Maria Müller
von Charlotte von Ahlefeld.
Ein und zwanzigstes Kapitel
Josephine war unvermögend, auch nur mit einem einzigen Laut die ernste, vorwurfsvolle Rede ihres Gemahls zu unterbrechen. Sie hatte nicht geglaubt, daß ihr erstes Wiedersehn von dieser Art seyn würde, und daß er sie mit Vorwürfen überhäufen werde, da sie sich allein berechtigt glaubte, sie ihm zu machen. Ihr Herz sprach sie frey von seinen Beschuldigungen, – sie war sich nur der zärtlichsten Absicht bey ihrer Reise nach Nesselfeld bewußt, und mit tieferm Schmerz, als sie noch vorher empfunden hatte, erfüllte sein Verdacht, und das Geständniß, daß er sie nie geliebt habe, ihr Innerstes. Hatte die Entdeckung seiner Untreue ihre zarten Nerven schon erschüttert, um wie viel mehr blutete nicht die Wunde ihres Herzens bei der rauhen unverdienten Art, mit der er sie verließ. Sie wurde kränker, – man holte einen Arzt, er zweifelte an ihrer Genesung. Wodmar ließ nichts von sich hören.
Indessen besiegte doch die Geschicklichkeit des Arztes die Stärke der Krankheit, und Josephine fing langsam an, sich zu erholen. Die Liebe zu ihrem Sohne war das einzige, was sie noch an die Welt fesselte, in der sie schon so viel gelitten hatte. Aber je mehr sie sich nun auf ewig von ihrem Gemahl geschieden glaubte, je fester schloß sie sich mit aller mütterlichen Innigkeit an den Kleinen an, den sie als eine vaterlose Waise betrachtete, und in dieser traurigen Rücksicht doppelt liebte. Frau Köhler war immer um sie, und oft unterhielten sie sich von Marien, deren Schicksal Josephine noch trauriger fand, als das ihrige. Hab' ich doch noch meinen August, sagte sie zu sich selbst, wenn ihr in stillen Stunden ihre Lage mit den düstersten Farben erschien, und die Gegenwart ihr nichts bot, sie über die Vergangenheit zu trösten. Hab' ich doch meinen August und durch ihn Beschäftigung, und Ersatz für mein Herz. Aber Marie, – was hat die, das ihr Entschädigung wäre für den verschwundenen Zauber ihrer Täuschung, in der sie so glücklich war! Wodmar konnte unmöglich Marien so dringend aufsuchen lassen, als es Josephine that. Jede Eifersucht, jeder Unwille, die sie einst für sie empfunden hatte, war nunmehr in ihrer edlen Seele zu dem Verlangen geworden, ihr Loos so viel als möglich ihr zu versüßen. Aber alle ihre Nachforschungen waren vergeblich, und Frau Köhler beweinte oft die Ungewißheit über ihren Zustand.
Marie war unterdessen glücklich in dem friedlichen Dorfe angekommen, das Konrad bewohnte. Es lag in einer schönen, waldigten Gegend, in einem Thal, von freundlichen Gebirgen begränzt. An einer netten, reinlichen Wohnung hielt der Kärner, und bey dem Geräusch des Fahrens stürzte die ganze Familie, die eben beim Mittagbrod saß, mit einem lauten Freudengeschrei heraus, den Vater zu bewillkommen. Liese heftete einen fragenden, aber gutmüthigen Blick auf ihren Gast, und Konrad erzählte ihr, wo und wie er sie gefunden, und daß ihre Absicht sey, künftig unter ihnen zu leben. Herzlich gern, war ihre Antwort, die sie mit einem biedern Händedruck begleitete, und sogleich rückte man der neuen Hausgenossin einen Stuhl und einen Teller hin, und that, als hätte man sich schon Jahre lang gekannt.
Was Marien vorzüglich an diesen unverdorbenen, braven Kindern der Natur wohlgefiel, war ihr einfacher, frommer, fleißiger Lebenslauf, die Gutherzigkeit, mit der sie alles, was sie hatten und was ihnen ihr Fleiß erwarb, mit ihren ärmern Nachbaren theilten, und gegen sie insbesondere, die Achtsamkeit, mit der sie ihren Kummer schonten, ohne nach dessen Ursach zu forschen. Zwar war Liese keineswegs von jener Neugierde frei, die man Evens Töchtern, – und vielleicht nicht mit Unrecht, – Schuld giebt; zwar hätte sie gern gewußt, warum Marie in der Blüthe der Schönheit und Jugend so traurig war, warum sich oft ihre lieben Augen mit großen Thränen füllten, ohne daß sie in den äußern Gegenständen Anlaß dazu fand, – wo ihre Heimath, wie ihre Geschichte sey: – aber sie fürchtete mit einer Schonung, wie man sie in höhern Ständen nur selten für Leidende nährt, der sanften Unglücklichen weh zu thun, und wartete mit Verläugnung ihrer Gefühle den Augenblick ruhig ab, wo sie sich ihr von selbst vertrauen würde. Dieser erschien bald, da Marie in Liesens Blicken die redlichste Theilnahme an ihrem Schicksal und den Wunsch, es zu wissen, las. Sie verschwieg ihr nichts, und ihre rührende Erzahlung, die den Stempel der Wahrheit trug, kostete Liesens Augen den Zoll des Mitgefühls und der Wehmuth. Aber, sagte sie und nahm sie liebreich bey der Hand, als Marie geendet hatte, und beyde noch mit ihren Thränen kämpften, aber Jungfer Mariechen, ist es der Mann auch wohl werth, daß Sie Sich so um ihn grämt und abhärmt, in Ihren besten Jahren? – Wer weiß, ob er nicht jetzt, wo Sie seufzt und die Hände ringt, auf neue List und Bosheit denkt, eine andere zu berücken, denn vornehme Herren sollen gar schlimm seyn! – Tröste Sie Sich mit Ihrem guten Gewissen, das Ihr das Zeugniß giebt, nicht wissentlich gefehlt zu haben, und führe Sie ferner einen frommen, christlichen Wandel, so wird sich Ihr Gemüth auch nach und nach beruhigen. Aber so muß es nicht bleiben, Mariechen! – Sie kann und muß noch eine brave Hausfrau werden und ein glückliches Leben führen. Oft ist der Morgen trübe, aber am Mittag scheint doch die liebe Sonne und zertheilt die Regenwolken, die sich am Himmel gesammelt hatten, und auf einen stürmischen Tag folgt oft ein helles Abendroth. Fasse Sie Muth und vertraue Sie auf Gott, es wird sich gewiß ein rechtschaffner, braver Mann finden, wenn er auch kein Graf ist, der Ihr Ihr voriges Herzeleid vergessen und Sie zu einer glücklichen Frau macht.
Ach, gute Liese! seufzte Marie unter neuen Thränen, sein Andenken wird mir ein ewiges Gegengift wider fein ganzes Geschlecht seyn.
Ey nun freilich, versetzte Liese, ich rede nicht von heute und morgen. Aber es hat alles seine Zeit in der Welt, warum denn nicht auch Ihr Kummer? Lasse Sie ihn nur austoben, es wird schon wieder still in Ihrem Sinne werden, und hernach denke Sie dran, daß Sie nicht blos deswegen da ist, um über vergangenes Unglück zu klagen, sondern auch um sich drüber zu trösten, und nicht über den Kanarienvogel, den man einmal auf dem Dache sah, den Sperling zu verachten, den man mit der Hand ergreifen kann. Ich müßte mich recht irren, wenn sich nicht der Mann, den ich für Sie im Kopfe habe, recht für Sie schickte. Es ist der neue Förster oben auf dem Waldenberg, ein junger, stiller, ordentlicher Mensch, der sich in der kurzen Zeit, da er hier ist, schon bey Alt und Jung durch seinen guten Wandel beliebt gemacht hat. Es käme auf eine Bekanntschaft an, und dafür will ich schon sorgen, wenn ich glaube, daß es die rechte Zeit ist; er ist schon ein paar mal hier eingesprochen, denn Konrad hat Fuhren für ihn thun müssen. Da hat er sich mit den Kindern abgegeben, als ob sie sein eigen wären, besonders gewann er die kleine Marie lieb und schenkte ihr etliche Silberkreuzer. Dabei sah er sie immer an und seufzte dazu, als ob er dächte: Wer doch auch so muntre, gesunde Kinder hätte! –
In Mariens Herzen fanden die gutgemeinten Absichten der ehrlichen Liese keinen gefälligen Eingang, doch war sie dankbar für die Wärme, mit der sie sich für ihr Schicksal interessirte, aber sie dachte keineswegs daran, dieses zu verändern. Ihre Liebe zu Wodmar, die sich so fest und innig in ihr Wesen verwebt hatte, war ihr zu gewaltsam entrissen und vernichtet worden, als daß sie nicht hätte sollen eine große und sehr traurige Leere in ihrem Innern fühlen, – aber noch hing sie zu schwärmerisch an den Ideen einer einzigen Liebe, als daß sie hätte daran denken können, diese Leere durch eine zweite Neigung auszufüllen.