Selbstbildnis
Was ist ein Leben ohne Liebe?
Ein ödes Dasein, dumpf und trübe,
Das uns nicht Schmerz, nicht Lust gewährt,
Das kein Gefühl, als Unmut nährt;
Ein martervolles Nichtbehagen
An allem, was uns sonst entzückt,
Ein frost'ger Quell von steten Klagen,
Der jeder Freude Keim erstickt,
Ein kalter Hinblick auf die Szenen
Der allbelebenden Natur,
Ein Mittelding von Scheu und Sehnen
Beim Anblick jeder Kreatur.
Ein dämmernd Licht, das auf die Wonne
Des Lebens Riesenschatten streut,
Und eines künft'gen Glückes Sonne
Schon zweifelhafte Flecken leiht.
Ein Unkraut, das der Hoffnung Blüten
Im Herzen nicht gedeihen lässt,
Ein Kaltsinn, der der Menschen Bitten
Mit harter Stirne von sich stößt,
Von keiner Schönheit angezogen,
Von keinem Gegenstand gerührt,
Zu keiner edlen Tat bewogen,
Nie duldsam für die Schwachheit wird;
Ein Zustand, der das Herz entstellet,
Ein leerer, finstrer, weiter Raum,
Den nie ein Strahl des Lichts erhellet,
Und nie erfüllt ein süßer Traum;
Dem stillen Sumpfe gleich, der immer träge,
Von Wind und Wetter nie getrübt,
Aus seinem dichten Schilfgehege
Nur faule Dünste von sich gibt.
So ist ein Leben ohne Liebe!
Ein ödes Dasein, dumpf und trübe,
Das uns nicht Schmerz, nicht Freude gibt -
Doch ach! was ist es, wenn man liebt?
Ein Schweben, einem schwanken Schiffe
Am hohen Meere gleich, das jetzt
Uns in die fürchterlichste Tiefe,
Und drauf in Wolken übersetzt,
Bald auf ein wüstes Eiland treibet,
Bald wieder in die Flut versenkt,
An Felsenklippen hängen bleibet,
Und dann die Schiffenden ertränkt.
Was soll man tun? Soll man sein Leben wagen?
Und Stürmen trotzen? - Oder ganz entsagen
Dem göttlichen, dem liebevollen Ruf,
Wozu der Schöpfer seine Menschen schuf?