leser, der nicht selber mit und über dem Buche nachzudichten vermag, täte besser, an ein löbliches Handwerk zu gehn, als so mit müßigem Lesen seine Zeit zu verderben. Wenn daher Arnim so wenig genannt und erkannt worden, so liegt wahrlich die Schuld weniger in seiner Art als in der Unart und Schwerfälligkeit des Publikums, das in Ernst und Scherz sich in seinen gewohnheitsseligen Alltagswerken und Vorurteilen nur ungern gestört fühlt.


Letzte Änderung der Seite: 06. 03. 2021 - 00:03