Der jammervolle Aufruhr in Straßburg
vom 30.07.1789
Wer weiß nicht, wie groß Ludwig der Sechzehnde denkt? Wem sind seine erhabenden Gesinnungen für das Wohl seiner Unterthanen nicht bekannt? Das große Werk, dem gemeinen Manne Lasten abzunehmen, die ihm bey all seiner unglaublichen Geduld --- bey all seiner rastlosen Arbeit um Brod für sein Weib und Kind immer tiefer ins Elend drückten; das große Werk, den aufgeblasenen Stolz mit dem Kerker der Freiheit zu stürzen, den immer weiter um sich greifenden Wucher zu setzen, und die stinkenden Pfützen der Trägheit und des Müßiggangs in fruchtbare Acker umzuschaffen; das große Werk, sag´ ich, weitschichtige und schon halb gesunkene Länder wieder zu erheben --- wieder blühend zu machen, und unter Millionen Menschen, denen bisher das Leben eine Bürde war, ein allgemeines Frolocken zu erwecken; dies große, Gott ähnliche Werk hat Ludwig der Sechzehntde zur Bewunderung aller gekrönten Häupter in Europa, und zum Erstaunen ihrer Völker seit einigen Monden angefangen, bis heute fortgeführt, und noch ehe der traurige Wiederhall des Jammers benachbarter Nationen, unter denen indessen das Mordgetümmel herrschte, aufhören wird; die friedlichen Luftkreise zu erschüttern, wird es heißen: es ist vollbracht das Werk, das die Kräften und den Muth manches Riesen erschöpfte, und dessen weiten Umfang manch großer Geist nicht umfassen konnte; es ist vollbracht, zum immerwährenden Glück der bisher unterjochten Gallier, und zum unsterblichen Ruhm ihres erhabenen Königs!
Allein, eine solch große Unternehmung, deren Ziel hauptsächlich ist: das Staatssystem eines ganzen Königreichs zum Besten der Bürger umzuändern, kann nicht ausgeführt werden, ohne daß hie und da Gährungen und Aufrühre entstehen. --- Der gemeine Mann, ungeduldig auf den Zeitpunkt, der ihn Freiheit und Glück in vollen Maaße bringen wird, will aus eigener Gewalt sein Joch gleich von sich werfen, gleich seinen Vorgesetzten Hohn lachen, der doch sein Ansehen behaupten will, bis der rechte Zeitpunkt ihm abzutreten winkt; inzwischen versammelt sich das Lupnengesindel, und Rotten verworfener Taugenichts, Schwindelköpfe und widerspenstiger Bettler, die es allemal nach einer Zeit der Verwirrung und Zerrüttung hungert, häufen sich zusammen, und würdig und unaufhaltsam ist alsdann der verderbliche Aufruhr.
Da das Gerücht von dem Aufruhr in Straßburg tausendfältig und meistens ganz falsch ist, und da es sowohl dem Bürger dieser Stadt als dem Fremden aus verschiednen Ursachen angenehm seyn muß, daß alles, wenigstens das Wichtigste das sich bey diesem höchst betrübten Aufruhr zutrug, der Wahrheit gemäß öffentlich bekannt gemacht werde; so liefere ich hiermit eine ausführliche Beschreibung davon; der man um desto mehr Glauben beymessen kann, da ich ein Augenzeuge war und sichere Berichte eingesammelt habe.
Sonntag, den 18ten Juli gegen 9 Uhr Abends ward das rothe Haus, ein neuerrichtetes Gasthaus, auf dem Paradeplatze, sehr schön beleuchtet. Dies geschah eigentlihc in der Absicht, die Freude dadurch öffentlich zu bezeugen, die eine sehr willkommene Botschaft von Versailles den nemlichen Tag verursacht hatte; allein es gab auch Anlaß zu einem Zusammenlauf vieler Leute von jeder Art. Knaben von 8 bis 16 Jahren versammelten sich haufenweise, taumelten in der wildesten Ausgelassenheit auf dem Platze herum, schrien aus vollem Halse: „Vive le Roi! – einige von ihnen brachten indessen Stroh und Holz herbey und machten ein kleines Freudenfeuer; andere liefen von einem Hause zum andern, pochten wüthend an Thüre und Läden, und ihr Geschrey: eine Laterne heraus, oder wir werfen die Fenster ein““ versetzte jedermann in Furcht und Schrecken, und in kurzer Zeit waren die meisten Häuser der Stadt beleuchtet, und in wenigen die Fenster eingeworfen.
Sonntag, den 19ten gegen 9 Uhr Abends rotteten sich die Knaben wieder auf dem Paradeplatze zusammen, machten noch einen gräßern Lermen als den vorigen Tag; ihr Freudenfeuer ward diesmal auch größer, und das Spiel, das sie auf verschiedene Art mit Pulver und Racketen trieben, zog eine Menge Menschen dazu, worunnter dem größten Theile diese Ausgelassenheit gefiel; und eben dadurch stimmte sich ein Haufen Missvergnügter zusammen, die um Mitternacht das Haus de Herrn Ammeisters Lemp umringten, die Thür einschlugen, und den gnädigen Herrn mit den besten Vorsatz aufsuchten, um ihn ohne Gnad und Barmherzigkeit auf der Stelle umuzbringen. Vermuthlich wäre dies auch geschehen, wenn nicht der Herr Kommandant, Baron von Klingkling, ein Beyspiel seines großen Herzens, seiner klugen Vorsicht und seiner beständigen Wachbarkeit gegeben hätte; denn kaum war dies Haus bestürmt, so stund er schon an der Spitze der Reuterey vor demselben, und rettete das Leben des Herrn Ammeisters.
Montag den 20ten gegen 2 Uhr Nachmittags, ritt dieser edle Kommandant selbst in der Stadt herum, und kündigte an: das Brod und Fleisch wohlfeiler werden, und daß alles zum Besten der Bürger ausfallen wird. Er ermahnte zugleich den großen Haufen von Knaben, der ihn begleiteten und umringten, sich zufrieden zu stellen; und seine gelinde Herablassung und seine wohlmeinende Fürsorge gewann ihre Herzen und jene ihrer Väter. Gegen 4 Uhr versammelte sich der Magistrat auf der Platz (Rathahus) um sich über einige Anforderungen der Herrn Representanten der Bürgerschaft zu berathschlagen. Während der Berahtschlagung häufte sich eine Menge Volks ium die Pfalz herum; muthwiillige Buben warfen Steine in die Fenster derselben, und das Gemurmel vieler Missvergnügten kündigte einen nahen schrecklichen Aufruhr an. Sogleich kam das Militär bewaffnet, umringte die Pfalz, konnte aber das unaufhörliche Werfen in die Fenster derselben nicht verhindern, und dadurch sahen sie die Herrn genöthigt, die Pfalz zu verlassen und unter der Begleitung der Reuterrey, sich auf die ganz nahe dabey gelegene Zunft der Kaufleute zu begeben. Ungefehr um 6 Uhr unterschrieben die Herrn von der Pfalz die Anforderungen der Herrn Representanten, und Ruhe und Zufriedenheit herrschten wieder in der ganzen Stadt. Ihre schöne und ungezwungene Beleiuchtung verrieht, eine allgemeine Besänftigung, und das vortreffliche Gemälde, das mit der Aufschrift: Parem re dicumt cives, dicentque nepores; auf Deutsch: Die Bürger nenen dich ihren Vater, und ihre Enkel werden dich auch so nennne; über das Thor des Hotels des Herrn Baron von Klingkling aufgestellt wurde, bewieß eine allgemeine Dankbarkeit gegen diesen für das Wohl der Bürger wachbaren und edeldenkenden Mann.
Dienstag den 21ten Vormittags gieng das Gerücht in der Stadt herum: der Magistrat wolle seine gestrige Bewilligung widerrufen, und seine Unterzeichnung für ungültig erklären, weil sie erzwungen ward. Dies war genug, um den noch glimmenden Aufruhr der Missvergnügten in Flammen aufzulodern. Das Volk lief zusammen, schadenfrohe Pursche gesellten sich Rottenweise, Männer und Weiber, elende und verworfene Geschöpfe, deren wilder Ansehen Zerstörung drohte, befeuerten einander ihre Wuth und schon vor 3 Uhr Nachmittags sah die Pfalz ihrer augenblicklichen Zerrüttung entgegen. Das Militär stellte sich gewaffnet um die pfalz herum; allein, Trotz aller klugen Anstalten und Vorsicht des Herren Grafen von Rochambeau und des Herrn Barons von Klinkling wurde zuerst die Pfalz mit Steinen bestürmt, dann mit Leitern erstiegen, und alle Mobilien, die darinnen waren, alle Bücher und Schriften wurden zerstückt, zerrissen und zu dem Fenstern hinausgeworfen. Diese sömmtlche Arbeit dauerte von 4 bis gegen 8 Uhr. Indessen fiel man auch über die Ohmgeld- und Almosenstube, zerstückte ebenfalls alle Mobilien und Schriften, zerschlug die Kästen und raubte das Geld. Der Stadthauskeller wurde erbrochen, die Fässer darinnen eröffnet, und gegen tausend Ohmen Wein gieng zu Grund. Hierauf zog man zwey Stadtkutschen auf den Paradeplatz, zerschlug und verbrannte sie. Dann bestimmte man das Haus des Herrn Fünfzehner Moog, der die Flucht über das Dach nahm und sich rettete. Der Garten des Herrn Fünfzehner Flach vor dem Metzgerthor wurde gänzlich zerstört und noch verschiedene andere Häuser wurden überfalen, die aber das Militär von ihrer Zerstörung befreyete. Beede Durchlauchten Prinz Maimilian von Zweybrücken und Prinz von Darmstadt an der Spitze ihrer Regimenter thaten der Wuth großen Einhalt durch ihre vortrefflichen Anstalten und Wachbarkeit während der ganzen Nacht.
Mittwoch den 22ten versammelte sich die Bürgerschaft; und die Gefahr, die ihnen das Gemurmel vom Häuserniederreisen und von Mordbrennen drohete, brachte sie zum Entschlusse, sich zu bewaffnen, Tag und Nacht einstimmig mit dem Militär in der Stadt herum zu patrouilliren, das Gesindel aufzusuchen und Sicherheit und Ruhe der Stadt zu verschaffen. Das Zeichen der bürgerlich Gesinnten ward eine weise Binde um den linken Arm.
Donnerstag den 23tehn waren schon über 300 verdächtige Menschen eingekerkert. Bey einigen von Ihnen fand man gestohlene Effecten und Geld. Mittags wurde ein Zimmergesell von 19 Jahren, gebürtig von Mainz, auf den Paradeplatze aufgehängt.
Freitags den 24ten gieng nichts besonders vor. Das auswärtige Gerücht, daß einige sind aufgehängt worden, ist gänzlich falsch.
Samstag den 25ten wollte man das Holzmagazin in Brand stecken, allein die Böswichte wurden vertrieben, von denen einige sich unter das nahe dabey stehende Wasser liefen, und sich, ungeachtet man auf sie feuerte, retteten.
Sonntag den 26ten ward alles still und ruhig.
Montag den 27ten sollte ein Kieser aufgehängt werden, und ein biersieder, der zum nemlichen loos verurtheilt wurde, aber Gnade erhielt, sollte diese traurige Hinrichtung mit ansehen; allein die Bürgerschaft begehrte Aufschub der Vollziehung, welche sie auch erhielt. Der Galgen wurde abens weggethan und nun ist wieder alles ruhig und still. Die Bürger tragen nun weiße Korkaden auf dem Hute, und man weiß nicht, wie lange sie noch unterm Gewehr die Stadt bewachen werden.
Straßburg, den 30. Juli 1789.
Quelle:
Universitätsbibliothek Tübingen, Bestand FO III 525