Aufklärung und Revolutionsbegeisterung

von Dr. Jörg Schweigard

Politik im Hörsaal: Die Haltung der Professoren

Um die politische Haltung der Professoren zu verstehen, muss man in die 1780er Jahre zurückgehen.
Die Mainzer Universität galt zu dieser Zeit als eine der aufgeklärtesten katholischen Hochschulen im Reich. Kurfürst Friedrich Karl von Erthal hatte Gelehrte von Rang und Namen nach Mainz geholt. So kam etwa neben dem Naturforscher und Schriftsteller Georg Forster auch der Dichter Wilhelm Heinse, der Historiker Johannes von Müller oder der Arzt Samuel Thomas Soemmering an den Rhein.

Bereits vor 1789 war jedoch manches, was die freigeistigen Professoren lehrten oder schrieben zu gewagt für die Augen und Ohren der Orthodoxie. Das fing an bei der Anregung, die Philosophievorlesungen statt in Latein künftig in Deutsch abzuhalten und endete mit unverblümter Kritik an Kurfürst und Kirche.

Wie an anderen Orten waren dann 1789 auch die Mainzer Gelehrten fasziniert von der Französischen Revolution und den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und nicht zuletzt: des Siegs der Aufklärung. Georg Forster erkannte sofort, dass die Aufklärung diesen politischen Wandel bewirkt hatte und er wünschte sich auch in Deutschland politische Veränderungen. Hoffnungsvoll schrieb er am 30. Juli 1789 einem Freund:

»Schön ist es aber zu sehen, was die Philosophie in den Köpfen gereift und dann im Staate zustande gebracht hat. [...] Also ist es doch der sicherste Weg, die Menschen über ihre Rechte aufzuklären; dann gibt sich das übrige wie von selbst.«

Forster war sicher einer der bekanntesten aber beileibe nicht der einzige der Universitätsangehörigen, die so oder ähnlich dachten.

Die Politisierung zog sich durch nahezu alle Fakultäten. Hier, an der Hochschule, fand in erster Linie die politische Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden statt.

Der Lustspieldichter August von Kotzebue der bis zum Sommer 1791 in Mainz gelebt hatte, verfertigte 1794 ein »Mémoire« an, in dem er den Professoren vorwarf, den »Revolutionsgeist« der Studenten zu fördern. Kotzebue hatte bei der Anklage besonders die Verhältnisse im Umfeld der Universität Mainz vor Augen:

»Die deutschen Professoren legen ihre Gesinnung bei jeder Gelegenheit nur allzu deutlich an den Tag, und wenn sie in den meisten Ländern nicht geradezu die Grundsätze der Franzosen verteidigen dürften, so wissen sie doch ihre Vorlesungen der Geschichte und Philosophie mit solchen Sätzen auszuschmücken, welche eine indirekte Billigung jenes Systems enthalten. – Und auf welches Land streuen sie diesen Samen? Schon die Lebensart der Studenten macht sie geneigt zur Ungebundenheit, der sie so gern den Namen Freiheit leihen.«

Die kritischen Publikationen, der Streit um die Gedankenfreiheit, die aufgeklärten Lehrinhalte, all das beeinflusste die Studierenden. Bereits einige Beispiele zeigen, wie die Aufklärer ihr studentisches Publikum mit den neuen Gedanken vertraut machten.

Am direktesten war natürlich die Vermittlung politischer Inhalte während einer Vorlesung. Völlig unverblümt tat dies etwa der Philosophieprofessor Andreas Joseph Hofmann. Dieser verkündete zu Beginn der neunziger Jahre vom Katheder herab seinen Studenten den baldigen Sieg der Revolution. Auch seine Abneigung gegen den ersten Stand verhehlte er seinen jungen Zuhörern nicht: »Die Adligen sind der geringste Teil von einem Volk; denn sie ernähren sich von dem Schweiße der anderen.« Bald darauf prophezeit er den Untergang des Kurstaates. - Letztlich verhinderte nur die Ankunft französischer Truppen vor Mainz und die Flucht des Fürstbischofs 1792 Maßnahmen gegen den streitbaren Professor, der in der Mainzer Republik zum ersten Präsidenten eines deutschen Parlaments, des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents gewählt wurde.

Ein wesentlich schärferes Auge legte die Obrigkeit auf das Wirken der Theologen an der Hochschule, konnten diese doch neben der weltlichen auch die geistliche Herrschaft unterminieren. Insbesondere der Theologe Felix Anton Blau und sein Kollege und Freund Andreas Joseph Dorsch gerieten in Verdacht. 1789, allerdings noch vor dem 14. Juli, veröffentlichten  die beiden Theologen anonym in Frankfurt ihre »Beiträge zur Verbesserung des äußeren Gottesdienstes«“, mit dem Ziel, »mehr Ordnung und Licht« unters Volk zu bringen.

Unerschrocken veröffentlichte Blau erneut anonym 1791 ein brisanteres Buch. In seiner »Kritischen Geschichte der kirchlichen Unfehlbarkeit«“ stellte er den Privilegien der Kirche die Ziele der ersten Christen gegenüber: »Man vergleiche mit diesem einfachen, konstitutionslosen Zustande der christlichen Gesellschaften die jetzige Kirchenverfassung!« Der Unfehlbarkeitsanspruch war für Blau nichts anderes als eine Methode zur Zementierung orthodoxer Machtansprüche:»Alle diese schändlichen Eingriffe in die Rechte der Vernunft und die Vorschriften des Evangeliums hören auf einmal auf, wenn der Grundsatz der Unfehlbarkeit aufgegeben wird.« Das waren freilich starke Worte für einen Mainzer Theologieprofessor! Die Inquisition ahnte, wer der anonyme Verfasser war, und strengte eine Untersuchung gegen Blau an, vor deren Folgen ihn ebenfalls nur die politischen Ereignisse bewahrten. Auch Blau engagierte sich in der Mainzer Republik, trat dem Jakobinerklub bei. Ihm folgte eine Gruppe junger Theologen und Studenten, so genannter »Blauianer«, welche die politische Auffassung ihres Lehrers teilten.

Auch Blaus Freund und Kollege Dorsch litt unter der Zensur. Bereits 1788 sprach er sich in einer Abhandlung deutlich gegen zensorische Eingriffe der Obrigkeit aus: »Im Reich der Wahrheit und der Gedanken darf keine irdische Macht herrschen. Nichts ist der wahren Würde der Menschheit, dem recht verstandenen Interesse der Wahrheit und Tugend mehr zuwider, als Geist der Inquisition und Unduldsamkeit«. Doch seine freimütigen Gedanken bewirkten das Gegenteil. Eine Kommission befasste sich mit seinen Lehrinhalten. Die Situation wurde für Dorsch allmählich unhaltbar. Als auf Weisung der Regierung selbst seine Post auf politische Inhalte hin untersucht wurde, war für ihn die Zeit des Abschieds gekommen. Im Herbst 1791 verließ er Mainz in Richtung Straßburg, wo er sich später dem Jakobinerklub anschloss und als dessen Gesandter im November 1792 nach Mainz zurückkehrte.

Wie Hofmann, Dorsch und Blau erfreute sich auch der Medizinprofessor Georg Christian Wedekind großer Beliebtheit unter den Studenten, mit denen er zum Teil auch regen Umgang über den Hörsaal hinaus pflegte.

Wedekind integrierte in seiner Vorlesung zum Beispiel Passagen, in denen er alle freien Völker glücklich pries, womit er – ohne es direkt zu nennen – seine Sympathie mit der Französischen Revolution zu erkennen gab. Nach späteren Angaben eines Denunzianten soll Wedekind, ebenso wie seine Kollegen Blau oder Hofmann, über politische Anspielungen in den Vorlesungen Studenten für seine Ziele gewonnen haben. Nach dem Einzug der Franzosen in Mainz (21. Oktober 1792) gehörte Wedekind zu den Begründern und aktivsten Mitgliedern des Jakobinerklubs und entwickelte sich zu einem der führenden Köpfe der demokratischen Bewegung. Von ihm stammten allein 11 der 48 gedruckten Mainzer Klubreden. In den ersten Tagen hielt er im Klub fast täglich eine Rede zur politischen Belehrung der Anwesenden, wobei er medizinische Metaphern und Bilder verwendete, wenn er etwa vom Ancien régime als faulendem Körper sprach oder davon, dass allein die Revolution in Mainz zu einer »Gesundung« der politischen Verhältnisse führen könne.


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