Wunderlieder und Träume
Das Reh
Leopold war auf die Jagd geritten. Munter waren die Jäger hinter dem scheuen Wilde drein, Hörner ertönten, und das Bellen der Hunde schallte lustig in den Wald. Ein schönes Reh lockte den Ritter immer tiefer hinein, so daß er sich am Ende von seinen Dienern verlohr, und ihre Hörner nicht mehr hörte. Das zarte Thier floh immer vor ihm her, und so erreichten sie endlich einen Strom, der durch den Wald floß; das Reh stand am Ufer still und sahe sich ängstlich nach Rettung um, Leopold war nahe bei ihm, da sprang es plötzlich in die rauschenden Wellen, die es bald den Augen entzogen. Er betrauerte noch den Verlust, als er plötzlich ein lautes Rufen um Hülfe hörte, er blickte nach der Seite hin, woher die Stimme zu kommen schien, und ein schönes Mädchen kam im schnellsten Lauf aus dem Walde, ihr Gewand wie ihre Haare flatterten im Winde, sie breitete die Arme aus, und ihre Augen suchten ängstlich nach Hülfe umher. Hinter ihr kam eine Alte, welche die dürren Arme nach dem Mädchen ausstreckte, und sie mit schrecklich funkelnden Augen anstarrte.
Das Mädchen erreichte den Strom, sie sahe Leopold nicht, die Alte war hinter ihr, und sie, um der Schrecklichen zu entrinnen, wollte sich in den Strom stürzen. Leopold hielt sie zurück, da wollte die Alte sich auf ihn werfen, und sie ihm entreißen; er zog sein Schwerdt, und stellte sich als ihr Beschützer der Alten entgegen; sie stieß ihn zurück, um sich des Mädchens zu bemächtigen, und er fühlte eine so gewaltige Kraft in ihren Armen, daß er ihr kaum widerstehen konnte. Darum zückte er sein Schwerdt, und wollte die Alte, die er für eine Zauberin hielt. damit vertilgen. In demselben Augenblicke sprang diese mit großer Behendigkeit zurück, so daß er sie kaum berührte. Leopold ward betäubt von einem kreischenden Tone, der die Luft durchschnitt; als er sich wieder erhohlte, war die Alte verschwunden, und ein rüstiger Jäger mit einem langen Jagdspieß stand vor ihm. Anfänglich glaubte er, es sey einer von seinen Jägern, er wollte ihn anreden, da erschreckten ihn die funkelnden Augen, womit der Jäger ihn ansah, indem er zugleich seinen Jagdspieß drohend erhob, sich umwendete und dem Walde zueilte.
Leopold sahe sich nun nach dem Mädchen um, die noch zitternd am Ufer stand, und gern zu einem alten Manne, der ihr vom andern Ufer zuwinkte, hinüber wollte.
Willst du dich meinem Schutze vertrauen, schönes Mädchen? redete Leopold sie an. Statt ihm zu antworten, streckte das Mädchen die Arme nach dem Alten aus. O hilf mir hinüber zu dir! rief sie ihm zu; da fing das Wasser an zu rauschen, und das Reh, welches Leopold erst verfolgt hatte, schwamm an das Ufer zu dem Mädchen, freudig sprang sie auf seinen Rücken, auf welchem stehend sie durch das Wasser getragen ward. Wie sie so hinüber schwamm, betrachtete Leopold die schöne Gestalt, von der die langen Gewänder in die Wellen hingen, ihre Haare waren aufgelöst, und wallten in reichen Locken bis auf ihre Hüften herab, ein Kranz von Rosen hatte die blonden Locken gefesselt, und sie bei der Flucht vor der Alten freigegeben. Jetzt hielt er sich nur noch oben auf der Scheitel.
Ein leiser Wind erhob sich, spielte mit ihren Haaren, hob den Kranz herunter, und warf ihn in die Wellen, diese führten ihn dem Ritter wieder zu, der ihn aus dem Wasser aufhob. Das Mädchen hatte nun das andere Ufer erreicht, der Alte gab ihr die Hand, sie ging mit ihm in den Wald hinein und das Reh tauchte sich wieder in die Wellen. Leopold hielt den Kranz in der Hand, er betrachtete ihn, und eine wunderbare Sehnsucht ergriff sein Herz. Wer bist du, holdseliges Mädchen? fragte er: willst du dich mir nicht wieder zeigen? soll ich dich auf ewig verlohren haben? – Nein! rief er aus, ich muß dich wieder finden, zum Zeichen deiner Huld hat mir das Schicksal diese Blumen gegeben, die ich dir treu bewahren will.
Er wollte den Kranz in seinem Busen verbergen, als er hinter sich ein schallendes Gelächter hörte. Er wandte sich um, und es war die häßliche Alte, welche das Mädchen verfolgt hatte. Mit der größten Schnelligkeit riß sie eine Rose aus dem Kranz, welchen er noch in der Hand hielt, und eilte damit hinweg. Ein heftiger Schmerz erfüllte nun Leopold's Gemüth. Der Kranz war aus einander gegangen, und er betrachtete ihn mit stummen Thränen. Die Jagdhörner schallten in seiner Nähe, er hob aber die Augen nicht von den Blumen auf. Seine Diener traten endlich zu ihm, und äußerten ihre Freude, daß sie ihn nach langem Suchen gefunden hätten. Er achtete nicht darauf, seine Thränen flossen unaufhörlich und benetzten die Blumen.
Ein Page, der immer sein Liebling gewesen war, redete ihn an und fragte: ob sie nach dem Schlosse seines Vaters zurückkehren wollten; aber der traurige Ritter gab keine Antwort, und hob auch die Augen von dem Kranze nicht auf.
Endlich entschlossen sich die Diener ihn fortzuführen, er litt es ohne Widerstand, und ritt stumm, die Rosen in den Händen, mit seinen Dienern in das Schloßthor ein. Der alte Graf wurde schnell von dem Zustande seines Sohnes unterrichtet, er eilte herbei, aber Leopold antwortete auf keine Frage, nur als der Graf den Kranz aus seinen Händen nehmen wollte, blickte der Sohn ihn mit so wehmüthig flehenden Augen an, daß sich keiner der Thränen erwehren konnte. Der Graf ließ seinen Arzt kommen, um nach dem Grunde dieses Uebels zu spähen, allein da der Kranke keine Antwort gab, so blieb seine Krankheit allen ein Räthsel, er saß nur immer und betrachtete die Blumen. So vergingen einige Tage, und die Traurigkeit herrschte auf dem Schlosse, wo sonst nur die Freude gewohnt hatte. Der alte Graf sah trostlos den letzten Zweig seines Geschlechts in seinem Sohne welken. Alle Mittel wurden versucht, um den Sohn zum Sprechen zu bewegen. Der Graf beschwer ihn, wenn irgend ein Wunsch sein Herz beunruhige, ihn zu nennen, er wolle Leben und Ehre daran setzen, ihn zufrieden zu stellen. Leopold antwortete nicht, und blickte seufzend die Rosen an. Es fiel jetzt dem Grafen auf, daß die Blumen immer frisch blieben, und er glaubte, irgend ein Zauberer habe seinen Sohn so verwandelt. Er beschloß daher, ihn zu einem weisen Manne zu bringen, der einsam im tiefsten Walde wohnte, und durch seine Frömmigkeit eine solche Gewalt über alle Zauberei erlangt hatte, daß schon mancher Unglückliche getröstet von ihm ging.
Leopold wurde von dem Greise freundlich empfangen, und in seine Hütte geführt, an welche sich ein kleiner Garten schloß, nur mit hohen Rosenbüschen angefüllt, deren zarte Röthe seltsam gegen den grünen Wald abstach, worin die Hütte und der Garten versteckt lagen. Leopold betrachtete mit Wohlgefallen die Rosen, und verglich sie stillschweigend mit denen, welche er in den Händen hielt; er lächelte zufrieden, daß die seinigen doch in schöneren Farben prangten. Der alte Graf und die Diener, welche ihn begleitet hatten, nahmen mit Thränen von ihm Abschied, und ließen ihn bei dem Alten allein. Er lächelte zufrieden, wie er sich von ihnen verlassen sah, setzte sich unter ein Rosengebüsch nieder, und betrachtete seine Blumen. Der Greis entfernte sich, und überließ ihn seinen Betrachtungen.
Die Sonne schien auf Leopold hernieder, der, als er ihre Stralen fühlte, auf zu dem Himmel blickte, und ihn im schönsten Blau glänzen sah. Wie er ihn eine Weile betrachtet hatte, zog sich ein leichter Duft über die blaue Fläche, der sich bald zu einer silberweißen Wolke zusammenzog, die sich in kurzem roth färbte, und wie eine große Rose am Himmel blühte. Ein leichter Wind schüttelte diese ätherische Blume hin und her, die sich aufblätterte und die goldnen Samenkörner aus ihrem Schooß herunter schüttete; sie fielen wie Funken auf die Blumen in Leopolds Händen nieder, der die Rose am Himmel mit inniger Freude betrachtete, denn es war ihm, als müßte es die Blume seyn, welche die Alte ihm entrissen hatte. Es erhob sich ein Rauschen in den Rosen, worunter er saß, und jene, die über ihm so entzückend geblüht hatte, verschwand. Hinter dem Gebüsch hörte er nun eine weibliche ungemein sanfte Stimme, welche sagte: Ja, noch einmal bin ich dem Tode glücklich entronnen, aber wer weiß, wie nahe mir mein Feind ist, indem ich mich meiner Sicherheit freue. Sey ruhig, mein Kind! erwiederte eine männliche Stimme: unser Freund wird uns gegen ihn beistehn, und hier darf er uns nicht verletzen. Es war ein entsetzlicher Jäger, der dich verfolgte, seine drohenden Augen, sein gewaltiger Jagdspieß, mit Entsetzen hab' ich es betrachtet. Und hätte mich der Jüngling nicht errettet, sagte die weibliche Stimme. – Und der Fluß, mein Kind! rief die männliche, vergiß nicht, ihm hauptsächlich zu danken.
Leopold war überzeugt, daß das Mädchen und der Alte, welche er im Walde gesehen hatte, sich in seiner Nähe befänden; er stand auf und eilte hin, woher die Stimmen kamen, aber erstaunt wollte er zurückkehren, als er das auf der Jagd verfolgte Reh unter den Rosengebüschen erblickte. Ein alter Hirsch saß neben dem zarten Thiere, und sah ihn mit großen Augen an.
Ein schallendes Gelächter hinter ihm brachte ihn aus der Fassung, er wandte sich um, und die Alte, welche das Mädchen verfolgt hatte, stand hinter ihm, und riß mit großer Schnelligkeit noch eine Blume aus dem Kranz, womit sie davon eilte. Wie sie das Ende des Gartens erreicht hatte, sah er sie nicht mehr, aber der Jäger mit seinem großen Jagdspieße ging in den Wald hinein. Die Alte hatte den Kranz, welchen Leopold so treu bewahrte, nun ganz zerrissen, viele Blumen lagen auf dem Boden, und andere hielt er noch in seinen Händen. Das Reh bückte sich und hob die Blumen auf, der Hirsch schüttelte den Kopf; die aus der Himmelsblume herniedergefallenen Funken waren wieder losgeschüttelt, und lagen im Grase. Das Reh eilte mit den Blumen davon, der Hirsch folgte bedächtig, und Leopold setzte sich tiefsinnig nieder, sahe die Blumen, die er noch in den Händen hielt, dann betrachtete er wieder die Funken im Grase, und sein Herz wurde von neuem zur Traurigkeit bewegt. So fand ihn der freundliche Greis noch sitzen, als er aus dem Walde zurück kam, er lud den Jüngling ein, ihm in seine Hütte zu folgen, die Sonne werde bald untergehen. Leopold hörte auf seine Rede nicht, und der Greis verließ ihn wieder. Die Sonne ging unter, und küßte zum Abschied mit ihrem goldnen Schein die Bäume, und lag in zärtlicher Glut auf den Rosen, die sich höher färbten, und an den Büschen hin und her schwankten. Da entbrannte Leopolds Herz zur wildesten Sehnsucht, er betrachtete seine Blumen, drückte sie an sein Herz und an seine Lippen. Die Funken darin wurden von der Sonne beschienen, und blickten ihm mitleidig entgegen; da flossen Thränen aus seinen Augen, und seine Lippen öffneten sich zu lauten Klagen. Er blickte auf zu den Bäumen und zum Himmel. Gieb mir, rief er aus, was ich nicht kenne, wonach ich schmachte! Er sah die Rosen, die an den Büschen blühten, riß sie wild von ihrem Stengel, und wollte damit den Kranz ergänzen. Aber so wie er sie den Büschen entrissen hatte, welkten sie, und die dürren Blätter fielen ab. Da er sahe, daß sein Bestreben vergeblich war, eilte er aus dem Garten in den Wald hinein. Kein verwachsenes Gesträuch hielt ihn auf, die dichtesten Zweige mußten seiner Wuth weichen. Endlich hatte er sich so tief auf ungebahnten Wegen in den Wald hinein gearbeitet, daß er nicht weiter konnte. Er lehnte sich nun an einen Baum, seine Kräfte waren erschöpft. Da hörte er Töne einer Zitter, von einer süßen Stimme begleitet. Eine unbekannte Macht ergriff nun sein Herz, und löste seine Wuth in sanfte Wehmuth auf, seine Thränen flossen, und er wurde so von der Gewalt des Gesanges bemeistert, daß er niederkniete und seine Hände flehend nach den Tönen ausstreckte. Schlage mit deinen melodischen Wellen, rief er, an meine Brust, und kühle mein glühendes Herz. Ein lautes Gelächter hinter ihm machte, daß er aufsprang; es war die Alte, sie wollte ihm noch eine Rose entreißen, Leopold verbarg sie aber schnell in seinem Busen, und die Alte verließ ihn mürrisch. Er sahe sie bald nicht mehr, der Jäger aber lauschte hinter einem Baum hervor, und deutete mit seinem langen Jagdspieß in die Ferne, nach der Seite hin, woher die Musik kam. Von neuem wurde nun Leopold von einer heftigen Wuth ergriffen, die Töne berührten ihn wie zuckende Flammen, er wollte sie finden und an sein Herz reißen, damit er von der Glut verzehrt würde.
Nun konnten die Büsche mit ihren scharfen Dornen ihm nicht mehr widerstehen, gar bald war er hindurch gedrungen, und bis zu dem Flusse gelangt, an welchem er die Alte und das Mädchen zuerst erblickt hatte. Er blieb am Ufer stehen, urd seine Wuth löste sich in Zärtlichkeit und Erstaunen auf. Ein Thron von Rosen schwamm auf dem Wasser, die alle herrlich blühten, und weit umher süßen Duft verbreiteten. Die Wellen bestrebten sich die Rosen zu küssen, die Rosen bemühten http://www.zeno.org/Literatur/K/Bernhardi-Wunderbilder-0269.pngsich in die Wellen zu tauchen, und färbten mit ihrem Duft das Wasser rosenroth.
Ein Mädchen in einem blendend weißen Gewande saß auf dem Thron, ihre goldnen Haare hingen in vielen Locken herunter, sie hatte eine silberne Zitter in der Hand, worauf sie lieblich spielte. Ein Reh lag in ihrem Schooße und lauschte auf die Melodieen, während sie sang:
Weh um eure glüh'nden Farben!
Da des Kranzes Band zerreißt,
Ward verhaucht der duft'ge Geist,
Und die Schwesterrosen starben.
Ach ich hab' euch trauervoll
Von dem grünen Grab' erhoben,
In den Busen sanft geschoben,
Wo die Kraft der Liebe schwoll.
Doch erglühn nicht eure Farben,
Knüpft sich nicht, was Haß zerreißt,
Athmet nicht der duft'ge Geist:
Ewig muß ich schmachtend darben.
Leopold bemerkte einen Strauß von welken Rosen an ihrer Brust, und hatte ein so zärtliches Mitleid mit den Blumen, daß er laut zu weinen anfing. Er kniete am Ufer nieder und sagte: Ach lange genug habe ich gelitten, o liebe mich, du Süße, damit die Blumen meines Lebens nicht verblühen!
Das Mädchen sahe ihn an, dann betrachtete sie das Reh in ihrem Schooße und die welken Blumen an ihrer Brust. Lächelnd nahm sie die Zitter und fing von neuem darauf zu spielen an. Die zärtlichen Töne beruhigten Leopolds Herz, und er war in Entzücken verloren, als sie die Worte sang:
Mag der sanften Wellen Schaukeln
Und der Purpurglanz vom Thron,
Und der Zitter Silberton
Schmeichelnd meine Seel' umgaukeln:
Süßer winkt der Liebe Lohn.
Ja des zarten Thieres Rücken,
Baut mir eine sichre Bahn,
Lindernd deiner Qual zu nahn:
Meine Huld soll dich beglücken,
Meine Arme dich umfahn.
Sie erhob sich von ihrem Sitze, das Reh sprang von ihrem Schooß in die Wellen, und sie stand auf seinem Rücken; ihre langen Gewänder hingen in das Wasser, der Rosenthron sank unter, und der ganze Fluß war eine purpurne Glut. Lächelnd schaute das Mädchen hinein, und warf die silberne Zitter in die rothen Wellen, die, den Strom hinüber schwimmend, von dem Wasser auf und nieder gehoben ward, und wie die Wellen sie berührten, ihre Lust in lieblichen Tönen aussprach, die in der Luft zitterten, und Leopolds Herz zur heißesten Sehnsucht entflammten. Das Mädchen hatte das Ufer erreicht, sie nahte sich dem Geliebten, der dort kniete, und aus heißer Sehnsucht heftig weinte. Sie nahm ihre goldnen Haare und trocknete damit seine Thränen. Er erhob sich, sie an seine Brust zu drücken, ein lautes Gelächter schallte durch die Luft; Leopold ward plötzlich gewahr, daß die Alte vor ihm stand, und daß er das Reh in seinen Armen hielt. Sie sah ihn an und sagte: Viel Glück zu eurem Liebchen! dann schlug sie das schwarze Gewand von ihrer Brust zurück, und er sah die beiden Rosen, die sie ihm geraubt hatte, an einem zarten weißen Busen blühen. Er vergaß das abscheuliche Gesicht der Alten, die schrecklich funkelnden Augen, seine Sinne waren berauscht, sein Herz entzückt über den Anblick des schönen Busens; er eilte auf sie zu, drückte sie schnell an seine Brust, und seine heißen Lippen auf die ihrigen. Die Alte lachte und war aus seinen Armen; der Jäger stand in einiger Entfernung, und winkte mit seinem Jagdspieß. Leopold folgte ihm sogleich, das Reh ging mit ihm, er bekümmerte sich aber nicht darum.
Vor dem Eingang einer dunkeln Höhle blieb der Jäger stehen. Blicke hinein, sagte er zu Leopold, alle diese Blumen haben ihre Farbe und ihren Duft verloren, schaffe sie ihnen wieder, sie werden dir gern folgen. Wenn alle wiederum in hellen Farben blühn, dann ist der Kranz deines Glücks wieder geschlossen. Die Blumen beugten sich alle vor Leopold zur Erde, das Reh ging in die Höhle hinein und betrachtete die Blumen aufmerksam. Leopold sah dem Jäger nach, der mit seinem Jagdspieß in den Wald hinein ging.
Wodurch, fragte er, kann ich euch Glanz und Farben schaffen? – Nur die Liebe, flüsterten die Blumen, nur die Liebe macht uns glänzen, und lockt das zarte Blut in unsre Wangen; wenn sie von uns weicht, so müssen wir trauern und bleichen,
Leopold betrachtete die Blumen, welche er noch von dem Kranze hatte, sie blühten frisch und der Funke, welcher aus der Himmelsblume nieder gefallen war, glänzte aus jeder ihm freundlich entgegen. Das Reh stand vor ihm, und sah mit Sehnsucht zu den Rosen empor. Als Leopold die blassen Blumen in der Höhle wieder ansahe, kamen sie ihm so bekannt vor, ihm war, als ob es seine Freunde wären, die trauernd um ihm ständen, und von ihm Hülfe und Rettung begehrten.
Wie? sagte er, so muß ich denn ausziehen um Glanz, Duft und Farben zu suchen, und wenn ich sie gefunden, sie erbeuten und euch zuführen. Schaffe den Liebsten herbei! sagte eine kleine blasse Blume, so brauchst du nicht Duft und Farben zu suchen. Wer ist dein Freund? fragte Leopold. Ein Schmetterling! sagte die Blume, er hat rothe mit Gold gesäumte http://www.zeno.org/Literatur/K/Bernhardi-Wunderbilder-0274.pngFlügel, und flog wie die schönste Blume im Sonnenschein, als sich eben die Knospe öffnete, die mich verschlossen hielt. Er nahte sich der jungen Blume und küßte mich, wie ich meine Blätter entfalten wollte. Ich erröthete über diesen Kuß, und meine Blätter färbten sich, ich erglühte in Liebe zu ihm, und ein so süßer Duft mischte sich mit der Luft, daß er die Menschen und die Feen entzückte. Er hat mich verlassen, und mein Gram machte, daß ich erblich. Kein süßer Duft erfüllte mehr die Luft, und ich wurde in diese Höhle gebracht, und hoffe nun, du sollst meinen Gram stillen, meine Sehnsucht befriedigen. Ernsthaft hatte Leopold zugehört, das Schicksal der Blume war ihm wichtig geworden; er betrachtete sie und sagte: Mich bewegt dein Unglück zu innigem Mitleiden, ich will deinen Freund suchen, und wenn ich ihn gefunden, ihn zu dir bringen. Ich begleite dich, sagte die Blume, und in demselben Augenblick war sie aus der Höhle verschwunden, und in den Kranz mit eingeflochten, welchen Leopold im Busen verwahrte. Er sah die andern Blumen an, und sagte: Also ihr alle habt den Vorsatz, euch unter meine frischen Rosen zu mengen? Die Blumen beugten sich, und in wenig Augenblicken war die Höhle leer. Leopold betrachtete seinen Kranz, der nun wieder ganz geschlossen war, denn die bleichen Blumen hatten sich alle hinein geflochten. O du Bild meines Lebens! redete er ihn an, wie zwischen die herrlich blühenden Rosen die bleichen sich hinein wagen, so stehen die herben Leiden ganz nahe bei meinen seligsten Stunden. Bei diesen Worten schlug er die Augen auf, und siehe, die Alte stand ihm gegenüber. Verliere dich nicht in müßige Betrachtungen, eile, wenn du die Blumen wieder gewinnen willst.
Was soll ich thun? fragte Leopold. Mir folgen, sagte die Alte, und in demselben Augenblick war sie aus seinen Augen verschwunden, und der Jäger stand in einiger Entfernung und winkte mit seinem Jagdspieß. Unverzüglich folgte Leopold, und der Jäger führte ihn durch den dunkeln Wald, als sie den Aus gang desselben erreicht hatten, war der Jäger verschwunden. Leopold sah hier eine weite Ebne vor sich, in deren Mitte ein kleiner Thurm errichtet war, der aus lauter sehr feinem Gitterwerk bestand. Voll Verwunderung näherte er sich und bemerkte, daß es ein Gefängniß war, worin ein überaus schöner roth und goldner Schmetterling, und viele andere, die weniger schön waren, auch eine große Anzahl Bienen verwahrt wurden. Leopold nahm den Kranz aus seinem Busen, und betrachtete ihn. Die Blumen, welche er aus der Höhle mitgenommen hatte, bewegten sich traurig darin und seufzten leise. Wie die Bienen und die Schmetterlinge die Blumen bemerkten, bestrebten sie sich das Gitter zu durchbrechen, und schlugen ängstlich mit den Flügeln, so daß er ein großes Mitleid mit den Verliebten hatte, und die Gefangenen befreien wollte. Es dünkte ihm ein leichtes, dies so dünn geflochtene Gefängniß zu zerbrechen, daß er dazu nicht einmal seines Schwerdtes zu bedürfen glaubte. Er näherte sich also dem Thurme, um seinen Freunden zu helfen, aber kaum hatte er ihr Gefängniß berührt, so wühlte sich der Boden neben ihm auf, ein kleiner Greis wand sich mit Schnelligkeit empor, er hielt eine Leier im Arm, und fing darauf zu spielen an. Kaum hatte Leopold die Töne vernommen, so sahe er von allen Seiten bewaffnete Streiter herbei eilen. Die Blumen zitterten, die Schmetterlinge und die Bienen suchten sich ängstlich zu verbergen, und der junge Ritter zog sein Schwerdt. Die Bewaffneten drangen alle heftig auf ihn ein, wozu der Greis munter spielte. Je heller die Töne erklangen, um so muthiger und behender wurden die Kämpfer, und immer eilten noch mehre herbei, so daß sich Leopold gegen den Schwarm kaum mehr zu vertheidigen vermochte. Muß ich denn hier mein Leben verlieren, rief er aus, und nicht durch die Hand eines tapfern Mannes, sondern durch die Künste eines verfluchten Zauberers sterben, der eine so große Anzahl wider mich kämpfen läßt! Der Alte ließ sich nicht stören. sondern spielte immer weiter, und fing eine ganz neue Melodie an; da sahe Leopold, wie eine große Schaar zu Pferde hurtig über die Ebene zog, und den Kampfplatz zu erreichen strebte. Nun entbrannte sein Herz in Wuth, und er wünschte, ehe er den Tod fände, nur noch den verrätherischen Alten zu verderben. Er hieb mit dem Schwerdte nach dem Zauberer, der ihm ausweichen wollte. Leopold traf aber sein Instrument, das mit einem lauten Klang zertrümmerte und auf dem Boden lag; der Alte sah es einen Augenblick an, dann sank er in die Erde. Die Kämpfer schauten dem Alten nach, und waren auch sogleich verschwunden. Leopold war von dem lauten Klang betäubt; als er sich wieder erhohlt hatte, wollte er sich dem Gefängnisse nähern, und die Gefangenen befreien. Allein der Thurm, der sie zuvor verschloß, war nicht mehr zu sehen, sondern ein Garten voll herrlicher Blumen, die alle in schönen Farben glühten, und einen süßen Duft verbreiteten, stand vor seinen Augen; die Bienen und die Schmetterlinge spielten zu den Füßen der Blumen im Grase. Leopold wollte in den Garten hineingehn, da fühlte er sich mit Gewalt festgehalten, und im Kurzen stand ein prächtiger Pallast vor seinen Augen, der ihm den Garten verbarg. Er zog seinen Kranz aus dem Busen, und die welken Blumen waren daraus verschwunden, und alle seine Rosen hineingeflochten, nur die zwei, welche ihm die Alte geraubt, fehlten noch.
Das Thor des Pallastes öffnete sich, und ein reichgekleideter Diener trat heraus, neigte sich ehrerbietig gegen Leopold, und lud ihn im Namen seiner Herrschaft ein, dort auszuruhn. Wie im Traume war es ihm; er folgte mit dem Kranz in den Händen dem Diener, welcher ihn in einen reich geschmückten Saal führte. Kaum hatte der Diener den jungen Grafen verlassen, so öffnete sich eine andere Thür, und ein großer Mann, welcher überaus prächtig aussahe, und einen silbernen Jagdspieß in der Hand hielt, trat herein. Er führte an seiner Hand eine Dame, deren schwarze Locken mit vielen Edelgesteinen durchflochten waren, sie trug ein dunkles Gewand, und an ihrem überaus schönen Busen zwei Rosen, welche Leopold sogleich für die seinigen erkannte. Ihre feurigen Augen übertrafen mit ihren Strahlen bei weitem den Glanz der kostbarsten Steine. Als diese beiden eingetreten waren, folgte ihnen eine ganze Schaar von Jünglingen und Mädchen, angeführt von einem Jünglinge in einem blendend rothen Kleide, mit vieler goldner Stickerei, der ein sehr schönes Mädchen an der Hand hielt. Alle Mädchen und Jünglinge neigten sich ehrerbietig vor dem Manne mit dem Jagdspieß und vor der Dame in dem dunklen Gewande, welche beide einen Thron bestiegen, der Leopold gegenüber war; die Jünglinge und die Mädchen stellten sich zu beiden Seiten.
Leopold betrachtete alle und bald schien ihm der Mann der so oft gesehene Jäger zu seyn, bald glaubte er den Zauberer in ihm zu erkennen, zu welchem ihn sein Vater gebracht, bald schien er ihm der Alte, der das Mädchen am Flusse erwartete, und bald erinnerte er ihn sogar an den Hirsch, welcher neben dem Reh im Garten weidete. Die Dame dünkte ihm die Alte zu seyn, die ihm die Rosen geraubt hatte, und die Jünglinge und Mädchen erkannte er sogleich für die Schmetterlinge und Bienen. Besonders ließ ihm der roth gekleidete keinen Zweifel, daß er nicht derselbe wäre, nach dem die zarte kleine Blume, die er jetzt als ein schönes Mädchen an der Hand führte, solch ein heißes Sehnen trug.
Indem sich Leopold noch solchen Betrachtungen überließ, hörte er die Töne einer Zitter, und wie ihre Klänge sein Ohr berührten, wurde Liebe und Sehnsucht ihm im Busen wach, er betrachtete seinen Kranz von Rosen, die Thränen flossen aus seinen Augen, und fielen auf die Blumen nieder, und in demselben Augenblick sah er wieder in allen die Funken des Himmels glänzen, die daraus verschüttet wurden. Die Thür öffnete sich wieder, und das Mädchen im weißen Kleide, mit ihren goldnen Locken und der silbernen Zitter in den Händen, trat von dem Reh begleitet ein. Der Alte hob sich zornig von seinem Thron, und sahe das Thier mit drohenden Mienen an. Die Dame stand auch auf und sagte: Rüstig, mein Jäger! was willst du noch länger weilen? – Der Mann schwang seinen Jagdspieß, und stieß das Reh damit nieder; die Dame nahm schnell eine Rose von der Brust, und tauchte sie in das Blut, das aus der Wunde des Rehes floß. Sogleich erhob es sich, und ein wunderschönes Mädchen stand vor aller Augen.
Ich danke dir, mein Vater! sagte sie zu dem Alten, du hast endlich meine Schmach gelöst, und ich eile nun meiner Mutter zu. Darauf wandte er sich zu der Dame und sagte: Deine Rache ist endlich versöhnt, du hast deinem Gemahl vergeben, daß er der Liebe einer zarten Fee Gehör gab, und dir untreu wurde. Du hast die Dienstbarkeit aufgehoben, wozu du mich gezwungen, und der Liebe Blume in die Wunden getaucht, die deine Eifersucht mir schlug. Der balsamische Hauch der Blume hat mich und dich geheilt, und mein Herz wendet sich in Liebe zu dir und deiner Tochter.
Als sie diese Worte gesprochen hatte, umarmte sie das Mädchen, und war nun allen Augen entschwunden. Die Dame nahm den Kranz aus Leopolds Händen, und flocht die beiden Rosen hinein, dann setzte sie diesen dem Mädchen auf den Kopf und sagte: Du verlohrst mit diesem Kranze deine Ruh, ich gebe ihn dir wieder, und zugleich die Hand des Mannes, der dein Herz und deine Blumen raubte. Bei diesen Worten legte sie Leopolds Hand in die des Mädchens, und umarmte beide zärtlich.
Der Alte trat herbei und sagte: Auch ich gebe euch meine Einwilligung und meinen Segen. Leopold erkannte nun ganz deutlich, daß es derselbe Zauberer war, zu welchem sein Vater ihn hinbegleitet hatte. Er war so berauscht von dem Glücke, das schöne Mädchen sein nennen zu dürfen, daß er weder fragte wer sie, noch wer ihre Eltern wären. Die Jünglinge und Mädchen näherten sich ihm und sagten: Erkennst du uns wohl? wir sind die Schmetterlinge, die Bienen und die kleinen Blumen, und sind dir alle verwandt. Ich erkannte euch sogleich, sagte Leopold. Wir wurden so verwandelt, sagten sie, als unser Herr mit seiner Gemahlin sich entzweite. Wir waren alle voll Liebe und blieben es auch, darum hatten wir nur die eine Gestalt; aber wie unser Herr und unsere Gebieterin sich entzweiten, da mußten sie dem Schicksal weichen, und wie Haß und Liebe, Furcht und Eifersucht, Mißtrauen und Verrath in ihnen sich entfalteten, so mußten sie sogleich sich zeigen, und wie die eine Leidenschaft aus dem Busen des einen in des andern zog, so hatten sie auch kaum eine eigne Gestalt, und quälten so sich und die Menschen.
Leopold wollte noch mit seinen neuen Verwandten reden, da erschallte eine laute Musik, die Jünglinge und die Mädchen fingen an zu tanzen, und auch Leopold flog mit seiner schönen Braut durch die Reihen. Als man sich auf alle Weise ergötzt hatte, wurde dem ermüdeten Leopold ein Lager angewiesen, und er entschlief zu sanften Träumen.
Am Morgen erwachte er, erstaunt, daß die Diener, der Pallast, seine Braut, und alles was ihm gestern entzückt hatte, verschwunden war. Er blickte um sich, und fand sich unter einem schattigen Baume, nicht weit von dem Thore seines väterlichen Schlosses. Er betrachtete es, und die bis dahin erlebten Begebenheiten erschienen ihm wie ein Traum; er stand auf und wollte zu seinem Vater gehn, da sah er über sich den blauen Himmel, an welchem ein leichter Duft in Gestalt einer Rose schwamm. Er betrachtete die dünne weiße Wolke, sie färbte sich aber nicht roth, und er konnte der Betrübniß, welche sich seines Herzens bemeisterte, nicht widerstehen. Als er noch so stand, öffnete sich öas Thor seines Vaters, und er sahe den Grafen, welcher heraustrat, und nach allen Seiten umschaute. Der Page, welcher immer Leopolds Liebling gewesen war, begleitete ihn. Mein Sohn kömmt noch nicht, seufzte der Graf. Der Page erblickte Leopold, und eilte ihm freudig entgegen. Seyd mir gegrüßt, mein theurer Herr! redete er ihn an, indem er erst seine Hände küßte. Leopold ging zu seinem Vater und begrüßte ihn.
So sehe ich dich denn gesund und froh wieder, geliebter Sohn! sagte der Graf und schloß ihn in die Arme, komm herein und begrüße deine Braut. Meine Braut? fragte Leopold bestürzt. Ja sagte der Vater, mein Freund und Waffenbruder hat während deiner Abwesenheit bei mir Herberge genommen. Seine schöne Tochter, welche er begleitet, hat mich benachrichtigt, daß du, von aller bösen Zauberei geheilt, heut bei mir zurückkommen würdest; er hat auf seinem Wege zu mir den frommen Mann gesprochen, welchem ich dich anvertraute, und diesen schönen Trost für mich gehört. Zugleich bot er mir seine reizende Tochter für dich zur Gemahlin, darum folge mir und umarme deine Braut. Leopold folgte seinem Vater betäubt, er konnte kein Wort sprechen. Als er in den wohlbekannten Saal trat, löste sich sein Erstaunen in die seligste Freude auf, der Alte mit dem Jagdspieß trat ihm entgegen, und führte das schöne Mädchen mit dem Rosenkranze in den Haaren ihm zu.
Nimm meine Tochter, redete er ihn an, und sey mit ihr beglückt. Leopold umarmte mit Entzücken seine Geliebte, er entdeckte seinem Vater nicht, daß er den Alten und das Mädchen schon kannte; er wußte es sich nicht zu erklären, daß eine unsichtbare Macht seine [⇐287][288⇒] Lippen schloß, so oft er von diesen Begebenheiten sprechen wollte, und der alte Graf und sein Waffenbruder feierten die Hochzeit ihrer Kinder mit der größten Festlichkeit.