Maria Müller
von Charlotte von Ahlefeld.
Drittes Kapitel
Sie scheinen verwundert, mich wieder zu sehn, sagte er mit einem unaussprechlich süßen Ton, der tief in ihr Herz drang; darf ich hoffen, Ihnen willkommen zu seyn? – Willkommen sind Sie wohl überall, versetzte Marie, und sah verlegen zur Erde. Als sie zu viel gesagt zu haben fühlte, fuhr sie fort: Darf ich fragen, was uns die Ehre Ihres Besuchs verschafft?
Der Wunsch, näher mit Ihnen bekannt zu seyn, holde Marie, antwortete der Graf, und sah ihr bittend ins Auge. Sehr neu ist unsre Bekanntschaft, aber warm und innig der Antheil, den ich an Ihnen nehme. Sie sind liebeswürdig, Marie! das fühl' ich, und ich sage immer was ich fühle; – nehmen Sie mein Geständniß mit Güte auf. – Die himmlische Einfalt, die Reinheit, die Weiblichkeit Ihres Wesens hat mich bezaubert, und mir eine Achtung für Sie eingeflößt, die ich noch für sehr wenig Mädchen empfunden habe. Mein Schicksal bestimmt mich, im Geräusch der großen Welt zu leben; aber ich habe in ihrem Getümmel nicht den Sinn für höhere, obwohl stillere Freuden verloren, die allein beglücken. Darf ich Ansprüche auf Ihre Freundschaft machen, Marie? Sie schmücken den Stand, zu dem Sie gehören, und über den ich sonst gleichgültig hinweg sah, Sie machen mir ihn werth. – Darf ich, ermüdet vom seelenlosen Einerlei des Hofes und meines geräuschvollen Lebens, zuweilen eine Stunde der Erholung an Ihrer Seite damit zubringen, daß ich Sie bewundre, und die Verhältnisse beklage, die mich von Ihnen trennen?
Marie fühlte sich von seiner Rede heftig ergriffen. O Herr Graf, sagte sie, und zog leise ihre Hand aus der seinigen; was kann Ihnen an der Freundschaft eines armen, unbedeutenden Mädchens liegen? –
Viel, alles! versetzte Wodmar mit Feuer. Unbeschreiblich ist der Eindruck, den Sie auf mich gemacht haben, ewig wird seine Dauer seyn. Lassen Sie uns aufrichtig mit einander reden, Marie, und beantworten Sie muthig meine Frage: sind die Bande, die Sie an Ludwig knüpfen, unauflöslich? – Marie schwieg und weinte. Ist es keine Möglichkeit, fuhr er fort, eine Verbindung wieder zu zerreißen, die, wie ich an Ihren Thränen sehe, Sie nicht glücklich machen würde?
Marie ermannte sich. Gnädiger Herr, nahm sie das Wort, ich bin Ludwigs Braut. Freiwillig hab' ich ihn gewählt, und er verdient das Zutrauen, mit dem ich von ihm das Glück meines Lebens erwartete. Diese Thränen – o Herr Graf, verkennen Sie mich nicht, wenn ich gestehe, was ich vielleicht ewig verschweigen sollte – diese Thränen fließen nicht aus Reue, weil ich Ludwig meine Hand versprach; – sie fließen, weil ich fühle, daß ich ihn glücklicher gemacht haben würde, wenn ich Sie nie gesehen hätte.
Wodmar umschlang sie mit Entzücken. Ist es möglich, rief er, indem er sie fest an seine Brust drückte, ist es möglich, was ich kaum zu hoffen ahnete, daß ich meiner Marie nicht gleichgültig bin? – Marie, mit fortgerissen durch den Sturm seiner Leidenschaft, barg ihr Gesicht an seinen Busen, und antwortete nur durch Thränen. – So hab' ich denn endlich gefunden, was Jahrelang meine heiße Sehnsucht vergebens sucht, Liebe in einem reinen, unverwahrloseten Herzen! Sein dankender Blick hob sich zum Himmel, und Marie entwand sich seinen Armen, um aufs neue in sie zurück zu kehren.
Ja, rief sie endlich, und ihre Wangen glühten höher vom Morgenroth der Liebe, ja ich liebe Sie, aber ich will meine Neigung beherrschen, denn sie ist ein Verbrechen.
Wie schwach ist ein Herz, zum ersten Mal von der heiligen Flamme der Liebe durchlodert, wie schwach ist es, sie zu löschen! Mariens Vorsatz war ernst, aber die Umarmungen des Geliebten erstickten ihn, und sie überließ sich einem nie gefühlten Entzücken. Eine neue Welt lag vor ihr, geschmückt mit allen Farben des Lichts, und breitete eine rosenfarbne lächelnde Zukunft vor ihr aus. Ihr war, als fühlte sie jetzt erst den ganzen Werth ihres unbemerkten Lebens, jetzt, da die Liebe sie in den schönen Schatten ihrer Myrthen nahm.
Eine selige Stunde war vorüber, – die Liebenden mußten sich trennen. Lebe wohl, Geliebter! hieß es beim Abschied; lebe wohl, Marie! antwortete der Graf, und tausend Küsse besiegelten den Bund ihrer Liebe. Endlich riß er sich aus den liebkosenden Armen, getröstet und beruhigt durch das Versprechen, das er mit zärtlicher Gewalt ihr abgedrungen hatte, den andern Abend mit Aufgang des Mondes sie allein in ihrem Garten zu sehn.
Als er fort war, als sie ihn nicht mehr vor sich sah, – als nach und nach die Stimme der Vernunft den Sirenengesang der Leidenschaft übertäubte; – da sank der Schleier von dem Abgrund, zum dem die Liebe sie hingeführt hatte.
Ach, ich bin verloren! rief sie aus: – der goldne Frieden meines Gemüths, alle Freuden meines Lebens sind hin, denn nie wird er mein seyn. Sein Stand, sein Reichthum trennen ihn von mir auf ewig.
Der größte Theil der Nacht ging schlaflos an ihr vorüber. Endlich wiegten sie süße Bilder der Liebe in Vergessenheit ihres Kummers, und in Träume, aus denen sie fröhlich erwachte. Der erste Morgenstrahl fand ihr Auge schon offen. Sie ging in den Garten, an dessen Ende ein kleines Gartenhaus hinab auf den Fluß und die fruchtbare Gegend blickte. Sie stieg hinauf; – mild und erfrischend wehte sie die Morgenluft an, und mischte sich mit ihren Seufzern. Er ist Dein! schien ihr jetzt die ganze Natur in ihrem jugendlichen Schmucke zururufen; er ist Dein, las sie im Blau des unbewölkten Himmels; er ist Dein, sangen ihr die Vögel in ihrem Morgengesang. Da fiel ihr fröhlicher Blick auf den Ring an ihrem Finger, und eine Thräne stieg in das heitre Auge, das jetzt nur Paradiese um sich her sah. Sie nahm ihn herunter: – vergieb mir, Ludwig! sagte sie, und breitete ihre Arme nach der Ferne aus, vergieb, daß ich Dich täuschte. Ich kannte die Liebe noch nicht, als ich mich Dir verlobte. Kannst Du zürnen, wenn ich der süßen Stimme folge, die mich von Deinem Herzen hinweg ruft? O Karl, setzte sie hinzu mit der hohen Schwärmerey der ersten Liebe, in der Seele, wo Du wohnst, ist kein Raum für einen andern! – Sie sprachs, und warf den Ring in den Fluß, der in stolzen Wogen zu ihren Füßen dahin wallte.
Als die Sonne höher herauf kam, ward es ihr enger um die Brust. Karls Bild schwebte unablässig vor ihren Augen, aber Wehmuth und Ahnungen beklemmten ihr Herz. Die Einsamkeit, die sie umgab, begünstigte ihr schwermüthiges Nachdenken über Empfindungen, die ihr wohl und wehe thaten. Bald hing sie mit stillem Trauern, bald mit allem Feuer der Hoffnung an dem Andenken des Einzigen, und mit jedem Augenblick, der ihr die Stunde des Wiedersehns näher brachte, wechselte Schmerz und Freude in ihrer Seele.
Auch dem Grafen war es sonderbar zu Muth. Mariens Schönheit, ihr offnes, unverstelltes Gemüth, von der heftigsten Leidenschaft bewegt, ihre gutmüthige, kunstlose Einfalt, alles dies hatte einen um so tiefern Eindruck auf sein Herz gemacht, je seltner er diesen liebenswürdigen Eigenschaften noch begegnet war. Er besaß ein lebhaftes Gefühl. Ein Himmel voll Fröhlichkeit stritt sich in ihm mit dem unaufhörlichen Toben unbefriedigter Wünsche, und gab seiner Bildung jenes innig zusammen geschmolzene Gemisch von Wehmuth und Freude, das schöne Menschen doppelt verschönert. Mitten in dem Glanz seiner Ansprüche, mitten in dem lauten, rauschenden Leben, in das er verflochten war, hob oft eine Sehnsucht seine Brust, die nichts zu stillen vermochte. Natur, Schönheit und Liebe war das Ideal seiner Träume, aber noch nirgends hatte er es realisirt gefunden, als jetzt durch Marien, die die Bilder seiner kühnsten Hoffnung erfüllte.
Er war aus einer großen Familie, und einst der Erbe eines unermeßlichen Vermögens. Die Erwartungen, zu denen er sich berechtigt sah, gaben ihm einen Stolz, der sich mehr auf die äußern Zufälle des Glücks, als auf innern Werth gründete. Seine Leidenschaften waren heftig und noch in ihrem ersten Brausen: um sie zu befriedigen, opferte er ihnen alles auf. Wenn sie schwiegen, war sein Herz weich und edel, und nicht selten voll Reue über vergangene Ausschweifungen. Leider wurden aber immer schnell alle seine guten Vorsätze durch neue Vergehungen vergessen, denen er sich hingab. Sein Vater, der den Glanz seines Hauses liebte, hatte ihn mit Josephinen, Gräfin von der Ecke, verlobt, welche Ansprüche auf eine solche Verbindung machen konnte. Josephine gehörte ebenfalls einem der ersten Häuser an, eine halbe Million war ihre Mitgift, und ihr Geist und ihre Schönheit hob sie über alle jungen Damen von Stande. Wodmar kannte sie nicht, aber er hing fest an dem Grundsatz, daß nur Rang und Vermögen die Ehen schließen müsse, und nicht die Liebe, die er sich unmöglich mit Fesseln denken konnte. Eine Verbindung mit Josephinen schmeichelte seinem Ehrgeiz, und schien ihm sein Verhältniß zu Marien nicht zu stören. Josephine bekam seine Hand, Marie hatte sein Herz; – Josephine führte seinen Namen, – Marien beglückte seine Liebe. Oeffentlich wollte er der Gemahl der einen, und in der Stille, gesichert durch die süßeste Verborgenheit, der Geliebte der andern seyn: – ein Plan, dem nichts im Wege stand, als Mariens Tugend.