Erinnerungen aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft
aus dem Tagebuch eines Verstorbenen.
Das Autodafé der britischen Manufacturwaaren im Großherzogthum Berg.
Am 10. October 1810 wurde im ganzen Großherzogthume ein Decret vom 2. Desselben Monats verkündigt, wonach die Colonialwaaren einer Abgabe von 75 Procent des durch die erschwerte Einfuhr dieser bisherigen Conterbande so äußerst gesteigerten Werthes uterworfen wurden. Zur Declaration der desfalligen Waarenvorräthe wird eine zehntägige Frist bestimmt, nach deren Ablauf Haussuchungen abgehalten, und die nicht declarirten Waaren confiscirt werden sollten. Allein die proclamirte Frist wurde nicht beachtet. Gewohnt, Untersuchungen mit der Execution zu beginnen, ging man noch weiter, schickte die Execution sogar der Rechtskraft des Gesetzes voraus und arretirte auf den Grund des am 10. October publicirten Gesetzes, welches erst nach zehn Tagen Gesetzeskraft erhalten sollte, bereits am 9 October auf allen Landstraßen des Großherzogthums mit dergleichen Waaren beladene Frachtwagen, die von Gendarmen und Douaniers, die sich nach dem Tage des Erlasses des Gesetzes richteten, nach den Zollbureau escotirt wurden, um davon die 75procentige Abgabe zu erheben.
Den Landleuten, welche am 10. October in den Städten waren und wie gewöhnlich dergleichen Colonialwaaren zu ihrem Hausbedarf in der Stadt gekauft hatten, wurden selbe auf den Straßen und an den Thoren genommen. Eben so erging es den Einwohnern der Städte, und es durften von 10. Bis 20. October dergleichen Waaren nicht von einem Hause zum andern gebracht werden, ohne daß Polizei- und Zollbeamte die Leute anhielten und sie zum Zollempfänger führten, um die Colonialwaarensteuer zu entrichten.
Der Finanzminister Graf Beugnot hatte den Deputirten der Kaufmannschaft der Stadt Düsseldorf mündlich erklärt, daß sie Detailhändler die angebrochenen Ballen und ihren Vorrath in den einzelnen Gefächern der Laden zum Handverkauf nicht zu declariren, mithin auch nicht zu besteuern brauchten. Da aber das Gesetz nichts davon sagte, so kehrte sich der Generalzolldirecteur David gar nicht daran, und er ließ Alles, was vorgefunden ward und nicht declarirt war, confisciren. Dieses Verfahren veranlaßte Debatten zwischen dem Minister und dem Zolldirecteur, die zur Folge hatten, daß zwar Ersterer sein Wort nicht geltend machen konnte, daß es aber bei der Visitation mit dem Vorräthen bei den Detailhändlern und Privatpersonen nicht zu strenge gehalten wurde. Man hatte zur genauen Execution dieses Geschäfts zu wenig Polizei-, Zollbeamte und Gendarmen; deshalb organisirte man in der Eile ein eigenes beittenes Douanencorps, wozu bankrotte Kaufleute cassirte Beamte und dergleichen lustiges Gesindel recrutirt wurden.
Kaum war die Visitation hinsichtlich der Colonialwaaren zu Ende, als ein neues Gesetz erschien, wonach alle im Lande vorräthigen englischen Manufacturwaaren verbrannt werden sollten — ein grausames Gesetz, welches auf unerhört despotische Art in das Eigenthumsrecht der Unterthanen eingriff. Um die Entdeckung dieser englischen Manufacturen zu erleichtern, wurden selbe, sobald sie aufgefunden waren, taxirt, und die Douaniers erhielte die Hälfte dieses Werthes. Sie gingen daher desto ungerechter und despotischer bei der Aufsuchung der Waaren zu Werke, als sie nur zu zweifeln brauchten ob die in den Laden, oder auf den Lagern gefundenen Waaren außer England fabricirt worden. Es genügte einzig und allein nur eine willkürliche, durch nichts begründete Behauptung, daß die vorgefundenen Waaren englische Fabrikate seien, und — der Sequester wurde sogleich verfügt. Der Eigenthümer mußte dagegen vollständig unter allen Formalitäten den juridischen Beweis liefern, daß die Waaren nicht englischen Ursprunges seien, wollte er in den Wiederbesitz der confiscirten Fabrikate gelangen. Diese Beweisführung war aber bei der Mehrzahl der Artikel, welche wirklich nicht aus englischen Fabriken herstammten, nicht einmal möglich, wenn die Waare nicht eben erst angekommen war; denn in Absicht der ältern, in den Läden befindlichen oder auf dem Lagern liegenden Waaren konnte man aus den Büchern keinen gehörigen Beweis mehr liefern, daß die darin als von nichtenglischen Ursprunge aufgeführten Waaren gerade die vorgefundenen seien, zumal früher kein Verbot der englischen Manufacturen existirte, man sich also um Sammlung und Conservation der gehörigen Beweisstücke über das Vorhandensein nichtenglischer Fabrikate gar nicht gekümmert hatte. Hierzu kam noch das den geforderten Beweis so sehr erschwerende Factum, daß, da man in Deutschland seit geraumen Jahren nur englisches Fabrikat kaufen wollte, die deutschen Fabrikanten sich in die Nothwendigkeit und des schnelleren Absatzes halber, mit englischen Zeichen, Marken und Stempeln zu versehen. Daher kam es, daß der größere Theil des vorhandenen Manufacturwaarenvorrathesdeutschen und französischen Ursprungees war; sie trugen aber das englische Gepräge und wurden deshalb conficirt. Der Beweis inländischer Herstammung konnte aber nicht geliefert werden; und so blieben sie conficirt.
Zu dieser beispiellosen, das ganze Land allarmirenten Visitation ward die gesammte bewaffnete Macht zur Unterstützung der Douaniers requirirt. Am 2. November nahm solche zu Düsseldorf ihren Anfang; man hatte au den Straßen überall Militärposten aufgestellt, damit, während die Visitation in den Häusern Statt fand, nicht Waaren von einem Hause zum anderen geflüchtet würden. Da besonders Dienstmädchen als Hehlerinnen agirten, und kostbare Stücken Zeug von ihren Herrschaften erhielten, um selbe unter der Schürze zu verbergen und in das Nachbarhaus zu bringen, wo entweder schon visitirt oder kein Laden vorhanden war, so waren die Schürzen insbesondere der Gegenstand der Aufmerksamkeit der ausgestellten Militärposten.
Von der ungeheuren Menge der in Deutschland und Holland den Unterthanen abgenommenen englischen, oder auch von den einheimischen Fabriken des besseren Absatzes wegen als englisch gestempelten Manufacturwaaren hatte man auch einige der Form eines Processes unterworfen. Ich sage — Form; denn wie konnte ein Proceß hier Statt haben, wo die Wegnahme und Confiscation der Waare zugleich Statt hatte; wenigstens war die Waare bereits längst Eigenthum des deutschen Unterthans, als das Verbot der Einfuhr erschien. Das Gesetz ging also nicht den Verbrechen vorher, sondern stempelte unschuldige, gesetzlich erlaubte Handlungen erst nachher zu Verbrechen und wandte auch die Strafe, welche das Gesetz auf ein solches neuerfundene Verbrechen setzte, zugleich an.
Dieser Hokuspokus von Formalitätsproceß wurde nun verordnetermaßen in Rücksicht auf einige, wahrscheinlich willkürlich dazu ersehene Waaren betrieben, und um demselben einen Schatten von Rechtlichkeit zu geben, auch einige Waaren als nicht prohibirt wieder freigegeben, andere aber der Strafe des Feuers überantwortet, und an einem Sonntage hatte das Autodafé einige leblosen Körper Statt. Mit allen Attributen französischer Fratzengaskonaden wurde Nachmittags gegen 3 Uhr dasselbe vorgenommen; der Exercirplatz in der Nähe der Stadt war zum Schauplatz dieser zum ersten Male in Deutschland gegebenen Kömödie ausersehen. Das gesamte Militär, welches in der Stadt garnisonirte, war in Parade dort aufmarschirt.
Den Zug selbst eröffnete eine Abtheilung Gendarmerie zu Pferde, worauf eine Abtheilung Infanterie und hierauf Polizeidiener und Douaniers folgten. Jetzt kamen die Delinquenten, die zum Scheiterhaufen verdammten Waaren, auf zwei Armesünderkarren gepackt, escortirt von bewachenden Soldaten, welchen militärisches Spiel und Musik und Tamboure mit lärmenden Trommeln sich aufschlossen. Eine Abtheilung von Douaniers in größter Galla ging hinter ihnen. Darauf erblickte man zwei Kutschen, welche, so wie der ganze Zug, feierlich langsam sich bewegte, auch langsam eine jede von zwei Pferden gezogen wurden. In diesen bieden Karossen mit den Zweigespannen faßen die Hauptpersonen der ganzen Spectakelprocession, nämlich der Maire der Stadt Düsseldorf mit seinen Beigeordneten, sämmtlich angethan mit den Insignien ihrer Würden, und bei ihnen die ersten Douaniers. Horden gaffender Straßenjungen und Schaaren alter Weiber umgaben die Boiluren, neugierigen Blicks denselben zugewandt, und durch Rinnsteine patschendund über Kehrichthaufen mit Gewißheit und mit eigenen Augen u ermitteln. Den Beschluß machte eine Militärabtheilung und zuletzt ein Trupp Gendarmerie zu Pferde. Sonderbar war es, daß bei dieser Procession nicht auch Kanonendonner und Glockengeläute nach üblichen Herkommen und Brauch concertirten; sonst war der gewöhnliche Gaukellärm an derTagesordnung, selbst am Tage vor dem Autodafé die Polizeitrommel in allen Gassen hörbar, welche dem Volk dieses zuvor nie gesehene Schauspiel verkündete.
Auf dem Exerzirplatze brannte bereits ein großes, gewaltiges Feuer, welches der Maire und die Polizeibeamten schüren und das Autodafé besorgen mußten. Das Publicum hatte selbstredend freien Zutritt. In den Zeitungen war das Schauspiel bereits weit und breit ausposaunt worden. Am Morgen gegen 10 Uhr nahm die Tragikomödie ihren Anfang. Aus den aufgestapelten Ballen und Kisten ward ein Stück nach dem andern herausgenommen und einzeln auf eine hohe Stange gesteckt. Diese hielt der Maire dann in die Höhe, ließ darauf das daran gesteckte Stück in die Luft flattern, damit es das Publicum sehen solle, und hierauf den unschuldigen Delinquenten in die Todesflamme hinabsinken. Gegen 12 Uhr war das orginelle Autodafé zu Ende und die Tragikomödie ausgespielt.
Das Ganze war selbstredend nichts weiter als eine bloße Spiegelfechterei, allein vorgenommen, um in den Zeitungen das Factum anzeigen zu können: man habe aus Rachsucht gegen England zu Düsseldorf alle im Großherzogthum Berg vorhanden gewesenen englischen Manufacturwaaren öffentlich verbrannt. Im Grunde war aber nur ein ganz kleiner Theil der weggenommenen Vorräthe zu diesem Feuerwerke applicirt, und die kleinste Stadt im ganzen Lande hatte wohl mehr u den Confiscationsquantum hergeben müssen. Denn von der außerordentlich großen Zahl der mit arretirten englischen oder vielmehr sogenannten englischen Manufacturen beladenen Frachtwagen, welche seit dem 2. November täglich zu Düsseldorf eingetroffen waren, war kaum ein einziger halber Karren vll dem Vulcan auf dem Exercirplatz geopfert worden. Dahingegen wurden ganze Schiffsladungen voll dieser Waaren theils den Rhein hinauf nach Cöln, theils den Fluß hinunter nach Cleve verschifft. An beiden Orten wurden in der Folge öffentliche, in fast allen deutschen, französischen und holländischen Zeitungen proclamirte Waarenverkäufe gehalten, welche drei bis vier Wochen hindurch vom Morgen bis Abend meistbietend versteigert wurden. Letztere Stadt bot während dieser Zeit das Bild einer kleinen frankfurter Messe dar; so viele fremde Kaufleute hatten sich von allen Orten hier eingefunden. — Aehnliche Staatsfinanzmanipulationen möchte aber schwerlich die Geschichte einer Regierung aufzuweisen haben; die Regierung »Napoleon's des Großen« sieht darin einzig und unübertroffen da.
An eben diesem merkwürdigen Tage, wo man am hellen, sonnenheitern Mittag mit Manufacturwaarenflammen illuminirt hatte, lief am Abend bei den bergischen Ministerien die Couriernachricht aus Paris ein, daß der Theil Norddeutschlands, welcher an der Küste der Nordsee sich hinstreckt, mit dem französischen Kaiserreiche vereinigt werden, und zwar auf der Linie von Wesel aus, die Lippe hinauf bis Haltern, von dort den Steverfluß entlang über Ludinghausen, eine Stunde von Münster vorbei, über Telgte, Freckenhorst, Versmold, Minden, Lüneburg bis Hamburg. Ein Federstrich des Kaisers auf der Landcharte — und nous avons décreté.