Flore und Blanscheflur

Ein episches Gedicht in zwölf Gesängen.

Neunter Gesang.

Sieh, sprach der Ritter, wie um still zu lauschen
Die Vöglein nun auf grünen Zweigen sitzen,
Und tobende Gesänge nicht mehr tauschen,
Gemildert ist der Sonnenstrahlen Blitzen;
Die Blätter hüten sich vor lautem Rauschen,
Und kaum bewegt das Gras die zarten Spitzen;
Von Liebe will Baum, Blum' und Vogel hören,
Durch keinen Laut die süße Rede stören.

Das Brünnlein einzig murmelt schwatzend fort,
Sucht deine Rede kindisch nachzulallen,
Der Quell empfängt das süße Liebeswort,
Wenn kaum die Tön' aus deinem Mund' erschallen,
Und trägt es eilig zu dem Bächlein dort,
Wenn seine Wasser plätschernd niederfallen:
Er ist in deine Rede nur gedrungen,
Weil er sich fühlt vom süßen Wort durchklungen.

Die Frau sprach sanft: da Sonnenglanz sich mildern
Am Himmel will, wird bald der Tag uns meiden,
Dann seh'n wir leichte Abendwolken schildern
Der Liebe Glut, wenn sie in Roth sich kleiden;
Ach, wie so schwer von diesen Wolkenbildern
Kann sich mein Aug' und sehnend Herz doch scheiden.
Wenn sie in Purpur halbdurchsichtig glimmen,
Und in der Sonne Glorie dann verschwimmen.

Als Zeichen müssen sie der Seele dienen
Für das, was nicht der Mund zu nennen wagt;
Im lichten Glanze sind mir oft erschienen
Gebilde, denen ich mein Weh geklagt.
Die Kindlein mit den holden Engelsmienen
In farb'gen Wolken haben mir gesagt,
Was meine Sehnsucht inn'ger Liebe wollte,
Was unsre Liebe hier bedeuten sollte.

Wenn reine Lieb' im Herzen freudig blüht
Kann ich die Deutung, sprach der Ritter, fassen;
Doch wenn der Trennung Weh' im Busen glüht,
Hoffnung und Trost die Liebe will verlassen,
Und wider sie Haß seinen Geifer sprüht,
Die Liebenden in Todesschmerz erblassen,
In Grabes Nacht die Klagen endlich schweigen,
Kann sie uns dann wohl Gunst des Himmels zeigen?

Wer könnte wohl die herben Schmerzen malen,
Die ferner Zeit der Ruf noch wird verkünden,
Des zarten Busens namenlose Qualen;
Wer könnte ganz das tiefe Weh' ergründen,
Das sich erzeugt, als flammenreiche Strahlen
Aus Romeos Augen Julias Herz entzünden,
So daß bei Nacht mit schmelzend süßem Laut,
Den Sternen sie ihr Liebesweh vertraut.

Stand da nicht Romeo in Wonne trunken,
Und hört entzückt die wundersüßen Klagen;
Ein jeder Laut dünkt ihm ein Himmelsfunken,
Den milde Lüfte freundlich zu ihm tragen;
Es scheint die Welt vor seinem Blick versunken,
Und glüh'nde Sehnsucht reizt ihn kühn zu wagen,
Als Julias sanfte Liebes-Worte schweigen
Im Garten der Geliebten sich zu zeigen.

Mild, spricht sie, hält mich Dunkelheit umfangen
Und birgt dir schonend mein beschämend Glühn,
Da spielt das Mondenlicht um ihre Wangen
Und Romeo sieht die Purpurrosen blühn,
Der dunkeln Augen sternengleiches Prangen;
Nur Wonnen ahndend, so ihm neu erblühn,
Nicht Todesschmerzen die verborgen lauschen,
Fühlt er in Lieb' und Sehnsucht sich berauschen.

Nun scheint der Haß die Liebe zu besiegen,
Der wüthend lang' in beiden Stämmen tobt;
Zwei blüh'nde Zweige woll'n in eins sich schmiegen,
Der Minne Bund wird freudig nun gelobt;
Doch Ach! wie muß die Minne unterliegen,
Wie grausam wird des Schicksals Tück' erprobt;
In Lieb', in Weh wähnt Julia zu verzagen,
Als Romeos Hand den Vetter mußt' erschlagen.

In solchen Schmerzen wurden sie vereint,
Verzweifelnd mußt' er von der Gattin fliehn,
Als matt des Tages erster Strahl kaum scheint;
Und ach! der Seele bange Seufzer ziehn
Dem Flüchtling nach, um den sie schmerzlich weint:
Wie bittre Gunst hat Minne da verliehn;
Kein Trost wird nun den Armen mehr gespendet
Bis sich ihr Loos zum dunklen Abgrund wendet.

Lehrst du uns nun, daß wer geduldet habe
Im Dienst der Liebe Leid und Herzenswehn;
Daß reich ihn lohnt der Minne süße Gabe,
Und hast doch Julias traurig Loos gesehn?
Wie furchtbar war ihr Auferstehn im Grabe,
Ein Blick zeigt ihr was Gräßliches geschehn;
Sie eilt mit Romeos Dolch sich zu durchboren,
Um Lieb' ist er und Julia verloren.

Die Frau sprach sanft: wohl beide sind gefallen,
Und schon entsprießen ihrem Grabe Halmen;
Doch mild beweint ist ihr Geschick von allen,
Und sterbend selbst trägt Liebe Siegespalmen.
Der Zwietracht Stimme hörtet ihr verhallen,
Seitdem an ihrer Gruft ertönt die Psalmen;
Romeo und Julia ruhn sanft beisammen,
Und Thränen löschten alten Hasses Flammen.

Doch nicht sind traurig alle Liebes-Loose,
Kein Blut befleckt den zarten holden Knaben,
Der nun gekleidet gleich der rothen Rose,
Sehnsüchtig schmachtet nach der Minne Gaben.
Nicht bin ich mehr der Trost- und Hoffnungslose,
Heut soll mein Herz an ihrem Blick sich laben,
So seufzt' er zärtlich, als zum Thurm er ging,
Wo ihn der Pförtner minniglich empfing.

Hört, sprach der lächelnd, was ich schlau erdacht
Um meinen Eid euch treulich zu erfüllen:
Die Körbe dort, voll farb'ger Blumen Pracht
Aus denen süße Balsamdüfte quillen,
Sie werden zu den schönen Frau'n gebracht;
Den einen nun werd' ich mit Rosen füllen,
Den kühnen Dienst will ich mit ihnen wagen,
Ich laß' euch drin zu euer Freundin tragen.

Geendet nun sei eures Herzens Noth,
Geht ein in diesen Korb voll süßer Rosen,
Ihr selbst wie eine Rose lieblich roth,
Seht wie sie kindisch eurer Wange kosen,
Die Blumenschein doch zu verdunkeln droht.
Ihr seid die Zierde aller Liebesrosen;
Doch ob ihr schöner gleich als Blumen blüht,
Seid ihr versteckt doch drin und überblüht.

Der Alte ging und öffnet nun die Pforte,
Es zagt sein Herz in banger Sorg' und Pein,
Die Knechte harren am bestimmten Orte;
Tragt zu den Frau'n die Blumen nun hinein
Sprach er; und merkt verständig meine Worte:
Weil Blanscheflur liebt junger Rosen Schein,
Sollt ihr den Korb in ihre Kammer tragen;
Nach diesem Wort ward Flore fortgetragen.

Ein Träger sprach: Blumen und frisches Gras
So in den Korb der Alt' uns wollte legen
Wähn' ich sind noch vom Morgenthaue naß,
Weil Blanscheflur sie so mag lieber hegen.
Oft wurden ihr die lichten Wänglein blaß
Und sanft genetzt vom milden Augen-Regen,
So daß ihr Lieb' und Weh zugleich geschieht,
Wenn sie den Thau auf blüh'nden Rosen sieht.

Der andre sprach: Jedoch erregt dies Spiel
Und dieses Kindes traurig Blumen-Lieben
Für meine Schulter mir der Last zu viel.
Vor einer Pforte sind sie stehn geblieben,
Hier, riefen sie, ist unsres Weges Ziel.
Von Eifer sind die Diener angetrieben,
Sich von der Blumen Bürde zu befrein,
Und tragen schnell den Korb zur Kammer ein.

Nun hatte farb'ge Blumen jede Frau,
Doch Blanscheflur die Rose nicht gewonnen,
Die sanft erglänzte in des Himmels Thau;
Vergeblich schien des Pförtners List ersonnen,
Klaris empfing den holden Schmuck der Au';
Sie ahndet nicht die Schmerzen und die Wonnen,
Der Minne Süße, die das Herz durchglüht,
Der schönsten Rose die im Korbe blüht.

Als Blumen lachend nun im farb'gen Schein,
Den süßen Duft zu ihr emporgesandt;
Griff sie begierig in den Korb hinein,
Und faßte junge Rosen mit der Hand;
Und Flore bebt in wundersüßer Pein,
Als er die Hand von einer Frau empfand:
Die Liebes-Rose ging nun schnell hervor,
Entzückt hebt er sein schönes Haupt empor.

Wie Rosenglanz am Mittagsstrahl verschwindet,
So bleicht sein Schein, als er nicht Blanscheflur,
Die holde Freundin, bei dem Korbe findet.
Zum Leid und Weh bin ich geboren nur!
Klagt er im Schmerz den seine Seel' empfindet.
Nun war erloschen jede Hoffnungs-Spur;
Er birgt sich schnell, als könn' es ihm noch nützen,
Der Blütenglanz sein Leben noch beschützen.

Er wußte nicht wie hold das Glück ihn hegte,
Als man zur schönen Klaris ihn getragen,
Wie oft der Schmerz die Seele ihr bewegte,
Wenn sie vernahm der holden Freundin Klagen,
Und Mitleid sich im schönen Busen regte,
Wenn Blanscheflur stets weinend mußte sagen:
Mein holder Freund, ach! wüßt' er mich nur hier,
So eilte Flore sicher her zu mir.

An diese Reden mußte Klaris denken;
Wie großen Schrecken auch ihr Herz gewann,
So wußte sie es weise doch zu lenken,
Kein lauter Schrei verrieth den kühnen Mann.
Und auch will sie ihm keine Hoffnung schenken;
Drum stand sie vor dem Blumenkorb und sann
Wie sie erfahren möchte wahre Kunde,
Ob er es sei, aus Blanscheflurens Munde.

Nur eine Thüre scheidet beide Frauen,
Sie öffnet schnell, und tritt zur Freundin ein,
Doch tief bewegt muß sie die Arme schauen,
Die schmerzlich ringt mit ihrer Herzenspein.
Ach! seufzte Blanscheflur, ein banges Grauen
Durchbebt mein Herz beim milden Tagesschein;
Weil jeder Morgen den die Nacht gebiert,
Mich näher dem verhaßten Ziele führt.

O Gott! laß mich zum Tode nur erkranken,
Laß mich nur sterben hier in Feindes Land,
Ich kann, ich will nicht an der Treue wanken,
Nicht an der Minne, die mein Herz empfand,
Eh' noch gebildet zärtliche Gedanken,
Eh' noch der Geist das süße Joch erkannt.
Drum laß mich, Herr, so schmerzlich lang nicht leben,
Um meine Hand dem Ameral zu geben!

In solcher Pein, grausamer Herzensqual,
Beachtet sie wohl keine Art von Spiel,
Nicht süßen Duft der Blumen allzumal,
Von denen sonst ihr jede wohlgefiel;
Leid fesselt so ihr Herz, daß nicht ein mal
Ihr Blick auf diese Frühlingskinder fiel,
Wie sie auch duftend, glänzend vor ihr stehn,
Sie will nicht Duft, noch Glanz, noch Farben sehn.

Und Klaris naht mit lachend süßem Munde,
Und spricht: mein traut Gespiel wie trauerst du
Im tiefen Schmerz doch jede Tagesstunde;
Es winken Dir die Blumen lachend zu,
Ihr frischer Glanz will kühlen deine Wunde,
Ihr süßer Duft strömt in dein Herz die Ruh.
Willst Du nur selbst so wird ihr Duft und Schein,
Dein schmerzlich Weh' im Herzen dir zerstreun.

Sprichst du doch selbst, daß eines Gottes Huth
Dich schirmt, der nimmer Lieb' und Treue bricht?
So fasse dann im Herzen frischen Muth,
Erheb' die Stirn mit neuer Zuversicht.
Sieh freudig an der jungen Rosen Blut;
Ihr süßer Duft, ihr Schein und Farbenlicht
Versüßt die Leiden, welche du erfahren,
Und wird dein Herz vor neuem Weh bewahren.

Und wieder sprach mit Thränen Blanscheflur:
Mich freut nicht mehr der Blumen lichter Schein,
Da eine Rose prangend auf der Flur
So ferne muß von meinem Herzen seyn.
In bangen Qualen lebt die Seele nur,
Und Rosenblut weckt meines Busens Pein,
Lacht mir entgegen wie sein rother Mund;
Dann fühl' ich erst wie sehr das Herz mir wund.

Drum wolle nicht, ich soll mein Trauern enden,
Du kennst mein Leid ja, holdestes Gespiel,
Weißt welchen Weg ich bald nun soll vollenden,
Wie schon so nah mir das verhaßte Ziel,
Daß nur allein der Tod mein Loos kann wenden;
Drum wär'n hier Blumen tausendfach so viel,
Und taucht in Wonn' auch jedes Herz ihr Schein,
Wie gäb' das Trost für meines Herzens Pein?

Ach! wie der Nymph einst in des Waldes Grüne,
Wenn Baum und Büsche leise zu ihr flüstern:
Wohlauf es naht zur Jagd herbei der Kühne!
Wenn sie dann eilig schweifte durch die düstern
Waldwege hin, suchend der Liebe Bühne
In Sehnsucht krank, nach seinen Küssen lüstern;
Und er entfloh, ein scheu gejagtes Wild,
Wenn er erblickt der kranken Echo Bild.

Zerrissen ist mein Herz von gleicher Qual;
Und doch sind ungleich unsrer Liebe Loose.
Narziß floh vor der Nymphe durch das Thal;
Mich sucht in Sehnsucht meine süße Rose.
Sie schmachtet hin an ihres Herzens Wahl;
In dunkler Kluft in nackter Felsen Schooße
Ist doch die Stimm' als Wiederhall geblieben;
O fänd' ich solchen Trost nur für mein Lieben!

Ach! käme Flore dann zum Wiederhall,
Würd' er im Waldesgrunde innig weinen,
Säng' ihn zu trösten auch die Nachtigall,
Von Thränen würd' ein Bächlein bald erscheinen,
Zum Thal abfließen mit gelindem Fall,
Ausweichen gerne allen Kieselsteinen:
Dann würd' am grünen Rande Flore schmachten,
Und in dem Bach sein traurig Bild betrachten.

Nicht wie Narziß um selber sich zu lieben,
Nein, weil er mir ein Quell war seel'ger Wonnen,
Als Blume ist Narziß empor getrieben,
Wo er sich spiegelte im Silberbronnen.
Wär' Flore todt am Thränen-Quell geblieben,
Hätte die Welt viel schön're Zier gewonnen;
Gern ließ die Erd' entkeimen ihrem Schooße
Des Freundes Herz als schönste Purpurrose.

Klaris sprach drauf: verseufzt ward Echos Leben,
So daß sie selber ward zum luft'gen Hauchen.
Könnte dem Stein das zarte Kind entschweben,
Und leichten Windes sanften Fittich brauchen,
Sie würde zärtlich um die Blume schweben,
Sie küssend sich in seel'ge Wonnen tauchen,
Den Freund umschlingend, ewig dorten weilen;
Denn nun könnt' ihr Narziß nicht mehr enteilen.

O komm mit mir! ich zeig' dir eine Blume
Vor der verschwindet aller Rosen Pracht;
Schaust du sie an, wie zu der Minne Ruhme
Das holde Kind in Glanz und Farben lacht,
Wähnst du durch Wunder, aus dem Heiligthume
Des Paradieses sei sie mir gebracht,
Und sicherlich dein rother Mund dann spricht:
Versage mir die Wunderblume nicht.

Vergeblich sind der schönen Klaris Bitten,
Denn Blanscheflur will ungetröstet seyn;
In scharfen Weh'n die ihre Brust durchschnitten
Seufzt sie nur leise in des Herzens Pein;
Doch zärtlich sanft in ihrer Hände Mitten
Schloß Klaris nun die Hand der Freundin ein,
Sprach schmeichelnd dann: du mußt den Wunsch erfüllen,
Ich flehe drum, einzig um Florens willen.

Wie kaum den Namen Blanscheflur hört klingen
Muß auch ihr Herz dem süßen Laut erliegen,
Den Zauber fühlt sie durch die Seele dringen,
Und läßt von ihm sich williglich besiegen.
Sie wähnt gefächelt sanft von Engelsschwingen
Will sich die Luft an ihre Wangen schmiegen,
Die von dem Klang so lieblich erst durchbebt,
Worin des Freundes holder Name schwebt.

Und Flore lag verborgen in den Rosen,
Er hört wie beide zärtlich Worte tauschen,
Die seine Seele linde schmeichelnd kosen,
Sein liebend Herz mit seel'ger Lust berauschen.
Die Augen schließend schmiegt er sich in Rosen
Süß träumend so, in Seeligkeit zu lauschen;
Er wagt es nicht die Wimpern zu erheben,
Daß nicht die Bilder luftig ihm entschweben.

Doch als ihm naht nun die geliebte Frau,
Als Blanscheflur sich zu den Blumen neigt,
Als ihn ihr sanfter Athem mild' und lau
Gemischt mit süßer Rosen Duft erreicht:
Da schüttelt von den Blüten er den Thau,
Als er empor aus feuchten Rosen steigt,
Die dunkeln Augen ihm wie Sterne glänzen,
Die Blüten rings ihn liebend noch umkränzen.

Wie er aus Blumen auf das Estrich sprang,
Daß durch die Kammer sich hinstreu'n die Blüten,
Wähnt sie es tönt ein wunderbarer Klang
Durch den die Lüfte rosenroth erglühten,
Und drin erbebt der süßeste Gesang,
Und als vermischt Licht' Tön' und Farb' ihr blühten
War ihr der Freund im Himmelsglanz entschwunden,
Doch bald ihr Stern sein liebend Aug' gefunden.

Und beide wären fast dahingesunken
Erliegend ihrer Wonn' und Seeligkeit;
In ihren Augen leuchten Himmelsfunken,
Aus Liebe scheinen sie im Wiederstreit
Weß Seele mehr von schönem Wahnsinn trunken.
Die Herzen bebend in der Süßigkeit,
Preisen den Tag vor allen seel'gen Tagen,
Als auf zum Thurm die Rose ward getragen.

Nun küßten sie einander Aug' und Wangen,
Und suchten dürstend ihren rothen Mund,
Die Arme hielten innig sich umfangen.
War erst in Leid ihr junger Busen wund,
Nun ist gekühlt das brünstige Verlangen;
Doch gab kein Wort noch ihre Wonne kund,
So sehr beherrscht ihr Herz die seel'ge Freude,
Sie sind verstummt in dem Entzücken beide.

Daß sich im Paradies zwei Engel grüßen,
Muß Klaris bei dem holden Anblick wähnen,
Wie sie die Lippen brünstiglich sich küssen,
Und sanft vermischen ihrer Augen Thränen;
Mit Lächeln dann des Weinens Schmerz versüßen
Und sich aufs neu' nach Thrän' und Küssen sehnen,
Die Lippen regen um ein Wort zu finden,
Das ungesagt im Kusse muß verschwinden.

Nun, sprach die Freundin inniglich gerührt:
Dein Herz wird mir die Blumengabe danken
Zu der ich dich gezwungen fast geführt,
Es ward geheilt dein schmachtendes Erkranken
Als dich die Wunderblume kaum berührt,
Als kaum die Lippen ihren Balsam tranken
Sprach ohne Wort dein lächelnd süßer Mund
Nun ist mein Herz von jeder Qual gesund.

Und Blanscheflur in süßer Lust befangen
Spricht zärtlich weinend, trautestes Gespiel,
Mit meinen Armen halt' ich den umfangen,
Der mir vor Blumen in der Welt gefiel,
Wonach so Klag' als Thrän' und Seufzer rangen
Der innig glühn'den Liebes-Sehnsucht Ziel;
Den holden Freund drück' ich an meine Brust,
Fast stirbt mein Herz in dieser seel'gen Lust.

Und diese Wonne dank' ich dir nächst Gott,
Wie leichten Hauch fühl' ich mein Leid verwehn;
Doch willst du enden alle Herzens-Noth
Muß treuer Dienst mir ferner noch gescheh'n;
Du kennst das Schicksal so der Minne droht,
Wird je bei mir der süße Freund gesehn;
Drum mußt du treulich dein Geschenk verschweigen
Die Rose bleibt ganz heimlich nur mein eigen.

Und Klaris sagt: stets wirst du treu mich finden
Die süße Blüte helf' ich dir bewahren,
Mög' sie dir nie ein hart Geschick entwinden.
Mich rührt es tief, daß Minne trotz Gefahren,
Den Weg ihn lehrt in deine Arme finden.
O mögt ihr nun des Himmels Schutz erfahren!
Daß ihr fortan mitsammen lebt nun beide,
Kein strenger Rathschluß eure Herzen scheide.

Dank sagten ihr, die seelig in der Minne
In Blanscheflurens Kammer nun eingingen.
Die holde Jungfrau, als ihr Freund darinne,
Wie zärtlich ihre Arm' ihn da umfingen.
Daß nicht auf's neu mein Glück mir nun entrinne,
Sprach lächelnd sie, leg' ich's in feste Schlingen;
Und er umarmt die schöne Freundin wieder,
So sanken beide auf ein Ruhbett nieder.

Als sie in Lieb' umschlungen nun drauf saßen
Wie leicht sie da durch süße Red' und Lachen
Ihr schweres Leid wie einen Traum vergaßen.
Der Jüngling sprach: Wie kann dein Blick doch machen,
Daß alle Schmerzen meine Brust verlassen,
Und seel'ge Freuden sanft dafür erwachen.
Ach, süßes Kind, wie mir so wohl doch ist,
Durch deinen Anblick in der kurzen Frist!

Und daß ich Rede hör' aus deinem Munde,
Wornach mein Herz beinah' verschmachten muß,
Fühl' ich entzückt so tief der Liebe Wunde,
Daß ich mich trunken wähn' am Lebens-Schluß;
Dann macht dein Haupt, daß ich sogleich gesunde,
Mich labt dein Wort, mich stärkt dein linder Kuß;
Wie nicht'ger Staub ist jedes Leid zerronnen,
Lebendig blüh'n nur unsrer Liebe Wonnen.

Ach! sagte Blanscheflur, seit Gott erschaffen
Die Blumen so im Paradies geblüht,
Wohl niemals Augen lieb're Rosen trafen,
Als die mir heut! auf deiner Wang' erblüht.
Dich, süße Blume, wollte mir entraffen
Der Haß, mit Weh'n zerreißen mein Gemüth,
So daß im Schmerz mir Sinn' und Herz erstarben,
Nun stärk' ich mich an lichter Rosen Farben.

Seit man mich grausam deinem Arm entrissen
Wie schmerzlich sah' ich jeden Tag vollenden,
Nur Gott allein kann meine Qualen wissen;
Jetzt ruht nun meine Hand in deinen Händen,
Wie sollt' ich and're Wonnen noch vermissen —
Das Herz des Amerals wird auch sich wenden,
Nicht zweifeln will ich, nur in Lust versinken,
An deiner Brust der Liebe Balsam trinken.

Sie wollten gern von ihrem Leid sich sagen,
Doch Blick und Kuß macht jedes Leid zu nichte.
Wenn sie auch sprachen von des Herzens Klagen
Gab doch der Mund stets lächelnd die Berichte;
Wie sie so gern der Minne Qual ertragen,
Verflochten sie in ihres Leids Geschichte,
Und zeigten stets, wie süß und seelig wund
Ihr Herz, wenn von Gefahr auch sprach der Mund.

Als so der Jüngling bei der Freundin saß,
Sich beid' anschaun mit glänzend klaren Augen,
In Wonne wurden ihre Wimpern naß,
Und jeder muß des andern Thränen saugen.
Wie nun ihr seel'ges Herz die Welt vergaß,
Und Liebe dürstend sucht in trunknen Augen;
Nur Liebe fleht, um Liebe nur will werben,
Da wähnten sie in seel'ger Lust zu sterben.

Doch wie sie auch zärtlich im Liebes-Spiel
Entzückt wetteifern wer den Preis gewinne,
Stets war ein Kuß der höchste Preis im Spiel,
Und niemals kam in ihre Kindes Sinne,
Was manchem dünkt, einzig der Liebe Ziel;
Es kränkt mit solchem Wort die zarte Minne
Wer roh nicht achtet süße Red' und Kuß,
Nicht zärtlich wirbt um holder Liebe Gruß.

Mit solchem sei dann nimmermehr gemein
Ein edles Weib; nie möge sie ihn grüßen.
Dünkt ihm die höchste Liebes-Gabe klein,
Warum sollt' ihm die Minne den versüßen,
Wenn er auch duldet bitt're Qual und Pein,
Sein Leid, durch rother Lippen zärtlich Küssen?
Nein, wer in Schmach die reine Minne wendet,
Der sei mit Schmach von ihr hinweggesendet.

Wie Flor' auch muß den Liebes-Becher trinken
Vom Mund ihr saugen süßen Himmelswein;
Wie sie auch mögt' in seinem Blick versinken,
Durch seine Augen in die Seel' hinein;
Wie höchste Lust verführerisch mag winken,
Hüllt Unschuld sie in lichter Glorie Schein;
Daß sie gleich Engeln die aus Blumen steigen,
In zarter Liebe sich verein'gend neigen.

So wurden zwanzig Tage hingebracht,
Die Freundin nahm mit Treuen ihrer wahr,
Er theilt ihr Lager freundlich jede Nacht,
Im süßen Rausch vergißt er die Gefahr,
Wenn nur ihr Aug' ihm mild und zärtlich lacht.
Doch wie der Minn' auch Klaris hülfreich war,
Kann sie doch nicht die wilden Stürm' ablenken,
Die sich herab nun auf die Kinder senken.

Sie naht dem holden Lager einen Morgen,
Und weckt aus süßem Schlummer Blanscheflur,
Der Sterne mattes Licht ist schon verborgen
Spricht sie: Die Sonn' erleuchtet schon die Flur,
Drum komm, den Dienst des Herren zu versorgen,
Und jene sagt: Ich folge geh' Du nur.
Schnell fing nun Klaris hellen Wassers Strahl
In gold'ner Schal' und eilt hinab zum Saal.

Und Blanscheflur schaut an den jungen Freund,
Der schlummernd noch mit süßen Träumen spielt;
Wie roth, spricht sie, dein lieber Mund doch scheint,
Die Rose hätte Lunas Schmerz gekühlt,
Als an Endymions Lager sie geweint,
O süße Lust, so süß noch nie gefühlt.
Dein Kuß verscheucht so Angst als jeden Kummer;
Sie küßt ihn träumend, und versank in Schlummer,

Klaris trat sanft zum stolzen Ameral,
Warum, fragt der, nahst du mir heut allein
Und weshalb ist nicht Blanscheflur im Saal?
Sein strenger Blick erregt der Armen Pein,
Sie zagt, und will doch in der bangen Qual
Zärtlich getreu der holden Freundschaft seyn,
Sprach drum: Ihr Aug' hält Schlummer noch verschlossen,
Weil im Gebet die Nacht ihr ist verflossen.

Ich hörte sie mit lauter Stimme lesen,
Dank und Gebet ward ihrem Gott gebracht;
Weil ihr sie habt zur Königin erlesen,
So flehte sie für euch zur Himmelsmacht.
Ich bin erzürnt, so sprach der Fürst, gewesen;
Doch weil die nächt'gen Stunden sie durchwacht,
Um dem Gebet für mich sich zu ergeben,
So will ich ihr den Morgenschlaf vergeben.

So half wohl Klaris treuer Liebe, schlau,
Doch schützt sie nur für eine kurze Frist;
Wie Flor auch kaum mit der geliebten Frau
Errettet wurde durch der Freundschaft List;
Sprach er doch gleich, des Himmels reines Blau
Dein holdes Aug mein süßes Mägdlein ist,
Und fleht zu ihm den Himmelsstrahl zu lenken,
Statt die Gefahr mit Weisheit zu bedenken.

So kams, daß Klaris an dem andern Tage
Von neuem vor der Freundin Lager stand:
Wacht Blanscheflur? ist ihre sanfte Frage;
Ja wohl, sprach die: geh' nur, daß mein Gewand
Ich eilig erst um meine Glieder schlage;
Du nimmst die gold'ne Schale kaum zur Hand
Erreich' ich dich schon wieder auf dem Gange,
So macht der Zorn des Amerals mir hange.

Nur einmal spricht sie, will ich noch umschlingen
Dich süßes Herz, verhüllt ist noch der Stern,
Deß Strahlen zaubrisch mir zum Herzen dringen;
Bin ich von seinem lieben Lichte fern,
Welch bitt'res Weh muß dann mein Herz bezwingen;
Doch dir so nah weicht jeder Kummer gern;
Laß' holde Ros' im Kuß den Duft mich saugen,
Und in dem Kuß deckt. Schlummer ihr die Augen.

Die schöne Klaris hat schon aufgefangen
Das Wasser, funkelnd in des Goldes Schein,
Voll Treue eilend hegt sie das Verlangen,
Dienend gefällig ihrem Herrn zu seyn,
Und hofft die Freundin sei ihr nachgegangen;
Doch wie erschrak sie, und in welcher Pein
Ward ihr das Herz in großer Angst beklommen,
Als vor sein Lager sie allein gekommen.

Entgegen rief der Fürst ihr schon die Frage:
Was Blanscheflur will jeden Morgen thun?
Warum den Dienst sie zu versäumen wage,
Um ohne Furcht im süßen Schlaf zu ruhn?
Nicht weiß nun Klaris was sie klüglich sage,
Durch welch ein Wort sie beide schirme nun;
Gedrängt in Angst spricht endlich sie: nach mir
Kommt sie sogleich, ich wähnte sie schon hier.

Der Ameral rief zornig: viel zu spät
Kommt sie herbei, lies't für mein Heil zu lange,
Da meinem Wort sie trotzig widersteht,
Ist ihr zu wenig für mein Zürnen bange;
Ich will beend'gen Psalter und Gebet.
Dem Kämmerer befahl er: im Gesange
Soll Blanscheflur nun länger nicht verweilen,
Geh, und befiehl ihr gleich herbei zu eilen.

Der Diener naht dem Lager, wo umfangen
Die beiden Kinder lieblich schlummernd lagen,
Wo von den Küssen, liebevoll empfangen,
Die rothen Lippen Mund an Mund noch sagen,
Und wo gelehnt zusammen beider Wangen,
Die Arme traulich um die Brust geschlagen;
Vereinigt schwebt ihr Athem in der Luft,
Von ros'gen Lippen süßer Blumenduft.

Der Bote sah erstaunt die schönen Blüten,
Doch wußt' er nicht ob Flore Weib ob Mann;
Da seine Lippen purpurroth erglühten,
Da noch zu jung sein Kinn nicht Bart gewann,
Und zarte Farben seine Wang' umblühten,
Sah' er ihn leicht für eine Jungfrau an;
Und wagt es nicht zwei Engel zu erwecken,
Aus süßem Schlaf sie rufend aufzuschrecken.

Er eilte hin dem Ameral zu sagen,
Welch schönes Wunder erst sein Blick gefunden;
Und sprach: Ich sah zu Klaris Liebe tragen
Wohl Blanscheflur in jüngst verfloss'nen Stunden,
Auch glaub' ich wohl, daß sie mitsammen pflagen
Der Ruh', in Freundschaft zärtlich treu verbunden;
Doch jetzt liegt traulich ihrer Freundin nahe
Ein Mägdlein das ich nie im Thurm noch sahe.

Und doch mag sie wohl leicht die Schönste seyn,
Die hier bewahrt sorglich die strengste Huth;
Es schimmert sanft, wie zarter Rosenschein
In ihren Wangen minniglich das Blut.
Du sandtest mich nach Blanscheflur, allein
Es fehlte mir sie zu erwecken Muth;
Und lieblich schlafend ließ ich beide liegen
Die sich wie Blumen aneinander schmiegen.

Der Ameral entbrannt in Zornes-Flammen
Auf Klaris ruht sein Auge voll Mißtrauen,
Er sprach: dahin wo beide ruh'n beisammen
Will ich, und die Gespielin selber schauen,
Zu der in Liebe Blanscheflur entflammen
So heftig kann; niemand will ich vertrauen.
Gebt her zu diesem Gang mein scharfes Schwerdt;
Man reicht den Stahl, in Wuth von ihm begehrt.

Ach! wie sie furchtbar in Gefahr nun sind,
Die ohne Angst noch süßer Schlummer wiegt,
Um die ein Liebestraum sich zärtlich lind
Mit sanftem Schmeicheln lieblich kosend schmiegt.
Ach, wie entflieht der holde Traum geschwind,
Als nun der Fürst, vom wilden Grimm besiegt
Dem Lager nah' tritt, wo im Schutz der Minne
Sich Flore wähnt, im liebestrunknen Sinne.

Zum Jüngling neigt sich seiner kaum bewußt,
Der Fürst, ob es ein Weib sei zu erfahren,
Und sieht des schönen Knaben nackte Brust;
Es rührt ihn nicht, daß beid' in Kindesjahren,
Sie zu ermorden regt sich wilde Lust.
Er steht nur an die Ehre zu bewahren,
Sonst hätt' in Tod gewandelt er ihr Schlafen,
Er hieß sie wecken, um sie zu bestrafen.

Als lauter Ruf den Schlummer wild vertrieben,
Und sie die gold'nen Wimpern scheu erheben,
Wie mußten sie, die sich so innig lieben
Nun vor dem Zorn des Amerals erbeben;
Durch Eifersucht zu grimm'ger Wuth getrieben,
Sprach der, es soll alsbald ihr Geist entschweben.
Nun hofften sie wohl nichts mehr zu erwerben,
In solcher Noth, als ein gemeinsam Sterben.

Gebunden führt man sie vom Thurm hernieder;
An Heil und Leben ist nicht mehr zu denken.
Gefesselt sind die schönen zarten Glieder,
Mit jeder Schmach will sie der Fürst noch kränken.
Im Hofe drunten stellt sie vor mir nieder,
Dort soll ihr Blut den dürren Boden tränken,
So rief er wild: also ist mein Gebot!
Beschlossen war der holden Kinder Tod.


Letzte Änderung der Seite: 27. 09. 2021 - 03:09