Isegrimm.
von Willibald Alexis.
3. Der Quilitzer Knechtr
Der Weg durch den Wald war eng und dunkel, aber festgetretener Boden. Wo er sich am Ausgang durch jüngeren Kiefernaufwuchs nach der Landstraße schlängelte, ward er lockerer Sand, der bis zum Dorfe fortdauerte.
Die Schornsteine rauchten schon gastlich aus der Ferne. Ueberhaupt hatte der Charakter der Gegend sich verändert. So schlecht der Boden sein mochte, war doch alles Kultur. Die Felder gut gehalten und geteilt, die Straße mit einer Allee bepflanzt. Die Laubbäume standen zwar traurig entblättert, aber die Dächer des Dorfes schimmerten wie aus einem großen Boskett rotgoldenen Laubes; das ist der Zauber auch des späteren, finsteren Herbstes auf dem Lande. Die Fruchtbäume der Gehöfte erhalten sich länger in ihrem bunten Kleide als die des Waldes.
»Wollen Sie nicht aufsteigen, Herr Mauritz, es geht sich schlecht im Sande!« rief eine wohlbekannte Stimme hinter ihm. In dem weichen Geleise hatte er das Gefährt des Knechtes nicht bemerkt.
»Nicht wahr, Sie haben tüchtig springen müssen?« fuhr dieser fort, als der Kandidat im Wagen saß, und wandte sich, während er die Pfeife gemächlich fortrauchte, zur Konversation gelegentlich um.
»Ich wußte es schon, und die Füße sind auch wohl naß.«
»Und doch konntest Du uns den Weg anraten?«
»I nu, dem Herrn Baron von Eppenstein gönnte ich's schon.«
»Er geht Dich ja nichts an.«
»Was muß er alles besser wissen und hat kaum in die Gegend gerochen.«
»So haben die wohl recht, die meinen, weil er nicht vom alten Adel ist, hätten die Bauern keinen rechten Respekt vor ihm?«
»Na, da ließe sich manches drüber sagen, Herr Mauritz. Der wird sich noch manchmal wundern tun, daß es hierzulande auch kluge Leute gibt.«
»Aber Dein Herr! Den Hofmarschall hast Du auch in den Sumpf geschickt.«
Der Knecht verzog etwas schlau den Mund. »Sterben wird er auch nicht davon. Ist ihm für seine
Gicht recht gut, das Hopsen.«
»Wenn ich ihm aber wiedererzählte, was Du mir eben vertraust!«
»Das werden Sie nicht tun, Herr Mauritz. – Ich war ja schon längst hier mit der Kalesche; da im Busch hielt ich. Ist gar nicht so weit, der Weg, als der gnädige Herr glaubt, denn hinter der Sägemühle ist 'ne Furt, die ist zu jeder Zeit passierbar. Also raucht' ich da ruhig meine Pfeife und dachte: wer wird nun zuerst kommen? Da war's der gnädige Herr und der Baron, die spürten auch bald im Sande, daß mein Gefährt noch nicht vorbei war, also warteten sie. Ich dachte, Ihr könnt warten, bis Ihr schwarz werdet, und kitzelte meine Braunen unterm Hals, daß sie nicht wiehern sollten. Aber es ward ihnen zu lang.«
»Und warum das? Wenn sie müde waren!«
»Ach was, müde! Bei Hofe müssen der Herr Hofmarschall oft zwölf Stunden hinter dem Stuhle stehen und dürfen nicht müde werden. Und mit seinen Storchbeinen kann er besser durch den Sand steigen –«
»Als ich, meinst Du?«
»Freilich! Sie mußten ihm ja die dicke Wildschur nachschleppen. Er ging im Flips. Also wer konnte sie ihm tragen! Da dachte ich, der Kandidat muß müde sein, und auf den willst Du warten. Und das war richtig. Sehen Sie, unsereins kann auch kalkulieren.«
Der Kandidat schwieg. Sollte er ihm danken, ihn schelten? Er fragte den Knecht, was ihn denn so freundlich gegen ihn gestimmt?
»Sie sind auch nicht von unserer Art, Herr Mauritz, mit Verlaub, aber Sie sind doch anders als der Baron. Sie wissen auch alles besser. Nu, dafür sind Sie ein Studierter; aber, 's kommt nicht 'raus als wie beim Baron. Der denkt immer dabei: Du dummer Bauerkerl! Sie spielen auch mit den Kindern, und die Bauerweiber, wenn Sie mal gepredigt haben, was heulen die! Ja, die Frauensleute habend Sie alle bei uns im Sack.«
»Aber die Männer, ich meine die Bauern?«
»Na, davon wollen wir nicht reden, Herr Mauritz; – Sie wohnen bei der Herrschaft, Sie sind aber doch nicht die Herrschaft. Das fühlt unsereins auch 'raus, und darüber ließ sich auch viel sagen, aber das taugt nichts. Und Sie predigen auch schön, das muß Ihnen der Neid lassen; das Herz rührt sich einem im Leibe, wenn Sie nur nicht so grausam katholisch predigen wollten!« Der Kandidat sah verwundert auf.
»Ja, ja, ich weiß schon, was Sie meinen, daß Sie ein guter Lutherischer sind; aber wir hierzulande nennen das katholisch predigen und nicht christlich. Immer vom Schlamm der Verderbnis und der Erbsünde und der ewigen Verdammnis. Herr Gott, wenn ein Bursch mal ein Mädel ins Korn zieht, darum geht die Welt auch nicht unter. Aber Sie orgeln und donnern ja, daß einem das Mittagsessen nicht schmeckt. Wir haben unser Christentum auch, Herr Kandidat, und darum will uns das eben nicht schmecken.«
Der Kandidat war nicht geneigt, sich in einen theologischen Disput einzulassen; er fragte nur kurz, ob alle Bauern hier so dächten. Der Kutscher schien entweder durch das lange Warten gesprächig gestimmt oder seine Epistel als Bezahlung für seinen Dienst einstreichen zu wollen.
»Alle nicht, Herr Mauritz, ich meine, es gibt wohl solche Dörfer, wo sie den Kopf hängen, aber bei uns nicht. Auch nicht in Ilitz, wo Sie hinkommen. Sehen Sie, unser Christentum ist, daß einer gut soll sein und sich anständig aufführen. Er soll nicht immer besoffen in der Schenke liegen und seine Frau nicht prügeln ohne Not und nicht betrügen und keine Schulden machen, die er nicht bezahlen kann. Undankbarkeit ist auch unchristlich, und seine Steuern soll man bezahlen, wenn der König befiehlt, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Das ist auch christlich und manches noch, was mir nicht gleich einfällt, und das weiß jeder so gut wie der Küster und der Pastor. Den Herrn Christus lieben wir auch, denn er ist unser Herr und Seligmacher. Das ist unser Christentum, aber mehr soll man nicht draus machen; das ist nicht gut hier, Herr Mauritz, das sage ich Ihnen. Denn unsere Bauern sind pfiffiger, als die Herrschaften denken, und wenn einige Herrschaften mehr aus ihnen machen wollen – nun ja, sie tun's, warum nicht, wenn sie sehen, daß es der Herrschaft ihr Pläsir ist. Sie verdrehen die Augen und schlagen sie runter und sprechen wie die Bibel. Aber passen Sie acht, Herr Mauritz, das werden im Leben keine guten Bauern nicht. Wenn man so viel beten soll, kann man nicht arbeiten, und unser Herrgott hat uns geschaffen, daß wir arbeiten sollen im Schweiße unseres Angesichts. Das ist auch der Boden hier dazu, daß man faullenzen sollte. Der liebe Gott düngt den Sand nicht und wietet nicht den Hederich, wenn man ihn auch noch so sehr bittet. Das ist alles katholischer Aberglaube. Ja, drüben an der Elbe, da gibt's wohl Aecker, wo's von selbst wächst, da mögen sie faullenzen und beten, soviel sie wollen, und meinethalben mögen sie ihr apartes Christentum haben und Fasttage und Erbsünden, so viel sie wollen, aber unser Christentum, das ist das hier, was ich Ihnen sage, und die Herrschaft, die damit nicht zufrieden ist, die zieht sich Heuchler auf und Scheinheilige. Das werden hochmütige Taugenichtse, und die Herrschaft und der König kriegt keine guten Untertanen nicht. Glauben Sie mir, Herr Mauritz, so ist's hier in der Mark jetzo, und so ist's immer gewesen. Ob katholisch oder halbkatholisch, das ist egal. Wir wissen das ja vom dicken Könige her, und vom Zopfschulzen aus Gielsdorf wissen wir auch recht gut. Wir wollen gar nicht katholisch sein, das ist gut brandenburgisch, und so wird's immer sein.«
Die Peitsche knallte lustige Wirbel in die Lüfte, aber nur zum Spaß, gegen unsichtbare Geister; die Pferde verstanden es und zogen so langsam wie vorhin durch den Sand. Der Kutscher meinte wohl, bei den Geschäften in der Querbelitzer Schenke habe der Kandidat nichts zu tun. Herr Mauritz schwieg; auch auf des Knechtes Anforderung, da es kühl werde, sich die Wildschur umzuwerfen; er breitete nur die Decke über die Knie. Der Kutscher aber hatte Lust zum Reden.
»Ich möchte wohl wissen, Herr Mauritz,« hub er nach einer Pause an, »was Sie jetzt denken. Ich meine, was so ein Studierter immer denken kann, wo unsereins doch platterdings nichts sieht und hört und weiß, an was er denken soll. Die Kirschbäume sind rot, und der Himmel ist grau; sonst ist doch auf Gottes weiter Welt nichts vor uns.«
»Denkst Du nie an Dein Vaterland, wenn Du es auch nicht siehst?« fragte der Kandidat.
»Ach, Sie meinen die Franzosen und deswegen! Sehen Sie, Herr Mauritz, da, denke ich, tun wir genug, wenn wir dran denken, wenn sie mit dem Quartierzettel vor uns stehen. Dann ist's schlimm genug; drum soll man sich's nicht sonst damit inkommode machen.«
»Aber wenn sie nicht vor uns stehen, stehen sie vor anderen unserer Brüder.«
»Ich verstehe Sie schon, Herr Mauritz. Aber da heißt die Bauernregel: Kümmere Dich nicht um das, was Dich nicht angeht. Das ist des Königs Sache und nicht die unsere.«
»Aber der König ist aus seinem Lande vertrieben. Die Franzosen verfolgen ihn, wir hören eine böse Post um die andere, wie eine Festung um die andere fällt, wie die braven Truppen, die noch bei ihm sind, geschlagen und aufgerieben werden.«
»Darauf hören wir Bauern gar nicht mehr; wir wissen, das ist alles erstunken und erlogen von den
Franzosen und wer es mit ihnen hält. Unser König bleibt unser König, und das ist uns genug.«
»Wenn es nun nicht erlogen wäre! Die Franzosen sind im Lande und bleiben im Lande. Wenn sie immer – immer blieben, und wir unseren König nicht wiedersähen! Liebst Du nicht Deinen König?«
»Da müßt' ich ja kein Brandenburger sein! Den König und sein Königliches Haus und was dazu gehört, dafür muß der Prediger beten, und wir beten mit.«
»Wenn es nun die Franzosen verbieten?«
»Dann beten wir im stillen. Das hört der liebe Gott ebenso.«
»Gewiß! Doch wenn es mit dem Beten nicht abgetan wäre? Wenn unser König und seine Sache verloren bliebe, wo wir uns nicht für ihn rühren? Der König kann uns zu Hilfe rufen, unser Gut und
Blut fordern.«
»Ich bin nicht kantonpflichtig, Herr Mauritz; 's ist so kurios gekommen, die Geschichte ist nur zu lang, aber es ist so.« –
»Kantonpflichtig oder nicht, Du junger Bursch, ohne Weib und Kind, würdest nicht aufspringen, wenn Dein König riefe, und nicht die Flinte ergreifen?«
»Ja, wenn ich kantonpflichtig wäre, da brauchten sie nicht lange zu pfeifen, und, mein Seel, ich glaube, ich würde kein schlechter Soldat nicht. Aber nun ist's nicht, und das ist auch gut. Allens was
Rechtens. Was drüber ist, ist vom Uebel, steht in der Bibel.«
»Am Ende wäre es Dir gleichgültig, ob wir gut preußisch bleiben oder französisch würden.« Der Knecht besann sich.
»Gleichgültig, Herr Mauritz, eigentlich nun nicht. Die Sackermenter, die Franzosen, kann ich nicht leiden, sie sind so windig und dunstig; aber im Quartier, das haben mir schon viele gesagt, sind andere noch viel schlimmer, als wie die Württemberger, die Bayern, die Nassauer und wie das Krimskrams heißt. Die prügeln und sackermentieren und zerschlagen weit mehr. Aber ich denke so, Feind ist Feind, und wenn sie nicht mehr Feind sind, dann sind sie auch anders. Ich verstehe Sie schon, Herr Mauritz, wenn ich mich auch nicht explizieren kann, was Sie meinen, von wegen der Obrigkeit, die von Gott ist. Schon richtig. Wenn nun aber eine Obrigkeit abgetan ist, dann ist die andere, die kommt, auch wieder von Gott. Und was schiert es uns! Wir müssen Steuer zahlen und wieder zahlen, graben, ackern, dreschen, Boten laufen, Führer sein, schanzen, Vorspann tun, oder die Muskete auf den Rücken nehmen und uns fuchteln lassen oder tot schießen, wie es kommt. Da kalkuliere ich nun manchmal so, das fordert eine Obrigkeit von uns und die andere auch, und was sie dem Ding für Namen gibt, das ist uns egal. Und wer da glaubt, daß es jemals anders wird, der ist ein Narr. Und der, kalkuliere ich nun, wäre eigentlich auch einer, der sich graue Haare wachsen läßt, ob er von der Obrigkeit gefuchtelt wird oder von der. Das beste ist, daß man sich 'ne dicke Haut anschafft, ich meine, wir gemeinen Leute, und das Ohr spitz hält, um zu hören, wo der Wind herkommt. Denn wer pfiffig ist, kommt mit jeder Herrschaft durch.«
»Denken viele so wie Du?«
»Sie denken gerade nicht so, denn zum Denken hat der Bauer nicht Zeit, aber – na, Herr Mauritz, was denken Sie denn von den Herrschaften und dem faulen Volke in der Stadt? Die schreien schon, wenn der Floh sie sticht, und kommt's so, passen Sie acht, pfiffig sind sie auch, und wird der Napoleon unsere von Gott eingesetzte Obrigkeit, und kann er ausschenken Domherrnpfründen, Kreiskontrolleurstellen und Pour les mérites, ach Herr Je, wie werden sie, Heidi, Juchhei hast du nicht, kannst du nicht – ich will keinen verreden, aber – unsere Herrschaft – na, nu, steigen Sie ab, Herr Kandidat!«
»Warum hier?«
»Weil ich da umwende. Sie können uns von der Schenke aus sehen.«
»Hast Du etwas Böses getan, daß Du mich aufnahmst?«
»Ob's vor Gott bös ist, weiß ich nun gerade nicht, aber die Herrschaft könnte es doch so auslegen, daß ich den Informator kutschiert habe und den Herrn Hofmarschall im Dreck laufen ließ.«
Als der Knecht die Peitsche schwang, um seine Tiere durch einen gelinden Galopp etwas schwitzend vor die Schenke zu bringen, wandte er sich noch einmal zum Kandidaten um.
»Das wollte ich Ihnen noch sagen, Herr Mauritz, was ich gesagt, das paßt nicht auf Ilitz. Der Isegrimm ist ein aparter Herr. Da müssen Sie auch die Augen aufsperren und die Ohren spitzen, wenn Sie mit ihm durchkommen wollen. Ueberhaupt merken Sie sich, die Ilitzer, das ist eine andere Nation, als wir von Quilitz.«