Der Prozess gegen Marie Antoinette de Bourbon

vom 16.10.1793.

Nach dem Tode Louis XVI. schien man die königlichen Gefangenen im Temple vergessen zu haben. Der Hass, welcher das Pariser Volk gegen Louis XVI. hegte, war durchaus politisch und sich mehr gegen den König als gegen den Menschen; der Hass des Volkes gegen Marie-Antoinette war im Gegenteil zugleich politisch und persönlich. Die Königin hatte unversöhnliche Feinde nicht nur unter den Neueren, welche die Monarchie zu stürzen oder umzuändern strebten, sondern auch unter ihren eigenen Hofleuten, sogar unter den Mitgliedern ihrer Familie.

Am 01.08. erließ der Konvent ein Dekret, welches bestimmte, dass Marie-Antoinette vor den Revolutionstribunal gestellt werden sollte.

Am 02.08. um 2 Uhr morgens wurde der Königin dieses Dekret bekannt gemacht; sie hörte es ohne die geringste Erschütterung zu verraten, packte ihre Kleidungsstücke zusammen, küsste ihre Tochter (seit dem 03.07. hatte man ihr den Dauphin genommen), empfahl ihre Kinder der Madame Élisabeth und folgte mit festen Schritten den Munizipalsoldaten. Als sie unter einem Türbogen hindurchschritt, vergaß sie, sich zu bücken und stieß sich heftig den Kopf , dass das Blut aus der erhaltenen Wunde floss. Der Munizipalgardist Michonis fragte sie, ob sie sich weh gatan hätte. Sie antwortete: »Nein, mir tut jetzt nichts mehr weh.«

Die Untersuchung zog sich in die Länge. Je näher man auf die der Königin zur Last gelegten Tatsachen einging, desto weniger Beweise fand man für die Verbrechen, von denen man so fest überzeugt gewesen war. Fouquier-Tinville verlor den Schlaf darüber, und die Anklage, die er zu formulieren hatte, gestaltete sich in seinen Augen zu einem unlösbaren  Rätsel.

Inzwischen hatten einige mutige Männer den Entschluss gefasst, die Königin zu retten; unglücklicherweise mussten sie sich aus Furcht vereinzelt halten. In jeder Zeit konnte es geschehen, dass zwei gleich ergebene Männer sich kreuzten und begegneten, ohne eine gegenseitige Mitteilung zu wagen. Einer der Diener des gestürzten Königtums, der Chevalier de Rougeville, gelangte durch Michonis´ Vermittlung in Marie-Antoinettes Kerker und reichte ihr eine Nelke, welcher er in seinem Knopfloch trug. Diese Nelke enthielt einen Zettel, worin er der Königin seine Dienste anbot. Die Gefangene fürchtete, der junge Mann würde Mittel finden, sich abermals bei ihr einzuführen. Sie wollte aber keines Menschen Leben in Gefahr setzen, um ihr eigenes, auf welches sie so wenig Wert legte, zu retten und stach daher eine verneinende Antwort mit der Nadel in das Papier.  Plötzlich trat einer der Wachhabenden Gendarmen ein und bemächtigte sich des Billets.

Dieser Vorfall wurde in die Anklage mit aufgenommen, welche durch die Schriftstücke, die das Sicherheitskomitee aus den in den Tuilerien aufgefundenen Papieren entnommen, noch vervollständigt wurde.

Am 22. Vendémiaire stellte Fouquier-Tinville den gerichtlichen Antrag. Liest man dieses seltsame Schriftstück, in welchem gegen den gesunden Verstand und die Wahrscheinlichkeit im gleichem Maße wie gegen die Regeln des Stils gesündigt wurde, so kann man sich eine Vorstellung von der Verlegenheit machen, in der sich der Ankläger befand; ich will die wichtigsten Sätze desselben wiedergeben:

Ich Antoinne-Quentin Fouquier, öffentlicher Ankläger beim außerordentlichen Kriminalgericht melde folgendes:

Marie-Antoinette, Witwe Louis Capets, ist in Folge eines Konventsdekrets vom vergangenen 1. August vor das Revolutionstribunal gestellt und der Verschwörung gegen Frankreich angeklagt; ein anderes Dekret vom 3. Oktober bestimmt, das Tribunal solle sich unverzüglich und ohne Unterbrechungen mit der Untersuchung beschäftigten; der öffentliche Ankläger erhielt die Schriftstücke, welche die Witwe Capet betreffen, am 19. und 20. des ersten Monats des II. Jahres, in gewöhnlicher Sprache am 11. und 12. Oktober; ein Richter des Tribunals ist unverzüglich zum Verhör der Witwe Capet geschritten; die Untersuchung aller Schriftstücke durch den öffentlichen Ankläger hat ergeben, dass gleich den Messalinen Brunhild, Fredegunde und Medici, welche man früher Königinnen von Frankreich nannte und deren gehässige Namen niemals aus der Geschichte ausgelöscht werden können, die Witwe Louis Capets, Marie-Antoinette, während ihres Aufenthalts in Frankreich die Geißel und der Blutsauger der Franzosen gewesen ist und bis zu der glücklichen Revolution, welche dem französischen Volk seine Souveränität wiedergab, mit dem Manne, den man König von Böhmen und Ungarn tituliert, im Einverständnis gestanden hat, einem Einverständnis, welches dem Interesse Frankreichs widersprach. In Verbindung mit den Brüdern Louis Capets und den schändlichen und verabscheuungswerten Calonne, damals Finanzminister, hat sie die Finanzen Frankreichs (den Schweiß des Volkes) in abscheulicher Weise vergeudet, um ihre Ausschweifungen zu bestreiten und die Agenten ihrer verbrecherischen Ränke zu besolden. Es steht fest, dass sie zu verschiedenen Zeiten dem Kaiser Millionen zukommen ließ, um den Krieg gegen die Republik zu nähren, und dass sie durch diese außerordentlichen Verschwendungen den Nationalschatz erschöpft hat. Seit der Revolution hat die Witwe Capet nicht einen Augenblick aufgehört, Einverständnisse und verbrecherische Briefwechsel zum Nachteil Frankreichs zu unterhalten, sowohl mit den fremden Mächten als auch im Innern der Republik durch ihr ergebene Agenten, welche sie durch den ehemaligen Schatzmeister der Zivilliste besoldete. Zu verschiedenen Zeiten hat sie alle Kunstgriffe angewendet, die sie für ihre schändlichen Pläne, eine Konterrevolution ins Werk zu setzen, geeignet hielt. Unter den Vorwand einer nötigen Vereinigung der ehemaligen Garde du Corps und der Offiziere und Soldaten des Regiments von Flandern ließ sie am 1. Oktober 1789 für die beiden Korps eine Mahlzeit herrichten, welche nach ihrem Wunsch in eine wahrhafte Orgie ausartete; unmerklich wusste sie die Gäste dahin zu bringen, die weiße Kokarde aufzustecken und die Nationalkokarde mit Füßen zu treten.

Ferner hat sie im Einverständnis mit Louis Capet in dem ganzen Bereich der Republik konterrevolutionäre Werke drucken und in großer Zahl verbreiten lassen. Durch ihre Gehilfen ließ sie in den ersten Tagen des Monats Oktober 1789 in Paris und der Umgegend eine Hungersnot erzeugen, welche einen neuen Aufstand hervorrief, infolgedessen eine unzählige Menge von Bürgern und Bürgerinnen sich am 5. desselben Monats nach Versailles begab. Diese Tatsache ist unwiderlegbar bewiesen durch den Überfluss, welcher am Tage nach der Ankunft der Witwe Capet in Paris herrschte.

Die Witwe Capet hat nach ihrer Rückkehr von Varennes ihre verdächtigen Zusammenkünfte wieder aufgenommen, in denen sie selbst den Vorsitz führte. Im Einverständnis mit ihrem Günstling Lafayette wurden die Tuilerien geschlossen und die Bürger dadurch gehindert, die Höfe des ehemaligen Schlosses der Tuilerien frei zu passieren.

In denselben verdächtigen Zusammenkünften wurde das schreckliche Gemetzel beschlossen, das am 17. Juli 1791 stattfand, bei welcher Gelegenheit die eifrigsten Patrioten auf dem Marsfeld niedergemacht wurden.

Die Witwe Capet ließ nichtswürdige Minister und für die Stellen in der Armee und bei den Behörden, welche Männer ernennen, welche der ganzen Nation als Verschwörer gegen die Freiheit bekannt waren.

Im Einvernehmen mit der freiheitsmörderischen Partei, welche die gesetzgebende Versammlung und auch eine Zeit lang  den Konvent beherrschte, hat die Witwe Capet den König von Böhmen und Ungarn, ihren Bruder den Krieg erklären lassen; durch diese Kunstgriffe und schändlichen Ränke wurde der erste Rückzug der Franzosen von belgischen Gebiet veranlasst.

Mit ihren nichtswürdigen Gehilfen hat die Witwe Capet die schreckliche Verschwörung zustande gebracht, welche am 1. August ausbrach und nur durch die vereinten Anstrengungen der mutigen Patrioten vereitelt wurde.

In der Besorgnis, dass diese Verschwörung nicht den erwünschten Erfolg haben könnte, ist die Witwe Capet am 7. August gegen halb zehn Uhr abends in dem Saal erschienen, wo die ihr ergebenen Schweizer und andere Personen damit beschäftigt waren, Patronen anzufertigen; während sie die Männer zur Beschleunigung der Arbeit anfeuerte, nahm sie selber daran teil und half Kugeln gießen.

Endlich hat die über alle Begriffe entsittlichte Witwe Capet, eine neue Agrippina, welche mit allen Verbrechen vertraut ist, ihre Eigenschaft als Mutter und die Grenzen, welche die Naturgesetze vorschreiben, außer Acht gelassen und sich nicht gescheut, sich mit ihrem Sohn Louis-Charles Capet, nach dem eigenen Geständnis dieses letzteren Unsittlichkeiten hinzugeben, bei deren Namen man allein schon vor Abscheu schaudert.

Nach den vorstehenden Auseinandersetzungen erhebt der öffentliche Ankläger hiermit die Anklage gegen Marie-Antoinette, welche sich in dem Verhör "von Lothringen-Österreich" nannte, die Witwe Louis Capets, wegen folgender absichtlicher Verbrechen:

1. Im Einverständnis mit den Brüdern Louis Capets und dem nichtswürdigen Exminister Calonne in schändlichster Weise die Finanzen Frankreichs vergeudet, unzählige Summen dem Kaiser überliefert und auf diese Weise den Nationalschatz erschöpft zu haben;

2. sowohl selbst und durch ihre konterrevolutionären Gehilfen einen lebhaften Briefwechsel mit den Feinden der Republik unterhalten und dieselben Feinde mit den im Rat beschlossenen Kriegs- und Angriffsplänen bekannt gemacht zu haben;

3. durch ihre Ränke und die Kunstgriffe ihrer Agenten Verschwörungen und Komplotte gegen die innere und äußere Sicherheit Frankreichs angezettelt, zu diesem Zweck den Bürgerkrieg in verschiedenen Gegenden der Republik entzündet, die Bürger gegeneinander bewaffnet und durch dieses Mittel das Blut einer unzähligen Menge Bürger vergossen zu haben. Gegen den Artikel IV, Sektion I, Titel I des 2. Teils des Strafgesetzes und gegen Artikel XI, Sektion XI, Titel II desselben Gesetzbuches.

Infolgedessen usw.

                                                gez. Fouquier

Weiter unten unterzeichneten, auf  das gerichtliche Gesuch des öffentlichen Anklägers eingehend:

Armand-Martial-Joseph Herman, Etienne Foucault, Gabriel-Toussaint Scelier, Pierre-André Coffinhal, Gabriel Deliége, Pierre-Louis Ragmer, Antoine-Marie Maire, Francois-Joseph Demisot, Etienne Macon, Richter beim vorgenannten Tribunal.

Ein Edelmann hatte die Rettung der Königin versucht; zwei Advokaten, Chauveau-Lagarde und Tronson-Du Ccoudray, nahmen die Ehre in Anspruch, sie zu verteidigen; eine Ehre, die nicht ohne Gefahr war, ihre Namen aber für die Zukunft mit dem der Unglücklichen in Verbindung setzte.

Am 13. Oktober (22. Vendemiaire) benachrichtigte man die Königin, daß sie am folgenden Tage vor ihren Richtern erscheinen sollte.

Am folgenden Tage, um zehn Uhr, holte man sie ab. Sie schritt durch ein doppeltes Spalier von Gendarmen, welche man von der Tür ihres Gefängnisses bis zum Gerichtssaal aufgestellt hatte. In den letzten wurde sie durch einen Offizier der Gendarmerie eingeführt.

Sie ging langsamen Schrittes, mit jener majestätischen Feierlichkeit, welche sie bei Hoffesten gezeigt hatte; sie trug den Kopf hoch, ihr Antlitz zeigte eine imposante Würde; ihre Gesichtszüge bekundeten weder Verwirrung noch die Absicht ihren Richtern Trotz zu bieten; sie war kalt, ruhig und fast gleichgültig; ihr weißes Haar und die Runzeln auf der Stirn und um den Mund, der breite rötliche Rand um ihre Augen und der zuweilen ausdruckslose Blick zeugen von den ausgestandenen Seelenleiden; aber dieses unbewegliche Gesicht schien die Starrheit des Marmors angenommen zu haben, als ob die besiegte Seele sich schon dem Märtyrertum entzogen hätte.

Sie setzte sich auf einen Lehnstuhl, den Gerichtshof gegenüber; Tronson-Du Coudray und Chauveau-Lagarde nahmen an ihrer Seite Platz.

Der Gerichtshof bestand aus den Bürgern Herman, den Präsidenten, den Richtern Coffinhal, Maire, Doujé-Verteuil, dem öffentlichen Ankläger Fouquier-Tinville und dem Gerichtsschreiber Fabricius Paris.

Antonelle, Renaudi, Souberbielle, Fiévé, Besnard, Thoumin, Chrétin, Gammecy, Trinchard, Nicolas, Lumiére, Desboisseaux, Baron, Sambart und Devése waren die Geschworenen.

Herman richtete die herkömmlichen Fragen an die Angeklagte:

»Wie heißen Sie?«
»Marie-Antoinette von Lothringen-Österreich«
»Ihr Stand?«
»Die Witwe Louis Capets, des ehemaligen Königs der Franzosen.«
»Ihr Alter?«
»37 Jahre.«

Nachdem die Anklage verlesen war, schritt man zum Zeugenverhör. Nach jeder Aussage richtete der Präsident eine Reihe von Fragen an die Königin, welche dieselben mit großer Festigkeit und Geistesgegenwart beantwortete.

Hébert war der dritte aufgerufene Zeuge; seine Aussage bleibt ein Denkmal scheußlicher Abgeschmacktheit und gemeiner Unverschämtheit.

Folgendes ist die Aussage, wie sie der »Monieur« mitteilte:

Jacques-René Hébert, Substitut des Gemeindeanwalts, sagt aus, dass er in seiner Eigenschaft als Gemeindemitglied vom 10. August mit wichtigen Geschäften beauftragt worden war, welche ihn von der Verschwörung Marie-Antoinettes überzeugt hätten; namentlich fand er eines Tages im Temple ein Gebetbuch, welches ihr gehörte, und in demselben eines jener konterrevolutionären Zeichen, bestehend in einem von einem Pfeil durchbohrten brennenden Herzen, mit der Inschrift: »Jesu, miserere nobis.«

Ein anderes Mal fand er in Élisabeths Zimmer einen Hut, den er als den Louis Capet zugehörigen erkannte; diese Entdeckung ließ ihn nicht zweifeln, dass einiger seiner Kollegen sich zum Dienst der Tyrannei herabließen. Er erinnerte sich, dass Toulan eines Tages mit seinem Hut in den Turm gegangen und barhaupt mit den Worten, er hätte seine Kopfbedeckung verloren, herausgekommen sei.

Er fügt hinzu, dass Simon ihn eines Tages wissen ließ, dass er ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe; er begab sich in Begleitung des Bürgermeisters und des Gemeindeanwalts in den Temple. Hier erhielte sie vom Sohn Louis Capets eine Erklärung, woraus hervorgeht, dass zur Zeit der Flucht Louis Capets nach Varennes Lafayette und Bailly zur Erleichterung jener Flucht beigetragen haben; dass sie zu diesem Behufe die Nacht im Schloss zugebracht; dass während ihres Aufenthalts im Temple die Gefangenen beständig von den Vorfällen draußen unterrichtet wurden und dass man ihnen Briefe in die Kleider und Schuhe gesteckt habe.

Der junge Capet nannte dreizehn Personen, welche zum Teil zur Unterhaltung dieses Einverständnisses mitgewirkt hätten; einer derselben habe ihn mit seiner Schwester in einen kleinen Turm geschlossen und, wie er gehört, zu seiner Mutter gesagt: »Ich werde Ihnen Mittel verschaffen, alle Nachrichten zu erfahren, indem ich Ihnen täglich einen Kolporteur schicke, der in der Nähe des Turms die Abendzeitung ausruft.«

Endlich ertappt Simon den jungen Capet, dessen körperlicher Gesundheitszustand sich mit jedem Tage verschlechterte, bei geheimen, der Gesundheit nachteiligen Sünden, als er ihm fragte, wer ihm dieses schändliche Laster gelehrt habe, antwortete er,  dass er es der Unterweisung seiner Tante verdanke.

Aus der Erklärung, welche der junge Capet in Gegenwart des Bürgermeisters von Paris und des Gemeindeprokurators ablegte, bemerkt der Zeuge, geht hervor, dass jene beiden Frauen mit dem Sohn Capets die zügellosesten Ausschweifungen trieben. Es ist wohl Grund zu der Vermutung, dass dabei die politische Absicht vorlag, die Gesundheit dieses Kindes zu untergraben, welches man noch für einen Thron bestimmt hielt und auf das man sich durch dieses Verfahren einen moralischen Einfluss sichern wollte. Seitdem der junge Capet nicht mehr bei seiner Mutter ist, kräftigt sich auch seine Gesundheit wieder.

Diese schändlichen Aussagen wurden unter tiefen Stillschweigen ausgesprochen. Als Hébert geendigt hatte, lief ein Schauer des Schreckens durch die Zuhörer. So unerbitterlich auch der Hass der Anwesenden war, so schwand derselbe doch jetzt; aller Herzen empfanden Mitleid und empörten sich im Gegenteil gegen den Elenden, der diese nichtswürdige Aussage gemacht hatte. Marie-Antoinette schien unempfindlich gegen diesen Schimpf; sie hörte ihn, ohne den Urheber dieser Abscheulichkeit auch nur eines Blickes zu würdigen.

Der Präsident nahm jetzt das Verhör wieder auf.

Präsident (zur Angeklagten): »Was haben Sie auf die Aussagen des Zeugen zu antworten?«

Angeklagte: »Ich habe keine Kenntnis von den Tatsachen, von denen Hébert spricht; ich weiß nur, dass mein Sohn das erwähnte Herz von seiner Schwester erhielt; der Hut, von welchem er gleichfalls spricht, ist ein Geschenk, welches meiner Schwester bei Lebzeiten des Bruders gemacht wurde.«

Präsident: »Brachten die Administratoren Michonis, Jobert, Marino und Michel nicht andere Personen mit sich, als sie zu Ihnen kamen?«
Angeklagte: »Ja sie kamen niemals allein.«
Präsident: »Wie viele Personen hatten sie jedesmal bei sich?«
Angeklagte: »Oft drei oder vier.«
Präsident: »Waren diese Personen ebenfalls Administratoren?«
Angeklagte: »Ich weiß es nicht.«
Präsident: »Waren Michonis und die anderen Administratoren mit ihren Schärpen bekleidet, als sie sich zu Ihnen begaben?«
Angeklagte: »Ich erinnere mich dessen nicht.«

Der Bürger Hébert bemerkte, dass seinem Gedächtnis ein wichtiger Umstand entfallen sei, der jedenfalls den Bürgern Geschworenen unterbreitet werden müsse; derselbe würde von der politischen Gesinnung der Angeklagten und ihrer Schwägerin Zeugnis ablegen. Diese beiden Frauen behandelten den kleinen Capet mit derselben Unterwürfigkeit, als ob er König gewesen wäre; bei Tisch hatte er den Vorsitz über seine Mutter und seine Tante; er saß am obersten Ende und wurde immer zuerst bedient.

Präsident (zur Angeklagten): »Fühlen Sie nicht eine freudige Erregung, als sie sahen, dass Michonis eine Privatperson, welche eine Nelke trug, in Ihr Zimmer in der Conciergerie führte?«
Angeklagte: »Da ich seit 13 Monaten eingesperrt war, ohne eine bekannte Person zu sehen, so zitterte ich vor Besorgnis, dass jener Herr meinetwegen in Ungelegenheiten kommen könnte.«
Präsident: »War diese Privatperson einer von Ihren Agenten?«
Angeklagte: »Nein.«
Präsident: »War er nicht am 20. Juni in dem ehemaligen Schloss der Tuilerien?«
Angeklagte: »Ja.«
Präsident: »Und auch wahrscheinlich auch in der Nacht vom 9. zum 10. August?«
Angeklagte: »Ich erinnere mich nicht, ihn dort gesehen zu haben.«
Präsident: »Hatten Sie nicht eine Unterredung mit Michonis? Haben Sie ihm nicht gesagt, Sie fürchteten, dass er nicht in den neuen Magistrat gewählt würde?«
Angeklagte: »Ja.«
Präsident: »Welches war Ihrerseits der Grund zu einer solchen Befürchtung?«
Angeklagte: »Weil er sanft und menschlich gegen die Gefangenen war.«
Präsident: »Sagten Sie nicht an demselben Tag zu ihm: 'Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich sie sehe?«
Angeklagte: »Ja.«
Präsident: »Weshalb sagten Sie das?«
Angeklagte: »Weil er den Gefangenen große Teilnahme schenkte.«

Ein Geschworener: »Bürger Präsident, ich ersuche Sie der Angeklagten bemerkbar zu machen, dass sie noch nicht auf die vom Bürger Hébert erwähnte Tatsachen in Bezug auf die Vorfälle zwischen ihr und ihren Sohn geantwortet hat.«

Der Präsident stellte diesbezügliche Fragen.

Angeklagte: »Wenn ich nicht geantwortet habe, so geschah es, weil sich die Natur gegen eine solche Beschuldigung, wenn man sie einer Mutter macht, sträubt.«  Hier schien die Angeklagte im höchsten Grade aufgeregt. »Ich berufe mich auf alle Mütter, die anwesend sind.«

Der »Moniteur« und die Tageszeitungen berichteten von der Aufregung der Königin, hüteten sich aber wohl, hinzuzufügen, dass dieselbe vom Publikum geteilt wurde.

Als sie gezwungen wurde, auf eine Beschuldigung zu antworten, welche sie durch ihre Verachtung zurückzuweisen gehofft hatte, war das starre Gesicht der Königin plötzlich belebt geworden; ihre ausgetrockneten Augen, diese Augen welche keine Tränen mehr hatten, schleuderten Blitze, und von ihren zitternden Lippen erscholl die einzige aber rührende Berufung, welche in aller Herzen nachhallte, so dass die Frauen selbst, die nur gekommen waren, um sich an der Erniedrigung ihrer ehemaligen Herrscherin zu weiden, in ihren Muttergefühl verletzt, dem einzigen Gefühl, welches ihre Verworfenheit überlebt hatte, plötzlich in lautes Schluchzen ausbrachen.

Der Präsident Herman beeilte sich, einen anderen Zeugen aufzurufen.

Der Gerichtshof vernahm daraufhin mehrere Zeugen, die über den Vorfall mit der Nelke, welche der Königin in der Conciergerie zugestellt wur4de, aussagten.

Der Comte d'Estaing, Vizeadmiral, sagte, er habe die Angeklagte, solange sie in Frankreich sei, gekannt und sich selber über sie zu beklagen, er erklärte aber dennoch, dass er nichts wüsste, was eine Anklage gegen sie rechtfertigte. Über die Vorfälle vom 5. und 6. Oktober befragt, antwortete er: "Ich hörte die Räte des Hofes zu der Angeklagten sagen, dass das Volk von Paris heranzöge, um sie zu massakrieren, und sie antwortete ihnen in erhabener Gesinnung: »Wenn die Pariser herkommen, um mich niederzumachen, so werde ich zu Füßen meines Gemahls sterben, aber nicht fliehen.«

Antoine Simon, früher Schuhmacher, gegenwärtig als Erzieher von Louis-Charles Capet, dem Sohn der Angeklagten, angestellt, legte nur eine geringfügige Aussage ab. Der Präsident hütete sich wohl, ihn über die Tatsachen zu befragen, von denen er nach Hébert Erklärung, der Hauptzeuge sein sollte. Marie-Antoinette hatte wenigstens den Trost, zu sehen das ihre Richter selber die Schändlichkeit der Anklage, welcher der »Pere Duchesne« verbreitet hatte, einsahen.

Ein gewisser Jean-Baptiste Labenette behauptete, die Angeklagte hätte drei Personen bestochen, ihn zu ermorden; aber trotz der ernsten Verhandlung erregte diese Behauptung Lächeln unter den Zuhörern.

Beim Beginn der Sitzung vom 23. stellte Fouquier-Tinville seine Anklage. Chauveau-Lagarde und Tronson-Du Ccoudray hatten die Verteidigung der Königin übernommen; der erste hielt eine sehr glänzende Rede, worin er wirksame Beredsamkeit an den Tag legte; der zweite widerlegte in seiner Verteidigungsrede alle Anklagepunkte nacheinander. Beiden hörte man mit ehrerbietigen Stillschweigen zu.

Als Tronson-Du Ccoudray seine Rede beendet hatte, führten die Gendarmen Marie-Antoinette ein, und Herman begann einen summarischen Bericht über die Verhandlungen vorzutragen, gab aber nur eine Umschreibung von Fouquier-Tinville Antrag.

Den Geschworenen wurden vier Fragen vorgelegt:

  1. Ist es erwiesen, dass Handlungen und Unterhandlungen mit den fremden Mächten stattgefunden und dass diese Unterhandlungen zum Zweck gehabt, jenen Geldunterstützungen zu liefern, ihnen Zutritt auf das französische Gebiet zu verschaffen und die Erfolge ihrer Waffen zu erleichtern?

  2. Ist Marie-Antoinette von Österreich, die Witwe Louis Capets, überführt, bei diesen Handlungen mitgewirkt und jene Einverständnisse unterhalten zu haben?

  3. Ist es erwiesen, dass ein Komplott und eine Verschwörung bestanden, welche zum Zweck gehabt, den Bürgerkrieg im Innern der Republik zu entzünden?

  4. Ist Marie-Antoinette von Österreich, die Witwe Louis Capets, überführt, an disen Komplott und dieser Verschwörung teilgenommen zu haben?

Nach einstündiger Beratung kehrten die Geschworenen zurück und bejahten alle ihnen vorgelegten Fragen.

Die Angeklagte wird wieder in den Verhörsaal geführt. Herman liest ihr die Erklärung der Jury vor; Fouquier stellt den Antrag, die Angeklagte zum Tode zu verurteilen und nachdem der Präsident die Stimmen seiner Kollegen gesammelt hat, spricht er folgendes Urteil:

Indem der Gerichtshof nach einstimmiger Erklärung der Geschworenen den Strafantrag des öffentlichen Anklägers zustimmt, verurteilt derselbe, den bereits angeführten Gesetzen gemäß, die besagte Marie-Antoinette, genannt von Lothringen-Österreich, Witwe des Louis Capet, zur Todesstrafe und erklärt, laut dem Gesetz vom 19. März vorigen Jahres, ihre Güter, wenn sie solche auf französischen Boden besitzt, für gerichtlich eingezogen.

In ihr Gefängnis zurückgeführt, hüllte sie ihre Füße in eine Decke, warf sich angekleidet auf ihr Bett und schlief ein. Die lange Dauer der Verhandlung hatte ihre Kräfte erschöpft. Die Sitzung hatte um neun Uhr morgens begonnen und endigte erst spätabends, so dass die Leidende aufs höchste gefoltert worden war. Sie hatte Hunger und Durst ausgestanden, und so seltsam waren die Leidenschaften jener Zeit, dass ein Gendarmerieoffizier namens Busne sich rechtfertigen musste, weil er ihr ein Glas Wasser gereicht hatte.

Als die beiden wachhabenden Gendarmen sie nicht hörten, wurden sie besorgt; einer von ihnen trat in das Zimmer und sah sie ruhig und friedlich schlummern.

Dieser Schlummer dauerte kaum drei viertel Stunden. Dann erwachte sie und bat einen ihrer Wärter, den Schließer Bault zu rufen. Als dieser kam, fragte sie, ob sie Schreibmaterialien bekommen könnte. Bault antwortete, das Fouquier diesem Wunsche zuvorgekommen sei und befohlen habe, Papier und Tinte zu ihrer Verfügung zu stellen; er schickte auch sofort einen Gendarmen hoch.

Am 22. Februar 1816 wurde dieser Brief der Königin von Monsieuer de Richelieu den beiden Kammern vorgelesen. Er war für Madame Élisabeth bestimmt, gelangte aber nicht in die Hände dieser Prinzessin, sondern wurde viele Jahre später aufgefunden.

Folgendes ist der Inhalt dieses bewundernswerten Testaments, welches in jeder Beziehung dem Louis XVI. würdig zur Seite steht:

An Dich, meine Schwester, schreibe ich zum letzten Mal. Ich bin nicht verurteilt worden, eines schmachvollen Todes zu sterben - denn der gebührt nur den Verbrechern - sondern Deinen Bruder wieder zu sehen.

Ich hoffe, dieselbe Festigkeit wie er zu zeigen.

Es tut mir schmerzlich leid, meine armen Kinder verlassen zu müssen; Du weißt, das ich nur für sie und für Dich lebte.

Du hast in Deiner Freundschaft alles geopfert, um bei uns zu leben; in welcher Lage lasse ich Dich! Aus der Verteidigungsrede beim Prozess habe ich erst erfahren, dass meine Tochter von Dir getrennt ist.

Ach, das arme Kind! Ich wage nicht, ihm zu schreiben, denn es würde meinen Brief nicht erhalten; ich weiß nicht einmal, ob derselbe Dir zugehen wird.

Nimm meinen Segen für sie!

Ich hoffe, dass sie sich eines Tages, wenn sie erwachsen sein werden, wieder mit Dir vereinigen und Deine zärtliche Sorgfalt in Frieden genießen können; mögen sie stets der Lehre gedenken, die ich ihnen immer einzuflössen suchte, dass ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen ihr einziges Glück ausmachen; möge meine Tochter eingedenk sein, dass sie, durch ihr reiferes Alter befähigt, ihren Bruder mit allen Ratschlägen beistehen soll, welche ihre Erfahrung und ihre Freundschaft ihr einflössen; mögen beide bedenken, in welche Lage sie auch kommen, dass sie nur durch Eintracht wahrhaft glücklich sein können. Möchten sie sich doch an uns ein Beispiel nehmen!

Wie viel Trost hat uns wahre Freundschaft im Unglück gewährt; und des Glücks genießt man doppelt, wenn man es mit einem Freund teilen kann; wo kann man zärtlichere und treuere Freunde finden als im Schoß der eigenen Familie? Mein Sohn soll niemals die letzten Worte seines unglücklichen Vaters, die ich ihm ausdrücklich wiederhole, vergessen: Er trachte niemals danach, unseren Tod zu rächen.

Ich habe nun noch von einer Sache zu sprechen, die meinem Herzen peinlich ist; ich weiß wie viel Mühe Dir dieses Kind machen muss! Verzeihe ihm teure Schwester, bedenke sein zartes Alter. Wie leicht ist es einem Kind einzureden, was man will und was es selber nicht versteht! Hoffentlich wird dereinst ein Tag kommen, wo er Deine Güte und Zärtlichkeit für ihn und seine Schwester besser zu würdigen wissen wird.

Es bleibt mir noch übrig, Dir meine letzten Gedanken anzuvertrauen.

Ich wollte Dir beim Beginn des Prozesses schreiben; aber abgesehen davon, dass man mich nicht schreiben ließ, war der Verlauf so schnell, dass ich auch keine Zeit dazu gehabt hätte.

Ich sterbe in der römisch-katholischen apostolischen Religion, in welcher ich mit meinen Brüdern erzogen wurde und zu welcher ich mich stets bekannte; ich habe keinen anderen geistlichen Trost zu erwarten, denn ich weiß nicht, ob überhaupt noch Priester dieser Religion vorhanden sind und ob sie sich nicht großem Gefahren aussetzen würden, wenn sie den Ort, wo ich mich befinde, zu betreten wagten; ich bitte aufrichtig Gott um Verzeihung für alle Fehler, die ich bei meinen Lebzeiten begangen habe.

Ich hoffe, dass er in seiner Güte meine Seele in seinen barmherzigen Schutz aufnehmen wird; ich verzeihe allen meinen Feinden das Übel, das sie mir zugefügt haben. Ich bitte alle diejenigen, die ich kenne, und Dich, meine Schwester, im besonderen um Verzeihung für alle Mühe, die ich Euch ohne meinen Willen verursacht habe. Ich sage meinen Tanten und allen meinen Geschwistern Lebewohl.

Ich hatte Freunde, und der Gedanke von ihnen und ihrer Liebe für immer getrennt zu werden, verursacht mir großes Leid in meinem Tod; mögen sie hierdurch wenigstens erfahren, dass ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie dachte!

Lebe wohl, meine gute und zärtliche Schwester; o möchte dieser Brief zu Dir gelangen! Denke immer an mich! Ich umarme Dich von ganzen Herzen ebenso wie jene armen geliebten Kinder.

Mein Gott, wie herzzerreissend ist es, sie auf immer verlassen zu müssen! Lebe wohl! Lebe wohl!

Ich darf mich jetzt nur mit meinen geistlichen Pflichten beschäftigen; da ich nicht  über meine Handlungen frei verfügen kann, so wird man mir vielleicht einen Priester zuführen; aber ich erkläre hiermit, dass ich demselben nicht ein Wort sagen und ihn wie ein durchaus fremdes Wesen behandeln werde.

Als der Brief beendet war, küsste die Königin alle Seiten desselben, faltete ihn zusammen und gab ihn an Bault, mit der Bitte, ihn Madame Élisabeth zuzustellen.

Der Gefängniswärter antwortete ihr, dass die Erfüllung ihrer Bitte nicht von ihm abhinge und er genötigt sei, das Schreiben Fouquier-Tinville zu übergeben, der dasselbe an seine Bestimmung gelangen lassen würde.

Die Königin blieb stumm; sie stürzte ihr Gesicht in ihre Hände und verharrte einige Zeit in dieser Stellung.

So saß sie auch noch, als Bault ihr meldete, das jemand mit ihr zu sprechen wünschte; sie erhob langsam das Haupt, und als sie einen schwarz gekleideten Mann erblickte, stand sie vom Bett auf.

Bault erriet, dass der Königin vermutete, der Besucher melde ihr den nahen Tod, und beeilte sich, daher, sie aus diesem Irrtum zu reißen. »Es ist der Bürger Girard, Pfarrer von Saint-Landrey«, sagte er.

Marie-Antoinette schüttelte den Kopf und murmelte: »Ein Pfarrer! Es gibt kaum noch einen solchen.«

Der Schließer wollte sich entfernen, um sie mit dem Abbé Girrad allein zu lassen; aber die Königin befahl ihm, noch zu bleiben.

Gleich darauf beklagte sie sich über Kälte in den Füßen. Der Abbé Girrad riet ihr, dieselben in ihr Kopfkissen zu wickeln; sie tat es und dankte ihm für seinen Rat.

Durch die wohlwollende Miene Marie-Antoinettes ermutigt, bat der Abbé Girrad sie, den geistlichen Trost, den er ihr bringe, nicht zurückzuweisen, und fügte hinzu, dass, wenn sie irgendeinen Widerwillen gegen seine Person hegte, ein anderer Priester, der Abbé Lambert, Generalvikar des Bischofs Gobel, auf dem Flur zu ihrer Verfügung stehe.

Einige Minuten lang betrachtete sie den Abbé Girrad, der ein Greis von würdigeren Aussehen war; dann dankte sie ihm für seinen Eifer, erklärte aber, das ihre Grundsätze es ihr nicht gestatten, die Gnade des Herrn durch eine andere Vermittlung als einen Priester ihrer eigenen Religion zu empfangen. Als der Priester noch auf seiner Bitte dringend bestand und sehr gerührt schien, ersuchte sie ihn mit großer Sanftmut, nicht weiter in sie zu dringen, denn ihr Entschluss sei ebenso unerschütterlich wie ihr Glaube.

Der Abbé Girradt zog sich in Begleitung des Abbé Lambert, der kein Wort an die Königin gerichtet hatte, mit Tränen in den Augen zurück.

Quelle:
Sanson, Charles Henri: Tagebuch der Henker von Paris 1685-1847


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