Das »politische« Glaubensbekenntnis der Königin Luise

Im April des Jahres 1808 schrieb die preußische Königin  Luise an ihren Vater, den Herzog Karl II. Ludwig von Mecklenburg-Strelitz. Dieser Brief gilt als ihr politisches Glaubensbekenntnis:

Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrich des Großen.

Diese Zeilen schrieb die preußische Monarchin vermeintlich wenige Monate nach den Friedensschluss von Tilsit im Juli 1807. _Hier war der preußische Staat, der im vorangegangenen Feldzug vernichtend geschlagen wurde, gerade seiner kompletten Vernichtung entgangen. In Preußen war die Reformpolitik, die Staat, Gesellschaft und auch Militär verändern sollte, gerade am Anfang.

Doch an der Echtheit dieses Schriftstückes darf heute mit großer Wahrscheinlichkeit gezweifelt werden. Bei der Zusammenstellung seiner Briefsammlung der preußischen Königin Luise von Preußen konnte der Historiker und anerkannte Forscher der preußischen Reformzeit Karl von Griewank (1900-1953) diesen Brief nicht auffinden. Aus diesem Grunde kommentierte er dieses Schriftstück mit folgenden Hinweis in der Sammlung:

Erster Druck Eylert, Bd. 2 Abt. 2 S. 23; hiernach Berg, KL 2. Aufl. S. 186, Adami 1. Aufl. S. 186 und zahlreiche Nachdrucke, auch Gr. KL 161, Bei Horn und späteren Aufl. von Adami offenbar irrige Datierung auf 1809. Die Vorlage in den Archiven leider nicht vorhanden; mit Überarbeitung und Interpolationen des Textes muss gerechnet werden..

Im Jahre 1814 veröffentlichte  dieses vermeintliche Schreiben erstmals in . Doch hatte die Autorin das Originaldokument nicht zur Verfügung und lieferte wohl eine begeisterte Gedächnismitschrift, das im Rahmen des Buches sehr frei ergänzt oder teilweise auch mit erfundenen Sätzen ausgeschmückt wurde. Auch Eylert

Im Jahre 1814 veröffentlichte Karoline von Berg (1760-1826), die Hofdame Königin Luises, unter dem Titel »Königin Luise« die erste Biographie der preußischen Königin. In diesem Werk veröffentlichte sie erstmals das Schriftstück, dessen Original ihr aber nicht vorlag, als eine begeisterte Gedächnismitschrift. Dieses wurde für die literarische Abrundung vermutlich sehr frei ergänzt und teilweise auch mit erfundenen Satzfragmenten ausgeschmückt. Auch der spätere preußische Bischof Friedrich Rulemann Eylert (1770-1852) in einem sehr pastoral gefärbten Verherrlichung der Königin ausgeholt.

Der spätere preußische Bischof Rulemann Friedrich Eylert (1770-1852) veröffentlichte in seinen pastoral-verherrlichenden Werk »Charakterzüge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preussen Friedrich-Wilhelm III. und der Königin Luise« ebenfalls das vermeintliche »Politische Glaubensbekenntnis« der preußischen Königin Luise.

Königsberg, April 1808

Bester Vater!

Mit uns ist es aus, wenn auch nicht für immer, doch für jetzt. Für mein Leben hoffe ich nichts mehr. Ich habe mich ergeben, und in dieser Ergebung, in dieser Fügung des Himmels bin ich jetzt ruhig und in solcher Ruhe, wenn auch nicht irdisch glücklich, doch, was mehr sagen will, geistig glückselig. Es wird mir immer klarer, dass alles so kommen musste, wie es gekommen ist. Die göttliche Vorsehung leitet unverkennbare neue Weltzustände ein, und es soll eine andere Ordnung der Dinge werden, da die alte sich überlebt hat und in sich abgestorben zusammenstürzt.

Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen, welcher, der Herr seines Jahrhunderts, eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten, deshalb überflügelt sie uns. Das sieht niemand klarer ein als der König. Noch eben hatte ich mit ihm darüber eine lange Unterredung, und er sagte in sich gekehrt wiederholentlich: das muss auch bei uns anders werden.

Auch das Beste und das Überlegteste misslingt, und der französische Kaiser ist wenigstens schlauer und listiger. Wenn die Russen und die Preußen tapfer wie die Löwen gefochten hatten, mussten wir, wenn auch nicht besiegt, doch das Feld räumen, und der Feind blieb im Vorteil. Von ihm können wir vieles lernen, und es wird nicht verloren sein, was er getan und ausgerichtet hat. Es wäre Lästerung, zu sagen, Gott sei mit ihm; aber offenbar ist er ein Werkzeug in des Allmächtigen Hand, um das alte, welches kein Leben mehr hat, das aber mit den Außendingen fest verwachsen ist, zu begraben.

Gewiss wird es besser werden: das verbürgt der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, dass der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Thron ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, das heißt klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Damit befleckt er seine Regierung mit vielen Ungerechtigkeiten. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muss ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Er ist von seinem Glück geblendet, und er meint alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.

Ich glaube fest an Gott, also auch an sittliche Weltordnung. Diese sehe ich in der Herrschaft der Gewalt nicht; deshalb bin ich in der Hoffnung, dass auf die jetzige böse Zeit eine bessere folgen wird. Diese hoffen, wünschen und erwarten alle bessern Menschen, und durch die Lobredner der jetzigen und ihres großen Helden darf man sich nicht irre machen lassen. Ganz unverkennbar ist alles, was geschehen ist und geschieht, nicht das Letzte und Gute, wie es werden und bleiben soll, sondern nur die Bahnung des Weges zu einem bessern Ziele hin. Dieses Ziel scheint aber in weiter Entfernung zu liegen, wir werden es wahrscheinlich nicht erreicht sehen und darüber hinsterben. Wie Gott will; alles wie er will. Aber ich finde Trost, Kraft, Mut und Heiterkeit in dieser Hoffnung, die tief in meiner Seele liegt. Ist doch alles in der Welt nur Übergang! Wir müssen durch. Sorgen wir dafür, dass wir mit jedem Tage reifer und besser werden.

Hier, lieber Vater, haben Sie mein politisches Glaubensbekenntnis, so gut ich als eine Frau es formen und zusammensetzen kann. Mag es seine Lücken haben, ich befinde mich wohl dabei, entschuldigen Sie aber, dass ich Sie damit behellige. Sie sehen wenigstens daraus, dass Sie auch im Unglück eine fromme ergebene Tochter haben, und dass die Grundsätze christlicher Gottesfurcht, die ich Ihnen Belehrungen und Ihrem frommen Beispiel verdanke, ihre Früchte getragen haben und tragen werden, so lange Odem in mir ist.

Gern werden Sie, lieber Vater, hören, dass das Unglück, welches uns getroffen, in unser eheliches und häusliches Leben nicht eingedrungen ist; vielmehr dasselbe befestigt und uns noch werter gemacht hat. Der König, der beste Mensch, ist gütiger und liebevoller, als je. Oft glaube ich in ihm den Liebhaber, den Bräutigam zu sehen. Mehr in Handlungen, wie er ist, als in Worten ersehe ich die Aufmerksamkeit, die er in allen Stücken für mich hat und noch gestern sagte er mir schlicht und einfach mit seinen treuen Augen mich ansehend, zu mir: »Du, liebe Luise! bist mir im Unglück noch werter und lieber geworden. Nun weiß ich aus Erfahrung, was ich an Dir habe. Mag es draußen stürmen - wenn es in unserer Ehe nur gut Wetter ist und bleibt. Weil ich Dich so lieb habe, habe ich unser jüngst geborenes Töchterchen Luise genannt. Möge es eine Luise werden.« - Bis zu Tränen rührte mich diese Güte. Es ist mein Stolz, meine Freude und mein Glück, die Liebe und Zufriedenheit des besten Mannes zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe, und wir so miteinander eins sind, dass der Wille des einen auch der Wille des anderen ist, wird es mir leicht, dies glückliche Einverständnis, welches mit den Jahren inniger geworden ist, zu erhalten. Mit einem Worte, er gefällt mir in allen Stücken und ich gefalle ihm, und uns ist am wohlsten, wenn wir zusammen sind.

Verzeihen Sie, lieber Vater, dass ich dies mit einer gewissen Ruhmredigkeit sage, es liegt darin der kunstlose Ausdruck meines Glückes, welches keinen auf der Welt wärmer am Herzen liegt. als Ihnen, bester zärtlicher Vater! gegen andere Menschen, auch das habe ich von dem Könige gelernt, mag ich davon nicht sprechen; es ist genug dass wir es wissen.

Unsere Kinder sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zufriedenheit und Hoffnung auf ihnen. Der Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Er ist wahr in allen seinen Empfindungen und Worten, und seine Lebhaftigkeit macht Verstellung unmöglich. Er lernt mit vorzüglichem Erfolge Geschichte, und das Große und Gute zieht seinen idealistischen Sinn an sich. Für das Witzige hat er viel Empfänglichkeit, und seine komischen, überraschenden Einfälle unerhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb und spreche oft mit ihm davon, wie es sein wird, wann er einmal König ist.

Unser Sohn Wilhelm (erlauben Sie, ehrwürdiger Großvater, dass ich Ihre Enkel nach der Reihe Ihnen vorstelle) wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Äußeren hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt. Unsere Tochter, Charlotte macht mir immer mehr Freude, sie ist zwar verschlossen und in sich gekehrt, verbirgt aber, wie ihr Vater, hinter einer scheinbar kalten Hülle ein warmes, teilnehmendes Herz. Scheinbar gleichgültig geht sie einher; hat aber viel Liebe und Teilnahme. Daher kommt es, dass sie etwas Vornehmes in ihren Wesen hat. Erhält sie Gott am Leben, so ahne ich für sie eine glänzende Zukunft. Carl ist gutmütig, fröhlich, bieder und talentvoll; körperlich entwickelt er sich eben so gut als geistig. Er hat oft naive Einfälle, die uns zum Lachen reizen. Er ist heiter und witzig. Sein unaufhörliches Fragen setzt mich oft in Verlegenheit, weil ich es nicht beantworten kann und darf; doch zeugt es von Wissbegierde - zuweilen, wenn er schlau lächelt, auch von Neugierde. Er wird, ohne die Teilnahme an dem Wohl und Wehe anderer zu verlieren, leicht und fröhlich durchs Leben gehen. - Unserer Tochter Alexandrine ist, wie Mädchen ihres Alters und Naturells sind, anschmiegsam und kindlich. Sie zeigt eine richtige Auffassungsgabe, eine lebhafte Einbildungskraft und kann oft herzlich lachen. Für das Komische hat sie viel Sinn und Empfänglichkeit. Sie hat Anlage zum Satirischen und siehet dabei ernsthaft aus, doch schadet das ihrer Gemütlichkeit nicht. Von der kleinen Luise lässt sich noch nichts sagen. Sie hat das Profil ihres redlichen Vaters und die Augen des Königs, nur etwas heller. Sie heißt Luise, möge sie ihrer Ahnfrau, der liebenswürdigen und frommen Luise von Oranien, der würdigen Gemahlin des Großen Kurfürsten, ähnlich werden.

Da habe ich Ihnen, geliebter Vater, meine ganze Galerie vorgeführt. Sie werden sagen. das ist einmal eine in ihre Kinder verliebte Mutter, die an ihnen nur gutes siehet und für ihre Mängel und Fehler keine Augen hat. Und in Wahrheit, böse anlagen, die für die Zukunft besorgt machen, find ich an allen nicht. Sie haben, wie andere Menschenkinder, auch ihre Unarten; aber diese verlieren sich mit der Zeit, so wie sie verständiger werden, Umstände und Verhältnisse erziehen den Menschen, und für unsere Kinder mag es gut sein, dass sie die ernste Seite des Lebens schon in ihrer Jugend kennenlernen. Wären sie im Schosse des Überflusses und der Bequemlichkeit groß geworden, so würden sie meinen, das müsse so sein. Dass es aber anders kommen kann, sehen sie an dem ernsten Angesicht ihres Vater und an der Wehmut und den öfteren Tränen der Mutter. Besonders wohltätig ist es dem Kronprinzen, dass er das Unglück schon als Jüngling kennenlernt; er wird das Glück, wenn, wie ich hoffe, künftig ihn eine bessere Zeit kommen wird, um so höher schätzen und um so sorgfältiger bewahren.

Meine Sorgfalt ist meinen Kindern gewidmet für und für, und ich bitte Gott täglich in meinen sie einschließenden Gebete, dass er sie segne und seinen guten Geist nicht von ihnen nehmen möge. Mit den trefflichen Hufeland sympathisiere ich auch in diesen Stücken. Er sorgt nicht bloß für das physische Wohl meiner Kinder, auch für das geistige derselben ist er bedacht; und der biedere freimütige Borowsky, den der König gern sieht und lieb hat, stärkt darin. Erhältt Gott sie uns, so erhält er meine besten Schätze, die niemand mir entreißen kann. Es mag kommen, was da will, mit und in der Vereinigung mit unseren guten Kindern werden wir glücklich sein.

Ich schreibe Ihnen dies, geliebter Vater, damit Sie mit Beruhigung an uns denken. Ihrem freundlichen Andenken empfehle ich meinen Mann, auch unsere Kinder alle, die dem ehrwürdigen Großvater die Hände küssen, und ich bin und ich bleibe, bester Vater,

Ihre dankbare Tochter

Louise

Dies ist vermutlich ein weiterer Puzzlestein zur Mystifizierung der preußischen Königin Luise. Weitere Teile, die dazu beitrugen findet man in der Literatur eines Körners, oder Arndts,


Letzte Änderung der Seite: 20. 09. 2023 - 20:09